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Peter Gabriel – Chris Welch: The Secret Life Of Peter Gabriel – Buchkritik

Chris Welch gilt als DER Genesis-Journalist. Nicht immer objektiv, aber voller Enthusiasmus hatt er einen Anteil am Aufstieg der einstigen Progressive-Rock Helden. Nun schrieb er ein Buch übr Peter Gabriel.


Peter Gabriels neues Album Up ist schon mindestens zwei Jahre überfällig. Um die Wartezeit zu verkürzen, können sich Fans derweil an einer Biographie erfreuen. Können sie das?

The Secret Life Of Peter Gabriel von Chris Welch ist das aktuellste Werk über ein Genesis-(Ex-)Mitglied. Die Collins-Biographie von Ray Coleman hatte die Qualitätslatte sehr hoch gelegt, und – um es vorweg zu nehmen – Chris Welch läuft glatt drunter durch. Der Leser geht mit gemischten Erwartungen an das Buch heran. Auf der einen Seite ist man natürlich neugierig und möchte etwas Neues über den vielleicht innovativsten Musiker aus der großen Genesis-Familie erfahren. Auf der anderen Seite bezweifelt man, dass Gabriel irgendwelche neuen Facts ausgepackt hat, die sehr überraschen würden. Außerdem ist der Autor Chris Welch. Und das bedeutet, daß dieses Werk von vornherein vorbelastet ist, denn wir wissen, dass Welch oft zu Übertreibungen und allzu euphorischen Aussagen über Genesis neigt. Ein genauso objektives wie brillantes Buch wie von Ray Coleman kann man wohl kaum erwarten.

Und genauso ist es auch. Welch versucht, Gabriel immer wieder von der gleichen Seite zu analysieren, und scheitert sehr oft nicht zuletzt an der Tatsache, dass Gabriels multiple Persönlichkeit kaum zu analysieren ist. Andererseits schwelgt er gerne in Erinnerungen: „Als ich mit Gabriel im Proberaum saß“ etc. und stellt das „Ich“ hierbei besonders heraus. Und so wird man dieses „Peter Gabriel und ich“-Gefühl während des ganzen Buches nicht mehr los. Das eigentlich Schlimme ist aber die Tatsache, daß es in dem Buch von Fehlern nur so wimmelt. Das Geburtsdatum von Tony Banks wird mal eben um ein Jahr verjüngt, die natürlich sehr wertvolle Single The Knife wird völlig überbewertet (500 Pfund, also etwa 1550 DM statt 300,- bis 400,- DM), oder aus The Light Dies Down On Broadway wird The Light Lies Down On Broadway. Das sind bei weitem nicht alle Fehler. Es gibt aber arg zu denken, wenn einem erklärten Fachmann (und das ist Chris Welch trotz manch überzogen positiver Kritik bestimmt) solch peinliche Fehler unterlaufen. Ferner stellt Welch persönliche Meinungen nicht hintenan und geht stellenweise relativ offensiv mit dem Songmaterial um. So bezeichnet er beispielsweise den Kult-Song Home Sweet Home als „less satisfactory“. Das ist aber die große Ausnahme.

Ansonsten gibt es kaum Kritik. Richtig interessant wird es erst, wenn Welch in das Privatleben von Gabriel eintaucht und versucht, die verworrenen Verhältnisse im Hause Gabriel wenigsten einigermaßen zu entwirren. Das aber gelingt ihm ganz gut, und das eine oder andere Mal kommt man ins Schmunzeln oder ist überrascht über deneinen oder anderen Zusammenhang. So erfährt man, daß Gabriels Lebensabschnittsgefährtin Rosanna Arquette als Lieblingssänger nicht etwa Peter, sondern Phil Collins nennt und die gleiche Rosanna ist, die von Toto in deren gleichnamigem Welthit besungen wird. Eine weitere interessante Story ist Peters erster Spacecookie, den er zu Zeiten von PG 3 (!!) verzehrte. Allerdings nicht einen, sondern mehrere. Schließlich fühlte er sich so schlecht, daß er glaubte zu sterben, und ging nach Hause, um das seiner Familie mitzuteilen. Zu Hause angekommen, nahm Jill an, er hätte einen Autounfall gehabt. Aber seine Töchter, so erzählt Peter, meinten, dass alles in Ordnung sei und auch Peter ganz normal sei. Leider liest man wenige Zitate von direkt beteiligten Personen, und so mündet das ganze in eine allerdings stellenweise recht gelungene Welch-Philosophie über den Mandelbrotmengencharakter Gabriel.

Während Welch einen interessanten Bogen von PG 1 bis hin zu So spannt, lässt einen das Gefühl nicht los, dass man neben der Gabriel Biographie auch eine Welch-Selbsterfahrungsgeschichte liest. Dabei sind die Erzählungen und Ausführungen über eben diese Epoche durchaus lesenswert. Aber es gelingt Welch leider nicht, hier Objektivität zu bewahren. Und während er von Gabriel schwärmt und in Selbsterfahrung schwelgt, vergißt er glatt, die Phase von So bis US näher zu beleuchten. Hier bleiben wir weiterhin im Dunkeln. Die Ausführungen über Up haben sich, natürlich ohne Welchs Schuld, teilweise mittlerweile wieder selbst überholt.

Im großen und ganzen ist das Buch chronologisch aufgebaut mit einigen kleineren Zeitsprüngen, die gerade im Bereich des Privatlebens natürlich notwendig sind. Zurück bleibt ein durchwachsener Eindruck über Welch und ein unvollständiges Bild einer Rocklegende. Man hat bei weitem nicht den Spaß beim Lesen wie bei der Coleman-Collins-Biographie. Welch macht aus einer Biographie eine Darstellung philosophischer Grundlagenforschung eines Fans an sich und seinem Idol. Und dabei geht der professionelle Charakter zwangsläufig verloren. Aber wahrscheinlich macht genau das den kleinen Charme aus, den das Buch trotz allem noch ausstrahlt.

Autor: Christian Gerhardts