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Peter Gabriel – Biografie
Biografie von Peter Gabriel
Peter Gabriel ist Musiker, Sänger und Songschreiber. Seinen Stil prägt eine Mischung aus Melancholie und Leidenschaft, stets nachdenklich, nie eindimensional. Gabriel sucht immer wieder neue Ausdrucksmöglichkeiten, geht seinen eigenen Weg als künstlerischer Nonkonformist und ist ein Grenzgänger zwischen musikalisch-inhaltlichem Anspruch und gefühlsbetonter Einprägsamkeit. Er ist Wegbereiter grundlegender musikalischer Strömungen, nutzte bereits früh digitale Musikinstrumente und auch die westliche Begeisterung für Ethno-Musik geht im hohen Maße auf sein Engagement zurück. Seine Interessen reichen auch in andere Kunstformen, mit denen er immer wieder Berührung sucht. Bei der Verknüpfung von multimedial-visuellen Technologien mit Musik hat er wesentliche Fundamente gelegt. Er hat einen gesellschaftlichen Sinn, engagiert sich für verschiedenste soziale und politische Organisationen und hat auch selbst welche gegründet.
Peter Brian Gabriel wurde am 13. Februar 1950 in der südenglischen Grafschaft Surrey geboren (es kursiert regelmäßig auch ein anderes Datum – dieses ist falsch). Sein Vater Ralph war Elektroingenieur, seine Mutter Irene Konzertpianistin; Gabriel hat noch eine Schwester namens Ann. Die Familie gehört zur gehobenen Mittelschicht und Gabriel wuchs in einem größeren Anwesen mit dazugehörigem Land auf.
Er heiratete 1971 Jill Moore. Sie haben zwei Töchter, Anna (* 1974) und Melanie (* 1976). Die Ehe wurde 1987 geschieden. 2002 heiratete er Meabh Flynn. Sie haben zwei Söhne, Isaac Ralph (* 2001) und Luc (* 2008).
1963 kam Peter Gabriel auf das Charterhouse, ein englisches Internat, das für traditionelle Werte und Disziplin stand. Gemeinsam mit seinem Mitschüler Tony Banks begann er Songs am Klavier nachzuklimpern und dann auch selbst welche zu schreiben. Im Zusammenhang mit der Aufnahme eines ersten Demotapes fanden sie sich mit einem anderen Songschreiberteam zusammen, Mike Rutherford und Anthony Phillips. Gemeinsam gründete man die Band GENESIS. Später stießen noch Steve Hackett und Phil Collins zu dieser Formation. Gabriel war ihr Sänger und Frontmann.
GENESIS machte als Gruppe mit außerordentlichem Erscheinen von sich reden – musikalisch wie auch inszenatorisch. Die Kompositionen waren eine Gratwanderung zwischen Folk, Rock und Klassik, unter den zentralen Stücken war kaum eins unter 7 Minuten Länge. Textlich beinhalteten sie meist vertrackte, wortverspielte Geschichten. Man merkte, das die Bandmitglieder aus einem den traditionellen Werten und Künsten verpflichteten Umfeld kamen.
Bei den Konzerten genoss es Gabriel, sich auf der Bühne in (für damalige Verhältnisse) opulenten Bildern auszutoben. Besonders Masken verschiedenster Stile hatten es ihm angetan. In ihnen bewegte er sich mimisch vergrößert mal poetisch, mal grotesk, mal obszön. Die Konzerte bekamen dadurch einen beinahe surrealen Charakter. Nach Außen hin wurde Gabriel mehr und mehr als Zentrum von GENESIS wahrgenommen, die Musik jedoch entstand stets gemeinschaftlich. In der Zeit von 1969 bis 1975 veröffentlichte die Band sechs Studioplatten und eine Liveauskopplung.
Höhepunkt war sicher das Doppelalbum The Lamb Lies Down On Broadway, das zumindest textlich von Gabriel allein stammte, eine durchgehende, abstrus-düstere Geschichte erzählte und in den Konzerten in einer theaterhaften, durchinszenierten Aufführung dargeboten wurde.
1975 verließ Gabriel GENESIS dann jedoch. Laut eigenen Aussagen, weil ihm der Druck in der Gruppe zu hoch wurde, er fühlte sich eingezwängt – menschlich und kreativ. Zudem mahlte der Business auch zu heftig an seinen Knochen. Er wollte ausufernd sein und nicht zügig, in einem straffen Gesamtzusammenhang nicht mehr vorkommen. Die übrigen Mitglieder fühlten sich zudem zunehmen durch die auffälligen Inszenierungen Gabriels ihrer Bedeutung beraubt. Man blieb sich jedoch freundschaftlich verbunden und sollte in der Zukunft auch immer wieder aufeinandertreffen.
Erstaunlich bleibt, dass die Zeit bei GENESIS, die im gesamten künstlerischen Wirken von Peter Gabriel nur 7 Jahre ausmacht, in der Öffentlichkeit bis heute stark nachhallt und er in den Medien immer noch gerne als „Ex-Genesis-Frontmann“ bezeichnet wird.
Nach seinem Ausstieg zog sich Gabriel zurück, genoss zunächst das Leben mit seiner Familie, versuchte mit verschiedenen Dingen Geld zu verdienen (unter anderem mit dem Anbau von Kohl) und ein ’normaler‘ Mensch zu sein. Er kümmerte sich vorgeblich nicht mehr um Musik.
Tatsächlich fanden aber doch einige kleine Projekte statt. Auch Solsbury Hillund Here Comes The Flood, bedeutende Stücke seines Gesamtwerks, entstanden zu dieser Zeit. Und wenn man deren Texte unter Berücksichtigung seiner damaligen Situation liest, bekommen sie eine recht existentielle Bedeutung.
Die 70er
Schließlich fand Gabriel aber doch wieder den Weg in ein Musikstudio. Zum einen hatte er mit seiner Familie zunehmend Geldprobleme, zum andern gab es offenbar doch einen kreativen Teil in seiner Seele, der befriedigt werden wollte. Seine damalige Frau war jedenfalls ganz froh, dass er aus seiner lethargischen Introvertiertheit herauszufinden begann.
Die ersten vier Alben von ihm haben keine Titel sondern heißen schlicht peter gabriel. Dazu sagte er selbst, dass er seine Alben wie Ausgaben einer Zeitschrift betrachtet haben wolle, die auch keine individuellen Titel bekommen. Da dieses Verfahren aber bei Händlern und Fans zu Benennungsschwierigkeiten führte, haben sich für die ersten vier Alben inoffizielle Namen eingebürgert, die sich jeweils auf das Coverbild beziehen.
Für das erste Album („Car“) begab sich Gabriel 1977, noch unsicher und seinen Weg suchend, in die Hände des Produzenten Bob Ezrin, der eher der Bombast-Rock-Ecke zuzurechnen war (Alice Cooper, Kiss). Aufgenommen wurde in Kanada – weit weg vom heimatlichen England, dem Charterhouse und allem, was Gabriel mit der alten Band verband. Die Musik bekam einen pathetischen, raumgreifenden Klang und versuchte einen Spagat zwischen verschroben-eigensinnigem und gefälligem zu begehen.
Das entscheidende Stück auf dem Album war Solsbury Hill, das auf kryptische Weise vom Heimkehren erzählte und Gabriel eine erste Erfolgssingle einbrachte. Aber auch das hier noch entsprechend dem Zeitgeist aufgeplusterte Here Comes The Flood sollte in einer viel schlichteren Piano-Version einen festen Platz bei den Liveauftritten Gabriels haben.
Bei den sich nun anschließenden Konzerten musste er natürlich mit seiner exzentrischen Bühnenvergangenheit umgehen. Den Auftakt seiner Tour nannte er „expect the unexpected“ und trat, statt mit bunten Masken, im grauen Trainingsanzug auf. Das kam aber in gewisser Weise einer Verkleidung ebenso gleich.
Auch ein Jahr später bei seinem zweitem Solowerk von 1978 („Scratch“) suchte Gabriel noch seine musikalische Sprache. Allerdings in die entgegengesetzte Richtung als beim Vorgänger. Der Produzent war diesmal Robert Fripp, bekannt als Gitarrist von King Crimson, und eher ein intellektueller, verzwickter Typ. So hatte dann dieses Album, trotz der Bemühung um bodenständige Rockmusik, eine gefasste Atmosphäre – manche bezeichneten sie als britisch trocken. Es zeigte sich aber auch mehr als beim Vorgänger der Wille um Experimentierfreudigkeit – schließlich hatte Fripp technisch-musikalisches Spielszeug dabei. Mit On The Air und D.I.Y. hatte das Album zwei recht beliebte Nummern.
In der anschließenden Tour traten Gabriel und seine Band in Warnwesten auf, er trug Arbeitshandschuhe und bemühte sich um ein kraftvolles, wildes, fast zorniges Auftreten. Das stand seinem Bemühen um Eindringlichkeit aber nicht im Wege, im Gegenteil: Erstaunlicherweise zeigte sich gerade dadurch seine Tendenz zum Depressiven und die selbsttherapeutische Wirkung seiner Musik, die auch noch lange Zeit vorherrschend bleiben sollte.
Alles in allem war ihm der Start in seine Solokarriere aber gelungen. Er konnte Ende der 70er Jahre auf zwei recht vielversprechende Alben, kleine Chart-Erfolge und ausgedehnte Tourneen zurückblicken, die seine seelische, kreative und finanzielle Situation entscheidend verbesserten.
Die 80er
Sein nächstes Album erschien 1980 („Melt“). Mittlerweile hatte die Elektronik reichlich Einzug in sein Studio gehalten. War sie bis dahin noch eine Randerscheinung, die vor allem Akzente setzen sollte, wurde sie beim dritten Album zu einem grundlegenden musikalischen Instrument.
Zunächst waren durch den Gebrauch von Drumcomputern Rhythmen zum zentralen Fundament der Kompositionen geworden. Zudem experimentierte Gabriel mit Synthesizern aller Art und vor allem mit dem Fairlight CMI, dem ersten Sampler. Und noch etwas gewann an Form in Gabriels Wirken: Sein Interesse an Musik von außereuropäischen Ländern. Bei Biko war schon überdeutlich die Beschäftigung mit der afrikanischen Kultur zu erleben. Dieses Stück um den ermordeten südafrikanischen Freiheitskämpfer Steven Biko verdeutlichte zudem Gabriels Einsatz für politische Ziele. Auch die recht erfolgreiche Single Games Without Frontiers ging einem politischen Grundgedanken nach.
Produziert wurde das Album von Steve Lillywhite (U2, Talking Heads, XTC), der zusammen mit Gabriel eine ganz eigenwillige Mischung aus Kraft und Melancholie zauberte. Die Arrangements gerieten kratzbürstig und aufweckend, die atmosphärische Wirkung düster und beunruhigend. Textlich verstand er es mittlerweile meisterhaft sich in außerordentliche Lebenssituationen einzufühlen und Seelenlandschaften zu beschreiben. Dass es sich dabei um eher zerrissene Menschenbilder handelte, mag einen Einblick in die Persönlichkeit Gabriels geben.
Sein Wunsch, sich auf Tournee in der jeweiligen Sprache des Gastlandes verständlich machen zu wollen, und seine Ansagen übersetzt vorzutragen, führte dazu, dass er an die verschiedenen Landesdependancen seiner Plattenfirma herantrat, um sein neues Album auch in deren Sprache aufzunehmen. Nur die deutsche Abteilung zeigte sich interessiert und so wurde Gabriels Fremdsprachenprojekt auf Deutsch ausgeführt (obwohl ihm Italienisch oder Französisch wahrscheinlich lieber gewesen wäre). Das Album Nummer drei erschien nun also auch in einer Version, bei der alle Lieder von Horst Königstein ins Deutsche übersetzt und von Gabriel neu eingesungen worden waren.
Zur Tour des dritten Albums traten Gabriel und Band in schwarz-weißen Ganzkörperanzügen auf, wie sie Rennfahrer tragen. Und spätestens als sich Peter während der Tour den Kopf kahl rasierte, bekam sein Auftritt etwas spukhaftes und doch erhabenes.
Im Folgenden wurde sein Interesse an ethnischer Musik immer stärker. Um ihr eine Plattform bieten zu können gründete er die Organisation WOMAD (World of Music Arts and Dance). Sie brachte 1982 eine erste Weltmusikplatte heraus und organisierte bald darauf ein Festival. Das geriet jedoch zum finanziellen Desaster, weil viel zu wenige Zuschauer kamen. Die angelaufenen Schulden trug Gabriel mit Unterstützung seiner ehemaligen GENESIS-Kollegen ab, in dem sie gemeinsam ein einmaliges, geradezu legendäres Wiedervereinigungskonzert gaben.
1982 erschien dann sein viertes Album, das gegen seinen Willen in den USA den Namen „Security“ erhielt. Dies ist also quasi ein halboffizieller Titel. Die acht Stücke bezeugten allesamt, dass Gabriel und sein Produzent David Lord (Tears For Fears, Peter Hammill, Tori Amos) mit Sorgfalt und großem musikschöpferischen Können vorgegangen waren. Man hörte die viele Feilarbeit den ausgereiften Arrangements an – wieder dauerte es zwei Jahre bis zur Vollendung. Samples und Loops hatten mittlerweile zentrale Bedeutung bekommen, wobei Gabriel synthetische Klänge aber vermied, sich um einen eher erdigen Sound bemühte und damit geradezu richtungsweisend vorging.
Das Album hatte erneut einen melancholischen Grundton, der aber hier nicht mehr so verstörend wie auf dem Vorgänger wirkte, sondern wärmeren Schwingungen gewichen war. Trotzdem war es mit Shock The Monkey das zerbrochenste und aggressivste Stück, das ein passabler Singleerfolg wurde. Hingegen wurde San Jacinto mit seiner berührenden Durchhaltestimmung zum unvergänglichen Konzert-Evergreen.
Auch das vierte Album wurde in einer deutschen Ausgabe herausgebracht. Diesmal war auch mehr in die Abmischung der Musik eingegriffen worden. Ohne dass wirklich neue Mixe entstanden wären, gab es doch spürbare Änderungen, die den Stücken bisweilen kleine Überraschungen abgewannen.
Zur anschließenden Tour bemalte sich Gabriel das Gesicht mit einem Make-up, das Assoziationen zwischen Pantomimenmaske und Affengesicht weckte und zur theatralischen Gesamterscheinung beitrug, die bei Gabriels Konzerten nach wie vor zentral waren.
Nach der ersten Hälfte der Tournee durch Nordamerika erschien mit Plays live sein erstes Konzertalbum. Mittlerweile hatte Gabriel Freude an Feinjustierung bekommen und so wurde an den Konzertaufnahmen „nahezu alles“ (David Rhodes) nachbearbeitet – ein Verfahren, das Gabriel auch in Zukunft bei Liveveröffentlichungen anwenden sollte. Das Album dokumentiert aber trotzdem den Stand von Gabriels Schaffen – die Nocheinflüsse von Rockmusik und die bereits deutlichen Anteile von elektronisch-digitaler Instrumentierung.
Es folgten einzelne kleine Songs zu Filmen wie Against All Odds oder Gremlins. 1985 brachte Gabriel mit Birdy dann seinen ersten Soundtrack für einen ganzen Film heraus. Der Regisseur, Alan Parker, hatte ihn für diese Aufgabe haben wollen und einige Stücke der beiden letzten Alben ausgesucht, die er verarbeitet wissen wollte. Wieder waren es eine gewisse Schwere und doch sehnsüchtige Weite, die die gesamte Musik ausstrahlte. Bei diesem Album arbeitete Gabriel zum ersten mal mit dem Produzenten Daniel Lanois (U2, Brian Eno, Bob Dylan). Beide leisteten in der Zusammenbringung von Gefühl und Klarheit bemerkenswertes.
Mit seinem fünften Album So von 1986 (erneut mit Daniel Lanois an seiner Seite) gelang Gabriel dann der Sprung zum Superstar. Und das war bei diesem Werk nicht erstaunlich. Verblieben waren das Melancholische, die Nachdenklichkeit in den Texten, die experimentierfreudige Musik. Aber nie vorher (und auch nie mehr nachher) hatte Gabriel dabei so eingängig und elegant geklungen. Die Produktionszeit betrug inzwischen allerdings vier Jahre. So war im Übrigen das erste Album von Peter Gabriel, das einen eigenen Titel hatte. Jedoch wurde der Name nur durch einen Aufkleber genannt – zog man ihn vom Cover ab, war das Album wieder namenlos.
Musikvideos zu verschiedenen Songs von Gabriel hatte es bereits einige gegeben. Meist wohnte ihnen zwar eine bestechende Ästhetik inne, aber sie schafften es kaum, größere Beachtung zu finden. Nun aber sollte mit Sledgehammer nicht nur Gabriels ganz große Hitsingle erscheinen, sie sollte auch mit einem Videoclip daherkommen, der zu wahren Begeisterungsstürmen führte. Tatsächlich war das charmante Gewusel aus Knetgummimännchen, -gegenständen und -landschaften von höchstem Unterhaltungswert ohne dumm zu sein. Das Video wurde mit Preisen überhäuft und gehörte lange zu den meistausgestrahltesten MTV-Clips überhaupt. Auch allen nachfolgenden Single-Auskopplungen von So(fünf im Ganzen) spendierte man aufregende Videos und zumindest bei Big Time blieb auch der Animationsstil erhalten. Dagegen setzte Don’t Give Up mit gleich zwei Clips auf eher ruhige Bilder.
Im Jahre 1987 erschien dann eine erste Zusammenstellung seiner Clips, die CV hieß und die acht wichtigsten Werke vereinte.
Bei den Konzerten zu Sosetzte man diesmal auf einen schnörkellosen, schlichten Stil. Er bewahrte sich immer noch seinen theatralische Ausdruck, nutzte diesmal aber vor allem vier fahrbare, scheinwerferbestückte große Roboterarme für frappante Effekte. Dazu spielte eine Band, die vermutlich Gabriels schöngeistigste und intelligenteste war, die er je hatte. Nicht unbedeutend war auch, dass im Vorprogramm und zur Zugabe von In Your Eyes ein junger Senegalese auf der Bühne sang, der nach dieser Tour mit seiner Mbalax-Musik Weltkarriere machen sollte. Sein Name: Youssou N’Dour.
Ein Konzertmitschnitt wurde drei Jahre später (!) auf Videocassette veröffentlicht, und hieß PoV(„Point of View“). Die Ablichtung des Bühnengeschehens wurde dabei mit Material aus Archiven und Privatfilmen angereichert. Gabriels Wille, sich nicht mit Einfachem zufrieden zu geben, sondern stets zu versuchen, den Dingen eine zusätzliche Dimension zu verleihen, kam hier deutlichst zum tragen.
Sein Engagement für politische Interessen führte 1988 zu seiner Beteiligung an der Human Rights Now!-Tourfür AMNESTY INTERNATIONAL. Diese Benefiz-Veranstaltung führte ihn gemeinsam mit den anderen Headlinern Bruce Springsteen, Sting, Tracy Chapman und Youssou N’Dour an viele Winkel der Welt, wo es galt, für die Belange von AMNESTY zu werben und deren Aktivitäten zu stärken.
Das Geld, das er inzwischen mit Sound der dazugehöriger Tour verdient hatte, steckte er in die Erweiterung seiner Aufnahmeräume. Er konnte in dem kleinen Ort Box bei Bath ein altes Wassermühlengebäude kaufen, ausbauen und sein Realworld-Studio begründen. Das führte recht bald zur Gründung seines eigenen Realworld-Labels, das sich zur Aufgabe machte, Weltmusik zu produzieren und zu vertreiben und dabei den Dialog zwischen der westlichen und anderen Kulturen zu fördern.
War also in der Karriere von Gabriel alles in Ordnung, ging es ihm privat gar nicht gut. Schon länger kriselte seine Ehe mit Jill. Ewig laborierte er damit herum, ging zu Therapien und machte da auch kein Geheimnis draus. Schließlich kam es aber doch zum endgültigen Bruch. Die Auseinandersetzung damit sollte auch für sein künstlerisches Schaffen noch sehr bedeutsam werden.
1989 kam aber zunächst das Album Passion heraus. Wieder ein Soundtrack, diesmal zu dem Film The Last Temptation Of Jesus Christ. Über den Film ist viel geredet worden – in erster Linie strittig. Das Album aber wurde mit Anerkennungen und Preisen überhäuft und führte zu einer fast erstaunlichen Begeisterung. Gabriel hatte versucht traditionelle, vorwiegend arabische und nordafrikanische Musik mit westlichen Mustern zu verbinden, womit ihm ein Meilenstein der „ethnischen Musik“ gelungen war. Viele Themen finden auch heute immer wieder im Fernsehen bei Dokumentationen Verwendung und sind oft kopiert worden. Das Album war übrigens das erste, das auf Gabriels eigenem Realworld-Label erschien.
Gabriel konnte also mittlerweile auf weltweiten Megaerfolg blicken, auf die zusehends größer werdende Möglichkeiten, seine Träume zu verwirklichen – aber auch auf persönliche Probleme. So endete das Jahrzehnt, in dem es zu dem bislang größten kreativen Ausstoß Gabriels kam.
Die 90er
Das Jahrzehnt begann mit Gabriels erster Greatest Hits Sammlung, die den Titel Shaking The Tree bekam. Natürlich konnte selbst hier Gabriel das Basteln nicht lassen und feilte diesmal an einigen Übergängen der Songs, die ansonsten einen Querschnitt durch sein bisheriges Schaffen darstellten.
Außerdem hatte er inzwischen eine Organisation namens Witnessgegründet, die es sich zur Aufgabe machte, Möglichkeiten zu bieten, die Verletzung von Menschenrechten mithilfe von Videoequipment zu dokumentieren und in die Welt zu tragen.
1992 veröffentlichte Gabriel dann nach mittlerweile sechs Jahren Pause ein neues Studioalbum. Mit dessen Namen US verkündete er sein Interesse am Gemeinschaftlichen, am Teamwork und an zweibuchstabigen Albumtiteln. Die neuen Stücke drehten sich immer wieder um das Miteinander der Menschen. Mal im gesellschaftlich-politischen, meist aber im partnerschaftlich-persönlichen Sinne. Viele Aspekte seiner Scheidung, seiner Affären und den Auseinandersetzung mit sich selbst waren eingeflossen, wie gleich in die erste Single Digging In The Dirt. War das Album textlich sehr persönlich, so mischten sich musikalisch So und Passion, kamen verschiedenste Ideen und sehr viel Material unterschiedlichster (Welt)Musiker zum Tragen. Und doch war es sein zweiterfolgreichstes Album überhaupt. Auch bemerkenswert: Gabriel bat bildende Künstler, für das CD-Booklet Kunstwerke zu je einem der enthaltenen Songs zu schaffen.
Was sich anschloss war eine Tour, die zum größten und aufwendigsten gehörte, was Gabriel jemals gemacht hat. Er engagierte für die Konzeption und Umsetzung den kanadischen Theaterexperimentierer Robert Lepage und agierte schließlich auf zwei durch einen Fließbandsteg verbundene Bühnen, teilweise in der Mitte des Publikums, unter Einbeziehung etlicher Versatzstücke wie eines Baums oder eines Holzfloßes. Videoprojektionen hatten zentrale Bedeutung und auch sonst passierte enorm viel. Es zeigte sich deutlich: die Melancholie wich Konzepten. Durch Therapien anders abreagiert, stellte Musik für Gabriel zunehmend ein Mittel zur Gedankenkommunikation und nicht mehr zur Seelenbefriedigung dar. Im Übrigen war als Gesangspartnerin ab dem zweiten Tourabschnitt Paula Cole in der Band, die sinnliche Vibration einbrachte und später selbst Soloerfolge hatte.
Natürlich wurde dieses Ereignis auf Video gebannt. Der Konzertfilm Secret World Live erschien diesmal auch recht bald (1994) – noch während die Tour lief.
Was dann folgte, war eine Zeit der langen Stille. Außer kleinen Einzelereignissen und der Weiterverwertung bereits bekannter Melodien kam es in diesem Jahrzehnt zu keinen zentralen musikalischen Lebenszeichen mehr. Man hörte, dass es in seinen Studios mehrfach zu den sogenannten Realworld-Recording-Weeks kam, bei der sich eine Vielzahl internationaler Musiker zum gemeinsamen Jammen trafen. Doch nach außen drang davon quasi nichts.
Statt dessen widmete sich Gabriel der aufkommenden Multimedialität und kreierte (gemeinsam mit vielen Programmierern, Wissenschaftlern und Künstlern) zwei CD-ROMs, mit dem Ziel, seiner Musik eine zusätzliche, spielerische und visuelle Dimension zu geben.
1993 erschien zunächst X-PLORA 1. Wieder einmal war Gabriel Vorreiter, denn ein derartiges Projekt hatte es von einem Musiker bis dahin nicht gegeben. Es handelte sich um eine Art Such-Spiel-Wiese, die Gabriels Biographie, Arbeitsumfeld und Musik zum Inhalt hat. Aus heutiger Sicht bietet das Ganze wenig mehr als eine moderne Homepage kann – damals waren die Techniken und Ideen revolutionär. Bemerkenswert war vor allem die Möglichkeit, bei Digging In The Dirt in den Mix einzugreifen. Der Hörer wurde zum „Mitmischer“ – ein Gedanke, den Gabriel noch länger verfolgen sollte.
1996 erschien dann die Zweite CD-ROM mit dem Namen EVE. Es war die konsequente Weiterentwicklung des Vorgängers. Diesmal gab es eine Art zugrundeliegender Handlung und das Ganze war konzeptionell, graphisch und musikalisch wesentlich komplexer geworden. Man bewegte sich durch eine Landschaft, die sich beständig veränderte, verschiedene Entwicklungen der industriellen Gesellschaft wiederspiegelte und suchte nach seiner „besseren Hälfte“. Noch größeren Raum bekam die Sektion zugesprochen, in der man eigene Musikmixe von gleich vier Gabrielsongs produzieren konnte, diesmal sogar noch visuell aufgewertet.
Nach diesen beiden Veröffentlichungen versankt Gabriel endgültig in Schweigen. Es wurde immer wieder von einem neuen Album berichtet, das UPheißen sollte, doch verschob sich dessen Erscheinen ein ums andere Mal.
Statt dessen mischte er an einer Archiv-Box mit, die Material der alten Tage von GENESIS beinhaltete (Archive Vol. 1: 1967-1975). Zu diesem Anlass gab es ein Treffen mit den ehemaligen Bandkollegen und ab da fanden regelmäßig Gerüchte um eine Wiedervereinigung den Weg in die Welt. Tatsächlich wurde 1999 aber „nur“ eine Neuaufnahme des Lamb-Lies-Down-Songs Carpet Crawlers in einer Produktion von Trevor Horn veröffentlicht.
Ansonsten hatte Gabriel mittlerweile so viele Projekte und Ideen im Kopf, dass er in allgemeinem Gewurschtel versank. So neigte sich dieses letzte Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts gabrielisch betrachtet eher unbefriedigend dem Ende entgegen.
Die 2000er
Zu Beginn des neuen Jahrtausends überraschte Gabriel mit einem beinahe explosionsartigen Ausstoß an neuem Material. Zunächst erschien im Jahr 2000 OVO, ein Projekt, das Gabriel viel länger als geplant von der Fertigstellung seines nächsten Soloalbums abgehalten hatte. Es handelte sich um die Musik zu der gleichnamigen Show, die im sogenannten Milleniumdome in London aufgeführt wurde – eine Art kurzes Akrobatikmusical für die ganze Familie. Die Geschichte über den Start in ein neues Zeitalter, irgendwo zwischen verträumt, psychoanalytisch, politisch und metaphysisch, hatte Gabriel mitskizziert. Musikalisch trafen eine ganze Reihe Einflüsse aufeinander und es gab – erstmalig bei Gabriel – auch Gäste für die Hauptgesangsparts. Das Ergebnis war ein Zwitter aus Soundtrack und Songalbum und für Gabriel eher ungewöhnlich – wenn auch unverkennbar mit seiner Handschrift ausgestattet.
2002 kam dann überraschend ein weiterer Soundtrack heraus. Diesmal zu dem Film Long Walk Home, der von den Zwangserziehungsmaßnamen erzählt, die man im frühen zwanzigsten Jahrhundert australischen Aborigines antat, und vom langen Marsch dreier ihrer Mädchen nach Hause. Das Werk verarbeitete verschiedenes Gabriel-Material, wurde aber im eigentlichen Sinne von seinen langjährigen Wegbegleitern David Rhodes und Richard Evans arrangiert. Wieder waren es düster-anrührende Töne die hier vorherrschten und mit verschiedensten Klängen aus Natur- und Tierreich (meist verfremdet – teilweise bis zur Unkenntlichkeit) gekoppelt wurden.
Und dann, im Jahre 2002, erschien endlich Gabriels siebtes Studioalbum – zehn Jahren nach dem letzten. Kurz vorher richtete er auf seiner Webseite den Full Moon Club ein und sandte nun zu jedem Vollmond Videobotschaften an seine Fans aus. Er führte vor dem Erscheinen des Albums auch eine Umfrage durch, ob es wie jahrelang angekündigt nun Up oder statt dessen I/O heißen solle. Man stimmte mehrheitlich für Up.
Gabriel hatte sich bei dem größtenteils alleine produzierten Album von den ethnischen Klängen der Passion– und US-Zeiten entfernt. Die vielen Schichten kamen besser zur Wirkung, die Musik war klarer. Viele Texte beschäftigten sich mit dem Thema Tod und entsprechend dunkel war die Grundfärbung der Lieder – ohne jedoch ausschließlich Verzweiflung widerzuspiegeln. Als Single ausgekoppelt wurden The Barry Williams Show, More Than This und Growing Up. Analog zu dem Kunst-Projekt von US wurden diesmal zu jedem Song Schwarz/Weiß-Bilder internationaler Fotografen zusammengetragen.
Gabriel ging nach dem Erscheinen auf Growing Up Live Tour. Wieder wurde Robert Lepage verpflichtet, wenn auch diesmal die Dimension der Bühnenpräsentation weitaus übersichtlicher ausfiel. Gabriel und Band performten von einer Rundbühne in der Saalmitte aus – was Nähe und Desorientierung zugleich schuf. Bühnenobjekte bewegten sich – analog zum Thema „Up“ – entlang der Vertikalen. Im Übrigen hatte er als Backgroundsängerin seine Tochter Melanie dabei.
Ab dem zweiten Tourabschnitt durch Nordamerika kamen die Fans noch in einen besonderen Genuss: Alle Konzerte wurden als Soundboard-Mitschnitt auf CD veröffentlicht. Es gab also von jeder Show quasi einen offiziellen Bootleg zu kaufen – die sogenannte Encore-Series. Auch bei späteren Tourneen wurde dieses Angebot aufrechterhalten.
Growing Up Live wurde 2003 auch wieder aufgezeichnet und als DVD verewigt. Und noch zwei weitere Filme dokumentierten die über zweijährige Tour: Tochter Anna Gabriel hatte den ersten Abschnitt mit der Kamera begleitet und daraus A Family Portrait (2004) gemacht. Und mit Still Growing Up: Live And Unwrapped erschien 2005 eine kuriose Doppel-DVD, auf der sich sechs Konzerte optisch mischten und im zweiten Teil derselbe Konzertfilm mit Doku-Material erweitert wurde – wieder von Tochter Anna gedreht.
2003 erschien außerdem noch Gabriels zweite Best-Of-Compilation HIT – obskurerweise in gleich vier Variationen: als einfache und als Doppel-CD, wobei die zweite Scheibe (mit dem beziehungsreichen Namen „Miss“) jeweils mit unterschiedlicher Trackliste für den internationalen, den amerikanischen und den deutschen Markt herauskam.
2004 brachte Gabriel dann im Rahmen seiner „Vergangenheitsbewältigung“ auch noch eine Kompilation seiner Musikvideos heraus. Play hieß das Werk und mit 24 Clips war fast alles vertreten, was Gabriel auf diesem Gebiet gemacht hatte.
Ein Gabriel sehr wichtiges politisches Projekt ging 2007 an den Start. The Elders versammelt 10 bedeutende, aber inzwischen politisch ungebundene Persönlichkeiten wie etwa Nelson Mandela, Kofi Annan oder Jimmy Carter zu einer Art „Ältestenrat“, der sich um die Lösung globaler Probleme bemüht. Gabriel beschrieb, dass man den Mitgliedern in der gesamten Welt Anerkennung zeugte, und sie in der Lage seien, bei Staatsmännern anzurufen „und auch durchgestellt zu werden“.
Auch Gabriel selbst blieb beinahe erschreckend umtriebig. 2007 begab er sich überraschend auf die sogenannte Warm Up Tour. Ursprünglich sollte für das Jubiläumsfestival von WOMAD nur ein einziger Auftritt vorbereitet werden. Doch das ganze dehnte sich zu einer kleinen Europatour aus. Im Full Moon Club ließ er über Setlisten-Wünsche abstimmen und so wurden auch Songs dargeboten, die er seit 20 Jahren nicht mehr gespielt hatte. Zeitgleich war übrigens GENESIS auf ihrer Turn It On Again Tour. Gabriel war im Vorfeld zwar um Beteiligung gebeten worden, hatte sich dazu aber nicht durchringen können.
2008 erschien Big Blue Ball. Das Album war gewissermaßen ein Mythos, weil zum einen die zugrunde liegenden Realworld-Recording-Weeks schon 13 Jahre und länger her waren, zum anderen handelte es sich um eine Veröffentlichung mit Beteiligung von Gabriel, was vielfach dazu führte, dass das Album für sein neues Solowerk gehalten wurde (er ist jedoch nur auf drei Songs zu hören).
2009 folgte überraschend die Latin-America-Tour. Sie umfasste nur sieben Termine – da er diese Region aber seit US-Zeiten praktisch nicht mehr besucht hatte, wurde er dort besonders enthusiastisch empfangen.
Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wirkte, auf Gabriel bezogen, im Ganzen wesentlich weniger leer, als die 90er. Allerdings gab es auch immer wieder vergebliche Spekulationen und seine typischen, leicht voreiligen Ankündigungen zu verschiedenen Neu- und Wiedererscheinungen.
Die 2010er
Mit einem ungewöhnlichen Projekt wartete Gabriel zum Beginn des Jahres 2010 auf. Scratch My Back war eine Zusammenstellung von zwölf Popsongs anderer Musiker, die er neu eingespielt hatte. Alle wurden ausschließlich für klassisches Orchester und Klavier arrangiert. No Drums, no Guitars. Statt eigene Neukompositionen herauszubringen, interpretierte er also auf eine (auch für ihn) völlig ungewohnte Art Werke anderer Künstler. Die Ergebnisse waren herausfordernd und nicht alle konnten sich gleich damit anfreunden.
Eine zusätzliche Idee war, dass die zwölf Originalinterpreten der Stücke im Gegenzug je ein Lied von Gabriel einspielen sollten, um sie dann auf einem eigenen Album zu veröffentlichen, für das der Titel And I’ll Scratch Yours vorgesehen war. Dieses zweite Album erschien jedoch zunächst nicht, da nur sechs Coverversionen zurückkamen. Erst 2013 kam es völlig unerwartet doch noch – mit zwölf Stücken, aber einige von „Ersatzkünstlern“ eingespielt.
Das Ganze Scratch My BackVorhaben war eigentlich nur als Seitenprojekt betrieben worden, hatte entgegen der Erwartung aller Beteiligten aber großen Erfolg. Die ursprünglich nur mit vier Konzerten angesetzte Livepräsentation wurde mehrmals erweitert und hatte schließlich in den Jahren 2010 bis 2012 über 50 Termine in Europa, Nord- und Südamerika.
Für die Konzerte waren auch Stücke von Gabriel in Orchesterarrangements gefasst worden. Diese wurden 2011 schließlich als eigenes Album mit dem Titel New Blood veröffentlicht. Auch ein Konzertfilm der Tour erschien unter dem Titel New Blood – Live in London im selben Jahr. Es gab davon auch eine 3D-Version, die in leicht gekürzter Fassung zunächst in Kinos zu sehen war. Die Tonspur des Films wurde 2012 noch als Doppelalbum unter dem Namen Live Blood herausgebracht. Damit fand die Orchesterphase dann aber auch ihr Ende.
2011 hatte das Album So sein 25-jähriges Jubiläum. Das sollte auch offiziell gefeiert werden. Jedoch verstrich das Jubeljahr, in dem Gabriel noch mit der New Blood Tourbeschäftigt war. Erst im Oktober 2012 kam es dann zu Aktivitäten. Zunächst erschienen drei Versionen einer So 25Edition. Davon war die Deluxe Edition Box unter den Fans sehr umstritten, sie enthielt aber auch die lang ersehnte und bereits mehrfach in Aussicht gestellte digitale Veröffentlichung des PoV Films von 1990 – allerdings als pures Konzert ohne das ergänzende Zusatzmaterial. Deshalb trug der Film jetzt den Namen Live in Athens. Seine Audiospur gab es zudem ein weiteres Mal als DoppelCD.
Außerdem ging Gabriel noch auf So-Jubiläumstour – und zwar mit der selben hochkarätigen Band wie Anno ’86/87. Die Tour führte Ende 2012 zunächst nur durch Nordamerika, für Ende 2013 und Anfang 2014 kamen jedoch später Europa-Termine hinzu.
Zwischen den ersten beiden Tourabschnitten nahm Gabriel jedoch überraschend für ein Jahr eine Auszeit und machte mit seiner Familie eine Weltreise. Zu diesem Anlass endeten auch die Fullmoon-Updates auf seiner Webseite.
2014 wurde Gabriel dann in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Zudem gab es eine Wiederbegegnung mit den alten Freunden von GENESIS, denn gemeinsam brachte man mit R-Kive eine Best-Of-Sammlung heraus sowie mit Sum Of The Parts eine Fernsehdokumentation über die Band und deren (ehemalige) Mitglieder. Beide Veröffentlichungen waren bei Fans allerdings wegen (fehlender) Inhalte höchst umstritten.
Im Frühjahr 2016 ging Gabriel völlig unerwartet gemeinsam mit Sting auf eine Doppelpacktournee. Allerdings nur durch Nordamerika. Europatermine gab es nie – obwohl die 21 Konzerte erfolgreich waren. Über Gründe kann man nur spekulieren.
Und obwohl Gabriel wiederholt berichtete, energisch an einem neuen Album zu arbeiten, hüllte er sich auf einmal für einige Zeit in Schweigen. Später wurde bekannt, dass er sich wegen einer ernsthaften Erkrankung seiner Frau nicht weiter um Musik hatte kümmern können.
Dafür überraschte er im Frühjahr 2019 mit einem Album-Beitrag zum Record Store Day: Rated PG enthielt ausschließlich Songs zu Filmen aus allen Epochen seines Schaffens. Eingeschlossen waren auch Remixe und sogar ein paar unbekannte Tracks. Im Herbst folgte dann – wieder völlig überraschend – mit Flotsam & Jetsam die Veröffentlichung einer sehr umfangreichen Compilation von Alternativ-Versionen und B-Seiten-Tracks. Fast alles davon war bereits früher schon mal erhältlich gewesen, eine solche Versammlung rarer Stücke hatte es bisher aber noch nicht gegeben. Leider erschien sie nur als Download.
Die 2020er
Von einem neuen Album wurde weiterhin immer wieder gesprochen. Von Aufnahmesessions im Spätsommer 2021 war die Rede, bei denen an 23 Songs gearbeitet worden war. Gabriel (oder andere, wie Manu Katché) machten Andeutungen, dass eine Veröffentlichung jetzt ganz nah sei.
Im November 2022 (pünktlich zum Vollmond) wurde erst aber mal eine Tour angekündigt. – Zunächst durch Europa – Termine für Nordamerika folgten später. Vom Album weiterhin keine Spur.
Doch dann endlich – endlich erschien ein erster Track: Panopticom. Was zunächst für die Vorabsingle gehalten wurde, war tatsächlich der Beginn einer eigenwilligen Veröffentlichungsstrategie: Zu jedem Vollmond erschien ausschließlich online ein weiteres Stück – wahlweise im Bright-Side oder Dark-Side Mix, und dann zum Neumond der jeweils anderen Mix. Zusätzlich wurde immer ein sogenannter In-Side Mix in Dolby-Atmos herausgebracht. Das Album – das tatsächlich i/o hieß (jetzt in Kleinbuchstaben) – setzte sich so über das Jahr hinweg „wie ein Lego Bausatz“ zusammen. Dazu bot Gabriel auf Bandcamp ein eigenes Abonnement an.
Jedem Track wurde außerdem wieder das Kunstwerk eines zeitgenössichen Künstlers beigestellt. Ihnen wurde spürbar Bedeutung beigemessen und auch bei der der Tour zum Album spielten sie bei den Bühnenprojektionen eine zentrale Rolle.
Die Tour auf zwei Kontinenten hatte knapp 50 Termine im Früh- bzw. Spätsommer. Eine Verlängerung wurde zunächst nicht bekannt gegeben. Auf den Konzerten spielte Gabriel immer fast alles von i/ound das, obwohl das Album noch nicht erschienen war und mindestens die Hälfte der Songs noch völlig unbekannt waren. Eine mutige und fordernde Entscheidung.
Erst zum 1. Dezember 2023 erschien das komplette Album dann auf physischen Tonträgern. Endlich lag i/o vor.
Aber Gabriel kündigte an, weitermachen zu wollen. Das Bandcamp-Abo solle bestehen bleiben und nach einer Pause Anfang 2024, in der es dort Material aus dem Archiv geben solle, wolle er im Verlauf des Jahres weitere neue Stücke veröffentlichen. Wie das aussehen soll, was das für Material genau sein wird, ist bis Ende 2023 nicht wirklich mitgeteilt worden.
Aber wie sagt PG auch immer: „Mir geht es darum, ein interessantes Leben zu führen und die Sachen zu machen, für die ich brenne.“ Was bleibt, ist also weiterhin das Warten auf ein neues Lebenszeichen vom „Meister“, wobei er es immer schaffen wird, mit eigenwilligen, ungewöhnlichen, manchmal krausen Ergebnissen seiner Kreativität zu überraschen.
Wird fortgesetzt…
Stand: Dezember 2023
Autor: Thomas Schrage