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Nick Magnus – A Strange Inheritance – Rezension
Am 16. September erschien A Strange Inheritance, das neue Soloalbum von Nick Magnus.
Am 16. September erschien A Strange Inheritance, das neue Soloalbum von Nick Magnus.
Nick hält mit sich selber Schritt und geht mit seinem neuen Solo-Album in die nächste Runde. Es ist nun das vierte Album seit 2010 und die Ideen scheinen Nick nicht auszugehen. Wieder einmal ist es ein abwechslungsreiches und hochinteressantes Werk geworden und man gewinnt den Eindruck, Nick nimmt sich alle Zeit und Ruhe, um das Album seinen Vorstellungen gemäß zu einer Einheit zu schleifen.
Musikalisch hält sich Nick auch weiterhin an die Methode, die meisten Instrumente über das Keyboard selbst einzuspielen. Dies hat sich für ihn etabliert und funktioniert mindestens genau so gut, wie auf den vorangegangenen Alben. Beachtlich ist, dass Nick selber gesanglich mehr in den Vordergrund rückt; waren es auf vergangenen Alben nur einzelne Tracks, auf denen er gesungen hat, sind es hier gleich drei, auf denen er den Leadgesang übernimmt. Aber auch hier haben wir mit Tony Patterson und Andy Neve (nur Background-Vocals) zwei alte Bekannte und auch Frauenstimmen sind mit Ginger Bennett, Louise Young und Clara Sorace wieder vertreten. Im Instrumentalen trägt Nick das Album größtenteils alleine, bis auf einen Gitarren-Einsatz von John Greenwood und einen Auftritt von Steve Hackett – diesmal allerdings überraschenderweise nicht an der Gitarre! Das Intro im Opener spricht Nicks Lyriker Dick Foster, der sich auch hier für die Lyrics zuständig zeigt.
Hintergrund, Konzept und Story
Und die sind wieder einmal sehr gelungen! Thematisch nimmt uns das Album dieses Mal ein paar Jahrhunderte zurück und gemäß Nicks Beschreibung geht es um Liebe, Verlust und Rache. Natürlich hat das Album noch viel mehr zu bieten; ein roter Faden zog sich bislang durch alle von Nicks Alben, aber hier ist es viel mehr als nur ein gemeinsames Konzept, denn wir hören eine Geschichte über Piraterie, Seefahrt und Kriminalität, die entsprechend auch musikalisch öfter maritime Pfade einschlägt. Eine wichtige Bedeutung für all diese Ereignisse hat der Papagei, der auch das Cover ziert.
Im Booklet bekommen wir einige Erläuterungen und Erklärungen über den historischen Kontext, dem das Album zugrunde liegt – und damit auch gleichzeitig einige Inspirationsquellen für einzelne Songs. Obwohl davon beeinflusst, ist die Story dieses Albums eine ganz eigene, die mit dem dritten Song beginnt, während die ersten beiden Songs uns in Zeit und Ort der damaligen Welt mitnehmen und uns somit auf die Story einstimmen.
Alles beginnt recht unscheinbar mit eine alten Truhe, die als unerwartete Erbschaft von einem lange vergessenen Verwandten eintrifft. Diese titelgebende „seltsame Erbschaft“, wie Dick uns erzählt, enthält einige obskure Gegenstände, etwa eine Wallnussschale, eine rote Schleife, ein paar Spielkarten, zwei mit Schlangenhaut zusammen gebundene Holzstäbchen, ein paar silberne Münzen…und die sterblichen Überreste eines Papageis. All diese antiken Dinge ergeben zusammen die Geschichte des Album und jedem Song ist eines dieser Relikte gewidmet. Die Reise beginnt…
An Almost Silent Witness (10.07)
Die Uhr schlägt 4 und die alte Truhe öffnet sich. Der Opener beginnt nach einer kurzen Soundcollage mit einem luftigen Gitarren-Rhythmus und dem Refrain, der wie der ganze Songs, aus Sicht des Papageis geschrieben ist. Die Strophen sind ähnlich rhythmisch angelegt, wenn auch etwas ruhiger mit Streicher- und Percussion-Elementen. Auffallend ist direkt, wie passend Nicks Gesang ist. Wie beim Vorgänger-Album hat Steve seinen Gastauftritt schon im ersten Song – allerdings nicht an der Gitarre, sondern an der Mundharmonika! Mehrere solcher Passagen erstrecken sich über einen instrumentalen Mittelteil, der gleichzeitig den Höhepunkt des Songs darstellt. Von vornherein war es Nicks Idee, Steve genau an diesem Instrument einzubinden, da ein Gitarrensolo sich nicht so gut in die marine Atmosphäre eingegliedert hätte…in jedem Fall ein genialer Move!
Nach einer kurzen Bridge kommt noch einmal der Refrain, instrumental zurückgenommen, dafür stimmlich im Stil eines Shanty-Chors. Diese Stilrichtung muss man nicht mögen, ist aber an dieser Stelle äußert passend inszeniert.
Der Text gibt ersten Aufschluss über die 90 Jahre Abenteuer, die der Papagei erlebt hat; der fast stille Zeuge sind somit sowohl der Papagei selbst, der die Geschichte des Albums hautnah miterlebt hat, aber auch der Zuhörer, der sie im Folgenden erzählt bekommt. Das prominente „Ship ahoy, my pretty boy“ im Refrain ist somit auch als Einladung an den Hörer zu verstehen, mit auf die Reise zu gehen. Wieder einmal beweist Nick somit sein hervorragendes Gefühl für starke Opener, die die Gesamtstimmung des Albums schon einmal vorwegnehmen.
Blood Money (4.45)
Streicher und Piano-Kaskaden eröffnen den nächsten Song. Tony Pattersons raue Stimme setzt ein und erzählt von der spanischen Invasion auf die Karibik Mitte des 18. Jahrhunderts, als Plünderungen an der Tagesordnung waren. Die hölzernen Kreuze, von denen im Text die Rede ist, stehen für die Religion, die die Invasion mitbrachte – als unfairer Tausch gegen Gold und Silber.
Blood Money beginnt und endet quasi mit dem Refrain und hat einen ausgedehnten Mittelteil. Die Gitarren-Einsätze von John Greenwood fügen sich gut ein, der Song wird durchaus von Gitarren getragen, auch wenn Nick die Orgel teilweise recht prominent einsetzt. So bildet der Track eine gute Überleitung zwischen den Opener und dem dritten Song, der den Beginn der eigentlichen Story darstellt.
Philadelphia (5.16)
Auch Philadelphia beginnt mit ( dieses Mal von Nick auf dem Keyboard gespielten) Gitarren. Nick singt wieder und erzählt uns die Tragödie um Philadelphia, womit nicht die Stadt gemeint ist, sondern ein Dienstmädchen. Er manövriert sich gesanglich gut durch die Strophen, der kurze Refrain zwischendurch zeigt durch textliche Variationen, dass der Handlung des Songs dramatisch wird: Philadelphia erwartet ein Kind vom Sohn der Familie, der sie dient und wird daraufhin verstoßen, während der Sohn der Familie zur See geschickt wird. Diese Unsicherheit wird musikalisch gut untermalt. Der Song ist eher ruhig bis zur Eskalation, in der Philadelphia auf der Straße strandet und allen dortigen Gefahren trotzen muss, was durch härtere E-Gitarren und Orgel untermalt wird…so rockig und schon fast einen Schwung metallisch hört man Nick selten! Schließlich muss sie ihr Kind kurz nach der Geburt abgeben, überlässt ihm aber eine halbe Walnussschale an einer Kette, deren Gegenstück sie behält.
Der Song steigert seine Intensität sehr subtil, bevor er ausbricht und zeigt, dass Nick auch gesanglich mit härteren Passagen sehr gut zurechtkommt.
At Night At Sea (5.54)
Philadelphia sucht Zuflucht auf der See und so fungiert der nächste Song als Ruhepol, so zwielichtig und mysteriös wie eine nächtliche Überfahrt. At Night At Sea kann man durchaus als Kleinod betrachten in seiner mystischen, zurückhaltenden Art, denn gerade diese macht den Song so intensiv. Insofern könnte er auch als perfekte musikalische Untermalung oder Vertonung für eine der Seereisen-Geschichten von Edgar Allen Poe durchgehen. Auch hier hebt sich Nick wieder vom üblichen Strophe-Refrain-Schema ab. Die erste und letzte Strophe sind im leicht schrägen 5/4-Takt gehalten, der Teil dazwischen glänzt durch verschiedene, teils etwas verschroben klingende Streicher, die sich der mystischen Stimmung anpassen.
Sehr passend hierzu ist auch das Musik-Video mit Nick, wie er auf dem nächtlichen Schiff mir einer Laterne herumschleicht. Wichtig ist die Textzeile „a life behind, a life ahead, here suspended on a spider’s thread“: Philadelphia hat ein Leben hinter sich gelassen, aber möglicherweise auch ein völlig neues vor sich. Und gerade wenn man denkt, der Song geht zu Ende, spielt sich Nick mit einer Piano-Coda in den Vordergrund, die den Song nochmal ein Level höher hebt und durchaus Erinnerungen daran weckt, was Nick fast 45 Jahre vorher auf Steves Album Defector beim vom Piano getragenen Song Hammer in the Sand gespielt hat.
Four Winds (8.14)
Das einzige Instrumental des Albums ist in seinen ersten Momenten eine drastische Steigerung des vorigen Tracks, bei dem Streicher eher dezent eingesetzt wurden, sie nun wie ein Sturm auf hoher See über einen hereinbrechen. Four Winds ist unterteilt in vier Abschnitte, von denen jedem eine Himmelsrichtung (oder eher die mythologische Figur der jeweiligen Richtung) gewidmet ist. Der erste Teil, der den frostigen Nordwind darstellt, der Schiffe vom Kurs abbringt, weckt musikalisch gleich mehrere Assoziationen: Nick imitiert ein ganzes Orchester, das Stück beginnt mit mächtig Power irgendwo zwischen dem Soundtrack von Fluch der Karibik und dem Magnum Opus Pirates von Emerson, Lake & Palmer – es ist immer wieder beeindruckend, was für ein Arrangement man mit relativ einfachen Mitteln erschaffen kann.
Der Südwind bleibt eher schattenhaft und phantomisch als Sound-Kulisse im Hintergrund schwebend, während der traurigste der Brüder, der Ostwind, harmonisch sehr schöne Akkordfolgen mit sich bringt – mal mit Streichern, mal mit Piano. Der Westwind schließlich, der die Schiffe sicher nach Hause bringt, klingt erstmal gar nicht nach einer triumphalen Heimkehr, sondern vertont eher die Strapazen und Entbehrungen der Reise, die hinter einem liegt. Letztendlich übertönt die Ankunft im sicheren Hafen aber dann doch die schwere Reise und bringt das Instrumental zu einem friedvollen Ende.
Four Winds stellt Philadelphias Überfahrt über gefährliche Gewässer dar, auf der sie sich von Angst und Verzweiflung über Hoffnung und Zuversicht mit vielen Emotionen konfrontiert sind; entsprechend unterschiedliche Stimmungen vereint auch das Instrumental in sich, schafft es aber, alles in einer Einheit zusammen zu fügen und thront mit seiner ganz speziellen Mischung aus Eleganz und Wildheit zurecht in der Mitte des Albums.
Welcome to the Island (5.19)
In diese Melancholie bricht ein kurzes Schlagzeug-Gewitter, das in einen recht rockigen, mit Bläsern untermalten Rhythmus mündet. Ginger Bennetts Stimme gibt dem Track eine geheimnisvolle Schemenhaftigkeit, auch wenn er musikalisch erst einmal straight voran geht und Nick uns in einem fulminanten Instrumentalteil wieder einmal beweist, was für gute Gitarrensoli man über das Keyboard hinbekommt. Philadelphia ist auf einer karibischen Insel angekommen, die sich jedoch weit weniger paradiesisch darstellt, als es vermuten lässt.
Der Mittelteil gehört mit seiner dschungeldichten Instrumentierung aus Percussion, Marimbas und Xylophon sicherlich zu den interessantesten Abschnitten des ganzen Albums und erinnert an einige Klangwelten aus Peter Gabriels Soloalben. Der indigene, chorale Gesang war bereits auf Catharsis ein Element und kommt hier erneut stark zur Geltung. Anschließend wird das Intro wieder aufgegriffen, allerdings in halbem Tempo, was dem Song zum Ende hin noch einen dramatischen Schub gibt.
Philadelphia trifft hier in John ihre einstige, verloren gegangene Liebe wieder, der sich nunmehr als Jack, oder Black Jack genannt, einen Namen als Pirat gemacht hat und entscheidet sich, ihn zu begleiten.
In seiner bunten Instrumentierung setzt sich Welcome To The Island gut ab und bildet an dieser Stelle eine gekonnte Überleitung zum Finale des Albums.
Black and Scarlet (5.22)
Der vorletzte Song beginnt wieder eher klassisch rockig und mehrstimmig, die Strophen singt Tony Patterson solo. Black Jack wurde der Piraterie schuldig gesprochen und soll hingerichtet werden; diese Dramaturgie deutet sich in der ersten Hälfte des Songs vor allem durch die Dynamik der Tempowechsel zwischen Strophe und Refrain an, unterstützt durch ein zügiges Violinen-Solo.
Das eigentliche Finale beginnt dann mit der zweiten Hälfte, in der Black Jack zunächst am Galgen endet. Philadelphia verliert ihn zum zweiten Mal, jetzt aber endgültig und entscheidet sich aus Rache, seinen Platz in der Rolle als Pirat /-in einzunehmen. Das Schiff fährt ab mit nunmehr einer Kapitänin und keinem Kapitän mehr und sie sollte zu eine der gefürchtetsten Piraten werden. Dies berichtet uns der Papagei, der nun wieder das Wort ergreift in einer Reprise des Refrains aus dem Opener. Somit schließt sich der Kreis und wir wissen nun, wohin das „Life ahead“, von dem in At Night At Sea die Rede ist, wirklich geht; und aus dem vorangegangenen Leben Philadelphias ist nur die Walnussschale an ihrer Kette geblieben, die sie als Piratin weiter trägt.
Mit einem nicht allzu dichten Chor wird das Stück ausgeblendet, nachdem uns deutlich gemacht wird, dass der Papagei als eine Art Geheimniswahrer nicht mehr erzählen wird…stattdessen gibt er ein schadenfreudiges und schmutziges Lachen von sich; so tragisch und aufwühlend die Ereignisse auch waren, er schien es genossen zu haben, deren Zeuge gewesen zu sein.
To Whom it May Concern (5.36)
Nach den relativ hektischen vorherigen Tracks hat sich Nick die Ballade bis zum Schluss aufgehoben. In ähnlicher Art wie die jeweiligen Finals von Children of Another God und N’Monix ist dieser Song ruhig gehalten und stellt eine letzte Nachricht Philadelphias dar, die sie in einem Brief in der Truhe festgehalten hat. Diesen überlässt sie mit all den anderen von ihr gesammelten Relikte aus der Truhe demjenigen, der daraus die richtigen Lehren ziehen kann. Louise Young singt sehr eindringlich über die Echos lang vergangener Tage und am Ende setzt auch Nick selbst noch einmal ein, um die zentrale Botschaft „live by reason, not by fear“ zu vermitteln.
Der textlich Teil endet relativ früh und lässt Raum für einen längeren instrumentalen Abschluss, in dem Nick noch einem mit Soli von Gitarre und Klarinette glänzen kann. So ist das Ende der Handlung trotz der Tragödien doch irgendwie versöhnlich. Im Verborgenen, und damit der individuellen Interpretationsfreiheit überlassen, bleibt, woher die Truhe letztendlich kam und wer der geheimnisvolle Verwandte ist, der zwischen dem Empfänger der Truhe und der Piratin steht. Ein Verwandter von dem Kind, das sie von John bekam, bevor er Pirat wurde? Oder jemand ganz anderes, der zufällig an die Truhe kam? Unweigerlich stellt man sich die Frage, ob es überhaupt wichtig ist, das zu wissen.
Musikalisch könnte dieser Song am Ende des Albums etwas untergehen, wirkt er doch zuerst etwas unscheinbar. Langsam aber sich kann er sich aber als Perle entpuppen, denn er braucht vielleicht ein paar Anläufe, um seine ganze Emotionalität wirklich zu entfalten. Hat er dies aber getan, so lässt sie sich nicht mehr vom Song abschütteln und so ist der Abschluss des Albums definitiv ein Grower!
Fazit
Nick hat wieder einmal nicht enttäuscht und legt ein richtig gut gelungenes und sehr rundes Album vor, das vielschichtig klingt und trotz einer emotionalen Story nicht den überschwänglichen Pathos mitbringt, der im Subtext von Konzeptalben öfter mal mitschwingt. Er schafft es erneut, die größtenteils fehlende Band durch Keyboard-Programmierung zu kompensieren und lässt das Album lebendig und kurzweilig klingen. Öfter verzichtet Nick auf einen typischen Aufbau aus Strophe und Refrain und insgesamt bietet das Album eine große musikalische Ausgewogenheit und Dramaturgie. Seinen Vorgängern steht es somit in nichts nach. Obwohl es teils sehr maritim klingt und typische Trademarks von Musik über Seefahrt mitbringt, übertreibt es Nick mit diesen Elementen nicht. Er setzt sie ähnlich gut und pointiert ein, wie etwa die Mittelalter-Elemente auf dem Vorgänger-Album Catharsis und beweist ein gutes Händchen für einen stimmigen, homogenen und kohärenten Gesamtsound
Das Artwork ist übrigens auch hier wieder geglückt und passend zur Atmosphäre des Albums gestaltet. Das Warten auf Nicks neues Album hat sich damit definitiv gelohnt!
Autor: Ole Uhtenwoldt
A Strange Inheritance ist am 16. September erschienen und kann auf Nicks Website, JustForKicks bei JPC* bestellt werden.
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