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„i/o“ Präsentation im Dolby Atmos-Studio mit Hans-Martin Buff
Im Januar hatte eine Fanclub-Delegation Gelegenheit, das Peter Gabriel Album „i/o“ in Dolby Atmos zu hören – kuratiert von Hans-Martin Buff in seinem Studio in Berlin.
Es ist Dienstag, der 2. Januar 2024. In Berlin ein regnerischer, ungemütlicher Tag, doch für eine besondere Veranstaltung ist aus unterschiedlichsten Regionen eine Delegation aus it-Redakteuren plus Tippspiel-Gewinner angefahren. Nachmittags um drei steuern wir fünf die msm-Studios an, die wir im sogenannten Bergmannkiez im Hinterhof eines Jahrhundertwende-Wohnhauses finden. Die verglaste Tür wird uns geöffnet von einem freundlichen Mann mittleren Alters, kahler Kopf, ergrauter Bart, runde Brille. Er begrüßt uns per Handschlag.
Wer uns da zu sich bittet, ist Hans-Martin Buff (mit deutschem U), in Großbritannien auch gerne mal nur Buff genannt (mit englischem A), der Mann, der die Dolby-Atmos Mixe von Peter Gabriels i/o erstellt hat. Und diese Arbeit will er uns präsentieren, ist dafür auf uns zugekommen, fragte, ob uns das interessieren würde. Natürlich! Die Chance auf so eine Begegnung nehmen wir doch wahr!
Hans-Martin ist ein enorm freundlicher, einnehmender Mensch, der sich ohne jede Distanziertheit mit uns unterhält, der gleichzeitig aber so viel gelassene Souveränität ausstrahlt, dass man keine Sekunde zweifelt, dass er auch gegenüber Größen wie Prince oder den Scorpions besteht.
Ausgangslagen
Die Räumlichkeiten der Studios sind einfach gehalten, aber so, dass man sich gerne aufhält. Kurz lernen wir auch Stefan Bock kennen, Miteigentümer sowie Entwickler der „Pure Audio“ Blu-ray, die man wie eine CD ohne Bildschirm bedienen kann, und die das Hin- und Herschalten zwischen Atmos- und anderen Mischungen ermöglicht. Etwa bei der Blu-ray von i/o…
Hans-Martin gibt uns dann erstmal noch im Stehen eine kurze Einführung, was Dolby-Atmos eigentlich bedeutet: Gegenüber Surround in 5.1 mehr Lautsprecher rundum – was detailvollere Klangverteilung ermöglich – und weitere Boxen unter der Decke, was auch die Ebene „oben“ mit ins Spiel bringt. Jede zeitgemäße Dolby-Atmos-Abspielanlage kann zudem erkennen, welches Setup genau im Raum steht, und die Tonausgabe daran anpassen. Ein Atmos-Mix kann also über verschiedenste Lautsprecher-Konfigurationen gehört werden – bis runter zu Stereokopfhörern, für die eine räumliche Klangverteilung durch akustische Tricks erreicht wird.
Eigentlich wurde die Technik für den Film entwickelt, eignet sie sich aber auch hervorragend, um Musik damit zu spielen. Da dieser Weg aber noch relativ neu ist, haben die msm-Studios in Berlin einen Raum eingerichtet (es gibt schon lange einen in München), der eine Präsentation von Atmos-Musik ermöglicht, um deren Möglichkeiten auch in der Hauptstadt bekannter zu machen.
In diesen Raum gehen wir jetzt rüber. Er eignet sich für Vorführungen vor kleinen Gruppen (Hans-Martin hatte uns im Vorfeld maximal acht Teilnehmer zugestanden). Etwa 5 x 8 Meter, heller Holzboden, Akustik-Paneele in dunklem Grau an den Wänden, rot ein Teil der Decke. Die Einrichtung ist effizient, aber doch stilvoll.
Die technische Boxenverteilung liegt hier bei 9.1.4 – was bedeutet, neun Lautsprecher rundherum, ein Subwoofer und vier Boxen unter der Decke. Hans-Martin hat sein Arbeitsnotebook mitgebracht, an die Technik angeschlossen und wird uns die Musik direkt aus seinen Projektdateien vorspielen.
Anfänge
Peter Gabriel kennt Hans-Martin seit 2020, als er bei Real World anfing, spezielle Headphone-Mixe zu erstellen. Da das Thema Dolby-Atmos in der Musiklandschaft gerade heiß gehandelt wird, und insbesondere die Streamingplattformen darauf abfahren, wurde ein entsprechender Mix für i/o in Erwägung gezogen – etwa im Juni 2022. Hans-Martin, der auf dem Gebiet erfahren ist, bot sich an, musste aber tatsächlich erst mal sowas wie eine Probearbeit abliefern und bekam dafür eine Festplatte mit allen eingespielten Aufnahmespuren.
Er wählte Four Kinds Of Horses, traf mit einem ersten Versuch offenbar den Geschmack von Gabriel und bekam den Job. Nachdem Hans-Martin uns das erzählt hat, macht er erstmal eine begeisterte Siegergeste mit beiden Armen, schließt dabei die Augen. Er scheint wirklich sehr beglückt zu sein, an dem Album mitgearbeitet haben zu können. Gabriel-Fan ist er nämlich auch – schätzt besonders US.
Die einzelnen i/o Tracks wurden dann über das Jahr 2023 verteilt gemixt. Immer in Dreier- oder Viererblöcken – entsprechend der Ansagen, was als nächstes drankommen sollte. Wobei sich (typisch Gabriel halt) daran im Verlauf auch mal was änderte. Dann musste sich Hans-Martin plötzlich beeilen. Alle Mixe fertiggestellt waren im September 2023. Die Aufnahmen hingegen waren im Prinzip schon 2022 abgeschlossen.
Bevor wir uns völlig verquatschen, beginnen wir mit der Präsentation des Albums. Hans-Martin spielt uns die Stücke von i/o einzeln vor, dazwischen tauschen wir uns aus und stellen Fragen.
Direkt der Opener macht klar, was wir hier erleben werden: Die Musik ist buchstäblich überall, umfängt und dringt ein. Gleichzeitig hat alles eine detailvolle Klarheit. Wirkt zudem erstaunlich unverfremdet.
Panopticom war – nach dem Versuch mit Four Kinds Of Horses – der erste Song, mit dem angefangen wurde, richtig zu arbeiten. Nicht nur von Hans-Martin – auch von den beiden Stereo-Mixern. Der Song wurde als erstes veröffentlicht und an ihm wurde auch Grundsätzliches entschieden. Es ist außerdem das einzige Stück, von dem Hans-Martin die Stereo-Mixe kennt. Alle anderen hat er nie gehört – und sein Arbeiten lief folglich völlig unabhängig vom dem der anderen.
Das Material der Rohaufnahmen war dabei für alle das gleiche. Hans-Martin jedoch hat gelegentlich zusätzliche Aufnahmen gemacht und eingebaut. Vor allem räumliche Extras und sogenannte Dopplungen (die mehrfache Einspielung des gleichen musikalischen Elements) um einen füllenderen Raumklang zu erreichen. Gelegentlich waren es auch mal zusätzliche musikalische Ideen, die die Wirkung beim dreidimensionalen Hören unterstreichen sollten.
Hier bei Panopticom wurden etwa die Akustikgitarren im Refrain von Real World Studiotechnikerin Katie May und einem gewissen Stuart McCallum noch ein paarmal nachgespielt. Hans-Martin zeigt uns Fotos davon, die er aus seinem Arbeitsnotebook hervorzaubert. Er macht uns auf das 3D-Mikrophon aufmerksam, das zwischen den beiden stand und für jeden Take etwas gedreht wurde, um eine andere Raumverortung zu erreichen.
Solche Zusätze gehören nicht zum üblichen Vorgang des Mixings, wurden aber von Gabriel wegen ihrer hörbar guten Wirkung unterstützt und manchmal sogar explizit verlangt.
Arbeiten
Ansonsten scheint Peter ein kleines Gedächtnisgenie zu sein. Nicht nur identifizierte er Hans-Martins Zusätze immer sofort, er wusste auch ständig, wo in den Winkeln der Tonspuren noch etwas bestimmtes sein musste oder dass gerade etwas Wichtiges schlecht zu hören war. Bei Panopticom forderte er nachdrücklich einen Part im Schlussteil ein, den er und Hans-Martin die „James Bond Gitarre“ nannten. Sie ist in der Atmos-Version auch sehr viel deutlicher zu hören, als in jedem anderen Mix (was dann fast wieder verwunderlich ist, wenn hier so drauf bestanden wurde).
Ganz allgemein ließ Gabriel Hans-Martin erst mal arbeiten. Ließ ihm alle Freiheiten, das zu tun, was er für angebracht hielt. Dann hörten sie sich gemeinsam den ersten Stand an und besprachen ihn. Bei seinen Anmerkungen ging es Gabriel dann wohl nie darum, dass ja alle Einspielungen zu hören waren – heilig war ihm da nichts. Seine Argumentation ging immer in die Richtung, dass die Story des Songs unterstützt werden musste. Da durfte nichts konterkarieren oder stören. Wenn im Intro von Playing For Time etwa eine schöne Orchesterbegleitung ablenkte, musste sowas auch mal deutlich leiser werden. Offenbar war Peters Philosophie: Nur das, was ich mal aufgenommen habe, kann ich später auch wieder verwerfen.
In der Folge hat Hans-Martin dann im Arbeitsrhythmus Abmischen-Gegenhören-Abmischen von jedem Song so 30 bis 40 Arbeitsschritte bis zur fertigen Version erstellt. Wobei manche dieser Varianten auch dadurch zustande kamen, dass aus dem Studio ein Update der Projektdaten reinkam mit kleinen Änderungen oder Zusätzen. Manchmal waren ein paar Takte einer Bridge gestrichen, manchmal noch ein paar neue Klänge aufgenommen worden. Immer musste Hans-Martin dann seinen Arbeitsstand durchgehen und entsprechend anpassen.
Fortgang
Mit unserer Hörvorführung sind wir inzwischen weiter vorangeschritten. Im Orchesterteil von Playing For Time wird besonders deutlich, was die speziellen Möglichkeiten von Dolby Atmos sind: Viele Details werden hier hörbarer, weil die Instrumente verteilt in den Raum gesetzt werden und deshalb präziser wahrnehmbar sind.
Jetzt sind wir bei Road To Joy und Hans-Martin erzählt uns, dass das von allen Stücken auf i/o der größte Brocken war. Es hat über 700 Spuren, die er alle bearbeiten musste, was knapp zwei Wochen Arbeit bedeutete. Für einen einzigen Song ist das enorm lang.
Dafür ist Hans-Martin vom Ergebnis auch sehr angetan. Da passiert enorm viel und das im ganzen Raum. Überladen wird es jedoch nie. Auch eine Stärke von Atmos: Es ist viel Platz da, auf den etwas verteilt werden kann.
Den Platscher am Schluss des Stücks gab es schon bei Gabriel – aber Hans-Martin nahm ihn des nachts (er zeigt uns auf seinem Notebook dazu ein kurzes Video) am Mühlensee der Real World Studios nochmal neu auf – wieder, um dabei mit seinem 3D-Mikro einen volleren Raumklang einzufangen. Das Ergebnis wirkt naturalistischer – und zugleich erstaunlich dezent.
Oft hat Hans-Martin übrigens auch mal im Big Room oder im Wood Room der Real World Studios eine Instrumentenspur laut laufen lassen und sie mit dem vorhandenen Raumhall nochmal aufgenommen. Für ihn ergibt das einen organischeren, volleren Klang, als wenn mit digitalen Raumsimulationen hantiert wird.
Mittlerweile sind wir bei Love Can Heal angekommen und auch hier kann Atmos seine vollen Stärken zeigen: Das hypnotische Klanggeflecht ist überall um uns präsent. All seine Schleifen und Töne kommen aus der Tiefe auf einen zu. Der „Give in to love“ Schrei von Gabriel ist hier im In-Side Mix am durchdringendsten. Ursprünglich wollte Hans-Martin ihn oben von der Decke kommen lassen – doch Gabriel meinte, auf diesen Satz würde der ganze Song hinlaufen, der könne dann nicht losgelöst aus dem Off kommen, sondern müsse mit im Raum stehen.
Reduzierter sind in der Schlussphase die Frauenstimmen im Chorgesang, insbesondere die Verzierungen von Ríoghnach Connolly. Das ist so, weil Gabriel sie hier nicht mehr so stark hören wollte – in den Stereo-Mixen ist das anders.
Unsere Vorführung dauert schon ziemlich lang inzwischen. Und es ist wirklich spannend. – Nicht nur, die Stücke in dieser Atmos-Fassung zu hören, und das in einer technisch hervorragenden Umgebung, sondern natürlich auch, mit Hans-Martin über all die Zusammenhänge zu quatschen. – Aber unser Zeitfenster schließt sich allmählich.
Irgendwann sind wir dann aber doch beim letzten Stück des Albums. Hans-Martin erzählt, dass ihm Live And Let Live ein wenig zu undynamisch war. Drum hat er in Absprache mit Gabriel von der Aufnahme des i/o-Konzerts in London (damals die jüngste verfügbare Show) noch ein paar Vocals als Verstärkung miteingebaut.
Am Schluss läuft das Stück aus in eine Aufnahme von „Summer Sounds“ (wie es in den Credits heißt). Das ist insbesondere auffälliges Vogelzwitschern. Wir fragen, wie es zu dieser Idee gekommen ist. Tja, eher aus Notwendigkeit, räumt Hans-Martin ein. Der Auslöser dafür war vor allem, dass für eine Veröffentlichung auf der Apple-Plattform der Dark-Side Mix als Stereo-Backup geschalteten werden musste – und da beide Mixe parallel zu laufen haben, müssen sie übereinstimmende Spieldauer haben. Der Dark-Side Mix blendet aber sehr sachte aus und ist deshalb sehr lang. Um die gleiche Laufzeit zu erreichen, hängte Hans-Martin diese Naturaufnahme an. Gabriel stand dem zunächst etwas skeptisch gegenüber. Da es aber den absoluten Abschluss des Albums darstellt, akzeptierte er es schließlich.
Schlüsse
Und nun sind wir mit allen Stücken durch. Ein bisschen plaudern wir noch, reflektieren unsere Eindrücke. Hans-Martins Mixe sind sehr lebendig, vermitteln ein authentisches Klangbild und wenig technische Verfremdungen (obwohl Hans-Martin viel bearbeitet hat). Sie verschaffen ein Erlebnis ohne einfältige Effektheischerei, wollen nicht erdrücken oder zunebeln. Sie sind fasslich und ehrlich, swingen und grooven.
Hans-Martin hat sich bei diesem Auftrag als Mixer durchaus als Dienstleister verstanden (auch wenn es den Anschein hat, dass ihm das Wort an sich nicht ganz behagt). Er war nicht Produzent, entwickelte also nicht die Richtung mit, die ein Song nehmen sollte, entschied nicht, was eingespielt wird, hatte nicht das letzte Wort, was letztendlich zu hören sein soll. Doch für Dolby-Atmos zu mischen, erfordert besonderes Arbeiten. Die Möglichkeiten sind größer, die Anforderungen an das Aufnahmematerial auch, es ist ein spezielles Empfinden nötig. Es gibt auch mehr Chancen, Fehler zu begehen oder Versuchungen zu erliegen. Hans-Martin freut sich deshalb, dass er bei i/o mehr Einfluss nehmen konnte, als ein Mixer gemeinhin.
Er gibt auch zu, dass er Songs auf i/o hat, die ihm näher sind, als andere. Ein besonders gutes Verhältnis hat er zu Four Kinds Of Horses, Road To Joy, Love Can Heal.
Was ihn an Gabriels Vorgehen sehr beeindruckt hat, war die Art, sich in einen Song zu verbeißen. Anders etwa als Prince (mit dem er auch schon gearbeitet hat), der an einem Wochenende mal den Umfang eines ganzen Albums aufnehmen konnte, die Songs für ihn dann aber auch fertig waren und er viele davon im Zweifelsfall komplett verwarf, gibt Gabriel dagegen nicht auf. An guten Ideen hält er fest und schleift so lange an einem Stück, bis es für ihn wirklich stimmig ist. Hans-Martin meint, dass er von dieser Haltung gerne etwas für sich mitnehmen würde.
Sehr angetan war er auch davon, wie sehr Gabriel bemüht ist, seine Mitarbeiter in den Real World Studios zu fördern. Gerade die Techniker*innen. Ihnen versucht er Möglichkeiten zur Entwicklung zu verschaffen, wo es nur geht. Wichtig scheint ihm das zu sein – und er nimmt auch noch einfache Praktikanten sehr genau wahr.
Abschied
Uns waren für die Albumpräsentation drei Stunden eingeräumt worden. Am Ende überziehen wir um 15 Minuten und packen erst dann unsere Sachen. Entspannt verabschiedet uns Hans-Martin an der Tür. Er scheint zufrieden, das mit uns gemacht zu haben. Draußen ist noch immer kein schönes Wetter. Dunkel ist es geworden. Eine Weile stehen wir zusammen und tauschen Eindrücke aus.
Wir bekamen etwas geboten! Das Album konnten wir in echtem Atmos-Setting erleben – wer hat sowas schon zuhause? Es waren auch klar Unterschiede zu den Erfahrungen mit einer 5.1-Anlage oder per Kopfhörer wahrnehmbar. – Zusätzlich hatten wir eine unkomplizierte Begegnung mit einem Musikproduzenten und -mixer von Weltformat. Und wir konnten manchen Eindruck bekommen, wie Gabriel so arbeitet. So unmittelbar dazu etwas zu erfahren, hat man nicht oft Gelegenheit.
Schließlich aber hilft es nichts: Wir müssen los, verteilen uns in die Richtungen, aus denen wir kamen. Der Abend aber hallt nach.
Autor: Thomas Schrage
Fotos: Christian Gerhardts, Martin Peitz
i/o in Dolby Atmos gibt es auf dem 2CD/Blu-ray-Set, erhältlich u.a. bei Amazon und JPC*
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