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Peter Gabriel – I (Car) – Rezension

Peter Gabriels erstes Soloalbum war ein Versuch für Ihn. Er war auf der Suche nach Stilen, einem eigenen Ausdruck – und dem Vertrauen ins Musikgeschäft. Noch nicht ganz sicher, aber sein großes Potential machte sich schon bemerkbar.

Nach seiner Zeit bei Genesisvergingen gut zwei Jahre, ehe Gabriel sich wieder traute, einen Fuß ins Musikbusiness zu setzten, dem er doch beinahe fluchtartig den Rücken gekehrt hatte. Ganz ohne ging es aber offenbar doch nicht, und so fand er sich – nach einigen kleineren Vorversuchen – 1977 schließlich wieder in einem Studio ein. Er legte mit dem entstandenen Album den Grundstein für seine Solokarriere, deren Start zunächst einmal bemerkenswert, aber auch „undeutlich“ war.

Die ersten vier Alben von Peter Gabriel bekamen keine Titel sondern wurden schlicht peter gabriel benannt. Dazu sagte er selbst, dass er seine Alben wie Ausgaben einer Zeitschrift betrachtet haben wollte, die auch keine individuellen Titel tragen. Da dieses Verfahren aber bei Händlern und Fans zu Verständigungsschwierigkeiten führte, haben sich für die ersten vier Alben inoffizielle Namen eingebürgert. Im Falle des ersten Albums ist das Car(wegen des Autos auf dem Cover).

Zu Beginn seines Solo-Schaffens suchte Gabriel noch seinen Weg. Aufgenommen wurde das erste Album in Toronto – weit weg vom heimatlichen England, dem Charterhouse und allem, was Gabriel mit der alten Band verband. Die Zeit mit Genesis hatte ihn natürlich grundlegend geprägt und seinen Ruf als Sänger, Songschreiber und Performer begründet. Deren Musik war kompositorisch eine Gratwanderung zwischen Folk, Rock und Klassik, und die Texte meist vertrackte, wortverspielte Geschichten mit oft sagenhaftem Charakter. Stets hatte es Gabriel dort genossen, sich breitwandig in obskuren Gedanken auszumehren.

Nun wandte er sich, vom Art-Rock der Genesis-Musik fort wollend, bei seinem ersten eigenen Album anderen Stilen zu (obwohl man gelegentlich das Gefühl hat, es soll auch irgendwie Anschluss gefunden werden). Fast alle Songs kommen im üblichen Strophe-Refrain-Strophe-Schema daher, was im krassen Gegensatz zu den ausufernden Strukturen der meisten Genesis-Stücke steht. Auch setzt Gabriel auf Elemente harter Rockmusik, statt Anleihen an Klassik (z.B. bei dem Powerkracher Modern Love). Besonders live wird dieser Zug auch noch bis in die mittleren 80er hinein wahrnehmbar bleiben.

Angeleitet und dominiert wird dieses Album vom Produzenten Bob Ezrin, der eher der Bombast-Rock-Ecke zuzurechnen ist (Alice Cooper, Kiss). Musikalisch ist es von Arrangements geprägt, die dem gitarrenlastigen Mainstream, aber auch den unerwarteten Effekten verschrieben sind. Streicher und Bläser tun das ihrige dazu, diesem Album einen großformatigen, pathetischen, raumgreifenden – eben bombastisch anmutenden – Klang zu geben und es wird versucht, einen Spagat zwischen Eigensinnigem und Gefälligem zu begehen. Es ist offensichtlich: Gabriel überlässt vieles seinen Mitstreitern. Vielleicht aus Unsicherheit, vielleicht aus Neugierde.

Es gibt einige schöne, zeitlose Lieder, die bis heute bestand haben. Natürlich gehört der Meilenstein Solsbury Hill dazu (vergleichsweise schlicht produziert), auch das sensible Humdrumund vielleicht das verschrobene Moribund The Burgermeister. Eher experimentell mutet dagegen Excuse Me mit seiner bizarren A capella/Barbershop-Erscheinung an. Anderes dagegen gibt sich wie ein Musterstück des Pathos-Rocks, etwa Down The Dolce Vita oder Waiting For The Big One. Das sind Töne, die man vorher mit Gabriel niemals in Verbindung gebracht hätte und die sich auch kaum in der nachdenklichen Tiefgründigkeit späterer Werke wiederfinden. Wenn man dann noch die Version von Here Comes The Flood hört, die vor allem Raum für elegisch-verspielte Gitarrensoli bietet, wie sie in den späten Siebzigern vor allem im amerikanischen Blues-Rock „in“ sind, will man kaum glauben, das dies dasselbe Lied sein soll, wie das melancholisch-getragene, nur von Piano begleitete Stück, das Gabriel ab der ersten Solo-Tour auf beinahe jedem Konzert spielt.

Textlich schreibt Gabriel krause Geschichten, wie schon zu Genesiszeiten, allerdings auch persönliche Innenbetrachtungen, was neu ist. Interpretationsbedürftige Wortspiele haben aber nach wie vor eine große Bedeutung.

Peter Gabriel. align=Im übrigen finden sich in der Band, die Gabriels erstes Album einspielt, einige Musiker, die ihn auch in der folgenden Zeit begleiten und prägen sollen: Neben Robert Fripp, dem Produzenten des nächsten Albums, und Larry Fast, dem langjährigen Synthesizer-Lehrer von PG, auch der Bassist Tony Levin, der ihm seitdem treuer Freund ist.


Moribund The Burgermeister

Als Eröffnung erwartet einen dieses Stück mit eigenwillig blubbernd-klopfenden Klängen. Im Wechsel zum Refrain wird daraus dann eine handfeste Rocknummer mit Drang zur großen Geste. Die Geschichte erzählt von einem beunruhigend-verstörenden Ausbruch von „Veitstanz“, dem eine ganze Stadt anheimfällt. Als Auftakt nicht schlecht und in seiner Bizarrheit durchaus von nachhaltiger Wirkung.

Solsbury Hill

Direkt an zweiter Stelle folgt der langanhaltendste Hit von Gabriels Solokarriere. Im ungewöhnlichen aber treibenden 7/8-Takt beginnt er beinahe folkig und schwingt sich im Verlauf zu drangvoller Kraft auf, bis er mit jagenden Vocalausbrüchen schließlich ausklingt. Im Text verarbeitet Gabriel Gefühle von Zweifel, Einsamkeit und Lebensentscheidung. Themen, die sicher auch von seinem Ausstieg bei Genesis inspiriert sind.

Modern Love

Dies der krachendste Song auf dem Album. Mit viel Power und einer guten Portion Aggressivität wird hier in einem mit zweideutigen Anspielungen gespicktem Text gefühlskalte Liebe, Verlangen und Unerfülltheit ausgebreitet. Der Song wurde zwar als Single ausgekoppelt, hat aber schnell den Weg aus dem Standardrepertoire wieder raus gefunden.

Excuse Me

Verspielt, albern, komödiantisch – so kommt diese schräge Barbershopnummer daher. Der Text ist auch eher rätselhaft und assoziativ, denn wirklich erzählerisch. Und so schafft das Stück eine merkwürdige Gelöstheit, die einem aber nicht ganz geheuer ist. Als überdrehtes Vorspiel für das folgende Humdrum mit seiner finsteren Stimmung funktioniert der Song prächtig.

Humdrum

Das depressivste Stück auf dem Album. In phantasievollen Wortbildern beschreibt Gabriel kongenial die titelgebende Eintönigkeit und Erstarrung. Der Anfang wird getragen von Pianoklängen mit ungewöhnlicher Stereoverfremdung. Weitere Mittel sind wirkungsvoll deplatzierte Latinanleihen, melancholisch-anheimelnde Akustikgitarren und Synthstreicherteppiche. Hier ist schon Gabriels später so typische Vermengung von musikalischem mit inhaltlichem Ausdruck zu spüren.

Slowburn

Zu Vinylzeiten eröffnete dieser Song die zweite Albumseite, die im ganzen ein wenig abfällt. Zu geschmäcklerisch, zu bemüht die Arrangements. Slowburnkommt mit wimmernder Leadgitarre und kraftvollem Beat daher. Ein bizarres Liebeslied mit Liebesleid wird aufgetischt. Rasche Dynamikwechsel, knatternde Schlagzeugläufe und Glamrockanleihen sollen fesseln. Aber hier schlagen die ganzen Ideen jedwede inhaltliche Anteilnahme tot. Von einer Verbindung zwischen Inhalt und Musik ist hier nicht viel zu hören.

Waiting For The Big One

Ein Blues – der auch vom einleitenden Anzählen, über die lockenden Pianoläufe bis zum pathetischen Chorfinale als solcher zelebriert wird. Viel Drama, viel große Oper. Dazwischen Gabriels, mit verstörter Stimme vorgetragene, wortspielreiche Beschreibung vom Warten auf den Großen. Die Vergeblichkeit und Leere wird deutlich – wenn auch durch die benutzen Musikmittel bis fast an den Rand des Komischen getrieben.

Down The Dolce Vita

Und da brettert zu Beginn ein ganzes, wagnerianisch anmutendes Orchester über den Hörer hinweg. Treibend wird die Einleitung als Rocknummer weitergeführt. Der Text weist wieder eine gewisse Rätselhaftigkeit und Vergeblichkeit auf, und wird mit großem Gestus umgesetzt. Allerhand Arrangementgimmicks wie z.B. die Generalpause im Mittelteil sollen dabei Bedeutsamkeit erzeugen. Doch wirkliche Spannung in einem solchen Umfeld wird Gabriel erst mehr als dreißig Jahre später im Scratch My Back Projekt erzeugen können (an dem übrigens auch Bob Ezrin mitproduzieren wird). Mit den vielen musikalischen Wendungen transportiert sich hier die Stimmung des Textes noch nicht so einfühlsam wie vielleicht gewünscht.

Here Comes The Flood

Gabriel hat später selbst gesagt, diese Version des Stücks sei überproduziert. Leider ist dem Studioteam auch nichts anderes eingefallen, als mit üblichen Mitteln des Bluesrock (dramatische Dynamikwechsel, elegische Gitarrensoli, Tambourinschlagen) die endzeitlichen Visionen innerer Erstarrung in eine gefällige Hymne zu verwandeln.

Fazit

Ein erster Versuch Gabriels als Solist Fuß zu fassen. Noch nicht ganz stilsicher, aber sein großes Potential macht sich schon bemerkbar. Für Einsteiger bedingt geeignet.

Autor: Thomas Schrage