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Peter Gabriel – New Blood in Köln, 02.10.2010 – Konzertbericht

Peter Gabriel spielte nach Aussage von Dickie Chappell in Köln die beste Show der Tour. Thomas Schrage war vor Ort und fasst seine Eindrücke zusammen.

In den 2000er Jahren war Peter ja aktiver als in den gesamten 10 Jahren davor. Leider hatte man aber auch immer wieder den Eindruck, dass er seine Konzerte ein wenig schnodderig betreibt. Die Warm-Up-Tour schien er sehr rasch aus dem Boden gestampft zu haben, was sich nicht zuletzt in der Häufung der „Fuck ups“ niederschlug.

Nun aber hat er für die New Blood Tour zu wahrlicher Höchstform zurückgefunden. Was man am 2.10.2010 in der Kölnarena erleben durfte, war Peter Gabriel mit einer Bühnenpräsenz, wie man sie schon lange bei ihm nicht mehr gesehen hat. Ein einzelner Mann mit seinem Charisma und seiner außerordentlichen Stimme, vereint mit ergreifender Musik, füllten den weiten Raum bis in den letzten Winkel.

Peter spielt zunächst das Scratch My Back-Album komplett durch. Da es Grundstock der ganzen Tour ist, macht das auch Sinn – genauso wie die Tatsache, dass er die Reihenfolge der Songs nicht verändert hat. Einige Fans hatten sich ja eigene Album-Variationen gebrannt, weil sie an Peters Entscheidungen etwas verbessern wollten – um dann jedoch festzustellen, dass die Musik nur in der originalen Abfolge ihre eindrückliche Wirkung erhält. Und Peter hat diese Dramaturgie für die Konzerte natürlich beibehalten.

1So beginnt der Abend (nach einem Kurzvorprogramm von Ane Brun) mit Heroes. Neben der Tatsache, dass dieser Song als Eröffnung sofort klar macht, wohin der Abend musikalisch laufen wird (das wohl bekannteste Original kommt gleich in einer sehr andersartigen, fordernden Version daher), erlebt man auch gleich, wie die visuelle Konzeption des Abends gebaut ist: Auf die insgesamt vier Videoscreens (drei hinter der Bühne hochkant, einer vor der Bühne quer) werden zu jedem Stück sparsame Bebilderungen geworfen.

Im ersten Teil zu Scratch My Back halten die sich konsequent in den Farben Schwarz/Weiß/Rot. Und sind teilweise – wie beispielsweise gleich bei Heroes – so minutiös getimed, dass sie die musikalischen Akzente mit abstrakten Mustern quasi mitpulsieren können. Im weiteren Verlauf wird dann mal ästhetisches Formenspiel, mal reduzierte Illustrierung, und im Falle von The Book Of Love auch ironische gebrochene Animation eingeblendet.

Gabriel steht meist halblinks, bewegt sich auch mal gefaßt über die Bühne, und präsentiert die Stücke zum einen mit stimmlicher Toppräsenz, zum andern auch mit spärlichen, aber dafür um so wirkungsvolleren Gesten. Im Ganzen macht er einen hochkonzentrierten und sehr souveränen Eindruck.

Das „New Blod Orchestra“ ist famos eingespielt und brilliert auf der ganzen Linie. Dirigent Ben Foster führt es mit kraftvollem Willen, läßt später im zweiten Teil aber auch mal den gutgelaunten Schlacks raushängen.

Alles in allem also beste Voraussetzungen für eine eindringliche Show. Gut auch, dass sich Gabriel entschieden hat, die einzelnen Stücke des ersten Teils nicht durch Ansagen zu unterbrechen. Auch deshalb kommt er geschlossen und dicht daher. Was es daran zu kritisieren gibt, ist wirklich Nörgeln auf höchstem Niveau: Dass vor allem zu Beginn Gabriels Stimme im Gesamtmix noch nicht genug in den Vordergrund gemischt wird, dass ein paar Songs die grade entstandene Stimmung wieder ein wenig dämpfen, dass Gabriel seine Stimme in ein paar seltenen Momenten schont, dass die Videoscreens gelegentlich zwischen den Songs unschön aufblitzen – geschenkt.

2Dafür erleben wir berührende und überzeugende Momente – musikalisch, stimmlich, visuell, gesamtatmosphärisch. Etwa die Kraft, die zum Mittelteil von My Body Is A Cage von der Bühne herunterkippt. Die schlichte Direktheit mit der The Power Of The Heart anrührt. Oder auch die stimmige Eindringlichkeit mit der das geschmähte Street Spirit auf einmal daherkommt.

Dann ist 15 Minuten Pause, in der jeder in der riesigen Arena das Klo suchen, teure Andenken kaufen oder noch ein weiteres Bier holen kann. Obwohl grade Bier, in Missachtung des Umstands, dass es sich hier nicht um eine marktübliche Rockshow handelt, auch während des laufenden Konzerts in der Halle verkauft wird.

Im zweiten Teil gibt es nun Gabriels eigene Songs „verscratcht“. Dieser Teil ist weniger geschlossen. Die Orchesterarrangements sind teils mehr, teils weniger ungewöhnlich, die Videoeinblendungen stilistisch freier, Gabriels Ansinnen mehr auf Begeisterung aus.

San Jacinto als warmblütiger Auftakt ist eine sichere Nummer. Digging In The Dirt, dessen Orchesterfassung oft kritisiert wird, überzeugt überraschenderweise besser als erwartet. Signal To Noise unterscheidet sich zwar nur unwesentlich von der Originalversion, treibt aber den Saal zu standing ovations. Ebenso wie The Rhythm Of The Heat, dass in dieser Umsetzung vom ersten Ton an auch weit mehr ergreift, als alle bisherigen Live-Fassungen zusammen. Und bei Intruder werden ganz neue Facetten des Nervenkitzels aufgedeckt, die dieser Song zu bieten hat.

Bedauerlich bleibt, dass Gabriel mit seinen beiden Backgroundsängerinnen kein gutes Händchen beweißt. Im einfachen Harmoniegesang können beide noch überzeugen. Aber bei Solopassagen stellt Melanie leider immer noch völlige Ausdruckslosigkeit dar, während Ane Brun mit ihrer zittrigen, ach-so-emotionalen Stimme zu viel erreichen will (bedauerlich, wo doch ihre Gesänge im Vorprogramm so etwas absolut nicht erahnen ließen).

3Zum Ende des Konzerts kommen dann todsichere Erfolgsnummern wie Solsbury Hill und In Your Eyes, bei denen nicht mehr so sehr innovatives Arrangement, sondern einfach nur noch ansprechende Laune zählen. Die Stimmung im Kölner Saal ist dann auch tatsächlich derart überbordend, dass sich PG zum absoluten Schluss sogar herausnehmen kann, alle (!) Orchestermitglieder namentlich vorzustellen – nachdem der Abend mit einem eher sachten The Nest That Sailed The Sky etwas zurückgenommen endete.

Was bleibt, ist eine unvergessliche Ausnahmeveranstaltung, die vollkommen überzeugt hat. In dieser gelungenen Konzentriertheit hat man etwas ähnliches wohl noch nicht gesehen – und ich bin leider sicher, das viel Zeit vergehen wird, bis es etwas vergleichbares geben wird.

Autor: Thomas Schrage
Fotos: Markus Scharpey


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