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Peter Gabriel – Birdy – Rezension
Dies war Peter Gabriels erster Soundtrack für einen ganzen Film. Und ein Anliegen des Regisseurs Alan Parker. Gabriel benutzte auf dessen Wunsch bestehende Kompositionen – schuf aber auch Neues und im Ganzen eine düstere, aber unbedingt hörenswerte Sammlung von Gefühlsklängen.
Spätestens seit Peter Gabriels drittem Soloalbum war ersichtlich geworden, dass ihm bei seiner Musik viel an der Erschaffung von Stimmung, Atmosphären und Gefühlswelten gelegen war. Mehr als an der Erschaffung von Top-10-Hits. Horst Königstein hat das einmal so beschrieben, dass PG „Hörfilme“ komponiere. Im Kopf entstehen Bilder – Seelenzustände vermitteln sich unmittelbar. Bei solch einer Ausrichtung, und der Dichte im Ausdruck die Gabriel dabei erreichte, war es nicht verwunderlich, dass er irgendwann gebeten wurde, einen Filmsoundtrack zu schreiben.
Gabriels erste Arbeit für einen Score fand laut eigenem Bekunden statt, weil der Regisseur dieses Films, Alan Parker, ihn für diese Aufgabe haben wollte. Der fand offenbar etliche Stücke aus PGs Repertoire derart passend für sein grade entstehendes Werk, dass PG zu fragen die logischste Konsequenz war.
Der Film erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher, des Draufgängers Al und des in sich gekehrten Birdys, die eine Art unmögliche Freundschaft eingehen. Ihre Verbindung zerbricht jedoch und beide treibt es in den Vietnamkrieg. Aus ihm zurückgekehrt treffen sie im Militärkrankenhaus wieder aufeinander – Al verletzt, Birdy katatonisch erstarrt. Nur Al kennt das Geheimnis dahinter: Birdy will fliegen können – oder besser gleich ein Vogel sein.
Parkers Filmästhetik ist stets erdig und naturalistisch – vor allem aber immer gefühlsbetont. Bei Birdy sind Schmerz, Sehnsucht und Verlust die Komponenten, mit denen man es zu tun bekommt – aber auch Energie und Tatendrang. Dass für die Musik die Wahl auf Gabriel gefallen ist, passt zu dieser Welt. Und auch, dass die Vogel- und Flugvisionen des Titelhelden, die beständig Realität werden wollen, einer ungewöhnlichen Phantastik bedürfen. Die geforderten Stimmungslagen musikalisch zu treffen, gelingt Gabriel jedenfalls mehr als deutlich. Das Ergebnis ist gewissermaßen unheimlich – in der doppelten Bedeutung des Wortes.
Das Album ist ausschließlich instrumental. Die vom Regisseur auserbetenen Songs hat PG umarrangiert und die Essenz aus ihnen aufbereitet. Sie machen die eine Hälfte des Albums aus. Nur die andere Hälfte besteht aus neuen Kompositionen. Von denen bringen es drei auch gar nicht in den Film (Floating Dogs, Slow Water, Sketch Pad With Trumpet And Voice). Gabriel packt sie trotzdem auf das Album – und das ist gut so. Denn die Musik wirkt auch ohne den Film; verleitet ein weiteres Mal dazu, eigene Bilder zu erfinden, erweist sich eben als Hör-Film-artig.
Die unterschiedlichen Emotionen finden ihre Entsprechung in unterschiedlichen musikalischer Stilistiken. Quiet and Aloneund Sketch Pad repräsentieren dabei den verwirrten, verstörenden Teil, Close up und Under Lock and Key den leise verzweifelten, Slow Marimbas und Slow Water den irrisierend-hypnotischen und Floating Dogs, Birdy’s Flight und The Heat den erhitzt-rhythmischen. Alles in allem bekannte Facetten aus dem Schaffen Gabriels.
Offenkundig wird jedoch zum ersten mal, wie umfangreich und passioniert Gabriel bestehende Songstrukturen umarbeiten kann. Später soll man noch oft (und auch schmerzhaft) erfahren, wie ausufernd er sich dem ändern und verschieben zu widmen vermag.
Im Ganzen stellt dieser Soundtrack ein Art Schlusspunkt zu Gabriels Schaffen der frühen 80er dar – oder sogar die Essenz. Hier versammelt sich noch einmal die warm menschelnde Abgründigkeit, das Exaltierte und die selbstgefährdende bedingungslose Hingebung. Und manche der Soundlandschaften, die man hier zu hören bekommt, sind in seinem Œuvre einzigartig.
Birdybringt Gabriel im Übrigen zum ersten mal mit Produzent Daniel Lanois zusammen. Beide scheinen ein gutes Team zu sein, das im Bereich Gefühl und Klarheit bemerkenswertes leistet. Ihr gutes Miteinander setzen sie im folgenden Album Sogleich fort, Gabriel war ohnehin schon damit beschäftigt – mit bereits einjähriger Verspätung. (Zur Arbeit am Soundtrack hatte er bei seiner Plattenfirma auch nur eine Unterbrechung erwirken können.) Was die an Birdybeteiligten Musiker betrifft, so zeigt ein Blick auf die Credits, dass es sich im Wesentlichen um diejenigen des dritten und vierten Albums handelt, die ja auch die Originalversionen der überarbeiteten Songs eingespielt haben.
Am Rand sei noch erwähnt, dass Floating Dogs, obwohl aus dem Film gefallen, auf der Tour zum So-Album später doch noch zu Ehren kommen sollte, da es jedes Konzert eröffnete.
Und noch eine Geschichte: Auf dem Cover von Birdy steht „this is a Realworld Production“ was damals beim ersten lesen zu wilden Spekulationen führte, wie das gemeint sei: Das ging von „die Musik ist so irreal, dass ein Hinweis auf die echte Welt nötig ist“ bis „man soll trotz der Musik den Kontakt zur wirklichen Welt nicht verlieren“. Tatsächlich ist natürlich das Realworld-Studio gemeint, das hier zum ersten mal als Schaffensstätte Erwähnung findet, später Vergrößerung erfährt und auch zum Namen für Gabriels Plattenfirma REALWORLD führt.
At Night
Düster wummernde und knatternde Eröffnung. Mit viel Hall und elegischen Melodieschlenkern irgendwo zwischen unheimlich und verträumt.
Floating Dogs
Beginnt unter ruhigem Atmen mit geheimnisvoller Sehnsucht, schwingt sich dann jedoch zu unerwarteter Rhythmik auf. Fesselnd.
Quiet And Alone
Eine Ansammlung verschiedenster Elemente, fordert, irritiert, stagniert. Klingt nach Verwirrung und so lässt es einen auch zurück.
Close Up (from Family Snapshot)
In gerade mal 55 Sekunden wird am E-Piano einmal der Strophenteil des Songs aus Album III durchgespielt. Schlicht und anrührend. Im Film fungiert dies als Motiv von Verlust und Liebe.
Slow Water
Langsam und getragen brummen, summen und seufzen Gabriels Keyboards ein erhabenes Musikgeflecht zusammen, das tatsächlich an langsam fließendes Wasser erinnert. Etwas finsteres schwingt auch mit.
Dressing The Wound
Eine hell klingelnde, melancholische Einleitung, die in leidvolles Klagen übergeht. Wir hören hier Gabriels Stimme unverständliche Worte formulieren. Zwei Mal ertönt diese Passage, bevor alles resignativ wieder im Anfangsteil ausläuft.
Birdy’s Flight (from Not One Of Us)
Auf eine neue Einleitung folgt im wesentlichen das druckvolle Finale des Songs (erneut von Album III). Verfehlt an treibender Kraft nicht seine Wirkung.
Slow Marimbas
In hypnotischem Reigen vermischen sich mehrere Marimbastimmen, die beinahe unmerklich immer wieder ihren Verlauf ändern und in den Bann ziehen.
The Heat (from Rhythm Of The Heat)
Eine Art instrumentale Kurzform des Songs von Album IV. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Trommelfinale wurde minimal neu abgemischt wodurch es an Dynamik gewinnt.
Sketch Pad With Trumpet And Voice
Auf düster dröhnendem Untergrund werden erneut Töne aus Leid und Verzweiflung ausgebreitet. Noch einmal hören wir Gabriels Stimme. Die musikalische Fassung eines Abfallhaufens.
Under Lock And Key (from Wallflower)
Im Wesentlichen ist von hell zwitscherndem E-Piano das Zentralthema des Songs (Album IV) zu hören. Im Film fungiert es als Freundschafts-Motiv.
Powerhouse At The Foot Of The Mountain (from San Jacinto)
Den Abschluss bildet eine zunächst dumpf wie entferntes Donnergrollen dahinpolternde Einleitung, die anschwillt um dann in den Schlussteil von San Jacinto (Album IV) zu münden. Keine große Originalität, aber es entlässt einen auch nicht zu düster.
Fazit
Großartige Gefühlssammlung für dunkle Tage. Unbedingt empfehlenswert.
Autor: Thomas Schrage 1 | 2012