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Nad Sylvan – Vampirate Trilogie – Teil 2: The Bride Said No (2017)

Nach den positiven Reaktionen auf das Album Courting The Widow folgte zwei Jahre später das nächste Album: The Bride Said No. Auch hier hat sich Ole Uhtenwoldt mit dem Album beschäftigt und teilt seine Ansichten.

Das wichtigste zuerst: der Held hat den Sturz am Ende des letzten Albums gut überstanden und der Titel des zweiten Teils der Trilogie verrät bereits: die zur potentiellen Braut gewordene Witwe lehnt mit deutlichen Worten ab…eine Schande für den Vampirate, der es aber wenn man ehrlich ist, nicht anders verdient – war es doch sein eigener Sohn, um den die Witwe trauert und der scheinbar nicht ganz ohne Eingreifen des Vampirate das Zeitliche segnete. Klingt schräg? Nun ja, schräg ist vor allem, dass einem der Hauptcharakter immer noch sympathisch ist. Und obwohl der Titel der Platte ironischerweise schon deren Ende verrät, wird es nicht langweilig.

Was unterscheidet das zweite Album vom Ersten? Aufgenommen nach der Hackett-Tour 2016 ist es insgesamt druckvoller und geht direkter in eine Richtung. Der Sound ist rockiger und zuweilen auch moderner. Es ist das härtere Album, findet aber auch hier seine Kontrapunkte und ist insgesamt ähnlich gut ausgewogen wie der Erstling – nur eben eher mit Blick in eine etwas aggressivere Richtung, die im ersten Album vielleicht unterschwellig war, hier jedoch dem Hörer entgegen gespielt wird. Während die Songs auf Courting The Widow größtenteils von Nad bereits über die letzten Jahre erdacht wurden, als der noch bei Unifaun war, ist der Großteil von The Bride Said No während der neunmonatigen Tourpause von Genesis Revisitedentstanden.

Und personell? Soweit alles beim Alten, die Beteiligten scheinen sich eingespielt zu haben. Einzig Nick Beggs war zu involviert in andere Projekte und wird hier ersetzt durch eine weitere Legende: Tony Levin, der sich die Basseinsätze mit Jonas Reingold teilt. Dazu stößt auch der schwedische Musiker und Produzent Anders Wollbeck.

Außerdem rücken weibliche Stimmen mehr in den Vordergrund – wie bereits im ersten Album ist Jade Ellzu hören, mit der Nad bereits in den 90ern viel zusammengearbeitet hat. Mitgebracht hat sie Sheona Urquhart (auch als Saxophonistin) und Tania Doko, der noch eine wichtige Rolle zukommen wird.

Bridesmaids (1:17)

Es beginnt thematisch angepasst: leichtes Plätschern eröffnet das Album ehe, mittels eines Spieluhr-ähnlichen Sounds ein etwas schräges Motiv eingeleitet wird, das die von Jade Ell du Sheona Urquhart dargestellten Brautjungfern weiterführen. Im weiteren Verlauf des Albums wird das Motiv etwas variiert immer mal wieder aufgegriffen. Nad selbst steht eher im Hintergrund bei diesem Intro, das nicht viel länger als eine Minute bleibt und sich damit in bester Tradition von kurzen Songs befindet, die am Anfang eines Albums stehen – Steve Hackett machte es etwa bei Wolflight zwei Jahr vorher oder auch bei At The Edge Of Light zwei Jahre später. Bridesmaids ist ein skurriles Kleinod, schwillt dann im letzten Moment bedrohlich an und mündet schließlich in…

The Quartermaster(5:38)

The Bride Said No…einen shuffle-artigen Gitarrenrhythmus, der den Quartiermeister einführt. Der ruhige Start währt nicht lange, denn nach wenigen Sekunden bricht der Song aus, inmitten von teils dissonanten Orgel-Akkorden, wummerndem Bass, solierenden Synthies und einem fantastisch scheppernden Schlagzeug von Nick D’Virgilio. Ein sehr intensiver Beginn und musikalisch auf einer völlig anderen Ebene als Carry Me Home ein Album vorher. Offiziell ist dies eine Co-Komposition von Nad und einem gewissen Martin Skoog, der im wohl bereits eine Skizze dieses Songs vorstellt, die Nad dann vervollständigte und in diesem Album nun verwirklichte. The Quartermaster ist sicher eines der Highlights der Trilogie, insbesondere am Anfang zeigt es gleich schon mal, wohin der Weg geht. Nach einer kurzen Rückkehr zum Intro des Songs brechen wieder wirbelndes Schlagzeug und die einnehmende Orgel los, ehe der Song abrupt endet…ganz stark!

When The Music Dies (7:00)

Es wird dann doch wieder ruhiger; nach einer harmonischen Einleitung beginnt ein gleichmäßiger Rhythmus mit Synthie-Chören und grollenden -Bässen. Dieser Song zeigt speziell die Fähigkeiten von Nad und Anders Wollbeck als Produzenten: diese geben ihm kristallklaren Klang und schaffen eine hohe Dynamik im Wechsel der etwas leiseren Strophen und des über dem Track thronenden Chorus, in dem nebenbei auch der Chapman Stick von Tony Levin gut zu lokalisieren ist. Wie der Titel andeutet, geht es um Vergänglichkeit, vielleicht auch darum, dass sich der Vampirate selbiger bewusst ist, es aber nicht einsehen will. Der Song fließt träumerisch an einem vorbei und holt aus seinen sieben Minuten das Maximum heraus.

The White Crown (6:15)

Mit einer Cembalo-Abwandlung des Motives von Bridesmaids beginnt dieses Lehrstunde in schwedischem Humor. In wenigen Minuten will der Song möglichst viele Stilmittel unterbringen, die vielleicht gar nicht wirklich zueinander passen. Nad bekommt sie trotzdem gebändigt und bringt sie unter einen Hut. So haben wir orchestrale Abschnitte, ein Power-Riff von Jonas Reingolds E-Gitarre (!) und schräge Keyboard-Sounds, die sich dazumischen. Das kann einen Song wahnsinnig zerfahren wirken lassen, aber all diese Elemente werden so geschickt miteinander verknüpft, dass es The White Crowntrotzdem schafft, irgendwie stringent zu wirken – er wird eben effektiv inszeniert. Und wie kann man schon das Innenleben einer Braut kurz vor der Trauung besser schildern, als mit so einem Stück…Drama muss sein. Man kann es womöglich nur schwer einordnen, aber die musikalische Qualität und die deutlich anzumerkende Spielfreude entschädigt.

What Have You Done (8:29)

Was folgt, könnte für viele Fans wohl das emotionale Highlight des Albums darstellen. Beginnend nur mit Piano, klingt diese Co-Komposition von Nad und Jade Ell fast nach einer Musical-Adaption. Bald kommt ein süßlicher Keyboard-Sound hinzu, den manch einer vielleicht kitschig nennen mag, der aber irgendwie auch zur melancholischen Grundstimmung passt…eine abendliche Sommerwiese bei Sonnenuntergang erscheint vor dem inneren Auge. Der Track ist zunächst ein wunderschönes Duett von Nad und Jade Ell, ehe Doane Perrys Drums und Tony Levins Upright Bass einsetzen. Und dann kommt der Geniestreich: die nächsten Minuten legt Steve Hackettbestimmt eines seiner emotionalsten Soli der letzten Jahre hin. Und als sei das nicht schon genug, mischt sich eine zweite Gitarre ein, es wird kurz ruhiger, bevor Guthrie Govan ein nicht weniger fantastisches Solo zum Besten gibt. Nicht nur einen, sondern gleich zwei so großartige Gitarristen in einem Song unterzubringen und diese nacheinander solieren zu lassen…das macht einen schon sprachlos und hebt dieses Stück auf ein ganz neues Level. Zumal beide Gitarristen doch eher unterschiedliche Spielweisen verfolgen, was man hier deutlich heraushören kann. Ganz großes Kino!

Crime of Passion (Vampirate’s Anthem) (5:59)

Es geht weiter mit dunklen Chor-Passagen, die den Refrain des folgenden Stückes vorwegnehmen und schließlich einer von Streichern und Gitarren getragene Soundkulisse weichen, die auch sehr gut auf eines der letzten Alben von Steve Hackett gepasst hätte – passend, dass dieser auch hier an der Gitarre zu hören ist. Diesem Song kommt eine Sonderrolle bei, ist er doch quasi der Signatur-Song des Vampirate oder, wie der Titel sagt, dessen Hymne. Als solche klingt er dramatisch genug, um in die Emotionswelt des Helden einzutauchen, der sich der Witwe hingibt, sich aber dennoch verlassen fühlt. Man fühlt mit dem Vampirate und dessen Trauer und Verwirrung wird glaubwürdig wiedergegeben. Bei dieser Gelegenheit fällt einmal mehr der äußerst gut inszenierte Gesang von Sylvan auf, besonders wenn in der letzten Textzeile den Sehnsuchtsruf des Protagonisten „in my god forsaken life“ darbietet.

Als Zwischenbilanz kann man an dieser Stelle festhalten, wie vielseitig das Album klingt, sowohl im Gesamtsound verglichen mit dem ersten, als auch bezogen auf die Songs untereinander.

A French Kiss In An Italian Cafe (5:58)

Mit einem leicht verfremdeten Gitarren-Riff und hintergründigen Streichern und Orgeln beginnt der vorletzte Song. Die Strophen erinnern an jene von When The Music Dies, klingen aber durch sparsam eingesetzte, einzelne Chor-Akkorde düsterer. Dafür groovt der Chapman Stick von Tony Levin und hält den Rhythmus des Songs aufrecht, zusammen mit Doane Perrys fließenden Drums. Und gerade dann wenn man es nicht vermutet, setzt ein Saxophon-Solo von Sheona Urquhart ein, das sich exzellent einfügt und dem Song einen bluesigen Touch verleiht. Es passiert zwar nicht viel, aber an dieser Stelle ist er gut aufgehoben, quasi als Überleitung und Bombast-Pause zwischen dem Klagelied des Vampirate und der schließlichen Entscheidung der Braut, nicht Braut sein zu wollen.

The Bride Said No (12:26…nun ja, offiziell)

Nad SylvanMit über 12 Minuten der Longtrack des Albums und hier passiert alles, was man sich von einer geplatzten Hochzeit wünscht. Die Braut steht nun vor der Entscheidung und kommt im Verlauf des Songs tatsächlich ins Grübeln. Aber eigentlich weiß bereits jeder, wie die einzig mögliche Antwort nur lauten. Der Titelsong ist ein mitunter fast Dialog-artig angelegtes Duett. Der Rolle der Braut haucht Tania Doko mit einer leicht rauchigen Wärme Leben ein – in der stimmlichen Klangfarbe erinnert sie an Ninet Tayeb (Steven Wilson). Die Wut entlädt sich in ihrer kraftvollen Stimme, sie setzt die Rolle auf bestmögliche Weise um. Während das Intro eher Jazz-orientiert ist, zeigt der Mittelteil wiederum Nad als Keyboard-Solist, unterstützt von Jonas Reingolds charakteristischen Bassspiel, dass gleichzeitig begleitet und soliert. Ein weiterer Gesangspart leitet das Finale ein, in dem nochmal die ganze Band einsteigt und Tania Doko den ganzen Frust der Braut herausschreit, um ironischerweise das entscheidende „No“ wohlüberlegt und nüchtern vor sich hin zu raunen…und das war’s. Man hört die schnellen Schritte der Braut, die die Flucht ergreift, die Kirchenorgel implodiert und das Album endet mit einer auf einer Spieluhr variierten Version der Melodie, die es eröffnete…

…denkt man zumindest, solange man das Album nicht versehentlich weiterlaufen lässt. Denn nach einigen Minuten Ruhe wird plötzlich ein optimistisches, feierliches und ziemlich „retro“ klingendes Soundgewand eingeleitet: den Hidden Track Black Sheep gibt es als Zugabe. Geschrieben und aufgenommen im Jahre 1998 liegt hier ein wirkliches Relikt vor aus der Zeit, als Nad in den 30ern war und hart für einen Plattenvertrag kämpfen musste – was ihm bekanntlich erst 17 Jahre später gelang. Insofern macht der Track an dieser Stelle schon Sinn und wer kennt es nicht, als schwarzes Schaf zu gelten, wenn die eigenen Ideen von der Umwelt nicht gerade verstanden werden. Obwohl der Song stark autobiografisch ist, darf man aber auch den Bogen zu den Charakteren der Trilogie schlagen – sowohl der Vampirate als auch die Braut dürften Züge eines Black Sheep aufweisen.

Damit wird der zweite Teil der Trilogie abgeschlossen und es zeigt sich, dass Nad den eingeschlagenen Weg weiter gegangen ist, dabei aber durchaus auch neue Pfade beschreitet…das macht das Album und überhaupt den Verbund aller drei Alben so abwechslungsreich und man hat an keiner Stelle das Gefühl, dass Nad sich im Kreis dreht. Er hat seinen Stil gefunden, wandelt ihn aber ab, je nachdem, was gerade passt – und das gibt den Alben eine sehr gut austarierte Balance, ohne dabei gezwungen oder künstlich zu wirken.

So sollen auch mit dem finalen Teil der Trilogie neue Wege beschritten werden. Der Vampirate tut dies schließlich auch, nachdem er am Altar stehen gelassen wurde. Und was wäre es für eine Überraschung, wenn die Hinweise sich bestätigen und der Quartiermeister tatsächlich der königliche Bastard vom Folgealbum ist…

… weiter zum dritten Teil: The Regal Bastard

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Autor: Ole Uhtenwoldt