- Artikel
- Lesezeit ca. 4 Minuten
Peter Gabriel – New Blood in Red Rocks, 13/06/2011 – Konzertbericht
Auf dem nordamerikanischen Abschnitt der New Blood Tour spielte Peter Gabriel auch im Red Rocks Amphitheater. James Farrelly berichtet von seinen Eindrücken.
Peter spielt erstmals im Red Rocks Amphitheatre
Regenwolken dräuten über den massiven Felsen, die den als Red Rocks bekannten Veranstaltungsort umgeben. An diesem Abend sollte Peter Gabriel zum ersten Mal auf dieser Bühne spielen, die wie das perfekte Gefäß für seine Musik scheint – und er wußte es. „Ich dachte, wir wären hier schon einmal gewesen, aber daran hätte ich mich erinnert“, überlegte er laut und fasste so das von vielen geteilte Gefühl von Dankbarkeit in Worte, in der beeindruckenden Naturlandschaft von Colorado zu sein.
Die Glücklichen, die mit einem VIP Ticket das Programm vor der Show genießen konnte, haben gewiss einen klaren Eindruck gewonnen, wie hart alle auf und hinter der Bühne arbeiten. Ben Foster ist ein Bewegungswunder auf der Bühne, und er arbeitet mit viel Liebe und unermüdlich schon lange vor Konzertbeginn mit den Musikern. Jon Metcalfes Arrangements haben Peters Stücken neue Kraft eingeflößt und lassen viel Platz, damit das Publikum das zauberhafteste aller Instrumente hören können – Peter Gabriels Stimme.
Über unser einfachstes Instrument sagte Hazrat Inayat Khan: „Andere Geräusche mögen vielleicht lauter sein als die Stimme, aber keines ist lebendiger.“ In seiner gesamten Laufbahn als Musiker sind Peter Stimme und seine Gabe, Stücke zu schreiben, ein lebendiger Quell für Millionen Fans auf der ganzen Welt geworden, die daraus Kraft bezogen haben und in höchstem Maße willens waren, seine Liebe zum Leben, sein Engagement für die Menschenrechte und seinen stetigen Drang nach musikalischer Innovation begeistert anzunehmen.
Peter begann das Konzert mit „Heroes“. Kaum hatte er begonnen, das zurückgenommene Arrangement von Bowies Rockklassiker mit seiner Stimme zu elektrisieren, da erhellte sich der Himmel mit einer ganz eigenen elektrischen Darbietung. Ein fühlbares Murmeln ging durch den randvollen Zuschauerraum, zusammen mit einigem himmlischen Grummeln. Ohne Zweifel hatten alle Künstler auf der Bühne diese Bewegung wahrgenommen. Aber wir saßen alle im selben Boot – weiter geht’s, was auch passiert. Wallflower, diese Hymne an die sanfte Macht, die politische Gefangene auffordert, durchzuhalten, klang in dem neuen Arrangement wie ein ganz neues Stück. Als vereinzelte Regentropfen einem jähen Wolkenbruch wichen, türmte sich Après Moi zu seinem großen Finale auf … und Peter blickte aufwärts in die dunklen Wolken bei den Worten „after me comes the flood“ (Nach mir kommt die Flut). Und das ist doch vielleicht das, was wir am meisten an Peters Musik bewundern: Er findet immer einen Weg, das Bittere süß zu machen. Einige Leuten suchten Schutz vor dem Wetter, der allergrößte Teil der Fans versteckte sich unter Regenschirmen und Ponchos und lauschte weiter der Musik. Der Verfasser grinste und dankte seiner irischen Abstammung und seiner guten Idee, zu einem Konzert im Mittleren Westen mitten im Juni eine Wollmütze mitzunehmen.
Glanzlichter des ersten Abschnitts waren die New Blood-Versionen von Peters eigenen Stücken. Darkness, Washing Of The Water und Biko waren alle sehr dynamische Neufassungen seines Materials. Biko fiel besonders auf durch die Intensität im Refrain, der alle sehr bewegte. Peter ging lächelnd von der Bühne, während die Menge den Gesang fortführte. Spätestens da war ihm klar, dass das Wasser von oben die Flamme der guten Stimmung in Red Rocks nicht auslöschen konnte.
Im zweiten Teil des Konzertes wurden wir mit einer unglaublichen musikalischen Vollendung von Peters emotionalsten Stücken belohnt. San Jacinto auf dieser Bühne mit den Felstürmen um uns herum, die schon endlose Wechsel von Erdzeitaltern und menschlicher Geschichte erlebt haben – San Jacinto wurde hier ein Gebet für die Erhaltung der Großen Mutter Natur und der verlorenen Kultur, ein Lied, das uns auffordert, das Licht zu suchen, das unsere Menschlichkeit ausmacht. Es ist eine Botschaft, die man gut und gerne wiederholen kann, wie er es Abend für Abend auf dieser Tour tut. Digging In The Dirt bot dem Publikum eine Gelegenheit, dem Perkussionisten mit etwas synkopiertem Applaus zu folgen, wenn Peter sang. „This time you’ve gone too far“ – [klapp].
Signal To Noise brachte das gesamte Publikum auf die Beine, und es spendete hochverdiente stehende Ovationen. Peter greift mit diesem Stück so tief in sich selbst hinein, in die Erinnerung, in das Gewissen, dass etwas Unausdrückbares passiert. Das Arrangement war viel dynamischer und lebhafter als in der Rockversion, denn hier waren leibhaftige Musiker, die mit dem Bogen über die Seiten strichen und in Blasinstrumente bliesen und keine Synthesizer und keine vorher aufgenommenen Teile. Das New Blood Orchester bekam hier seine Energie von einer höheren Macht – receive and transmit, empfange und sende: Es gibt Unterstützung, wenn wir eine neue Welt schaffen wollen. Ein Stück folgte dem nächsten, die Musiker hatten ganz eindeutig ihren Takt gefunden. Bei den restlichen Stücken zeigte das New Blood Orchester seine Muskeln bei The Rhythm Of The Heat, dessen percussion-orientiertes Ende so intensiv war wie bei Stravinsky. Ganz gewiß eines der schwierigsten Stücke zu singen, aber Peter war in toller Form und steigerte sich in dieses Lied über Carl Jungs Erlebnisse in Afrika hinein.
Intruder gehörte zu den neueren Stücken auf dieser Tour, und viele fanden das Stück sehr inspirierend. Red Rain erinnerte uns daran, wie weit der Abend schon fortgeschritten war – tolles Arrangement, wieder stehende Ovationen für das Orchester, und Peter entschwand in dem leisen Ende, das dieses Stück über einen persönlichen Weltuntergang ausklingen ließ. Wunderschön. Der zweite Teil des Konzerts endete mit Solsbury Hill – nicht nur um das Publikum zu erfreuen. Als Rondo im 7/8-Takt nimmt uns Peters Ode an die Freuden der Selbsterkenntnis mit, gemahnt uns daran, wieder Kinder zu werden und mit einem fröhlich hüpfenden Reigentanz das Wunder unseres Lebens zu feiern. Spielen und bespielt werden. Eine dritte stehende Ovation donnerte über alle hinweg.
Gabriel kehrte für drei Zugaben zurück. In Your Eyes und Don’t Give Up brachten die schönen Stimmen von Ane Brun und Melanie Gabriel zur Geltung. Die Strömung war noch stark – die Magie der Teilnahme hatte diesen Ort gesegnet und kam zur Ruhe in dem erhabenen stillen Finale The Nest That Sailed The Sky.
Die Donnerwesen und ihre Kinder waren gekommen, an diesem Tag des Mondes Zeugen der Musik von Peter Gabriel zu werden; und sie fanden sie sehr, sehr gut.
Text und Fotos: James “PBJ” Farrelly, deutsch von Martin Klinkhardt
Blumenfoto von Greg Ruggieri