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Peter Gabriel – In Concert 1977 – Tourbericht
Nach seinem Ausstieg bei Genesis ging Peter Gabriel 1977 nach der Veröffentlichung seines Debütalbums erstmals solo auf Tour.
Während Genesis bereits mit A Trick Of The Tail und Wind & Wuthering zu Genüge unter Beweis stellen konnten, dass ihre kompositorischen Qualitäten den Verlust von Peter Gabriel durchaus kompensieren können, stand dieser zu Beginn des Jahres 1977 am Anfang seiner Solokarriere. Zwar war sein Name seit seiner Zeit mit Genesis mehr als ein Begriff, doch die letzte Genesis-Tournee lag bekanntlich einige Zeit zurück. Schließlich ging er erstmals solo auf Tour.
Zudem spielten sich in England und zum Teil in den USA seltsame Dinge ab – die Zeit der Konzeptalben war längst passé. Lyrik mit intellektuellem Anspruch verlor an Bedeutung und Legitimation. Und eine Musikrichtung bzw. Kultur eroberte die Plattenläden und Zeitschriften. Bereits 1976 begann die Punkmusik, den etablierten Formen der Populärmusik den Kampf anzusagen; wie wichtig in dieser Situation eine Hitsingle für einen Künstler wie Peter Gabriel sein kann, zeigt Solsbury Hill. Es war die erste Auskopplung aus seinem ersten Album und ein Glücksgriff der Plattenfirma Charisma.
Tourstart in Nordamerika
Die erste Tournee begann Peter Gabriel Anfang März 1977 in Nordamerika, wo zunächst kleinere Clubs und Hallen als Austragungsorte gewählt wurden. Eine Tracklist las sich folgendermaßen:
(Beispiel: Detroit, 13. März 1977)
Here Comes The Flood
On The Air
Moribund The Burgermeister
Waiting For The Big One
A Song Without Words
Excuse Me
Solsbury Hill
Ain’t That Peculiar
Why Don’t We
Humdrum
Slowburn
All Day And All Of The Night
Here Comes The Flood
Modern Love
Down The Dolce Vita
Back In N. Y. C.
Details der Setlist
Abgesehen von bekanntem Material tauchen hier auch unveröffentlichte Stücke, Coverversionen und Versionen im Frühstadium auf. Zu letzteren gehört A Song Without Words. Hierbei handelt es sich um eine Rohfassung des später erschienenen Indigo. Gabriel setzte einen Vocoder ein und verfremdete den Gesang derart, dass die bis dato unfertigen Lyrics kaum auffielen. Ain’t That Peculiar ist eine alte Marvin Gaye/Smokey Robinson-Nummer. All Day And All Of The Night ist ein Kinks-Klassiker, der sicherlich aufgrund seines Tempos, weniger aus musikalischen Erwägungen ausgewählt wurde.
Mit Why Don’t We enthielt das Programm ein weiteres unveröffentlichtes Stück, das als besonders gelungen hervorgehoben werden muss. Es ist eine Art Ballade von großer Intensität. Warum dieser Song bis heute unveröffentlicht geblieben ist, weiß wohl nur der Meister selbst. Hört man sich jedoch Washing Of The Water von Gabriels letzter Studioveröffentlichung US an, wird man bei genauer Beachtung der Melodieführung bzw. Akkordfolge deutliche Parallelen feststellen können. vielleicht kommt man der vorangegangenen Frage damit recht nahe.
Setlist-Variationen
Neben den bereits erwähnten Stücken deckte das Konzertprogramm die gesamte erste LP ab. Das erst auf Peter Gabriel II erschienene On The Air wurde gar als Konzertopener verwendet, sieht man von der anfangs in Kurzform gespielten Pianofassung von Here Comes The Flood ab. Dieser Song wurde im Konzert ein zweites Mal als vollinstrumentierte Version in Gesamtlänge wiederholt. Abweichungen des Konzertprogrammes gab es hinsichtlich der Reihenfolge und Vollständigkeit (Why Don’t We wurde z. B. nicht sehr oft gespielt). Interessante Variationen waren auch eher selten. Zur Herbsttournee wurde die Setlist dann etwas verändert und beinhaltete in der Regel folgende Stücke:
Here Comes The Flood
Slowburn
Moribund The Burgermeister
Modern Love
Indigo
Humdrum
White Shadow,
I Heard It Through The Grapevine
Excuse Me
Waiting For The Big One
Solsbury Hill
Down The Dolce Vita
On The Air
All Day And All Of The Night
Here Comes The Flood
Back In N.Y.C.
Bei einigen Konzerten wurde als zweite Zugabe Concrete Crystals gespielt. Es ist besser bekannt unter dem späteren Titel Animal Magic.
Keine Kostüme mehr
Abgesehen von Back in N.Y.C. als Zugabe erinnerte nichts an die Zeit mit Genesis. Auch bezüglich der Bühnengarderobe stand sicherlich der Wunsch im Vordergrund, einen starken Kontrast zur ehemaligen Theatralik und Kostümierung herzustellen. Im Frühjahr benutzte Gabriel zumeist einen grauen, für dieses Jahrzehnt so typischen Jogging-Anzug mit Kapuze. Während der Herbstdaten sah er mit schwarzer Lederhose auch nicht origineller aus.
Diese äußeren Aspekte sind nur deshalb erwähnenswert, weil sie auch optisch den Bruch mit der Vergangenheit Gabriels unmissverständlich dokumentieren sollten. Leider existieren von dieser Tour kaum Filmdokumente, so daß eine Konzentration auf Konzertmitschnitte die einzige Möglichkeit ist, eine Ahnung von der damaligen Atmosphäre zu bekommen. Auffällig ist, dass Peter Gabriel den Dialog mit dem Publikum als festen Bestandteil der Show integrierte, indem er vielerorts aus dem Publikum aufgeschnappte Zurufe kommentierte.
Gabriel mischt sich unter die Zuschauer
Gleichzeitig bot ein Song wie z. B. Excuse Me Gelegenheit zur Auflockerung. Nach oft unzähligen Fehlversuchen (beabsichtigt?), einen gelungenen A-Capella-Einstieg in dieses Stück zu finden, funktionierte es schließlich unter großem Applaus und Gelächter seitens der Zuhörer. Zugleich pflegte Gabriel seine zum Teil schon bei Genesis erprobte Gewohnheit, während eines Stückes in die Zuschauermenge zu gehen, um das Gefälle Künstler-Publikum zu relativieren bzw. zu überwinden. Es sind also mehrere Elemente zu erkennen, die darauf hindeuten, dass Gabriel nicht nur den Wunsch hatte, einer von vielen zu sein. Er wollte wohl auch, dass man ihn endlich wieder so wahrnimmt.
Nachvollziehbar wird dieser Schritt, wenn man bedenkt, wie sehr Peter Gabriel auf Kosten der übrigen Genesis-Bandmitglieder von den Medien in den Mittelpunkt gestellt wurde. Paradoxerweise hatten die Masken und Verkleidungen in der Anfangsphase eben dieses Ziel. Ein weiteres Merkmal der ersten Solo-Tour war Gabriels Tradition, Ansagen in der jeweiligen Landessprache zu machen. Das hatte vordergründig den Zweck, inhaltlich verstanden zu werden. Gleichzeitig drückt dies jedoch auch einen Respekt vor dem entsprechenden Land, der Kultur und den dort lebenden Menschen aus. Mancher mag diese Gewohnheit als Marotte betrachten. Einen integrativen Charakter hat diese Tradition für ein Publikum allemal.
Die Band
Abschließend sollen die Mitmusiker dieser Tour erwähnt werden. Dieses waren beim ersten Abschnitt bis Mai 1977:
Tony Levin an Bass, Stick, Tuba und Australischem Wobble-Brett (?!)
Dusty Roads alias Robert Fripp an der Gitarre
Steve Hunter ebenfalls an der Gitarre
Larry Fast am Synthesizer
Allan Schwartzberg an den Drums
Phil Aaberg an den Keyboards
Percussionist lim Maelen.
Für die Herbsttour wechselte Peter bis auf Tony Levin die komplette Band aus. Diese bestand aus
Jerry Marotta am Schlagzeug
Sid McGinnis an den Gitarren
Bayete an den Keyboards
Tony Levin an Bass, Stick, etc.
Expect the unexpected – es war ein durchdachtes Tourmotto.
Autoren: Martin Schmitt, Karin Woywod
Poster image: George German
zuerst veröffentlicht in it-Magazin 18, März 1996