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Peter Gabriel live Könixxtreffen München 2002
Nur wenige Tage nach dem Start der Tourproben für die Growing Up Tour 2002 testete Peter Gabriel seine Band beim Könixxtreffen, dem 20jährigen Jubiläum von Virgin Deutschland, am 31.8.2002 in München.
Acht Jahre war er nicht mehr live in Deutschland zu erleben. Sein neues Album UP ist noch gar nicht erschienen, aber Peter Gabriel und seine Band spielen sich schon warm für die kommende Tour, die Mitte November in Nordamerika beginnen soll.
Für das Vorfeld der Albumveröffentlichung bzw. Tour hatte Gabriel mehrere kleinere Konzerte angekündigt. Allerdings war es überraschend, dass er als Headliner mit einem gut einstündigen Set beim Könixxtreffen in München spielen würde.
Der Anlass war klar: Virgin Deutschland wurde 20 Jahre alt. Dass die Macher aber jemanden wie Peter Gabriel mitten in den laufenden Tourproben dazu bewegen konnten, live zu spielen, ist schon eine kleine Sensation. Und für viele Fans war es Grund genug, nach München zu pilgern.
Peter Gabriel selbst stapelte während der Vorbereitungen tief. Man dürfe nicht allzu viel erwarten, es gäbe keine großartige Show, und die Proben seinen noch nicht sehr weit fortgeschritten. Und er werde nur etwa eine Stunde spielen.
Man kann seinen Auftritt getrost als Weltpremiere bezeichnen. Mehr als drei Wochen standen am 31.8.2002 noch vor uns, bevor sein neuestes Werk UP in den Läden steht. Bereits auf der Pressekonferenz am Vormittag hatte Gabriel ja angekündigt, dass er drei neue Songs spielen wolle. Angesichts der knappen Zeit von nur etwa einer Stunde wurde vor seinem Auftritt wild über den Set spekuliert.
Doch bevor Peter Gabriel auf die Bühne kam, hatte man es mit einem Aufmarsch von Newcomern und dann ebenfalls alten Hasen zu zun. Heyday, The Ark (die übrigens überzeugten), schließlich Slut, die sich bereits einen Namen gemacht haben. Dann kamen Reamonn, die mit Supergirl, Josephine oder Saving An Angel Riesenhits hatten, und heizten den Zuhörern bei praller Sonne und brüllender Hitze ordentlich ein.
Danach kam Hubert von Goisern, über dessen Qualitäten vermutlich am meisten diskutiert wurde, schließlich ein toller Auftritt von Altmeister Bryan Ferry, der das Publikum mit einer schönen Mischung aus alten und neuen Hits (Love Is A Drug oder Let’s Stick Together) auf Trab brachte. Während seines Auftritts zogen bereits dunkle Wolken auf. Parallel dazu wurde es auch dunkel.
Bryan geht und die Crew beginnt, die halbe Bühne abzubauen. Die Bühne wurde im Akkord komplett leer geräumt und wieder bebaut. Tony Levin war zwischendurch immer mal wieder zu sehen und machte unter anderem Bilder vom Publikum. Schließlich kündigte Fritz Egner den „Very Special Guest“ an und die Stimmung wurde besser und besser.
Unter tosendem Beifall betrat Peter Gabriel mit seiner neuen Band die Bühne. Neben den alten Hasen Tony Levin (Bass) und David Rhodes (Gitarre) spielte Ged Lynch Schlagzeug, Rachel Z Keyboards, Richard Evans Flöte und Gitarre und nicht zuletzt Melanie Gabriel, die ihren Vater wie schon beim WOMAD Auftritt an den Vocals unterstützte. Peter Gabriel stand konzentriert mit einem etwas lächerlich wirkenden Kopfhörer, der doch stark an die Lärmschützer auf Baustellen erinnert, hinter seinem Keyboard.
Zur Überraschung vieler hörte man nun die ersten Klänge von Darkness, dem Opener des neuen Albums, das der deutlichen Mehrheit der Anwesenden ja noch unbekannt ist. „Pscht“ und „psst“, „sei doch mal leise“ hörte man von allen Seiten, als Gabriel „Consequence“ flüsterte und dann dieses Industrial-mäßige Soundgewitter über die Leute hereinbrach und für haufenweise erstaunte und schockierte Gesichter sorgte. So ein Opener ist natürlich erst einmal schwer zu verarbeiten und so erzählte Peter den Leuten in recht flüssigem Deutsch, dass dies das erste Konzert mit der neuen Band und dem neuen Material sei. Aber nun habe man ein altes Stück – „Roten Regen – Red Rain„. Es folgte eine kraftvolle Live-Version des Klassikers vom Album SO, das nach Peters eigener Aussage selten live 100% zufrieden stellend war – zumindest für ihn. An diesem Abend ließ es sich Peter wieder einmal nicht nehmen, die Strophen durcheinander zu wirbeln und seinen Text zu vergessen. Allerdings: So peinlich wie beim Amnesty Konzert 1998 war Red Rain bei weitem nicht. Die Live-Darbietung war gut und sorgte für ordentlich Stimmung. Kaum konnte sich der Jubel beruhigen, als Peter Gabriel mit „Erwachsen – Growing Up“ einen weiteren Stimmungsmacher brachte. Ein neuer Song zwar, aber der treibende Beat und die gute Melodie ließen bei den meisten Besuchern gehörig die Knie tanzen. Das bemerkenswerte an dem Song war, dass die Live-Darbietung absolut lupenrein war. Man merkte der Band die Spielfreude an und kann erahnen, welcher Gewinn Ged Lynch für die Band sein wird. Rockiger klingen sie, mehr geradeaus, einfach direkter. Die Stelle, an der Gabriel auf der Album Version 2 Strophen übereinander singt, kam ebenfalls überzeugend rüber. Melanie Gabriel übernahm einfach den einen, ihr Vater den anderen Teil. Growing Up kam bei den Fans sehr gut an. Es könnte sich zu einem echten Live-Klassiker entwickeln. „Das nächste Lied ist älter als Virgin Deutschland – Solsbury Hill„. Tosender Applaus, 25 Jahre hat der Song schon auf dem Buckel und nichts von seiner Wirkung verloren. Es war überhaupt das einzige Mal, dass Peter Gabriel sich von seinem Keyboard entfernte und das Publikum zum Mitsingen aufforderte. Allerdings hatte Gabriel hier Probleme, das Gesangstempo auf das Bandtempo abzustimmen und war mal zu schnell, mal zu langsam mit der Strophe fertig.
Nun hatte die Band die Leute endgültig von ihren Füßen geholt. Was nun folgte, ist ein echter Klassiker in Fankreisen. Eine sehr intensive Darbietung von Mercy Street, bei der es sogar zu einem Flöten-Solo von Richard Evans kam. Zwar hatte man etwas das Gefühl, dass der Song direkt nach Solsbury Hill etwas deplatziert klingt, jedoch war man froh, dies noch einmal oder wieder einmal live erleben zu können.
Der nächste Song „handelt von der Zukunft des Reality TV – es heißt The Barry Williams Show„. Das ist wohl der einzige Track des neuen Albums, der den meisten durchs Radio schon bekannt sein dürfte. Etwas straighter und rockiger als auf dem Album kam der Song daher, mit dem Gesang spielte Gabriel etwas, ebenso mit dem Text. Zur Mitte der ersten Strophe gab es einige quietschende und viel zu laut abgemischte Keyboardsounds, die doch den Musikgenuss sehr schmälerten. Nach dem Ende des ersten Refrains entfernte sich Gabriel etwas unbeholfen tanzend von seinem Keyboard und ließ einen Techniker das Problem beheben. Das Timing jedenfalls stimmte, pünktlich zu Beginn der zweiten Strophe stand Gabriel wieder an Mikro und Keyboard. Der Song kam gut an und Gabriel nahm sich nun die Zeit, seine Band vorzustellen, ehe es mit More Than This weiterging. Es war nun schon der vierte neue Song, entgegen seiner eigenen Ankündigung in der Pressekonferenz, drei neue Songs spielen zu wollen. Bei More Than This kam vieles vom Band, besonders die Gitarrenspielereien, die vermutlich von Peter Gabriel selbst stammen und dann gesampelt wurden. Der Song wirkte kraftvoller als auf dem Album. Ein wenig fehlte noch die Feinabstimmung, aber wieder mal zeigte sich, dass Gabriels Stimme nach wie vor in Top-Form ist. Zur Überraschung aller kündigte Peter Gabriel nun schon mit Digging In The Dirt den letzten Song an. Der war erwartungsgemäß gut vorgetragen wiederum etwas kantiger, als er ohnehin schon ist und danach verließen Peter und Band die Bühne.
Es dauerte nicht lange und alle waren wieder da. Nun gab erst einmal ein kleines Soundproblem. Alle klimperten etwas unkoordiniert auf ihren Instrumenten herum und gestikulierten wild, bis Peter Gabriel die erste Zeile von Family Snapshot spielte. Das Publikum war verzückt und die Band mühte sich redlich. Auch hier fehlte wieder die Feinabstimmung. Die Band verließ wieder die Bühne, diesmal kam Peter ganz alleine zurück und widmete den letzten Song den Menschen in der Flut. Und tatsächlich spielte er den alten Klassiker Here Comes The Flood in der deutschen Version – Jetzt Kommt Die Flut. Das Publikum war erneut überrascht, einige lachten, die meisten aber hörten gebannt zu. Am Ende wurde Peter Gabriel von den ca. 13000 Fans gebührend gefeiert für knapp 70 Minuten Musik. Doch etwas mehr, als er angekündigt hatte.
Peter Gabriel hinterließ einen guten Eindruck. Die allgemeine Befürchtung, seine Stimme hielte den Anforderungen von Liveauftritten nicht mehr stand, bewahrheitete sich nicht. Seine neu zusammengestellte Band entpuppte sich als etwas rockiger als noch auf der Secret World Tour. Und man muss bedenken, dass sich die Band mitten in den Tourproben befindet und somit einfach noch nicht alles rund laufen kann. Dazu kommt, dass es außer ein paar Varilights keine echte Bühnenshow gab. Gabriel’s Einsatz auf der Bühne beschränkte sich auch nur auf das Keyboard spielen bei allen (!) Tracks und seine kurze Anfeuerungseinlage bei Solsbury Hill. Aber der gut zusammengestellte Set und das grandiose Finale versöhnte für die kleineren Pannen, die fehlende Show und seine chronische Textvergessenheit.
Nein, es war ein gutes Konzert und ein kleiner Appetithappen für die große Tournee, die uns im nächsten Sommer erreichen soll. Und es war die Weltpremiere des neuen UP-Materials. Peter Gabriel jedenfalls will es noch einmal wissen und es sieht ganz so aus, als würde die Tour etwas ganz besonderes werden. Nur die Wahl seines Kopfhörerdesigns sollte er noch mal dringend überdenken – wenn die Nacht droht!
Autor: Christian Gerhardts
Fotos: Karin Woywod