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Peter Gabriel live – WOMAD-Hannover, München, Nürburgring (1994) – Konzertberichte
Zum Ausklang seiner Secret World Tour 1993/1994 spielte Peter noch einmal drei Konzerte in Deutschland. Hier erfahrt ihr, wie es zu Ende ging…
Da am nächsten Tag das allererste Konzert dieses neuen Tourabschnittes stattfindet, wird noch einmal ausgiebig geprobt. Peter und Band sind gut drauf, proben unter anderem Shaking The Tree (allerdings schont Peter noch etwas seine Stimme und lässt dieses Lied erst einmal vollinstrumental durchspielen) und Games Without Frontiers, bei welchem ein November-Livemitschnitt zur Anlernung des kurzfristig für Manu Katché eingesprungenen Schlagzeugers Bill Cobham genutzt wird.
Donnerstag, den 19.05.1994 (Hannover)
Außer Peters ständigem Gast dieser Tour, Lucky Dubes südafrikanischer Reggaetruppe The Slaves, gibt es bei diesem speziellen WOMAD-Konzert noch drei Vorgruppen aus der Weltmusikecke: The Guo Brothers, Dr. John und S.E. Rogie. Es ist ein einzigartiges Konzert, weil es einen der wenigen Nicht-Festivalauftritte dieses Tourabschnitts darstellt und sozusagen im intimeren Kreis einer Halle stattfindet. Bereits während Lucky Dube Stimmung macht, sieht man Peter sichtlich entspannt in den Seiten tanzen, und den ganzen Abend lang wird sich diese enthusiastische Touraufbruchstimmung halten. Den wichtigsten Unterschied zu den Novemberkonzerten bildet die Bühne. Sie ist schlicht gehalten. Es gibt keine zwei Bühnen mit Verbindungssteg mehr, keine Kuppeln, keine Projektionswand, keine Gimmicks wie Telefonzellen, Bäume, Karren, Stühle, Wasserbecken oder Koffer. Das ganze Konzert ist sozusagen „hand-made“ und überzeugt allein durch die Kraft von Peters Songs und seiner energiegeladenen Darstellungsleistung, wobei die Band da natürlich super mitzieht. Doch zurück zum Konzertanfang. Zaar tönt einleitend vom Band, dann geht es mit Come Talk To Me richtig los. Peter begrüßt artig sein Publikum auf Deutsch: „Hallo Hannover! Es ist schön wieder hier zu sein.“ Die Songabfolge hat gegenüber den Vorkonzerten nicht viele Änderungen erfahren, und so geht es „traditionell“ mit Quiet Steam als Einleitung zu Steam weiter. Die Feuerlöscher-„Dampf“-Fontänen sind zu stark eingestellt, und die Elektrostatik treibt Peter jedesmal die Haare zu Berge – ein göttlicher Anblick. Auch Games Without Frontiers läuft wie gehabt ab. Nachdem zumindest hier in Hannover wieder einmal die Publikumsmitwirkungs-Tonschleife (Peter: „Wir sind fertig?“) den Song Across The River einleitet, übernimmt Tony Levin mit Kontrabass und Geigenbogen den Part von Shankar, der diesen Tourabschnitt nicht mitmacht. Viele Liedversionen klingen jetzt so wie in dem auf Premiere ausgestrahlten Livekonzert – insbesondere Across The River, Shaking The Treeund Secret World (neue Keyboard-Passage!).
Übergangslos geht Across The River in Shaking The Tree über (also ohne Slow Marimbas), und Paula Cole hat ihren ersten größeren Einsatz. Während des Konzertes soll sich erweisen, dass sie viel agiler geworden ist. Sie singt ihre Parts nicht mehr so statisch wie früher, sondern hat sich zum wahren Wirbelwind gemausert, der gemeinsam mit Peter total ausgelassen über die Bühne fegt. In Shaking The Tree gibt es außer Solos für Tony Levin (Peter: „Shaking his tree – schüttel den Baum!“) und Bill Cobham (Peter: „Shaking two trees – zwei Bäume!“) das bekannte geschlechtergetrennte Publikumsmitsingen. Es folgen Blood Of Eden und – Hannover-exclusiv – San Jacinto (Peters Ansage dazu: „and initiated with the bite of a snake. And if he returned down to the town, he was a brave, and if he didn’t he was… dead!“). In Ermangelung der Projektionsleinwand wird Peters wabernder Schatten direkt auf die hintere Bühnenwand gestrahlt; Da das mit sich bringt, dass er mit dem Rücken zum Publikum auf einem Podest steht, der Roadie sich mit dem Scheinwerfer aber zwischen ihm und den Zuschauern befindet, bilden die Scheinwerferbewegungen in Richtung auf Peters Hinterteil einen unfreiwillig komischen Anblick. Lovetown wurde, nachdem das Stück im November nicht gespielt wurde, wieder ins Programm aufgenommen (außer am Nürburgring). Dann eine echte Überraschung: Schock den Affen – Peter singt Deutsch! Er liest dabei allerdings sichtlich von auf beiden Bühnenseiten auf dem Boden ausgelegten Textblättern ab. Bereits am Nürburgring bringt er jedoch wieder Shock The Monkey in Englisch. Solsbury Hill läuft wie gewohnt ab und ist natürlich der Publikumsmitreißer. Digging In The Dirt läuft in der Halle ohne Peters Kopfkamera ab. Da es auf den Festivals aber Videoschirme gibt, kommt sie dort wieder zum Einsatz. Während dieses Songs benutzt Peter einen Griffscheinwerfer, um das Publikum anzuleuchten und sich selbst anschließend dämonisch von unten anzustrahlen. Außerdem kann er sich einen jacko-artigen Griff an die Weichteile nicht verkneifen und bringt damit nicht nur Paula zum Grinsen. Auch bei Sledgehammer läuft einiges an sexuellen Anspielungen ab. Beispielsweise erfolgen Peters berühmte Hüftschwünge jetzt immer Rücken an Rücken mit Paula, was beiden offensichtlich viel Spaß bereitet. Secret World, der Abschluss des Hauptteils des Konzertes, wird ebenfalls als Ausrede zum „Auf-der-Bühne-herumtollen“ genutzt. Super: die Stroboskopeffekte dabei! Bei den Zugaben In Your Eyes und Biko mischen Lucky Dube und seine Slaves kräftig mit, was insbesondere In Your Eyes um einen Zulu-Frauenstimmenchor bereichert. Am Schluß von Biko lautet Peters Aufforderung ans Publikum nunmehr: „Was jetzt kommt, kommt von Euch!“ Das Beste aber ist die Verabschiedung. Alle sind total albern und ausgelassen. Obwohl ursprünglich nur die übliche Verbeugungszeremonie geplant war (wie sie am Nürburgring dann tatsächlich durchgeführt wurde), bricht Lucky Dube spontan in Gesang und Tanz aus, und die anderen müssen ihm wohl oder übel folgen. Mit allen Musikern in einer Reihe hätte es fast ein Cancan werden können. Aber auch so werden die Beinchen stark beansprucht. Man sieht deutlich, wie Tony, David und die anderen versuchen, hinter das Geheimnis des Dubeschen Wechselschritts zu kommen. Lucky bringt dem Publikum die südafrikanischen „Amandla!“-„Avetu!“-Rufe bei und bricht schließlich in „Viva Peter Gabriel viva!“ aus, eine Ehre, die Südafrikaner ansonsten nur Nationalhelden wie Nelson Mandela zukommen lassen. Mit diesen passenden Worten endet schließlich das Hannover-Konzert und man sieht tausende von glücklichen Gabriel-Fans mit dem einen oder anderen Lied auf den Lippen heimwärts steuern.
Achja, außer den bereits angesprochenen Unterschieden der Auftritte konnte zumindest das Konzert am Nürburgring mit einem entscheidenden Bonus aufwarten. Nach ungewohnt kurzer Musikerverabschiedung kommt Peter doch noch einmal auf die Bühne, um die Fans mit Jetzt kommt die Flut zu beschenken – was für ein Ausklang!
(Vielen Dank für die Mithilfe an Heike Runte, Anke Sievers, Ralf Kammerer, Claudia Reineke und Michael Remus) Karin Woywod
zuerst veröffentlicht in it Nr.11 (Juni 1994)