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Nick Fletcher – Cycles Of Behaviour – Rezension

Nick Fletcher ist ein britischer Gitarrist, der nicht nur von Steve Hackett verehrt wird, sondern auch Teil der John Hackett Band ist. Nun legt er mit Cycles Of Behaviour ein Soloalbum vor. Thomas Jesse zeigt sich begeistert …

Vorbemerkung:

Es gibt Musiker, die veröffentlichen ihre Werke mit einem großen TamTam, mit Special Editions, Deluxe Boxes. Sie genießen dadurch größere Aufmerksamkeit, haben höhere Absatzchancen, gerade auch in Musikbereichen abseits vom Pop. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Steven Wilson. Nun gibt es aber auch jene Musiker, die still und bescheiden vor sich hin werkeln, fleißig Konzerte geben (zumindest vor Corona) und ein großes Oeuvre vorweisen.

Einer dieser hat eine neue CD produziert, die der Rezensent zu seiner großen Freude besprechen darf.

Hintergrund:

Nick Fletcher ist dem Rezensenten erstmals durch seine Kollaboration mit Dave Bainbridge von Iona, aus der die CD Cathedral of Dreams 2009, entstand, bekannt geworden. *1

Es folgten mehrere CDs mit John Hackett, bei denen z. T. auch Steve Hackett mitwirkt. Zu einem ist es Musik, die von Klassik, Folk und Mittelalter geprägt ist, in der die akustische Gitarre und die Flöte die Hauptrolle spielen und zum anderen sind es zwei Prog/Rockalben. *2

Nick Fletcher ist ein studierter klassischer Gitarrist, der, wie er sagt, von Segovia (hier trifft er sich mit Steve), Akkerman, Howe, Jeff Beck und Steve Hackett beeinflusst wurde. Er veröffentlichte Musik für Meditation auf dem Kingsway Label, dessen Schwerpunkt auf Musik mit christlichem Hintergrund liegt. Auch Musiker von Iona haben hier veröffentlicht.

John Hackett lernte ihn bei einem seiner Solo-Konzerte 2012 kennen, womit eine fruchtbare Zusammenarbeit begann.

Albumtitel und Gestaltung:

Nick Fletcher

Die CD liegt in einem Jewel-Case vor. Das schwarz gehaltene Cover bildet Nick Fletcher in Aktion auf der Bühne vor schwarzem Hintergrund ab. Die Innenseiten zieren Informationen über die Mitwirkenden, Fotos von menschenleeren Wegen, Plätzen und Landschaften und Symbolen / Piktogrammen aus dem Verkehr: Fußgängerweg, Fahrradweg, bzw. beides. Leider sind dem Booklet nicht die Songlyrics beigefügt worden. Für einen nichtenglischen Muttersprachler ist es so schwierig, dem Gesang zu folgen. Ein paar Linernotes zu den einzelnen Stücken wären auch wünschenswert.

Der Titel bezieht sich übrigens auf eine Begrifflichkeit der Soziologie, die menschliches Verhalten bestimmten wiederkehrenden Zyklen zuordnet3.

Das Konzept des Albums besteht dem Titel geschuldet aus Songs, die sich mit dem menschlichen Sein, Fragen wo wir stehen und wohin wir gehen, beschäftigen4.

Folgende Musiker aus Nick Fletchers Umfeld wirken mit:

Dave Bainbridge (Iona, Strawbs, Lifesigns): Hammond Organ, Mellotron
John Hackett: Vox, Flöten, E-Piano, Mellotron
Tim Harries (Earthworks, Steeleye Span, Iona): Bass
Russ Wilson (Book of Genesis): Drums
Caroline Bonnett: Keyboards, Mixing & Mastering, Co-Producing

Letztere spielte eine herausragende Rolle bei der Produktion des Albums. *5

Von den insgesamt acht Kompositionen sind vier reine Instrumentals, sowie vier Stücke mit Gesang, von denen drei zusammen mit John Hackett geschrieben wurden.

Die Spielzeit der Stücke schwankt zwischen knapp 3 Minuten bis zu über 13 Minuten.

Songs:

Cycles of Behaviour

Der Opener und zugleich Titelsong des Albums erschreckt den Rezensenten, der ein ruhiges Folkrock-Album mit klassischen Einflüssen und meditativer Atmosphäre erwartet. Doch weit gefehlt! Nick Fletcher und Band brennen ein Jazzrockfeuerwerk vom Feinsten ab. Orgel und Schlagzeug bestimmen den düsteren Beginn, ehe Nicks Gitarre und Johns Flöte etwas Fröhlichkeit hineinbringen. Ein Break bei ca. Minute 1:20 lässt das Stück Fahrt aufnehmen, bis nach zwei Minuten Alan Holdsworth, nein Nick Fletcher seine Gitarre solieren lässt. Immer wieder wird das düstere Thema des Beginns zitiert. Es wird von der Gitarre aufgenommen und bohrt sich ins Gehör. So gehen die musikalischen Kreise ihrem Finale entgegen. Ein Orgelsolo im Stil der alten Genesis, Soundtupfer der Flöte und dann ein ruhiges dahingleitendes Entschweben. Einfach: atemberaubend.

Heat Is Rising

Das erste mit John Hackett zusammen komponierte Stück, dem letzterer seine Stimme leiht. Bass, Schlagzeug und perlend – plinkernde Gitarre führen zu Johns Gesang. Möchte er den Hörer die Hitze spüren lassen, die er für seine Liebste empfindet? Erinnert an Brand X der Product-Phase (nur nicht so basslastig), oder auch an Bruford / Earthworks. Die Strophen werden bei Minute 2:35 von einem Gitarrensolo abgelöst, das die Hammond unterstützt. Wieder der Vergleich mit Holdsworth, oder Akkerman, ja und Peter Banks Album Both Sides of… Tolle Atmosphäre von 70er Jahre Fusionmusic. Schon bei diesem Stück wird deutlich, warum Nick sich für die Stimme von John Hackett entschieden hat, obwohl dieser kein ausgeprägter Sänger ist: Es passt einfach! John singt so unangestrengt gegen schwere Soundgewitter an, dass es dem Rezensenten Spaß macht, zuzuhören. Nach knapp 5:30 Minuten endet das Stück abrupt, ohne Fadeout.

Hope in your Eyes

Ein über acht Minuten lange Komposition von Nick mit schönen, romantischen Gitarrensounds, Synthi-Strings und Mellotron, die nach einer Minute von Johns gefühlvollem Gesang begleitet werden, erwartet den Hörer. Eine träumerische Ballade mit herrlichen Flötensoli und zurückgenommenen Schlagzeug. Die Gitarre spielt hier erst ab Minute 4:30 ein Solo, wie es Steve Hackett nicht besser machen kann. Ab Minute sieben fühlen wir uns in das Universum des Acolyte versetzt. Auf die Reise zu ihm führt uns der Flötist. Sie endet in einem langsamen Fadeout. Die Band zeigt, dass sie nicht nur ungebremst jazzen und rocken kann, sondern auch die leisen Töne wunderbar beherrscht.

Tyrant and Knave

Ein über sieben Minuten langes Instrumental folgt. Schlagzeugwirbel beginnen, eine schwere Hammond, Gitarrengewitter, Breaks, eine Gitarre, die an Jeff Beck erinnert. Nach 1:40 Minuten endlich die Auflösung durch ein Gitarrensolo, das nur wieder in dem Orkan aufgeht. Jazz, der heavy rockt. Nach gut drei Minuten wird es langsamer und Nicks Gitarre beginnt zu schweben, begleitet von Keyboards und herrlich sanftem Bass und Schlagzeug. So treibt die Musik sacht dahin, lässt den Hörer das Gewitter des Beginns vergessen und sich erholen, bis wieder das Unwetter zu toben beginnt und ein Synthisprengsel der Achterbahnfahrt um Tyrannen und Schurken ein Ende setzt.

Desolation Sound

Das mit knapp drei Minuten kürzeste Lied des Albums lässt an Iona denken: Flöte und Keyboardteppich türmen sich majestätisch auf und fallen sanft in sich zusammen. Ja, Klänge der Trostlosigkeit, Klänge der Verwüstung sind das schon.

Interconnected

Schlagzeug- und Flötenwirbel geleiten den Hörer in ein fröhliches Lied irgendwo zwischen Camel und Bruford liegend. Jazzige Gitarrensprengsel, plinkernde Gitarren, Flöte und John Hacketts Gesang, der über die Probleme des Lebens in einer vernetzten Welt berichtet, lassen diese Assoziationen wach werden. Ab Minute 3:45 wird ein fernöstlicher Flötenpart aufgerufen, der die Tanzatmosphäre hinwegweht. Iona trifft Steve Hackett. Nach einer Minute wird weitergerockt. Flöte und Gitarre geben sich ein Stelldichein. Ein Song mit Augenzwickern, der locker swingt und wieder mit einem Synthi – Sprengsel endet.

Annexation

Akustische Gitarre und Flöte weben eine melancholische Melodie. Das ist der Nick Fletcher, den der Rezensent kennengelernt hat. Doch, dann setzt wieder Rock mit krachender Gitarre und dunkel dräuendem Keyboard ein. Der Hörer fühlt sich in die Hektik einer Großstadt versetzt. Die Instrumente erzeugen eine beklemmende Atmosphäre einer von Geräuschen des Verkehrs, der Hektik, des Gedränges gequälten Großstadt. Hat dieses Leben in einer technologischen Umwelt das leise Leben in der Natur verdrängt? Es gibt keine ruhige Reprise. Der Wall of Sound endet abrupt. Der Song könnte auch die Titelmelodie zu einer US-Krimiserie sein.

Philosopher King

Das Grand Finale des Albums. Das längste Stück mit über 13 Minuten ist wieder eine Komposition mit John Hackett und (Neo-) Progressive Rock at its best.

John Hackett singt wunderbar melancholisch. Wunderschöne Gitarrensoli (z. B. bei Minute zwei) treiben diese Melancholie in die Höhe. Fantastische Bassparts, tolle Keyboardeinsätze, herrliche Breaks und Gitarrensoli zwischen Genesis, Camel und Pink Floyd lassen den Progfan jubilieren. Auch John Hacketts Gesang erhebt sich als das Tempo im zweiten Drittel des Stücks anzieht.

Das Ende des Songs bringt den Rezensenten in Verzückung – ein unendlich schönes Gitarrensolo entschwebt in wunderbare musikalische Sphären.

Wird hier Platons Philosophenkönig, der Herrscher, der Liebe zur Weisheit, Intelligenz, Zuverlässigkeit und der die Bereitschaft, ein einfaches Leben zu führen, besitzt, herbeigesehnt? Oder wird dem Zuhörer ein Spiegel aufgezeigt, nach diesen Idealen zu leben, um eine bessere Welt zu schaffen?

Das Stück ist jedenfalls die Krönung dieser bemerkenswerten Sammlung von Liedern zwischen Jazz, Rock, Folk und Prog.

Zusammenfassung:

Nick Fletcher

Nick Fletcher ist ein feines Album zwischen Jazzrock, Progressiv – Rock und Songwriter gelungen. Es ist eine Weiterentwicklung des Albums We Are Not Alone der John Hackett Band und der Kollaboration mit John, Beyond The Stars, welche auch schon stark von seinem Gitarrenspiel geprägt sind.

Einflüsse von Camel zur Zeit eines Peter Bardens, Caravan, Bill Bruford und Bands der Progressive Rock Szene sind unüberhörbar. Jedoch entrückt Nick Fletcher diesen Einflüssen durch seine eigenständigen Kompositionen, und Arrangements.

Diese schöne Melange wird gekrönt, umschmeichelt und geführt von einem fantastischen eigenständigem Gitarrenspiel, das einem Alan Holdsworth, oder Steve Hackett würdig ist.

Nick Fletcher erfindet die Musik nicht neu, sie ist etwas rückwärtsgewandt, aber mit welchen Worten verleiht ihm Steve Hackett das verdiente Adelsprädikat?

„A fantastic album! Nick Fletcher is probably the best jazz rock guitarist in the country. His fluency is astounding, plus the possesses a first rate classical guitar technique to boot! I find the combination of him working with my brother John is totally incendiary?I consider Nick Fletcher to be an absolute star.“ *6.

„Ein fantastisches Album! Nick Fletcher ist wahrscheinlich der beste Jazzrock-Gitarrist des Landes. Sein flüssiges Spiel ist verblüffend, dazu besitzt er eine erstklassige klassische Gitarrentechnik! Ich finde die Kombination, in der er mit meinem Bruder John arbeitet, total aufregend… Ich halte Nick Fletcher für einen absoluten Star.“

Er trifft es gut. Ein tolles Album, dem man genügend Aufmerksamkeit nur wünschen kann. *7 Aus meinem Player ist es nur schwer zu entfernen.

Anmerkungen:

1. Erhältlich u.a. bei: https://www.musicglue.com/iona/products/nick-fletcher-cathedral-of-dreams-cd
2. Kollaborationen mit John Hackett: a) Musik für Gitarre und Flöte: Overnight Snow, 2013 (mit Steve Hackett), Hills of Andalucia, 2017, b) Prog-Rock: We are not alone, 2017. Beyond the Stars, John Hackett Band, 2018. Erhältlich u.a. bei: www.hacktrax.co.uk
3. Siehe u. a.: https://thebehaviourcircle.com/the-behaviour-circle-explained
4 Nick Fletcher im: https://www.youtube.com/watch?v=-2nNouVrDNA
5 siehe *4
6. Siehe: https://hacktrax.co.uk/index.php/product/cycles-of-behaviour/ und Bocklet
7. Teaser gefällig? https://www.youtube.com/watch?v=TpKKstx0zzY

Schlussbemerkung:

Die Vergleiche von Nick Fletchers Musik mit anderen Bands / Musikern sind subjektiv. Sie sollen dem Leser / Hörer einen ungefähren Eindruck der Reise durch Nick Fletchers außergewöhnliche Klangwelt geben und ihn animieren, diese auch zu wagen.

Autor: Thomas Jesse
Cycles Of Behaviour könnt ihr direkt auf Nick Fletchers Website kaufen oder in Deutschland  bei JustForKicks und JPC.