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Peter Gabriel – And I’ll Scratch Yours – CD Rezension

2013 erscheint überraschend mit And I’ll Scratch Yours doch noch der zweite Teil des Cover- Austauschprojekts, das drei Jahre zuvor mit Scratch My Back begonnen wurde.

Da ist er also endlich: der zweite Teil des Songautauschprojekts von Peter Gabriel, das mit dem Album Scratch My Back begonnen wurde. Die Hintergründe kann man ausführlich auf unserer Infoseitenachlesen. Hier nur so viel: Nachdem Gabriel 2010 zwölf Songs verschiedenster Musiker in ungewöhnlichen Orchesterarrangements gecovert hatte, sollte jeder derer einen Gabriel-Song zurückcovern. Die ersten sechs Aufnahmen trafen recht bald ein, dann schien das ganze zu stocken. Die vorhandenen Songs wurden schließlich als Download veröffentlicht, eine CD blieb aus.

Da aus dem Hause Realworld dazu ab irgendeinem Zeitpunkt auch so gar nichts mehr zu hören war, rechnete eigentlich niemand mehr mit dem Erscheinen eines ganzen Albums. Das Tauschprojekt schien gescheitert.

Um so überraschter waren die Fans, als es im Juli 2013 aus heiterem Himmel doch noch angekündigt wurde. Drei Jahre später! – Man ist ja einiges an Langsamkeit bei Gabriel gewohnt, aber er überrascht damit doch immer wieder…

Zweie haben es jedoch nicht geschafft, auf dem Album vertreten zu sein: Neil Young und Radiohead. Ersterer kam wohl nicht aus dem Quark, bei zweiteren schien offenbar insbesondere Sänger Tom Yorke nicht mehr kommunikationswillig. Verbreitet wurde, ihm habe Gabriels Cover von Fade Out gänzlich missfallen.

Was ist And I’ll Scratch Yours nun für ein Album geworden? Gabriels Scratch My Back ist aus einem Guss: Die Aufnahmen stammten von nur einem einzigen Künstler, der sich obendrein ein strammes, markantes Korsett angelegt hatte. Wie sieht das mit den Rückgaben aus? Die zwölf versammelten Künstler kommen aus unterschiedlichsten Winkeln dessen, was man nur recht global als „Pop-Musik“ bezeichnen könnte. Verbindend ist vielleicht eine höhere Sinnlichkeit und Tiefe, als man sie bei Bohlen und Heino finden kann. Aber ergibt das ein ganzes Album?


Zunächst die zwölf Stücke im Einzelnen:

David Byrne – I Don’t Remember
Antwort auf Gabriels Cover von Listening Wind

Syntetisches Geblubber und Gequäke leiten das Album ein. Dann eine Männerstimme im Falsett. David Byrne alleine übernimmt für die Talking Heads die Rückantwort (ein Vorgehen, das uns noch ein zweites Mal begegnen wird). Die Heads waren immer bekannt für volle, leicht neurotisch wirkende Arrangements. Ihr Kopf hat nun Gabriels vehemente Rocknummer in ein eher distanziertes Stück Wirrniss verwandelt. Synthetische Drums und leicht affektierte „huhu“-Chöre decken die Verzweiflung über das nicht Erinnern können eher zu, als dass sie es veräußern. Das ist herausfordernd.

Das erste Stück weißt also schon mal eine gutes Maß an eigenständiger Interpretation auf.

Bon Iver – Come Talk To Me
Antwort auf Gabriels Cover von Flume

Ungerichtetes Gitarrengeplinker eröffnet Bon Ivers Fassung von Come Talk To me. Es geht dann über in Banjopicking und warme Synthiestreicher. Später kommen weitere liegende Klangteppiche hinzu – ein Schlagzeug erst nach dem ersten Refrain. Das Getragen-Bewegte des Originals bleibt allerdings erhalten – nicht zuletzt, weil sich Schlagzeugfiguren, saxophonartige Begleitung sowie der mehrstimmige Gesang deutlich an Gabriels Version anlehnen.

Trotz einiger Arrangementideen, die die Dynamik variieren, wirkt der Zugriff nicht sonderlich bahnbrechend.

Regina Spektor – Blood Of Eden
Antwort auf Gabriels Cover von Apres Moi

Regina Spektorgeht für ihre Interpretation einen Weg, der ebenfalls weniger auf Inhalt ausgerichtet ist. Sie reduziert die Begleitung auf Schlagzeug, Bass und natürlich Piano. Das ist schlicht und geradeheraus – und eher gutes Handwerk denn die Übernahme eines Inhalts in die musikalische Umsetzung. Jedoch ist ihre Version treibend und erfährt eine sanfte Steigerung. Im Refrain spielt und singt sie zudem mit einer ungewohnten Rhythmik gegen das Grundmetrum. Das bleibt hängen.

Eine schön-schlichte Version, die den Weg über musikalisches Geschick geht.

Stephin Merritt – Not One of Us
Antwort auf Gabriels Cover von The Book Of Love

Stephin Merritt, Sänger und Gründer von Magnetic Fields, die er hier alleine vertritt, sagte zu Gabriels Not On Of Us, es habe 1980 sehr futuristisch geklungen – seine Version klänge nach den 80ern. Entsprechend plappert uns vom ersten Augenblick eine plastikhafte Syntiebegleitung an, ein lebloses Computerdrumming knattert unentwegt – und im Refrain stimmt ein hochgepitchter Zwergenchor ein. Die Songaussage bleibt aber erhalten: Aus Gabriels Bellen einer Wolfsmeute wurde der sorglose und selbstverliebte Singsang einer Wohlstandsherde.

Das ist beißend im Spott und ein erfrischend respektloser Umgang mit Gabriels Rockoriginal.

Joseph Arthur – Shock The Monkey
keine direkte Antwort, da von Arthur kein Cover auf Scratch My Back

Um die Zahl der zwölf Zurückcover wieder zu erreichen, haben es auch zwei „Gäste“ auf das Album geschafft. Joseph Arthur war auf Scratch My Back nicht vertreten. Zu hören ist hier seine Version von Shock The Monkey, die er 2010 dem The Voice Project beisteuerte und damit dort den Staffelstab an Gabriel weitergab (der dann wiederum In The Neighborhood von Tom Waits darbot). Also ist Arthurs Shock The Monkeyals Bestandteil eines anderen Coverprojektes hier gewissermaßen sinnvoll eingefügt. Allerdings sind die The-Voice-Cover bewusst schnell und unkomplex eingespielte Einpersonendarbietungen. Eine wummernde E-Gitarre mit Endlosnachhall ist hier die einzige Begleitung zu Arthurs Gesang. Das Ergebnis ist kein aggressives Ausrasten mehr, eher erstarrtes Leiden und damit durchaus im Sinne der Songabsicht. Aber es wirkt nicht sonderlich ausgearbeitet.

Diese für Arthur eher untypische Arbeit macht auf dem Album einen merkwürdigen Eindruck.

Randy Newman – Big Time
Antwort auf Gabriels Cover von I Think It’s Going To Rain Today

Newman– dieser vielseitige Musikjongleur mit New Orleans-Bezug – wählt für seine Interpretation nicht unerwartet eine Jazz-Begleitung: Piano, Bass, Schlagzeug. Eigentlich gar nicht sonderlich extravagant, so ist seine Fassung doch sehr frei und Melodielinien etwa sind kaum wiederzuerkennen. Das kleine Ensemble spielt auch absichtlich unperfekt und ungeschliffen, wirkt wie eine Straßenband oder die Combo der Looser, die noch einmal den alten Traum vom Erfolg hochhalten will. Die Produktion ist allerdings vielschichtiger, als man auf den ersten Horch wahrnimmt.

Eine schräge, intelligente Umsetzung der Songidee.

Arcade Fire – Games Without Frontiers
Antwort auf Gabriels Cover von My Body Is A Cage

Trommeln rattern, Gitarren knarzen – Arcade Fires Version von Gamesliegt irgendwo zwischen stampfender Aggression und stumpfer Emotionslosigkeit. Der Marsch der Seelenlosen. Auch wenn des energiereicher ist als das Original, so kommt es dessen Aseptik auf gewisse Weise doch recht nahe. Vielleicht auch, weil zentrale Arrangementdetails wiederauftauchen: die gepfiffene Überleitung oder die weibliche Stimme bei „Jeux sans Frontiers“.

Groovt gut, überragen will es nicht. Angesichts der Tatsache, dass ihre Beteiligung länger fraglich war, aber ganz schön, dass Arcade Fire überhaupt mitgemacht haben.

Elbow – Mercy Street
Antwort auf Gabriels Cover von Mirrowball

Elbows Cover nimmt die verwehte Stimmung von Gabriels Fassung auf, reduziert sie jedoch auf einen zurückhaltenden Synthiefluss, leise Trommelschläge und schlichte Pianoakkorde. Das Ergebnis ist beinahe noch mystischer und meditativer als das Original. Viel Sorgfalt wurde zudem auf die mehrstimmigen Refrainchöre gelegt.

Obwohl sich diese Fassung an Gabriels Vorlage orientiert, weist sie doch eine hohe Eigenständigkeit und Tiefe auf.

Brian Eno – Mother Of Violence
Antwort auf Gabriels Cover von Heroes

Nein, Brian Eno ist nicht David Bowie. Da Bowie aber nicht wollte, scratched eben Eno zurück – einigermaßen berechtigt dazu, stammt Heroesdoch mit aus seiner Feder. Ursprünglich wurde gemunkelt, Eno wolle In Your Eyesumsetzten – geworden ist es das eher unzentrale Mother Of Violence. Schön, dass auf diese Weise auch Gabriels oft übergangenes Album II vertreten ist. Eno transformiert das schlichte Gitarrenstück in den dröhnenden Soundtrack eines SciFi-Horrorfilms. Soundloops und Drumgeratter, dunkler Sprechgesang, experimentelle Klänge und ein zunehmend dichter werdendes Arrangement.

Eine ungerichtetes Gewitter – eine böse Version.

Feist feat. Timber Timbre – Don’t Give Up
keine direkte Antwort, da von Feist kein Cover auf Scratch My Back

Feistist die andere eingesprungene Künstlerin, um die Zwölf voll zu machen. Im Sommer 2012 war sie mit Don’t Give Up schon Special Guest bei einem Konzert von Gabriels Back To Front Tour. Nun hat sie das Stück mit Verstärkung der kanadischen Folk-Band Timber Timbre im Studio eingespielt. Interessant: Die Parts sind vertauscht – Feist singt die Strophen, die Männerstimme den „Ermutigungsteil“ danach. Es gibt zunächst kaum mehr Begleitung als einen reduzierten Rhythmustrack. Viel Leere. Später wird das Arrangement dichter. Zur Mitte gibt es ein irisch angehauchtes Violinensolo. Innere Notwendigkeiten erschließen sich dabei kaum.

Alles klingt schön, gekonnt, modern.

Lou Reed – Solsbury Hill
Antwort auf Gabriels Cover von The Power Of The Heart

Zugegeben – es ist ein Wagnis, ausgerechnet Gabriels zuversichtlichsten und voranschreitendsten Song einem Kaputtnik wie Lou Reed anzuvertrauen. Keine hüpfende Lebensbejahung mehr – hier dröhnt den nachdenklich auf dem Berg Sitzenden eher der Lärm der Gesellschaft an. Doch trotz allem ist es möglich, dass diese Klangwolke eine elektrisierende Entrücktheit auslöst. Hinzu kommt, dass Reeds Sprechgesang nur immer scheinbar emotionslos ist.

Dennoch hört sich der gemeine Genesis-Fan das vorliegende Ergebnis vielleicht nicht täglich an.

Paul Simon – Biko
Antwort auf Gabriels Cover von Boy In The Bubble

Dass diesen Song Paul Simon übernimmt – derjenige, der neben Gabriel die afrikanische Musikkultur einem breiten, westlichen Publikum präsentierte – liegt nahe. Vielleicht ein wenig zu nahe. Zwar stammt auch das von PG gecoverte Stück aus einem afro-afinem Werk Simons, aber muss man diese Assoziation ständig bedienen? Immerhin: Hier wurden keine trommellastigen Ritualtänze arrangiert, Simon konzentriert sich auf eher folkiges Gitarrenspiel, ergänzt um zarte Chorsätze und ein warmes Cellosolo.

Die Umsetzung ist schlicht und direkt.

Fazit

Dass zwei „Gäste“ mit auf die Platte gebeten wurden, durchbricht bedauerlicherweise das Cover-Zurückcover-Konzept. Ein Album mit nur 10 Tracks hätte es sicher auch getan.

Ansonsten ist Vielfalt das Thema. Einen musikalischen Zusammenhalt gibt es nicht. Folglich ist diese Sammlung von Coverversionen nicht außergewöhnlicher als andere. Mit der Ausnahme natürlich, dass der gecoverte Künstler alle Beteiligten selbst ausgesucht hat. Und deren Beiträge sind zumindest zum Teil eben doch überragend. In einem Rutsch durch hört man sich das vermutlich trotzdem eher selten an – dafür sind die Ausführungen zu weit auseinandergehend.

Die abschließende Ergänzung zu Scratch My Back kommt also künstlerisch anders daher als der erste Teil – bietet aber durchaus Hörenswertes.

Autor: Thomas Schrage   9 | 2013


Formate

And I’ll Scratch Yours wird es in folgenden Formaten geben:
– als einzelne CD amazon | JPC
– als Download  amazonMP3 | iTunes

Sowie im Verbund mit Scratch My Back
– als Doppel-CD amazon | JPC
– als Download  amazonMP3 | iTunes

Trackliste

01 I Don’t Remember (David Byrne) 3:41
02 Come Talk To Me (Bon Iver) 6:20
03 Blood Of Eden (Regina Spektor) 4:36
04 Not One Of Us (Stephin Merritt) 3:58
05 Shock The Monkey (Joseph Arthur) 5:47
06 Big Time (Randy Newman) 3:39
07 Games Without Frontiers (Arcade Fire) 3:25
08 Mercy Street (Elbow) 5:44
09 Mother Of Violence (Brian Eno) 3:04
10 Don’t Give Up (Feist feat. Timber Timbre) 5:35
11 Solsbury Hill (Lou Reed) 5:25
12 Biko (Paul Simon) 4:18