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Peter Gabriel – New Blood in London, 23.+24.03.2011 – Konzertbericht
Im Frühjahr 2011 spielte Peter Gabriel zwei New Blood Shows im altehrwürdigen Hammersmith Apollo, um eine 3D-Blu-ray aufzunehmen. Im Publikum saß unter anderem auch Steve Hackett. Christian Gerhardts schildert seine Eindrücke.
Peter Gabriel galt schon immer als Pionier, wenn es um die Verwendung und auch Verbreitung neuartiger Techniken ging. Er puschte den Fairlight Musikcomputer, legte bereits Anfang der 90er ambitionierte interaktive CD-Roms vor und hatte den richtigen Riecher, als er seine OD2-Plattform (On Demand Distribution) gewinnbringend verkaufen konnte, bevor der Hype um Kaufmusik im Internet überhaupt losging.
In letzter Zeit jedoch vernachlässigte Gabriel zum Beispiel etwas das Medium Blu-ray. Ausnahmsweise war dieses Mal Phil Collins aus dem Genesis-Lager der erste, der eine entsprechende Veröffentlichung auf diesem Medium auf den Markt brachte (Going Back: Live At Roseland Ballroom).
Allerdings kam dann wenig überraschend die Ankündigung, im Rahmen zweier Konzerte eine 3D-Blu-ray aufzunehmen. Die Wahl bezüglich der Location fiel auf das relativ große Theater Apollo unweit der U-Bahn-Station Hammersmith in London. Im Ticketvorverkauf wurde bereits klar, dass Gabriel einiges vor hatte. Ganze Bereiche waren nicht verfügbar wegen möglicher Aufbauten für Spezialkameras, sogar ein Kran war geplant.
Kurioserweise hatten Mike + The Mechanics für den 23.03.2011 die Vorstellung ihres neuen Albums The Road ebenfalls in London angesetzt (im Hard Rock Cafe), und so wurde aus dem London-Trip eine Art Fanclub-Dienstreise, denn es stand auch noch ein Interview mit Mike Rutherford, Tim Howar und Andrew Roachford vor der ersten Show von Peter Gabriel an.
Rückblick: Peter Gabriel stellte 2010 sein Album Scratch My Back im Rahmen der New Blood Live Shows vor. Das Album wurde komplett gespielt, schließlich gab es aber im 2. Set nach der Pause noch reichlich Klassiker aus Peter Gabriels Katalog. Somit stellte sich die Frage, ob Peter Gabriel in London anlässlich der DVD / Blu-ray-Aufnahmen dieses Konzept nochmals verfeinert, im Grundsatz bei den Setlists der letzten Shows (z.B. in Köln) bleibt oder am Ende wieder etwas ganz anderes macht. Im Vorfeld verdichten sich die Anzeichen, dass sein Konzept, Scratch My Back komplett zu spielen, verworfen wird. Außerdem arbeitet er an mehreren neuen Arrangements eigener Songs. Definitiv soll es aber Laser geben während der Show. Das wiederum ist eine Neuerung im Vergleich zu 2010.
Gegenwart: Das Apollo füllt sich am 23. nur langsam. Die Sitze auf dem Oberrang sind steil angeordnet, oben gibt es den Circle, an dem man an ein Geländer gestützt auch noch stehen kann. Das wird für die meisten dort aber nicht erforderlich, denn es bleiben genug Plätze frei. Das Hammersmith Apollo ist relativ stickig, etwas altbacken, mit rotem Teppich und roten Sitzen. Vor der Bühne sieht man mehrere Kameras, dazu eine Kranapparatur.
Nach dem kurzen Set von Ane Brun geht plötzlich unvermittelt das Saal-Licht aus und die Show beginnt völlig überraschend mit Intruder. Die Darbietung wirkt verkrampft, unausgewogen und irgendwie schief, auch die Kameraleute scheinen nicht so recht zu wissen, was sie tun sollen. Und selbst als Intruder zu Ende war, strömten nach wie vor weitere Zuschauer auf ihre Sitze. Dies hatte zur Folge, dass ausgerechnet bei Wallflower, das Gabriel sonst nur äußerst selten spielte, immer noch ein reges Treiben auf den Rängen war. Zu allem Überfluss verdaddelte sich Peter gleich zu Beginn des Songs und startete ihn neu – versang sich aber gleich wieder, doch dieses mal spielte man den Song zu Ende.
Mit The Boy In The Bubble und Après Moi folgten, vorsichtig gesagt, nicht gerade die stärksten Songs von Scratch My Back – man merkte allen an, dass nun auf Sicherheit gespielt wurde. Freundlich formuliert war die Darbietung souverän, realistisch eingeschätzt aber eher verkrampft. Es schien so, als würde das „bloß keinen Fehler machen, wir filmen“-Dogma das gesamte Ensemble etwas lähmen. Zu spüren war dies auch bei The Drop – Peters Einsätze waren etwas unsauber, entweder überhastet oder eben leicht zu spät. Zum Ende des ersten Sets wurde es besser, The Power Of The Heart war wieder ein Genuss und das Highlight kam am Ende des ersten Sets. Biko erlebte seine Orchesterpremiere und anders als die Band-Version, in der zum Ende hin immer weniger Instrumente zu hören sind, steigert sich der Song von Minute zu Minute. Peter selbst fing mit der ersten Strophe flüsternderweise an. Was zunächst wie eine Gesangsunsicherheit wirkte, entpuppte sich als geniales Dramaturgie-Konzept für Biko. Es war nicht perfekt, aber für eine Premiere sehr gut. Damit versöhnte er zumindest etwas für eine zerfahrene erste Stunde.
In der Pause gab es einen Mix aus ratlosen und begeisterten Gesichtern. Diese teilten sich vermutlich genau auf die beiden Fangruppen auf, die diese Show bereits gesehen haben oder eben nicht.
Der zweite Set entsprach in etwa den Sets der Herbst Shows von 2010. Große Veränderungen gab es nicht, die Arrangements waren identisch. Die fehlende Sicherheit und Nervosität zog sich auch durch den zweiten Set, wenn gleich hier – wie üblich – vor allem The Rhythm Of The Heat und Signal To Noise zu gefallen wussten, ebenso das kraftvolle Red Rain, das nach einigen Tests gleich vor Solsbury Hill seinen Platz im Set nun offenbar gefunden hat.
Vor den Zugaben fragte man sich, was eigentlich aus den groß angekündigten Lasern geworden war? Diese waren bisher weit und breit nicht zu sehen. Auch In Your Eyes und Don’t Give Up blieben laserfrei. Dafür gab es zu In Your Eyes ein willkommenes Wiedersehen mit Zevara, die bereits auf der Growing Up Tour als Support Act für Peter spielte. Ane Brun wurde für ihren Beitrag bei Don’t Give Up wieder frenetisch gefeiert. The Nest That Sailed The Sky beendet wie gewohnt den Set und Peter klimpert die letzten Töne auf dem Klavier rechts am Bühnenrand.
Keine Laser, keine Lockerheit, viel Stückwerk, wenig überspringende Funken – New Bood in London wirkte etwas zähflüssig und optimierungsfähig. Also galt es abzuwarten, was Tag 2 an Überraschungen bringen würde.
Am zweiten Tag war Steve Hackett mit seiner (mittlerweile) Frau im Publikum. Viele bekannte Gesichter aus der internationalen Fanszene konnte man außerdem sichten, auch aus den USA kamen Fans, um diese Show zu sehen.
Interessanterweise war der Kamerakran abmontiert worden und auch die fahrbaren Kameras rund um die Bühne wurden reduziert. Ein wenig sah es so aus, als habe man nach dem durchwachsenen ersten Tag das komplette Vorhaben verworfen. Allerdings konnte man vor der Show die ein oder andere SteadiCam erspähen, so dass der Fokus am zweiten Abend wohl genau auf dieser Kameratechnik basierte. Informationen zu dieser Kameratechnik könnt ihr diesem Wikipedia-Artikel entnehmen.
Die Show begann ein wenig wie am Vortag. Zwar wurde es schneller ruhig, aber kaum eine Minute nach dem Start von Intruder brach Peter den Song ab, weil er sich wieder mal völlig verhaspelt hatte. Also erklärte er kurzerhand, man würde die Show einfach noch mal beginnen und wir sollten alle so tun, als haben wir nichts bemerkt. Er ging von der Bühne, die Leinwand fuhr wieder runter und Intruder startete erneut. Und plötzlich war die ganze Nervosität und Verkrampftheit vom Vortag verschwunden. Die Steadicams rannten über die Bühne, mal von hinten, mal von der Seite, mal unten aus dem Bühnengraben, aber es schien die Musiker nicht (mehr) zu stören. Peter uns sein Orchester spielten einen relaxten ersten Set, The Dropwurde nicht mehr gespielt, dafür zelebrierte er mit Melanie eine schöne Darbietung von Washing Of The Water. Aber auch das änderte nichts an der Tatsache, dass Biko wieder das Highlight des ersten Sets war. Ein wenig komisch war es dann schon, dass in dieser anmutenden Atmosphäre mit diesem Orchestersound Peter seine obligatorische Geste machte und auch das Publikum wieder dazu aufforderte – welches auch darauf einging. Da kann man gespannt sein, wie das auf der Blu-ray wirkt.
Überhaupt war das Publikum am zweiten Tag besser als am ersten. Es riss die Leute öfter von ihren Sitzen, der Applaus war länger und in ruhigen Passagen war das Publikum auch öfter ruhig als am Vortag.
San Jacinto, Signal To Noise und The Rhyhm Of The Heat waren auf Top-Niveau, besser geht es nicht. Und dann passierte bei The Nest That Sailed The Sky das, womit niemand mehr gerechnet hatte – die Laser kamen zum Einsatz und man fühlte sich etwas an Pink Floyd 1994 erinnert.
Und so ging das Konzert gediegen zu Ende. Draußen gab es dann noch die ein oder andere Fanbegegnung mit Steve Hackett, dem das Konzert auch sehr gefallen hatte.
Was bleibt: Der zweite Abend entschädigt für vieles. Wenn man das ganze näher betrachtet, stellt man sich aber die Frage, warum er vom Scratch My Back-Konzept abgewichen ist. Das wäre eine exzellente Grundlage – und ein schlüssiges Konzept – für eine New Blood DVD / Blu-ray gewesen. Statt dessen verwirrte er seine Fans und vermutlich auch ein Stück weit sich selbst. Der erste Set war etwas merkwürdig inhomogen.
Zudem machte er im Vorfeld mit Abstimmungen zu weiteren News Blood Songs vielen Fans den Mund wässrig. Dass Biko kommen würde, war fast sicher. Ein weiterer Kandidat war Secret World, doch das wurde in London noch nicht gespielt. Die vielen Kameras ermöglichten es nicht immer, der Show angemessen zu folgen.
Auf der anderen Seite ist es aus deutscher Sicht eine Wohltat, wenn Peter seine Ansagen konsequent auf Englisch macht. Dann bemerkt man erst einmal, wie sehr der Redefluss (und mitunter auch der Humor) von der Sprache abhängt.
Autor: Christian Gerhardts
Fotos: Axel Beringer