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Peter Gabriel – HIT – Rezension
Ein weiteres Greatest Hits Album von Peter Gabriel kommt gleich in vier verschiedenen Versionen – nur eine Wiederverwertung oder lohnt sich der Kauf? Hier gibt es Antworten.
13 Jahre ist es nun her, dass mit Shaking The Tree die erste Greatest Hits-Compilation von Peter erschien. Eine ausgewogene Sache war das damals, viel auszusetzen gab’s nicht und ein neues Album war unterwegs. Im Jahre 2003 ist die Situation ähnlich. Vor 18 Monaten versprach Peter, dass innerhalb dieser Zeit ein neues Album auf dem Markt sein werde. I/O sollte es heissen und war angeblich so gut wie fertig. Doch was folgte, war eine ausgedehnte Tour, unzählige Interviews mit immer neuen Albumtiteln und Projektideen, die Growing Up Live-DVD, sogar sein Mitwirken an einem Fantasy-Spiel für den PC, eine fast fertige Songwriter’s Version von OVO und schließlich auch noch die Ankündigung, einen weiteren Soundtrack machen zu wollen. Doch jetzt kommt HIT. Peter Gabriel ist und bleibt der Meister im Verzetteln.
HIT ist schwer zu verdauen. War Shaking The Tree tatsächlich so etwas wie „Greatest Hits“, ist HIT bei weitem keine HIT-Compilation, denn es sind wenige HITs drauf, teilweise sogar Totalflops auf CD 1. Der größte HIT, den Peter mit dieser Compilation landen wird, ist die übergreifende Verwirrung. Denn HIT kommt einmal alleine daher, aber gleich drei Mal in verschiedenen Versionen mit der – na ja – fragende Gesichter hinterlassenden Begleitung MISS. Nun sind endgültig alle Klarheiten beseitigt. Was ist denn nun drauf auf der CD-Flut? Am Ende ist es fast spannender, was drum herum ist, dazu später mehr…
CD 1 (HIT):
Diese CD ist identisch in allen Varianten von HIT. Solsbury Hill von 1977 war ein prima Debut-HIT, der in den englischen Top 20 landete und zum damaligen Zeitpunkt Genesis den Single-Charts-Rang ablief – was nicht sehr schwer war. Auch Shock The Monkey wurde zum relativen HIT. Sledgehammer reifte sogar zum Über-HIT, mit einer Nummer 1 Platzierung in den USA. Somit haben wir schon mit dem dritten Song den HIT-Höhepunkt. Don’t Give Up ist legendär, aber schon nicht mehr so ein großer HIT. Zu hören gibt es hier übrigens die Version von 1990 (ohne Fade-In Intro). Games Without Frontiers wurde Peters erster UK-Top 10 HIT, ist also richtig eingeordnet auf CD 1. Warum der Song aber mitten im Intro einsteigt, ist äußerst merkwürdig. Big Time genoss massives Radioairplay und war auch ein relativer HIT im Orkansog von Sledgehammer. Burn You Up, Burn You Down ist ein neuer Song, aber eigentlich auch nicht. Schon auf der Promo von UP war er drauf, in einer anderen Version. Auf HIT ist der Song weniger radiotauglich und wird bestimmt kein HIT! In Deutschland soll er noch nicht einmal ausgekoppelt werden. Paradoxerweise hätte diese etwas „dreckigere“ Version prima auf UP gepasst. Growing Up lag wie Blei in den Plattenläden, wurde in England sogar gestrichen. Toller HIT. Interessanterweise findet man auf HIT die Version des Videos und nicht die Singleversion. Das macht es zumindest interessant. Digging In The Dirt war ein mittelschwerer HIT. Blood Of Eden leider nicht. More Than This war ein absoluter Charts-Kracher – erreichte immerhin Platz 47 der englischen Charts in der Woche nach Weihnachten, wo halb England traditionsgemäß in die Plattenläden stürmt. Was für ein HIT! Ist übrigens auch ein Radioedit, wie schon bei Blood Of Eden. Biko ist definitiv ein HIT, weniger wegen der Chartsplatzierung, mehr wegen seiner Stellung in der politischen Rockmusik. Steam wiederum war ein großer HIT, deswegen ist hier auch die Single-Version drauf. Red Rain war kein so doller HIT, dafür aber ein toller Song. Here Comes The Flood ist auch nie ein HIT gewesen und hier finden wir auch die 90er Piano-Version. HIT-verdächtig!
Also werden auf CD 1 Möchte-gern HITs zwischen mittelschweren und großen HITs versteckt. Fast alle kann man prima mitsingen. Fast schon eine HIT-Parade. Da waren ja auch immer mal wieder totale Flops dabei.
CD 2 (MISS):
Die gibt es gleich in 3 Versionen. Es macht total Spaß, sich das alles zusammenzukaufen! Letztlich sind die Unterschiede nicht sehr groß. Es gibt eine internationale Version und Extrawürste für die USA und Deutschland. Kann denn MISS-HIT ihren Ansprüchen gerecht werden?
San Jacinto – keine Frage! Ein MUSS auf MISS. No Self-Control ist auch ein Klassiker, aber kein HIT. Cloudless ist ein Juwel seines Soundtracks Long Walk Home, mit den fantastischen Blind Boys of Alabama. Das ist sogar ein Radio-Edit, trotzdem gut aufgehoben auf MISS. The Rhythm Of The Heat ist einer der ultimativen Gabriel Songs, perfekt! I Have The Touch ist die erste Überraschung. Nicht der Remix von 1986, sondern die Version von 1995 mit Robbie Robertson und zusätzlichem Text ist hier vertreten. Das macht Spaß und passt hier prima hin! I Grieve war schon auf UP im Prinzip nichts neues, aber ein anderer Mix mit wesentlich mehr Intensität. Der ist hier auch zu finden. D.I.Y. ist der einzige Track des zweiten Albums. Der hat die Charts tatsächlich verfehlt. Würde man MISS also als „MISS The Charts“ interpretieren, wäre das einer der wenigen Songs auf CD2, der nicht fehl am Platz ist. A Different Drum hätte nicht den Hauch einer Chance gehabt, als Single veröffentlicht zu werden. Er gehört aber zu den all-time Favourites der Fangemeinde. Zu The Drop soll es sogar ein Video geben, das aber bisher keiner gesehen hat. Eine Single war es nie und wird es wohl auch nie sein, ein formidabler Song aber allemal! The Tower That Ate People liegt hier im Remix vor, extra für den Red Planet-Soundtrack abgemischt. Der Film war eine Katastrophe, der Song überzeugt aber auch im Remix. Lovetown war sogar eine Single. Hier war der Film besser als der Song. Philadelphia zählt zu den Meilensteinen der 90er und Lovetown leistet dazu einen kleinen, aber feinen Beitrag. Father, Son vom OVO–Album war der würdige Abschluss der Growing Up Tour Konzerte. Dies hier ist aber die Studioversion. Ein weiteres Monument aus Gabriels Schaffen ist Signal To Noise. Dieser Song feierte schon 1996 seine Live-Premiere und bis zu seiner Veröfentlichung 2002 auf UP starb auch noch Gabriels Duettpartner Nusrat Fateh Ali Khan, was den Kult des Songs fast schon makaber steigen ließ. Downside-Up hatte Peter gar nicht selber gesungen. Und so freuen wir uns, dass dieser Klasse-Song hier in der Live-Version vorliegt. Washing Of The Water ist der letzte Track der internationalen Version und irgendwie eine merkwürdige Wahl.
Zusätzlich zu diesen Songs wartet Deutschland mit diesen Tracks auf: Du Bist Nicht Wie Wir ersetzt No Self Control und ist ein Beitrag seines ersten deutschen Albums. Kon Takt! schmeißt die neue Version von I Have The Touch von der CD, was man mehr bedauert. Für Handauflegen müssen gleich D.I.Y. und A Different Drum weichen. Und statt Washing Of The Water gibt es die deutsche Version von Family Snapshot, Schnappschuss (Ein Familienfoto) als (besseren) Abschluss der CD.
Die amerikanische Extrawurst schließt dagegen mit Cloudless und man findet In Your Eyes, das auf Konzerten seit Jahren fast schon totgespielt wurde. I Don’t Remember kippt No Self Control von MISS. Family Snapshot und Love To Be Loved ersetzen D.I.Y.und A Different Drum. Alles klar?
Ach ja, auf allen CDs befindet sich eine interaktive Version von The Tower That Ate People, die zum Zeitpunkt der Rezension nicht funktionierte.
Das Highlight zum Schluss: Was heisst Burn You Up, Burn You Down auf deutsch? Ist doch klar: Dich Niederbrennen, Dich Zur Weissglut Bringen! Steht zumindest auf dem Backcover der deutschen Version. Ja, tatsächlich, alle Songtitel wurden übersetzt. Da musste man mit dem Schlimmsten rechnen. Man stelle sich vor, die ersten Zeilen von Erwachsen Werden ( Growing Up) auf deutsch: „folded in your fleshy purse“ – bitte nicht! Doch wir wurden verschont, nur 4 Tracks (siehe oben) sind auch auf Deutsch gesungen. Aber: Mittlerweile hat die Plattenfirma den Fauxpas eingestanden. Es war ein Versehen, dass alle Titel übersetzt wurden. Na ja, alle auch nicht. Aus Solsbury Hill wurde auch kein Solsbury Berg. Aber das Signal An Den Lärm ist schon ziemlich peinlich. Wie dem auch sei, diese Fehlpressung soll es bald nicht mehr geben, aber sie steht derzeit noch in den Läden.
Verwirrung pur. Wieder mal fragt man sich, was das ganze denn soll? Ein Box-Set oder die Odds And Sods hätte den Fans besser gefallen und die Einzel-CD hätte dann für den Mainstream Markt völlig ausgereicht.
Come Talk To Me und Mercy Street werden schmerzlichst vermisst und die erste Single von UP, The Barry Williams Show, ist ebenso wenig vertreten wie Shaking The Tree. Und Album Nummer 2 ist wie immer unterrepräsentiert. Auch eine Videoclip-Compilation auf DVD ist nicht vorgesehen.
Manchmal wird hier ins Schwarze getroffen, aber sehr oft das Ziel verfehlt. HIT und MISS eben. Nur etwas merkwürdig auf die CDs verteilt.
Autor: Christian Gerhardts