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Peter Gabriel – Live Blood – Rezension
Im Jahr 2012 ist das New Blood-Konzert, das ein Jahr vorher bereits auf DVD/Blu-ray veröffentlicht worden war, als Live-Doppelalbum erschienen. Aufgenommen wurde es im Hammersmith Apollo in London.
Im Rahmen des Orchesterprojektes gab es von Peter Gabriel bereits einige Veröffentlichungen. Angefangen hatte alles mit Scratch My Back (2010), auf dem Coverversionen verschiedener Popkünstler zu hören waren, dem folgte New Blood (2011) auf dem es die im Studio eingespielten Orchesterversionen von Gabriels eigenen Stücken gab. Kurz darauf folgte die DVD/Blu-ray New Blood – Live in London. Dieser Film gibt die originale Setliste der beiden März-Konzerte wieder (sogar mehr, da The Drop bzw. Washing Of The Water nur bei jeweils einer Show gegeben wurde).
Nun wird genau dieser Zusammenschnitt noch einmal als CD-Doppelalbum herausgebracht. Und zwar wirklich genau dieser: Es ist sowohl die im Film als Intro fungierende Geräuschcollage zu hören, als auch der Remix von The Tower That Ate People der unter dem Abspann lag. Es handelt sich also wirklich 1:1 um die Tonspur des Films, die hier verewigt wurde.
Die Frage ist: Brauch man so ein Album?
Ein wenig hat man den Eindruck, diese Veröffentlichung ist nur dem Absatzmachen geschuldet. Ob das ein Verbrechen ist?
1994 hatte Gabriel einen ähnlichen Doppelcoup gelandet, als er parallel den Secret World Live Film und das gleichnamige Doppelalbum herausbrachte. Jedoch waren damals die Zeiten etwas anders. Der Film kam auf VHS heraus, ein vergleichsweise träges und unkomfortabel bedienbares Medium – ganz besonders wenn man einzelne Tracks ansteuern wollte. Das Album bot da natürlich mehr Möglichkeiten – und man musste beim Spaziergang nicht immer einen eher unhandlichen VHS-Player nebst Fernseher mitschleppen, wenn man dabei die Musik hören wollte. Um einen zusätzlichen Kaufanreiz zu bieten, hatten beide Medien jeweils noch einen Bonustrack: Die VHS San Jacinto, das Album Red Rain.
Und 2012?
In Zeiten von DVD/Blu-ray sind die Unterschiede des Komforts zu einer CD wesentlich undeutlicher geworden. Einen Bildschirm müsste man zwar immer noch bei sich führen, wenn man im Park den Film hören wollte – aber heutzutage gibt es dafür ja tatsächlich Lösungen. Vom Klang her ist ein 5.1- oder gar DTS-Sound gegenüber der Stereospur einer CD sicher überlegen. Im Übrigen nennen die meisten den Film, der ja schon vor etwa einem halben Jahr erschienen ist, bereits ihr eigen. Bonustracks gibt es auf dem neuen Livealbum auch nicht.
Noch einmal: Brauch man so ein Album?
Ein wenig lieblos wirkt das, was Eagle Records da herausbringt schon. Die Tonspur hatten, wie gesagt, viele eh schon, und das hier merkwürdigerweise mitgelieferte Geräuschintro macht ohne die Filmbilder ebenso wenig Sinn, wie der unschön ausgeblendete Remix von The Tower (ansonsten eine tolle, knackige Version). Beide Tracks werden obendrein weder auf dem Cover erwähnt noch sind sie einzeln ansteuerbar.
Zu allem Überfluß fühlten sich viele Fans verarscht, weil der Deluxe Edition des Films als eine der Bonus CDs eine Scheibe namens Live Blood beilag, die einen gekürzten Mitschnitt des Konzertes darstellte (bemerkenswerterweise in deutlich geänderter Trackreihenfolge). Diese CD galt als reizvolles Schmankerl der Deluxe Edition. Das ist jetzt mit Erscheinen des kompletten Konzertes natürlich obsolet.
Und die Musik?
Da von nahezu allen Stücken bereits Studioeinspielungen vorliegen und sich die Arrangements nicht wirklich unterscheiden, macht ein Konzertalbum nur dann so recht Sinn, wenn sich wenigstens andere Qualitäten ergeben. So recht will sich das aber nicht einstellen. Vom Publikum kommt durchaus Energie – und PGs mitgelieferte Ansagen sind auch recht launig. Vom Aufbau her beginnt der Abend sehr zurückgenommen und auf der ersten CD bleibt es durchwegs getragen – trotz gelegentlicher Passagen bei denen es auch mal laut wird. Das stellt (im Gegensatz zum Film) beim reinen Hören kein Problem dar.
An der verewigten Setliste kann man schon eher Kritik üben. Die ausgewählten Stücke aus dem Scratch My Back-Reigen gehören nicht zu den ganz großen Highlights aus diesem Album. Und dadurch, dass die beiden Londoner Konzerte die ersten waren, bei denen der Abend fast komplett aus PG-Stücken zusammengesetzt war, und dieser Ablauf noch nicht erprobt und ausgereift war, kommt man leider nicht in den Genuß von Stücken, die erst im weiteren Verlauf der Tour in die Setlist mitaufgenommen wurden (allen voran Secret World das bisher immer noch nicht offiziell irgendwo zu haben war). Die Aufnahme eines späteren Konzertes hätte also sicher mehr Wünsche erfüllt.
Auf der zweiten CD bekommt der Abend dann auch mehr Dynamik und Lebendigkeit. Die zugkräftigeren Songs verfehlen ihre Wirkung nicht. Dieser Teil war auch schon erprobter. Doch was sich hier genau wie schon auf Disc 1 zeigt, ist dass der Abend voll der Unruhe ist, die eine Premiere immer mit sich bringt. Im Ausdruck fühlt sich das Orchester oft wenig zupackend an – manchmal sogar schleppend. Auch die beiden Frauen singen ihre Chorparts oft unsicher – nicht immer wie aus einem Mund. Und Gabriel selbst hat zwar keine Fuck-Ups, aber stimmlich zeigt er immer wieder Schwächen. Zudem bringt die eher weiche Klangcharakteristik des Saals einen weniger
detailklaren Sound mit sich.
Beim hören erinnert man sich immer wieder an die viel präziseren, brillanteren, durchdringenderen Studioeinspielungen.
Dass die Dramaturgie des Abends bedauerlicherweise dadurch gebrochen wird (wohl aus Platzgründen gebrochen werden muß), dass San Jacinto am Ende der ersten Disc kommt statt zum Beginn der zweiten, wo das Stück als Opener nach der Pause hingehört (die aber auch schon im Film geschlabbert wurde), soll hier nur am Rand erwähnt werden.
Wenigstens besitzt man durch das Album nun einige Arrangementvarianten, die es auf Tonträger vorher noch nicht zu haben gab: Allem voran die unkastrierte Fassung von Downside Up. Außerdem die Solsbury Hill Version mit der „Freude schöner Götterfunken“-Passage – und Darkness ohne PGs verfremdete Stimme. Schließlich In Your Eyes mit dem charmanten, aber auch nicht überwältigendem Auftritt von Sevara- und The Drop endlich überhaupt als Ganzes.
Fazit
Ein wenig bleibt das Warum-dieses-Album unbeantwortet. Es ist in Zeiten der mp3-Player sicher ein Komfortplus, das Konzert als Hörformat zu besitzen. Da es an sich aber eher mittelmäßig ist und musikalisch nur wenige Neuerungen bereithält, stellt es auch nicht etwas unersetzliches dar (Growing Up Live als CD wäre da sicher interessanter gewesen). Für diejenigen, die für den Kauf der DVD/Blu-ray kein Interesse aufbringen konnten, mag die Doppel-CD noch eine Alternative sein. Dass PG als erstes Livealbum seit Secret World Live aber ausgerechnet diesen Wiederaufguss herausbringt, wirkt ein wenig müde.
Autor: Thomas Schrage
Disc 1
1 Intro / Intruder
2 Wallflower
3 The Boy In The Bubble
4 Après Moi
5 The Drop
6 Washing Of The Water
7 The Book Of Love
8 Darkness
9 The Power Of The Heart
10 Biko
11 San Jacinto
Disc 2
1 Digging In The Dirt
2 Signal To Noise
3 Downside Up
4 Mercy Street
5 The Rhythm Of The Heat
6 Blood Of Eden
7 Red Rain
8 Solsbury Hill
9 In Your Eyes
10 Don’t Give Up
11 The Nest That Sailed The Sky / The Tower That Ate People (Remix-cut)
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