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Peter Gabriel – IV (Security) – Rezension

Nach dem unkonventionellen dritten Album experimentierte Gabriel mehr und mehr mit World Music und neuen Technologien. Sein viertes Album ist von beiden Elementen geprägt und – obwohl wieder ohne Titel – auch unter dem Namen Security bekannt.

Mit Peter Gabriel III / Melt hatte Peter Gabriel den Rhythmus zum Ausgangspunkt seines Songwritings gemacht und durch die immer stärkere Beschäftigung mit Musik aus aller Herren Länder sein Schaffen um einen neuen Kern herum gruppiert. Aus einem riesigen Fundus privater Aufnahmen und Recording Sessions mit z.B. afrikanischen Musikern schöpfte Gabriel Ideen für das neue Album. 1980 äußerte sich Gabriel über Songs, die auf dem neuen Album erscheinen sollten – dazu zählten I Go Swimming und Milgram’s 37. Ersterer wurde nur als Livesong auf Plays Live veröffentlicht, letzterer erblickte erst 1986 auf So das Licht der Öffentlichkeit. Songs namens Twilight Zone oder Come My Way seien halb aufgenommen, aber von diesen hat man nie mehr etwas gehört. In einem Interview mit dem Melody Maker gab Gabriel auch die Parole für den Sound des kommenden Albums aus: Mehr Elektronik und ungewöhnliche Sounds, keinesfalls der typische Rockband-Klang, v.a. in Bezug auf den Schlagzeugeinsatz. Nach extensivem Touren für Melt ging Peter Gabriel also gemeinsam mit dem Produzenten und Toningenieur David Lord Anfang 1981 ins Studio, um an Ideen für neue Songs zu arbeiten. Lords Rolle in dieser frühen Phase war v.a. die technische Unterstützung für all die verschiedenen Geräte und Instrumente, die zum Einsatz kamen. Der Fairlight CMI kam vor allem dank seiner Funktionen zur Aufnahme und Bearbeitung von Samples zu immer stärkerem Einsatz. Gabriel war die etablierten, vorprogrammierten Klänge und Drumpatterns der Zeit satt: Er löschte alle Presets aus seiner drum machine und programmierte neue Rhythmen. Gabriel ging mit Lord auf Schrottplätze und nahm zersplitternde Fernseher, den Wind in den Regenrinnen und alle möglichen Sounds auf, um sie anschließend weiterzuverarbeiten und auf dem anstehenden Album zu nutzen. Zu einer Zeit, da viele noch mit dem Fairlight kämpften oder wenn, nur die mitgelieferten Klänge nutzten, war Gabriel bereits ein Meister dieser Technik. Ein Beispiel für einen solchen neuen Sound, ist die geblasene Regenrinne, die in der Coda von San Jacinto zu hören („We will walk – on the land…“). Die Arbeit an dem Album zog sich letztlich über fast anderthalb Jahre hinweg, und angeblich existierten zu einem bestimmten Zeitpunkt 18 Songs in verschiedenen Versionen, über sieben Stunden Material. Am Ende wurden auch viele Parts wieder herausgemischt, um zur Essenz der Songs zurückzufinden. David Lord meinte seinerzeit über Peter Gabriel: „He’s a slow worker!“ – wenn man allerdings die mittlerweile typischen Abstände zwischen Alben (10 Jahre von Us bis Up) und die Zeitspannen für Veröffentlichungen von bereits vor Jahren aufgenommenen Material (siehe Big Blue Ball) ansieht…

Peter Gabriel IV (das in den USA unter dem Titel Security veröffentlicht wurde, weil die Plattenfirma dort die erneute Selbstbetitelung für nicht mehr vermarktbar hielt) macht dort weiter, wo III / Melt aufgehört hatte, bringt die Entwicklung aber eine Stufe höher. Die neue Technik wird ausgiebig genutzt, auf jedem Track ist sie in irgendeiner Weise präsent, und die World Music-Einflüsse, die auf dem Vorgänger noch eher Zitatcharakter hatten, sind hier voll in einen eigenständigen Sound und eigenen Stil integriert. Gabriel sah diese Entwicklung für sich selbst, aber auch für die Rockmusik insgesamt als wegweisend an: High-Tech und Weltmusik sollten helfen, seine Musik organischer und emotionaler zu gestalten. Die Presse sah das nicht unbedingt so, denn die omnipräsenten Samples und Loops führten zu einigen negativen Kritiken über Technologiefixiertheit. War für die Fans Album Nr. 3 ein großes Erlebnis durch seine Bereitschaft, musikalische Risiken einzugehen und somit durch einen gewissen Abenteuergeist ausgezeichnet, so warfen viele Album Nr. 4 zu starke Anpassung an den Mainstream vor. Tatsächlich enthielt Security mit Shock The Monkeyund I Have The Touch zwei ausgemachte Popsingles, doch muss man gestehen, dass gerade erstere Single sich erheblich von der Durchschnittskost auf dem frühen 80er-Popmarkt unterschied.

Security CoverSound und Stimmung von Peter Gabriel IV sind nicht ganz so düster wie auf den Alben IIund III – aber es ist dennoch ein nachdenkliches Album mit vielen ungemütlichen Momenten, schrillen Tönen und schneidenden Synthesizern, aber Gabriel gelingen Dosierung und Stimmungswechsel auf diesem Album besser. Auch sind die Songs in sich abwechslungsreicher, die Soundpalette insgesamt breiter – woran man auch merkt, dass Gabriel und Lord die Technologie besser beherrschten und sich zielgerichteter als bisher zunutze machten. Mit San Jacinto und Shock The Monkey befinden sich zwei bis heute noch präsente Klassiker auf dem Album, während Stücke wie The Rhythm Of The Heat und The Family And The Fishing Net oder auch Wallflower für die Fans noch mehr zu den Stärken gehören. Doch im Zuge des wachsenden Pop-Publikums spätestens seit So sind diese Stücke in der allgemeinen Wahrnehmung leider etwas ins Hintertreffen geraten, obwohl sie ebenso den Kern des Albums ausmachen.

The Rhythm Of The Heat

Ein monotones Flöten-Sample-Loop leitet das Album ein, nach und nach gesellen sich immer mehr Synthesizer- und Sample-Elemente, und schließlich die afrikanischen Trommeln, die sich bis zum Schluss des Stücks immer weiter steigern. Die Stimme Gabriels geht von einer anfänglichen Ruhe immer stärker in beschwörende Gesänge über. Ein kurzes Einhalten – es scheint, als wäre der Song bereits vorüber, bis der intensive und lang angehaltene Ausruf „The rhythm has my soul…“ das Signal für den Einsatz eines Percussion-Feuerwerks gibt. Die Ekome Dance Company setzt auf ihren ghanaischen Trommeln zu einem Parforceritt an und steigert sich bis zum Schluss des Songs in eine immer dichtere packende Rhythmik. Wir werden zu Zeugen eines rituellen Tanzes, die Trommler treiben uns unerbittlich immer weiter in Trance. Mit Rock- oder Popmusik hat dieses Lied nicht mehr viel zu tun. Der Text greift Gabriels wesentliche musikalische Neuentdeckung der späten 70er und frühen 80er auf: den Rhythmus, der hier in Text und Musik eine starke Präsenz erfährt. Inspiration für diesen Song war C.G. Jungs Essay Symbols and the Interpretation of Dreams, in dem Jung von einem Erlebnis bei einer Reise nach Ostafrika berichtet. Jung traf 1925 im Sudan auf eine Gruppe von Trommlern und Tänzern vom Stamm der Bari, die zur Begrüßung des Forschers und seiner Entourage einen Tanz aufführten, der Jung tief beeindruckte, in ihm aber auch große Ängste auslöste. Jung ließ sich zum Mittanzen anstecken, brach dann aber das Ganze abrupt ab und drängte die Trommler zum Gehen. Er befürchtete, die Musik würde ihn in eine ebenso starke Trance wie die afrikanischen Tänzer versetzen, er könnte die Kontrolle verlieren und seine „primitiven Instinkte“ an die Oberfläche kommen lassen. Diese Angst und gleichzeitige Faszination über den „Wilden in uns“, die Jung empfand, wird durch die nahezu manischen Trommeln am Ende des Stücks perfekt widergespiegelt. Der Arbeitstitel des Songs war denn auch Jung in Africa. Spektaktulär waren die auf diesem Stück basierenden Konzertauftakte, zu denen die Band mit Trommeln bewehrt die Konzerthallen von hinten kommend betraten.

San Jacinto

Flirrende heiße Luft, Staub, Flügelschläge, die gleißende Sonne – verschachtelte Fairlight-Loops mit Marimbaklängen leiten San Jacinto ein und bleiben durch fast das ganze Stück hinweg Fixpunkt, geben dem Stück aber durch ihre ständige Wiederholung auch etwas Fließendes – wie Gedanken, die immer wieder um ein bestimmtes Thema kreisen. Um diesen Fixpunkt herum ranken sich Gesang, dezente Percussion und nach und nach hinzukommende Samples. Das ständige Kreisen um diesen Punkt ruft nach einer Auflösung, die mit „I hold the line“ und den monolithischen E-Gitarrenakkorden einsetzt. Effektvolles, heavy gespieltes Schlagzeug, breite Synthesizerflächen, darunter immer wieder die Loop vom Anfang – Schweben über der Prärie, der weite Himmel, eine neue Zukunft. Der Song entfaltet hypnotische Wirkung, Breitwandkino – Gabriel hat zu einem gewissen Bombast zurückgefunden, dessen effektvoller gezielter Einsatz besonders beeindruckt.

Ausgangspunkt für den Song war eine Begegnung mit einem amerikanischen Ureinwohner vom Stamm der Apache, der ihm von einem Initiationsritual für junge Männer berichtete. Der junge Apache ging mit dem alten Medizinmann auf einen Berg („A rattle in the old man’s sack – look at mountain top – keep climbing up“), wo er nach einem absichtlichen Schlangenbiss zeigen sollte, ob er es schaffte, zu überleben. Dieses archaisch anmutende Ritual findet aber in der heutigen Zeit statt, wie Hinweise auf „Geronimo’s disco“ und das „Sittin‘ Bull steakhouse“ klar machen – klischeehafte Abziehbilder des Indianerlebens aus Sicht des weißen Mannes. Der Kampf mit dem Schlangengift („the poison bite and darkness take my sight“) ist auch eine Metapher für den Kampf der Ureinwohner, um ihre Kultur gegen die Dominanz der weißen Mehrheitsbevölkerung zu verteidigen. Eine Zeile wie „I hold the line“ ist nicht nur der Aufruf des jungen Manns an sich selbst, das Ritual zu überstehen – das durchaus tödlich enden könnte – sondern auch der Aufruf der Ureinwohner an sich selbst, ihre Traditionen nicht aufzugeben. San Jacintoist ein in den USA mehrfach vorkommender Ortsname, wobei hier das San Jacinto in Kalifornien gemeint ist, weil es dort ein indianisches Reservat gibt – allerdings keins der Apachen, sondern der Soboba. San Jacinto ist letztlich weniger als konkreter Ort denn als Chiffre für den Niedergang der ursprünglichen Kultur der amerikanischen Ureinwohner zu verstehen.

I Have The Touch

Nahezu ein Marschrhythmus vom Schlagzeug, Gitarrengeschrammel, eine Happy-Melodie, fröhliche Synthesizertöne: Dies ist wohl das direkteste Lied der Platte und handelt vom Wunsch nach Körperkontakt und Nähe. I Have The Touch wirkt trotz seiner positiven Dur-Töne nie platt, sondern ist einfach mitreißende gute Musik – nahezu ein Vorbote dessen, was mit Sledgehammerund Steam noch folgen sollte. Man kann den Text als sarkastischen Kommentar über das moderne Großstadtleben, den ewigen Stau und das Aufgehen des Einzelnen in der Masse, aber auch als Sinnieren über unerfülltes sexuelles Verlangen verstehen. Gabriel hatte Studien über die unterschiedliche Intensität an Körperkontakten in verschiedenen Ländern gelesen und war über den Mangel an körperlicher Berührung im steifen britischen Alltag frustriert, was eine Inspiration für diesen Uptempo-Song war. I Have The Touchwurde in mehreren Remixen, die noch besser als diese Albumversion überzeugen konnten, veröffentlicht und wurde auch in mehreren Filmen verwendet.

The Family And The Fishing Net

Ein rauchiges Synthesizerröcheln, eine irritierend daherkommende Flötenloop (die von Aufnahmen äthiopischer Folklore entlehnt wurde), ultrasatte Basstöne, die mittlerweile für Gabriel schon stilprägenden Marimbatöne, hypnotisierende Synthesizerlinien – der Boden für den zentralen epischen Track des Albums wird bereitet. Die zunächst sperrig wirkende Melodie nistet sich bald in den Gehörgängen ein, doch eine gewisse Sperrigkeit und die bedrohliche Atmosphäre wird nicht jeden sofort mitreißen. Einer der Songs von Peter Gabriel, die sich erst durch mehrfaches Hören voll erschließen und ihre Tiefe entfalten. Abseits üblicher Strophen-Refrain-Strukturen ist der Song eine Reise durch viele merkwürdige Sounds – Fairlight und Synthesizer, aber auch Tony Levins Chapman Stick und verzerrte Gitarren setzen Akzente für einen unbehaglichen und zunächst kaum verständlichen Text. Wie die Ansage auf Plays live verrät, geht es hier um Hochzeitsrituale („this next one concerns the ritual of the wedding; the ring and the finger…“) und man kann danach kaum noch glauben, dass Gabriel ein unentspanntes Verhältnis zu diesem Thema hat. Das Fischernetz wird von der Familie ausgeworfen, um der Tochter den passenden Mann oder umgekehrt einzufangen; der Text hat diverse stark aufgeladene sexuelle Metaphern, aber auch drastisch negative Bilder. Die Trauungsrituale („vows of sacrifice“, „dance in circles“ [der Hochzeitswalzer], „the cake is cut and passed around in little pieces“) werden in merkwürdige Nachbarschaft zu kopflosen Hühnern („headless chickens“) und Leibwächtern, die vom Winter gerettet werden („the lifeguards whom the winter saves“), gesetzt – die Interpretation fällt da doch etwas schwierig. Die (enttäuschten) Hoffnungen der Eltern ebenso wie die Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Sippen, auch das Tuscheln über das Brautpaar und die Erwartungen für die Hochzeitsnacht klingen an. Die plötzlich fallende Guillotine, die Hände, die das Messer fest umschließen – eskaliert hier ein Streit zwischen Eheleuten oder gar schon die Hochzeitsfeier…? The Family and the Fishing Net ist – vielleicht gerade wegen der unbehaglichen Atmosphäre und dem sehr viele Interpretationen zulassenden Text – einer der faszinierendsten Songs in Gabriels gesamten Werk. Bis 1987 im Live-Programm geblieben, ist der Song heute etwas von den Hitsingles überschattet.

Shock The Monkey

Mit dem großen Single-Erfolg von Security zeigt Gabriel erneut, was gute und intelligente Popmusik ist, denn mit der haben wir es hier zu tun. Ein markantes Synthesizer-Riff zieht sich durch den Song, dem eine Menge an Radioplay beschert war. Sehr effektvoll ist hier wiederum der Einsatz verschiedener Synthesizer- und Effektsounds sowie die Mischung von live drums mit Drumcomputer. Der Text dreht sich entgegen einer weitverbreiteten Annahme nicht um Tierversuche oder Artenschutz, auch wenn diese Anliegen Peter Gabriel sicher nicht unwichtig sind, sondern dies ist, wie auch die Ankündigung auf dem Video P.O.V. zeigte, „a song about jealousy“. Die Floskel „shock the monkey“ ist eine Metapher für das Hervorrufen von Eifersucht oder dafür, wie der geliebte Mensch verletzt wird. In den US-Mainstream Rock Billboard Charts erreicht die Single Platz 1, in den Pop Singles Charts immerhin noch Platz 29, während sie in Großbritannien nur auf Platz 58 kletterte. Damit war zum ersten Mal eine Veröffentlichung von Gabriel in den USA erfolgreicher als in seiner Heimat.

Lay Your Hands On Me

Ein mechanisches Drumpattern und erneut ungewöhnliche Samples, dazu Sprechgesang – schon wieder ein anderer Gabriel. Die erneut recht düstere Strophe berührt Aspekte und Absurditäten des modernen Lebens („garden grill“, „plastic windows“, „washing of the dishes“…) und die Kälte von Gesellschaft und Jetset („cold emotion“, „watched on by the distant eyes“, „poolside laughter has a cynical bite“). Doch kommt es zu einer positiven Wendung („and I sense you know me well“, „still the warmth flows through me“) und zu dem Wunsch nach dem Händeauflegen, der den Songtitel abgab. Es geht nicht um religiöses Handauflegen oder Segnen, sondern die Bitte um emotionale und körperliche Berührung. „Der Song war über Vertrauen, über Heilung und Aufopferung“, so Gabriel. Kraftvolle Drums erinnern zum ersten und einzigen Mal an den mächtigen Schlagzeugsound der Vorgängerplatte und leiten zu einem instrumentalen Outro über, nur der Chor wiederholt immer wieder die Aufforderung „lay your hands on me“, und auch wenn es nicht ganz so tranceartig wie im Opener wird, so knüpfen doch die intensiven Drumfills und die ständige Wiederholung an das Ende von The Rhythm Of The Heat an. Live wurde dieser Instrumentalteil stark ausgedehnt und diente als Soundtrack dafür, wie Gabriel sich rücklings vom Bühnenrand auf das Publikum niederfallen ließ. Ein Song über Vertrauen eben.

Wallflower

Es folgt der emotionale Höhepunkt des Albums. Sanfte Synthesizerklänge leiten hin zu einer Klavierfigur, die auf dem nun für den Gabriel-Sound schon amtlichen Yamaha CP-70 gespielt werden. Textlich läuft Gabriel schon in der Strophe zu Höchstform auf. Der „Erzähler“ spricht das Leben eines Gefängnisinsassen und sein Schicksal an, wobei schnell klar wird, dass es hier wohl nicht um einen gewöhnlichen Gefangenen geht, sondern um einen politischen Häftling, der unter besonders harten Haftbedingungen leidet. Gabriel griff hier vor allem den seinerzeitigen Polizeiterror in mehreren lateinamerikanischen Staaten auf, er schrieb den Song, nachdem er eine Amnesty International-Broschüre über Argentinien gelesen hatte. Bei einem AI-Konzert in Chile 1990 nannte er auch die Nachrichten über Folter in Chile in den 1970er Jahren als Inspiration. Beim deutschen Hörer schleichen sich anno 2008 die Verhörszenen aus Das Leben der Anderen in den Sinn: „they’re trying to get you crazy…they feed you scraps and they feed you lies…to lower your defences, no compromise”, aber auch dystopische Romane und Filme wie 1984 oder Brave New World bieten sich als Assoziationen an. Neben der Beschreibung dieser unmenschlichen Bedingungen stehen die immer wieder ausgesprochenen Versprechen des Erzählers, dass er den Häftling weiterhin unterstützt und trotz seines Verschwindens dagegen ankämpft, dass er vergessen wird. In diesem Stück zeigen sich wie schon in Biko die besonderen Qualitäten des politischen Künstlers Peter Gabriel, denn er agitiert nicht, sondern versucht, die Menschen zu berühren und erreicht sie so letztlich viel direkter als platte politische Aussagen es könnten. Gabriel greift hier Elemente auf, wie sie in Humdrum oder Lead A Normal Life vorkommen; musikalische Nachfolger sollten Don’t Give Up und Washing Of The Water werden, während textlich kaum ein Stück nach Wallflowernoch einmal auf eine solche dezidiert politische Thematik eingehen würde. Eigentlich, so denkt man, hätte das Album damit einen guten Schlusspunkt gefunden, und was soll diese Emotionalität und Intensität noch toppen? Doch da kommt noch ein Stück…

Kiss Of Life

Gabriel goes Samba – was ist denn nun schon wieder? Zum Ende des Albums eine gewisse stilistische Überraschung, die man nicht so recht erwartet hat, allzumal ein harter Stimmungsbruch nach Wallflower riskiert wird. Die lateinamerikanischen Anklänge in der Harmonik und Rhythmik werden in der Strophe von hektischem Funk abgelöst. Musikalisch hebt sich das Lied so stark vom Rest des Albums ab, dass es fast wie ein nachgereichter Bonustrack wirkt und gar nicht wie ein normaler Teil des Albums – wenn, dann hätte der Song an anderer Stelle im Album platziert, sicherlich seine Wirkung entfaltet, so gerät das Ende von Security etwas merkwürdig und unbefriedigend. In den USA erreichte das Stück sogar noch Platz 34 der Billboard Mainstream Rock-Charts und schlug sich damit gar besser als I Have The Touch (Platz 46).

Peter Gabriel IV / Security ist – vielleicht vom letzten Stück abgesehen – ein gut aufgebautes, austariertes Album. Atmosphärisch dichte und emotional starke Stücke stehen neben epischen Breitwandstücken, Uptempo-Songs geben dem Tanzbein sogar etwas zu tun. Pop/Rock, aber an vielen Stellen eben Artpop / Artrock, dem man nicht das Schielen auf den Massenmarkt vorwerfen kann, so eingängig manches Stück auch sein mag. Die meisten Stücke beschäftigen sich mit dem menschlichen Seelenleben, persönlichen Beziehungen, dem Wunsch nach mehr Nähe, oder dem Platz des Menschen in der Gesellschaft. Wallflower sticht da vom Text her etwas gegenüber den anderen Liedern heraus, weil es sozusagen in einem engen Sinne politischer ist, aber da hier auch die menschliche Seite (das Leiden der Häftlinge) angesprochen wird, ist die Diskrepanz keineswegs zu stark. Für viele Fans ist dieses Album der große Favorit im Schaffen von Peter Gabriel – (Art-) Pop, World Music und Klangexperimente stehen in einem guten Verhältnis zueinander, doch scheint an einigen Stellen bereits der Weg zu So – wenn auch nur dezent – vorgezeichnet. Als letztes selbstbetiteltes Album war es in gewisser Weise schon der Abschluss einer Ära, wobei Plays Live noch als Live-Werkschau dieser Phase nachgeliefert wurde. Auch wenn Unterschiede zwischen den vier ersten Alben natürlich unüberhörbar sind, so sind sie sich doch insgesamt ähnlicher als So. Man könnte sagen, dass in Peter Gabriel IV die verschiedenen Versuche einer Stilfindung endlich zu einer Auflösung kamen, ohne unmittelbar weitergeführt zu werden. In gewisser Weise fand die konsequente Verflechtung von Weltmusikeinflüssen mit Pop-/Rockmusik erst auf Us eine umfassendere Fortführung.

Security erreichte in den UK-Charts Platz 6, in den US-Charts Platz 28 und verkaufte in Amerika wie der Vorgänger erneut über 500.000 Platten. Gabriels Bekanntheit stieg weiter – den Superstarstatus sollte er erst mit dem nächsten Album erreichen, doch 1982 war er ein immer bekannterer Garant für intelligente, neu klingende Popmusik, die nicht so leicht vorhersehbar war wie vieles andere, was in den frühen 80ern auf dem Markt war.

Autor: Jan Hecker-Stampehl

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