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Mike + The Mechanics – The Singles: 1985-2014 – Rezension

Anfang 2014 erschien eine weitere Best-of-Zusammenstellung der Mechanics – dieses Mal auch in einer Version mit Bonus-CD, die viele B-Seiten enthält. Ob sich die erneute Singles-Zusammenstellung deshalb lohnt, erfahrt ihr in unserer Rezension.

Mike will’s nochmal wissen! Im Gegensatz zu immer noch vielen Genesis-Fans wartet er wohl nicht mehr auf die große Genesis-Reunion und konzentriert sich bereits schon seit 2011 wieder mehr auf sein Solo-Ding mit den Mechanics. Diese bestehen zwar inzwischen bis auf Drummer Gary Wallis aus ganz anderen Leuten, aber Rutherford hat wohl auf den zahlreichen Konzerten seit dem Comeback-Album The Road gemerkt, dass seine Hits aus vergangenen Tagen durchaus noch das Volk begeistern können. Da verwundert es nicht, das er und/oder sein Management diesen Trumpf ausspielen und die Welt nochmal daran erinnern wollen, dass es da eine durchaus erfolgreiche Vorgeschichte gibt – auch wenn seit der letzten „Hits“-Compilation von 1996 kaum selbige nachkamen. Um sicherzugehen, dass auch damalige Käufer noch einmal zugreifen, gibt’s auf der neuen Compilation noch einen neuen, exklusiven Track auf der CD und, falls das nicht ausreichen sollte, gleich eine 2CD-Edition mit etlichen Raritäten, darunter auch ein bislang unveröffentlichter Song noch mit dem 2000 verstorbenen Mechanics-Sänger Paul Young.

CD1 – The Singles

Singles Cover

Über die Songs von CD1 brauch man eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren. Es sind fast sämtliche Single-Auskopplungen vertreten, wobei man sich leider nicht die Mühe gemacht hat, sich die teilweise abweichenden Single- bzw. Radio-Versionen der Tracks aus den Archiven zu kramen. So bekommt der Käufer hauptsächlich Album-Versionen der Singles geboten, die aber dann teilweise aus Platzgründen früher ausgeblendet werden.

Vom 85er Debüt-Album Mike + The Mechanics gibt es  wie bereits „Hits“ drei Songs: Silent Running (On Dangerous Ground) in einer um eine halbe Minute gekürzten Version (nicht die um das Intro gekürzte Single-Fasung), All I Need Is A Miracle in der 96er „Hits“-Neuaufnahme (allerdings nicht als Radio Edit) und das etwas früher ausgeblendete Taken In (das auf der nur in den Staaten und Kanada veröffentlichten 7“ noch etwas kürzer ausfiel). Auf die europäische Single Hanging By A Threadhat man wieder verzichtet.

Vom zweiten Album Living Yearsvon 1988 sind enthalten: früher ausgeblendete Album Versionen von Nobody’s Perfect(nicht der Edit), The Living Years, Nobody Knows (nicht der Single-Remix) und dieses mal auch die US/Kanada-Single Seeing Is Believing. Die Non-Album-US-Single Revolution, ein Beatles-Cover vom 89er Rude Awakening-Soundtrack, landete auf Disc 2.

Album Nr. 3, Word Of Mouth von 1991, hatte fünf Single-Auskopplungen zu bieten, von denen drei berücksichtigt wurden: natürlich der Titeltrack Word Of Mouth(nicht der Single-Mix), A Time And Place und Everybody Gets A Second Chance. Ausgelassen wurden die „EU only“-Singles Get Up (auf „Hits“ noch enthalten gewesen) und Stop Baby.

Das Album Beggar On A Beach Of Gold aus dem Jahr 1995 markierte die Verkleinerung der Band um bislang festen Mitglieder Peter Van Hooke (Drums) und Adrian Lee (Keyboards), bescherte der Band allerdings drei respektable (Radio)-Hits in Europa, die wie schon bei „Hits“ hier nicht fehlen dürfen: Over My Shoulder (erwartungsgemäß nicht als US-Remix), A Beggar On A Beach Of Gold (leicht früher ausgeblendet) und den Single Edit von Another Cup Of Coffee. Die nordamerikanische Radio-Single von Mea Culpa in editierter Version ist nicht enthalten.

Nach der Hits-Compilation von 1996 mit der Neuaufnahme von All I Need A Miracle und vor dem Tod von Paul Young erschien 1999 noch ein weiteres Album ohne wirklichen Titel, welches aber als M6 bekannt ist und zwei Singles hervor brachte: zum einen Now That You’ve Gone(hier allerdings nicht im „Single Edit“ vertreten) und Whenever I Stop, die beide zumindest in Europa im Radio oft gespielt wurden. Der lediglich auf Promo-CD veröffentlichte Single-Remix von All The Light I Need wurde verständlicherweise nicht berücksichtigt.

Traurigerweise zum Duo geschrumpft veröffentlichten Mike Rutherford und Paul Carrack mit Hilfe einiger alter und neuer Gesichter 2004 das Album Rewired zu dem es zwar zu jedem Track ein Video gab, allerdings lediglich drei „Radio Edit“-Tracks, die nur als Promo-CDs existieren: weder One Left Standing noch If I Were You schafften es auf die Compilation, und Perfect Childrutschte auf die Bonus Disc, nachdem für einen neuen Track auf CD1 der Platz fehlte.

Nach 7-jähriger Mechanics-Abstinenz veröffentlichte Rutherford 2011 mit ausgetauschter Mannschaft und den neuen „Gesichtern“ Andrew Roachford und Tim Howar ein neues Album mit dem Titel The Road. Von den drei Radio-Promos Reach Out (Touch The Sun), Try To Save Meund The Road(alle gesungen von Roachford) schafften es zumindest die beiden ersten als Album-Versionen auf die Zusammenstellung.

Ebenfalls von Andrew Roachford gesungen ist der neue Song When My Feet Don’t Touch The Ground. Von ihm und Mike Rutherford gemeinsam geschrieben und von Rutherfords Sohn Harry produziert, bekommt man hier eine eher einfach gestrickte Midtempo-Radio-Pop-Nummer geboten.

One By One (3:34) (bislang unveröffentlicht)

Singles und rarities cover

Dieser von Paul Young gesungene Song verschwand seinerzeit aus unbekannten Gründen im Archiv. Dabei hat die groovige Rock-Nummer durchaus Charme und Hitpotenzial. Leider ist nicht genau ersichtlich, wann der Song entstand. Ohne E-Drums und mit Hammond-Orgel stammt er aber höchstwahrscheinlich aus den 90er Jahren, und war möglicherweise als Bonus Track der Hits-Compilation von 1996 gedacht, aber nicht fertig produziert worden. Nach Angaben von Mike Rutherford stammt der Song aus den Sessions von M6. Harry Rutherford hat den Song nun fertig produziert.

Nobody Told Me(3:41)

Diese luftige Gute-Laune-Nummer mit Motown-Anleihen, geschrieben von Rutherford/Carrack und gesungen von Carrack, ist eine der zahlreichen Outtakes des Beggar-Albums von 1995 und erschien auf der Beggar-Single-CD.

I Think I Got The Message(3:40)

Ein emotionaler Paul Young beweist bei dieser lediglich mit Piano und Streichern arrangierten Ballade eindrucksvoll, dass er nicht nur Rock-Songs gut interpretieren kann. Warum es dieser Rutherford/Robertson-Track nicht auf das 91er Word Of Mouth-Album und lediglich auf die B-Seite der Get Up- bzw. Stop Baby-Single schaffte, ist unklar.

Too Many Friends(4:22)

Das einzige Outtake der Living Years-Phase 1988 erschien als B-Seite der gleichnamigen Single. Von Mike Rutherford und Christopher Neil geschrieben und produziert und von Paul Carrack gesungen, verbreitet die Nummer schon fast sonnig-karibisches Flair und hat wohl deshalb auf das eher schwermütige Album nicht gepasst.

You Never Change(5:13)

Melancholisch wird’s bei dieser weiteren Rutherford/Carrack-Kollaboration der Beggar-Ära. Traurige Strophen mit programmiertem Groove wechseln sich hier mit dem sehnsüchtig-mächtigen Refrain ab. Das von Rutherford/Neil produzierte Stück erschien im Zuge der Another Cup Of Coffee-Auskopplung. Eine überarbeitete Version erschien übrigens 2000 auf der nur in Schweden veröffentlichten Best Of-Compilation Favourites.

Always The Last To Know(4:09)

Von Mike Rutherford und BA Robertson komponiert und von Paul Young gesungen, hat es auch diese zwar flott swingende, aber eher schwermütige Pop-Nummer nicht auf das Beggar-Album geschafft und fand seinen Platz auf der B-Seite der Over My Shoulder-Single. Wie alle Tracks dieser Zeit wurde auch diese von Rutherford und Neil produziert.

You Don’t Know What Love Is (5:15)

Überbleibsel Nr. 4 des Beggar-Albums wurde wieder von Rutherford und Robertson geschrieben. Carracks Gesang pendelt hier zwischen soft-balladesken Strophen und schon fast wütenden Refrains. Zu finden ist das Stück auf der bereits erwähnten Coffee-Single.

Boys At The Front(4:02)

Ungewöhnlich rockig kommt dieser Rutherford/Neil-Nummer daher. Das Gitarren-Riff des von Young gesungenen Beggar-Outtakes erinnert in seiner Spielweise und dem Tempo mitunter an I Can’t Dance, aber wird durch stadiontaugliche Mitgröhl-Refrains in doppeltem Tempo unterbrochen. Sie erschien als eine der Bonustracks der Beggar-Single.

Perfect Child(5:00)

Keine wirkliche Rarität ist diese von Mike und Peter Van Hooke produzierte Rutherford/Carrack/Robertson-Komposition, da es regulärer Rewired-Album-Track aus dem Jahr 2004. Die relativ elektronisch produzierte Midtempo-Nummer mit sehr radio-tauglichem Mitsing-Refrain sollte ursprünglich als eiziger Repräsentant des von Mike ungeliebten Rewired-Albums auf Disc 1 der Compilation erscheinen, wurde aber zugunsten des neuen Exklusiv-Tracks When My Feet Don’t Touch The Ground auf die Bonus-Disc verbannt. Auf der Single-Promo waren übringens noch ein Radio- und TV-Edit enthalten.

Crime Of Passion(Acoustic Version) (5:01)

1991 war dies ein erster Versuch der Mechanics, Songs in akustischem Gewand zu präsentieren. Anders als auf der regulären Version auf Word Of Mouth kommt der Gesang von Carrack durch sparsame Instrumentierung mit akustischer Gitarre, etwas Piano/Streicher und gestreichelten Drums besser zur Geltung. Die von Rutherford allein produzierte Fassung erschien auf einer der Stop Baby-Single CDs.

Little Boy(4:31)

Eine treibendes Drum Machine-Pattern leitet diese von Young gesungene und aus der Beggar-Phase stammende Rutherford/Neil-Komposition ein, die zwischen getragenen Strophen und optimistischen Refrains mit ungewohnt akustischer Retro-Rhythmusgitarrenbegleitung wechselt.

Help Me (4:41)

Wieder ein Rutherford/Neil-Track der Beggar-Sessions, der hier allerdings eine typische Ballade für Paul Carrack ist.

Revolution (4:02)

Hier haben wir einen echten „Ausreißer“. Es ist eine von von Tom Lord-Alge und Mike Rutherford  produzierte Version des Beatles-Klassikers, welche 1989 auf dem Soundtrack zum Film Rude Awakening landete und auch in Nordamerika als Single erschien. Die genaue Besetzung der  Einspielung ist nicht bekannt, aber beide Pauls teilen sich die Vocals.

I Get The Feeling(Live) (5:52) (bislang unveröffentlicht)

Taken In(Live) (5:32) (bislang unveröffenticht)

Diese beiden Live-Tracks wurden zwar 1988 bzw. 1991 als Bonus Tracks/B-Seiten veröffentlicht, aber definitiv als andere Aufnahmen. Das auf der 12“ und Single-CD von The Living Years veröffentlichten Live-Version von I Get The Feeling stammt von der 86er US-Tour, wobei die hiesige eine bislang unveröffentlichte Aufnahme der 89er-Konzerte sein dürfte – ebenso die hier verwendete Live-Version von Taken In, die allerdings auch eine andere ist, als jene, die auf der limitierten Single-CD von Word Of Moutherschienen ist. Warum man nicht die (besser abgemischten) Original-Tracks genommen hat, ist unklar.

Word Of Mouth (East West Mix) (6:17)

Mike + The Mechanics Singles draft cover artwork

Der ursprünglich 1991 auf der 12“/Single-CD von A Time And Place veröffentlichte Remix, der mit dem Original nicht mehr allzuviel gemeinsam hat, ist hier in einer anderthalb Minuten früher ausgeblendeten Fassung enthalten.

Too Far Gone(4:13) (erstmals auf CD)

Zum Schluss gibt es noch ein Schmankerl für die Fans. Der von Mike geschriebene und selbst produzierte Instrumental-Track wurde zwar als B-Seite der Mechanics-12“ zu Silent Running veröffentlicht, stammt aber ganz klar aus den Aufnahme-Sessions zu seinem zweiten Solo-Album Acting Very Strange von 1982.

Fazit

Scheinbar war es strategisch an der Zeit, mit Hits vergangener Tage wieder auf sich aufmerksam zu machen. Die größten Erfolge der Mechanics waren bereits schon auf der Hits-Compilation enthalten, insofern überschneiden sich die meisten Titel, und zwar in exakt den gleichen Versionen, sprich fast ausschließlich Album-Fassungen. Für die neue 1CD-Variante hätte sich für Fans, Sammler und Radio-Hörer sicher mehr gelohnt, die verschiedenen Single- & Radio-Versionen zu verwenden. Somit hatte man sich auch das aus Platzgründen frühere Ausblenden einiger Tracks sparen können. Aber die nur unwesentlich teurere 2CD-Edition entschädigt mehr als genug. Alle Non-Album-Tracks der Mechanics, die qualitativ oft den regulären Album-Tracks in nichts nachstehen,  gibt es nun gesammelt auf dieser Disc. Zwar gibt es immer noch einige Raritäten, die sich auf der Zusammenstelung gut gemacht hätten, wie zum Beispiel die Extended Versions von All I Need Is A Miracle und  Nobody’s Perfect oder die Mechanics-Live Version des Rutherford-Solo-Tracks I Don’t Wanna Know, aber bei dieser unerwartet „netten“ Geste dieser Raritäten-Disc von Mike, Management & Plattenfirma muss Kritik nicht allzu heftig ausfallen. Dennoch: ein rechtzeitiges Zu-Rate-ziehen der gut informierten Fanbase bei Veröffentlichungen dieser Art wäre durchaus nicht das schlechteste.

Autor: Steffen Gerlach

Coverabbildungen: Einzel-CD, Doppel-CD, ursprüngliches Cover mit falschen Jahreszahlen