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Peter Gabriel – Live in Berlin 1993: Deutschlandhalle, 17.04.1993 – Konzertbericht
Am 17. April 1993 gastierte Peter Gabriel in der Berliner Deutschlandhalle – es war eines der ersten deutschen Konzerte der Secret World Tour. Wir waren dabei und berichten über den Start der Tour.
Sage und schreibe sechs Jahre ist es nun her, seitdem sich Peter Gabriel dem deutschen Publikum live präsentiert hat. Kein Wunder also, daß es die „ausgehungerten“ Fans gar nicht abwarten konnten, bis endlich die ersten Konzerte stattfinden sollten.
Dann war es endlich so weit. Nachdem wir bereits am Vortag den ersten Deutschland-Gig in Hamburg miterleben durften, standen wir in Berlin vor der Deutschlandhalle. Die Warteschlangen vor den Eingängen wurden immer länger und um Punkt 19.00 Uhr wurden die Tore geöffnet. Es begann der bekannte „Run“, auf die erste Reihe und die besten Plätze. Spätestens beim Anblick der gigantischen Bühnenkonstruktion wurde klar, dass hier irgendetwas anders war, als bei anderen Konzerten. Der Schauplatz für die Musiker war in zwei Bühnen aufgeteilt, die durch einen zirka 10 Meter langen Steg, auf dem sich ein Laufband befand, verbunden waren. Die beiden Bühnen ergaben mit etwas Phantasie das US-Logo, wobei die quadratische Bühne an einer Stirnseite und die runde Bühne ungefähr in der Mitte der Halle aufgebaut war. Sämtliche Boxen waren an der Decke befestigt und beschallten so gleichmäßig das Publikum, ohne dass irgendwelche Lautsprechertürme den optischen Gesamteindruck störten.
Um kurz nach zwanzig Uhr wurden die Lichter in der Halle gelöscht und Peter Gabriel erschien unter tosendem Beifall auf der runden Bühne, die er von unten her über eine kleine Treppe betreten hatte. Er stellte dann zwei Musiker von Real World vor. Es handelte sich dabei um Ayub Ogada aus Kenia, der ein Instrument spielte, welches einer Harfe ähnlich sah. Sein Begleiter spielte eine elektrische Gitarre. Der außergewöhnliche Klang von Ayub Ogada’s Instrument entführte die Zuhörer in ferne Kontinente und erzeugte eine sehr fremdländische Stimmung. Danach folgten die Umbauarbeiten für den „Hauptact“. Dabei bestiegen vier Männer die an dem Deckengerüst befestigten Sitze, um von dort aus große Scheinwerfer zu bedienen, die das Geschehen auf den Bühnen individuell beleuchten sollten. Die Show konnte beginnen!
Nachdem das Licht erloschen war, ließ ein tiefes Dröhnen die Luft vibrieren. Dann hörte man die ersten Zeilen von Come Talk To Me, und die unverkennbare Stimme von Peter Gabriel ließ uns unwillkürlich einen Schauer über den Rücken laufen. Gleichzeitig wurde der Vorhang, der bis dahin die hintere Bühne von allen Seiten her verdeckt hatte, langsam gesenkt und dadurch wurde bald eine englische Telefonzelle sichtbar, die von unten beleuchtet wurde und in der sich Peter befand. Beim Einsetzen der anderen Musikinstrumente wurde die gesamte Szenerie erhellt und die Band trat von hinten in das Rampenlicht. Im Verlauf des Stückes verließ Peter die Telefonzelle und zog dabei die immer länger werdende Hörerschnur hinter sich her, die er teilweise um seinen Körper wickelte und ausdrucksvoll in den Hörer sang. Am Ende hing er den Hörer in die Gabel des Telefons zurück und beendete somit den Opener. Ein Blick auf seine Band verriet, daß er neben den uns bekannten Gesichtern, Manu Katché (Schlagzeug), Tony Levin (Bass), sowie David Rhodes (Gitarre), eine neue Besetzung für die Keyboards gewinnen konnte. Es handelte sich dabei um Joy Askew, der ersten Frau bei einer Gabriel-Tour. Weiter ging es mit der Musik. Eine Videoleinwand, die bis dahin als Dach für die quadratische Bühne gedient hatte, schwenkte nach hinten und richtete sich dann für alle Zuschauer einsehbar auf. Bilder von qualmenden Lokomotiven und anderen dampfenden Objekten wurden gezeigt, um eine kurze Version von Quiet Steam zu untermalen. Übergangslos folgte Steam, der von Peter mit Gesten versehen wurde, die zum Teil aus dem Promotion-Video für diesen Song stammten.
Es folgte Games Without Frontiers, in der Version, die uns seit der So-Tour bekannt ist. Im Stechschritt marschierend und mit einer kraftvollen musikalischen Begleitung seiner Bandkollegen, erwies sich dieser Klassiker als eine besonderer Ohrenschmaus. Nun stellte Peter einen ganz speziellen Gast vor, der auf der runden Bühne stand und in Richtung der quadratischen Plattform blickte, auf der sich Peter, sowie die anderen Musiker befanden. Es war Shankar, der „Gott der Violinen“. Mit einer Art „Double-Neck-Geige“, die einen unbeschreiblichen, eigenen Sound hatte, erzeugte er eine sagenhafte Stimmung, die er zudem mit seinem eigenen Gesang untermalte. Die gespielten Klänge gehörten zu Across The River, einem Lied, welches aus der Arbeit für die W.O.M.A.D.-Festivals entstanden ist. In der ruhigen Passage dieses Stückes, in der man wirklich eine „Gänsehaut“ bekam, begleitete Peter den Musiker mit seiner Stimme, die hervorragend zu der von Shankar passte. Das Stück endete in einem rhythmusbetonten, schnelleren Teil, dem ein gelungener Übergang zu Slow Marimbas vom Birdy Soundtrack folgte. Im Verlauf dieses Liedes betrat Peter das Laufband und ließ sich langsam in Richtung der runden Bühne transportieren. Er hielt dabei einen großen Holzstab in den Händen, den er wie ein Paddel bewegte und erweckte dadurch den Eindruck, er wäre ein Fährmann auf dem Weg zum anderen Ufer. Manu Katché, Joy Askew, David Rhodes und Tony Levin folgten Peter auf dem“Weg über das Wasser“. In der Zwischenzeit wurde die runde Bühne mit allen erforderlichen Instrumenten versehen, die über eine Hebebühne in der Mitte dorthin geschafft wurden. Beim anderen „Ufer“ angekommen wartete Peter, bis alle Musiker „es“ betreten hatten. Mit dem senkrechten Aufsetzen des „Paddels“ folgten die ersten Takte von Shaking The Tree. Alle Musiker tanzten spielfreudig um den in der Mitte der Bühne aufgestellten Baum, und man sah ihnen den Spaß an, den sie dabei hatten. Manu Katché setzte sich bald hinter sein Schlagzeug und verlieh durch seinen Einsatz dem Stück den letzten Schliff. Bei Shaking The Tree wurde auch zum ersten Mal bewusst, dass Joy Askew nicht „nur“ Keyboard spielen kann, sondern auch durch ihre Stimme zu überzeugen vermag.
Dies setzte sie auch bei dem nächsten Song, Blood Of Eden, unter Beweis, in dem ihre Backing-Vocals ganz hervorragend zu der Stimme von Peter harmonierten. Eine wunderschöne Ballade über „eine Frau und einen Mann, die auseinander gingen und wieder zusammen fanden“, in der Peter’s brillianter Gesang wirklich begeisterte. Ein weiterer Klassiker folgte nun. Es war San Jacinto,das durch umherschweifende Lichtstrahlen, die Peter „zu berühren“ versuchte, in Szene gesetzt wurde. Peter begab sich im weiteren Verlauf des Liedes auf ein kleines Holz-Floß. Dort kauerte er nieder und wurde von dem Laufband langsam in Richtung der quadratischen Bühne transportiert. Vorbei an weiteren „Lichttürmen“ erreichte er schließlich sein Ziel. Er befand sich nun hinter der Leinwand, auf der sein Schatten zu erkennen war, da sein Körper von hinten von einem Scheinwerfer beleuchtet wurde. Die etwas angewinkelte Projektionsfläche führte zu einer verzerrten Silhouette, die in seinem Atemrythmus größer und kleiner wurde und bei den letzten Zeilen des Stückes nach obenhin entschwand. Nachdem alle anderen Band-Mitglieder den runden Schauplatz bereits zum Ende des Liedes verlassen hatten, verschwand als letzte auch Joy Askew über die Treppe nach unten und begab sich zurück zur quadratischen Bühne. Die ersten Takte eines neuen Stückes, namens Lovetown, waren dann zu hören. Man fühlte sich dabei in ein Hotelzimmer versetzt, denn neben dem Blick aus einem Fenster, der auf die Leinwand projeziert wurde, fehlte auch ein Fernseher und eine Stehlampe nicht. Dann wurde über die Hebebühne sogar ein Bett, sowie ein Stuhl nach oben gefahren. In dem Bett lag Peter und er blickte aus dem „Fenster“. Beim Singen der ersten Strophen, setzte er sich auf und zog sich Socken, Schuhe und ein Sakko an. Auf den Fernseher wurde entweder der Blick aus dem Fenster oder eine Live-Sequenz geschaltet. Das Lied selbst war eine ruhigere, soul-„angehauchte“ Nummer, die nach mehrmaligem Anhören die typischen Reize eines Gabriel-Songs entwickelt. Die Hotelzimmer-Einrichtung verschwand wieder und nur der Stuhl erschien erneut auf der Bühne.
Für Kiss That Frog, dem nächsten Stück, wurde eigens ein kleiner „See“ mit gläsernem Boden aufgebaut. Eine Kamera filmte von unten durch diesen Boden und so waren Tony Levin, David Rhodes und Peter, die sich ab und zu über das Wasser beugten, verschwommen zu erkennen. Die aus dieser ungewöhnlichen Perspektive entstandenen Bilder wurden dann auf der Video-Leinwand gezeigt. Der Stuhl kam dann auch noch zum Einsatz. Peter stellte ihn auf das Laufband und zeigte dem Publikum, was er unter Spaß versteht. Die verübten Körperbewegungen auf dem Möbelstück waren zudem Ausdruck des textlichen Inhalts dieses „Märchens“. Obwohl Kiss That Frog den seltenen Anblick eines Mundharmonika spielenden Peter Gabriel bot, muss man leider sagen, dass die musikalische Umsetzung einige Schwächen aufwies. Insbesondere die Anfangs-Rhythmen klangen misslungen und brachten alles andere als einen schnellen Wiedererkennungseffekt. Es folgte eine ergreifende Version von Washing Of The Water, für das sich Peter in die Mitte des Laufsteges stellte und von grünem Licht umhüllt wurde. Beim Tempowechsel, der kraftvoll und bedeutender wirkte als auf dem Album, wurde die im Hintergrund spielende Band für einen Moment lang von hellen Scheinwerfern beleuchtet. Ein Aufschrei ging durch die Massen, als Solsbury Hill in den Boxen ertönte. Auf der Leinwand waren neben anderen Bildern Amateur-Aufnahmen zu sehen, die einen kleinen Jungen zeigten, bei dem es sich durchaus um Peter handeln könnte; wir wissen aber leider nicht mehr darüber. Auf jeden Fall konnte dieses Muss eines jeden Gabriel-Konzertes hundertprozentig überzeugen und die Begeisterung beim Publikum fand kein Ende. Dann waren die ersten Töne von Digging In The Dirt zu hören und Peter überraschte uns durch einen weiteren Special-Effect. Eine sehr kleine Video-Kamera, die an einer Halterung befestigt war, die er um seinen Kopf geschnallt hatte, konnte er Nahaufnahmen seines Gesichtes auf der Leinwand zeigen. Er führte diese Kamera nicht nur bis zu seinem Mund, sondern zeigte auch ungewöhnliche Bilder seiner Augen. In der Mitte der runden Bühne lag ein verhülltes weißes Gesicht, das Peter freilegte, um so das Freigraben der Seele, um das es in dem Stück geht, zu symbolisieren. Kurz vor Ende des Liedes robbte er auf allen Vieren über den Laufsteg und das ergab nochmal eine andere, sehr interessante Perspektive. Digging In The Dirt wurde durch auf der Leinwand zu sehenden Bildern beendet, die das Altern Peter’s Gesichtes – vom Baby bis hin zum Totenkopf – im Zeitraffer-Tempo zeigten.
Es ging wirklich Schlag auf Schlag, denn Sledgehammer, der große Erfolg des So-Albums, folgte. Eingeleitet durch ein kleines bass- und gitarrenbetontes Intro wurde die „Kraft“, die in diesem Song steckt, von Peter durch die bekannten Hammer-Bewegungen in Richtung seines Kopfes noch besonders hervorgehoben. Das letzte Stück des regulären Sets war Secret World. Dafür wurde die Leinwand sehr weit nach vorn gefahren. Auf ihr wurden kleine Bilder, wie zum Beispiel Türschlösser und Koffer als Sinnbilder für eine geheime Welt gezeigt. Dann gab Peter der Leinwand einen Schubs und sie fing an um ihre eigene Achse zu rotieren. Schließlich wurden auch die Bandmitglieder aus allen möglichen Blickwinkeln dem Publikum auf der Projektionsfläche präsentiert. Zum Ende des Liedes wurden viele verschiedenartige Koffer von der runden Bühne aus auf das Laufband gestellt, welches sie dann in Richtung der spielenden Musiker transportierte. Der letzte dieser Koffer war größer als die anderen, und als er am Ende seines Ziels angekommen war, wurde er von Peter in Empfang genommen. Er trug ihn dann zu einer Stelle im vorderen Bereich des Steges. Dort legte er den Koffer hin und öffnete ihn. Nun stellte er seine Band-Kollegen nacheinander vor und diese traten einzeln in den geöffneten Koffer und verschwanden in ihm über eine Art kleinen Fahrstuhl. Als letzter verabschiedete sich Peter vom Publikum und verschwand ebenfalls im Koffer. Ein Roadie betrat die Bühne, um den Deckel dieser „geheimen Welt“ zu verschließen und den Koffer danach auf das Laufband zu stellen, das ihn bis zur Mitte der runden Bühne transportierte. Eine silberne Kuppel senkte sich schließlich von der Hallendecke herab und verschloss den gesamten runden Schauplatz. Nach minutenlangen „Zugabe“-Rufen erhob sich die Kuppel wieder und die Musiker erschienen samt erneut aufgebautem Equipment im Scheinwerferlicht.
Was folgte war das mitreißende In Your Eyes, in der (vom PoV-Video bereits bekannten) langen Live-Version. Die Kuppel senkte sich, um kurz danach wieder angehoben zu werden. Ein kleines Podest war mit der Hebebühne nach oben befördert worden und diente dem darauf stehenden Peter als erhöhtem Mittelpunkt. Ein durch Mark und Bein gehender Schlagzeugrhythmus leitete das Final-Stück schlechthin ein: Biko. Es hätte einfach keinen besseren Abschluss geben könne, als diese absolute Hymne gegen den Rassismus, die durch Aufforderung von Peter vom Publikum frenetisch weitergesungen wurde. Nachdem sich alle anderen Musiker zum Ende des Liedes bereits auf das Podest gesetzt hatten, gesellte sich auch Manu Katché zu ihnen, nachdem er die letzten Schläge an den Trommeln vollendet hatte. Alle sechs wurden dann mit der Hebebühne nach unten gesenkt und die Kuppel verschloss diese letzte Szene des gut zweistündigen Konzertes.
Dieses unglaubliche Erlebnis als „Rock-Theatre“ zu bezeichnen, fällt nicht schwer. Viele Lieder von US klangen dabei (wie auch irgendwie erwartet) rockiger und dynamischer als auf dem Album und wurden von hervorragenden Musikern gespielt. Peter Gabriel hat wieder einmal unvergessene Momente geschaffen und viele seiner phantastischen ldeen auf eine imponierende Art umgesetzt, die ihres gleichen sucht.
B.Z. (Bernd Zindler)