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Nick Magnus – Catharsis – Album Rezension
Nick Magnus veröffentlichte 2019 ein weiteres Soloalbum nach nmonix – es heißt Catharsis.
In regelmäßigen Abständen veröffentlicht Nick Magnus, ehemaliger Keyboarder von Steve Hackett, immer mal Soloalben – mit Catharsis kam nun fünf Jahre nach dem 2014 erschienenen Nmonix das nächste Werk. Methodisch hat Nick nicht allzu viel verändert, eine musikalische Weiterentwicklung ist aber zu erkennen; Catharsis orientiert sich zwar grundsätzlich an früheren Magnus-Alben, erschließt sich aber gleichzeitig seinen eigenen Weg und wirkt dabei stets durchdacht.
Interessant wird es schon beim Cover: eine Art steinige Skulptur erinnert in ihrer Form an ein Gitarrenplektrum für das Album eines Keyboarders eher ungewöhnlich. Zu erkennen ist auch die Zeichnung eines Büffels, dem im Verlauf des Albums noch eine Rolle zukommen wird.
Natürlich ist Nick auch hier wieder viel mehr als nur ein Keyboarder. Beinahe sämtliche Instrumente wurden aus den Tasten eingespielt und wieder hört man diesen Umstand bei den einzelnen Tracks nicht heraus, was wiederum für eine saubere Produktion spricht. Lediglich Steve Hackett (Gitarre) und Steve Unruh (Violine) sind mit jeweils einem Gastbeitrag dabei letzterer bekannt durch die Formation The Samurai of Prog, deren Ursprünge sich in Finnland wiederfindet.
Gesanglich sind erneut die Dauerbrenner Andy Neve, Tony Patterson und Pete Hicks dabei und werden von Nick wie üblich passend inszeniert. Er scheint im Vorfeld genau abzuwägen, welcher Sänger zu welchen Songs passt und wer sie am besten repräsentieren kann. Gleichzeitig rückt Nick selber gesanglich mehr in Vordergrund und auch Amanda Lehmann, die Schwägerin von Steve Hackett und auf dessen Platten regelmäßig vertreten, ist zum ersten Mal auf einem Magnus-Album zu hören.
Wie Nicks frühere Werke bietet auch dieses wieder einen klaren, roten Faden und ist vielleicht noch mehr Konzeptalbum als alle vorangegangenen. Grund ist die auf den ersten Blick weniger abstrakte Thematik, denn auch wenn unterschwellig durchaus versteckte Motive anklingen, behandelt das Album in erster Linie die Landschaften und Legenden der Ariège, einer landschaftlich beeindruckenden Region im Süden Frankreichs an der Grenze zu Spanien. Nick selbst besucht die Region seit viele Jahren, bis irgendwann die Idee reifte, darauf basierend ein Album aufzunehmen. Dem Titel kommt in gewisser Weise eine Art Doppeldeutigkeit entgegen zum einen ist der psychologische Leuterungsprozess gemeint, zum anderen spielt er auf die religiöse Strömung der Katharer an, die gegen Ende des Mittelalters auch in Südfrankreich verbreitet war.
Die Grundlage für ein interessantes Album ist also gegeben. Neben diesem wird auf einer DVD zusätzlich die Progumentary: Adventures in the Ariège geboten, in der uns Nick knapp 20 Minuten lang in sympathischer Indiana Jones Manier an die Orte führt, die ihn maßgeblich zu diesem Album inspiriert haben und dabei auf jeden Track eingeht. Tun wir es ihm gleich und schauen uns die Stücke etwas genauer an:
Red Blood on White Stone (8:47)
Der Opener beginnt ohne lange Aufbau-Passagen mit einem relativ eingängigen und gleichmäßigen Rhythmus, der durch gegenläufige Taktarten etwas vertrackt daherkommt. Diese Streicher-orientierte Kulisse bildet die Grundlage für den Strophenteil, der von Andy Neve dargeboten wird. Zwischen den Strophen ist ein kurzer Chor-Teil eingebaut, der in seiner Art an aktuelle Hackett-Alben erinnert. Thematisch geht es zunächst um die durch die Katharer erbaute Burg Montségur auf dem Gipfel des gleichnamigen Berges. Erzählt wird die Story aus Sicht eines Katharers, der sich am harten, weißen Stein die Hände blutig arbeitet. Die Burg als solche sollte Schutz bieten vor der beginnenden Inquisition und der damit einhergehenden Verfolgung der Katharer. Sie wurde 9 Monate lang verteidigt, musste schließlich aber aufgegeben werden. Der eigentliche Angriff der Armee wird musikalisch durch das Solo von Steve Hackett dargestellt, woraufhin Nick selbst durch die Eskalation singt und dabei von einem dick aufgetragenen Chor begleitet wird, der lediglich Nick selbst, Dick und Andy Neve zeigt und dies passt an dieser Stelle!
Das Schluss stimmt einen schon fast wieder versöhnlich und hoffnungsvoll; das Stück endet auf einem ruhigen Level, denn von der Burg sind heute nur noch Ruinen geblieben. Die tragische Geschichte wird durch die Lyrics von Dick Foster ausdrucksstark erzählt und nicht zuletzt die musikalischen Kontraste machen diesen Track zu einem starken und dramatischen Opener. Interessant ist auch, dass Hacketts einziger Auftritt auf dem Album zwar gelungen ist, aber nicht so sehr im Vordergrund steht, wie etwa bei The Colony is King aus Children of Another God.
Three Tall Towers (4:56)
Der nächste Titel ist eingängiger und versprüht einen deutlichen Mittelalter-Flair. Bläser, Streicher und ein Marsch-Rhythmus im Mittelteil lassen die drei Türme würdevoll emporsteigen. Dabei handelt es sich um jene Türme der Burg von Foix der Stadt, die den Zugang in die Ariège bildet. Die Burg des Grafen wird dabei auch als Schutzwall gesehen. Die hellere Stimme von Pete Hicks passt zu diesem Song, der in den Strophen vor allem vom galoppierenden Bass vorangetrieben wird. Nach dem anspruchsvollem Opener kommt Three Tall Towers etwas leichter daher, lockert die Atmosphäre auf und zeigt so die Sonnenseite der Ariège.
Convivium (3:22)
Das folgende Convivium könnte glatt als Instrumentalteil seines Vorgängers durchgehen, ist aber auch für sich stehend eigenständig genug. Die Mittelalter-Thematik wird durch den Sound des Cembalos weiter verstärkt und heraus kommt ein raffinierter, verspielter Track mit vielen Details, der in seiner Art an Twenty Summers erinnert ein guter Zeitpunkt, sich nochmal bewusst zu werden, dass Nick diese Stücke völlig allein eingespielt hat.
Auch hier sind ein paar ungerade Takte herauszuhören. In seiner ganzen Dynamik ist der Track aber sehr fließend und stellt damit die Frivolitäten und Feierlichkeiten, die in der Burg Foix zu Glanzzeiten stattfanden, geschickt dar.
The Devil’s Bridge (4:35)
Angrenzend an die Stadt Foix befindet sich der Fluss Ariège, nach dem die Region benannt ist. Die Brücke Pont du Diable (Brücke des Teufels) führt über den Fluss und ist Gegenstand vieler Legenden. Bei diesem Track hat sich Nick an einer Version orientiert, nach der die Einheimischen den Teufel um eine Brücke baten, dieser aber im Gegenzug die Seele des ersten einforderte, der die Brücke betrat.
Die Lyrics befassen sich mit diesem Mythos und Tony Pattenson, der sich im ersten Abschnitt im Hintergrund selbst gesanglich unterstützt passt mit seiner rauchigen Stimme zu dieser düsteren Erzählung. Die Strophen sind dabei unterlegt mit orientalisch anmutenden Streichern, ehe es im Refrain überraschend rockig wird. Besonders eindringlich und zwielichtig klingt Tony im Schlussteil und man glaubt ihm tatsächlich, dass er von jedem, der die Brücke überquert, etwas einfordert. Der Track zeigt gelungene Kontraste, gehört insgesamt aber eher zu den Ruhepolen des Albums.
The Market at Mirepoix (4:22)
Der folgende Song steht in bester Tradition von Identity Theft oder Headcase, denn Nick selbst übernimmt hier die Lead-Vocals. Dass er dies kann, hat er schon öfter bewiesen und auch The Market at Mirepoix ist ein gutes Beispiel hierfür. Behandelt wird unverkennbar die Umtriebigkeit des Marktes in der Stadt Mirepoix, dessen Geräuschkulisse eingeblendet wird, ehe Piano-Kaskaden sich darüberlegen und schließlich die helle und dominante Violine von Steve Unruh einsetzt. Als zweiter Gastmusiker ist er hier auffälliger als Hackett im Opener, auch weil das Violinenspiel sich den ganzen Song durchzieht. Gut darauf abgestimmt ist auch der humorvolle Text und gegen Ende führt uns Nick sogar in eine kleine Gesangs-Collage. Das ist nicht nur mutig im Hinblick darauf, dass er eigentlich kein klassischer Sänger ist, sondern darüber hinaus eine witzige Idee, die dem Song guttut und ihn auflockert.
Gathering Mists (2:45)
Der Nebel, der von den Bäumen zu den Dörfern wandert, ist wohl eines der Elemente, denen man in der Ariège nur schwerlich entkommen kann. Grund genug für Nick, diese Atmosphäre im zweiten Instrumental dieses Albums festzuhalten. Gathering Mists ist ein Kleinod, wie Nick sie mit Shadowland von Nmonix oder Double Helix von Hexameron immer wieder einbaut und verfehlt auch auf diesem Album seine Wirkung nicht. Ein melancholisches, getragenes Piano steht im Vordergrund, wird von einer zurückhaltenden Orgel begleitet und dabei von einer Art Fauchen unterbrochen trotz aller Faszination kann ein Nebel auch bedrohlich wirken. In der sparsamen Instrumentierung liegt etwas von der Ursprünglichkeit der Ariège und der Track weckt Assoziationen zum Titel Hammer in the Sand auf dem Album Defector von Steve Hackett, auf dem Nick 1980 auch an den Tasten saß.
A Widow in Black (5:05)
Beginnend mit einer Akustik-Gitarre und einsetzender Percussion folgt ein Stück, auf dem Amanda Lehmann die Rolle der Sängerin übernimmt, obwohl Nick mit seinem Backgrund-Gesang fast ein Duett daraus macht. Der Song ist ein weiterer Ruhepol und erzählt die Geschichte von Marinotte, deren Leben vor vielen Jahren auch symbolisch für das Leben vieler Farmer in Südfrankreich steht, die sich auch von langen Wintern und schlechtem Wetter nicht beeindrucken ließen. Davon ist heute inmitten des Tourismus nicht mehr viel zu sehen und somit steht die Geschichte von Marinotte innerhalb dieses Songs vielleicht auch für Vergänglichkeit. Musikalisch ist eher akustischer gehalten, bietet aber genügend Spannung, um die zugrunde liegende Geschichte glaubwürdig zu erzählen. Amanda Lehmann füllt die Rolle der Hirten jedenfalls gut aus und stellt als weibliche Stimme eine Abwechslung innerhalb des Albums dar.
Mountain Mother (13:35)
Den Longtrack und damit das Epos hat sich Nick bis zum Schluss aufgehoben: Mountain Motherist einer jener Feuerwerke, die progressive Rock Bands gerne ans Ende einer Platte setzen. Ein erhabenes Orchester-Intro sorgt für ersten Aufhorchen, ehe der Strophenteil von einem Marsch-Rhythmus eingeleitet wird. Viele Berghöhlen in der Ariège boten sich für Rituale an und so singt Tony Pattenson hier über einen Jungen, der im Zuge eines solchen Rituals zum Jäger ernannt wird und damit auch eine Art Katharsis durchmacht. Entsprechend dramatisch werden die Ängste in dieser Situation dargestellt, etwa über den indigenen Gesang von Nick und Dick, den diese ohne Mitwirkung eines Chores mit erstaunlich viel Substanz hinbekommen. Dazwischen setzt immer wieder Tonys teils sanfter, teils aggressiver Gesang ein und das Drama geht beim eigentlichen Ritual auf seinen Zenit zu, mündet in einem schnellen Keyboard-Solo und leitet schließlich ein Reprise des Intros ein. Der nunmehr erwachsene Junge und Jäger reitet symbolisch auf dem Büffel davon, der auf dem Cover des Albums zu sehen ist und der den Abschluss der Katharsis darstellen könnte. Das letzte Gitarren-Solo (auf dem Keyboard) behält sich, wie bereits bei Entropy vom Vorgänger-Album, Nick selbst vor. Nach einigen Steigerungen kehrt der Song zur ursprünglichen Ruhe zurück und lässt ein beeindruckendes Album auf hohem Niveau enden.
Nick Magnus findet eine ansprechende Balance zwischen dem Festhalten an seinem eigenen Sound und Innovation. Mit etwas über einer dreiviertel Stunde Spielzeit hat das Album auch die richtige Länge du behandelt die Thematik durch ganz unterschiedliche Stimmungen. Nick beweist erneut seine Fähigkeit, eine ganze Band nur auf den Keyboards zu arrangieren und auch die Produktion und Abmischung ist ein klarer Pluspunkt: die Instrumente klingen stets ausgewogen, klanglich gibt es an keiner Stelle was zu meckern und kein einziger Song endet mit einem Fadeout.
Nick scheint sich weiterhin inspirieren zu lassen und kann diese Inspiration zweifellos musikalisch umsetzen und das ohne viel Hilfe von außen. Ein weiteres sympathisches Album, das sich nahtlos in die facettenreiche Diskografie von Nick Magnus einreiht!
Autor: Ole Uhtenwoldt
Catharsis ist bei JPC erhältlich.