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Mike + The Mechanics – Mike + The Mechanics (1985) – Rezension

1985 wagte Mike Rutherford nach zwei Soloalben ein weiteres Bandprojekt neben Genesis. Das Debütalbum war enorm erfolgreich. Frank Wessel ordnet das Werk rückblickend ein.

Wir schreiben das Jahr 1985: Das Jahrzehnt feiert Bergfest und die Popmusik erreicht einen neuen Höhepunkt. Bands wie Duran Duran, Depeche Mode, a-ha oder die Pretenders erschaffen Klassiker ihrer Zunft. Einige der Dinosaurier haben uns zwangsweise verlassen, wie z.B. Led Zeppelin, oder aber erleben eine Wiedergeburt wie Eric Clapton. Auch gibt es Bands die ihren Stil radikal ändern, wie Queen oder Genesis, welche sich ganz klar den Pop der 80er zu eigen machen, und Phil Collins wirft mit No Jacket Required mal eben ein Album auf den Markt, das vor Hitsingles nur so strotzt. An diesem Punkt der Geschichte kommt Mike Rutherford von Genesis ins Spiel. Er hat mit seinen Bandkollegen zwei Jahre vorher ein großartiges selbstbetiteltes Album herausgegeben und mit der außergewöhnlichen Single Mama überrascht, auf welcher er sich für den bemerkenswerten Drummachine-Rhythmus verantwortlich zeichnete.

Entstehung der Mechanics

Nun stellt ihn Genesis aber nicht rundum zufrieden und Mr. Rutherford formuliert es wie folgt: man benötige einen „Breath of fresh air“. Nach zwei nicht völlig misslungen, aber wenig erfolgreichen Soloalben, beschließt Mike also, ein neues Team für seine Songideen zu suchen. Dabei möchte er besonders auf die Zusammenarbeit mit anderen Komponisten setzen: Ein Songwriters-Collective. Dieser Begriff kommt uns sicher aus den Anfangstagen von Genesis bekannt vor. Außerdem musste Mike feststellen, dass er über keinerlei Sangestalent verfügt und auf dieser Ebene Unterstützung benötigt.

Auf diesem und den drei kommenden Alben wird Mike nun verstärkt mit B.A. Robertson und Christopher Neil, der dieses erste Album auch produziert, die Lieder schreiben. Der Bandname ist vermutlich dem Grundgedanken des Projekts zugrundeliegend, aber trotzdem eher schräg und skuril als cool für dieses doch sehr auf Coolness bedachte Jahrzehnt.

Mike + The Mechanics waren geboren. Das Bild des Mechanikers wird sich fortan zudem auf etlichen Plattencovern wiederfinden.

Mike + The Mechanics

Mike Rutherford lässt seine neuen Songs von nicht weniger als drei Sängern, genaugenommen sogar vier, präsentieren – und das bei einem Album von nur neun Liedern. Als Sängerkern wird sich in der Zukunft aber das Duo Paul Carrack und Paul Young etablieren und beide sind keine Unbekannten im Musikgeschäft. Bis zum inklusive dritten Album, Word Of Mouth, soll das Lineup, bestehend aus Mike, den beiden Pauls, Schlagzeuger Peter van Hooke und Keyboarder Adrian Lee zudem Bestand haben.

Die Musik

Das schlichte und etwas nichtssagende Cover lässt wenig Rückschlüsse auf die Musik zu, die den geneigten Hörer nun erwartet. Ein Keyboard wabert in einem sphärischen Intro und leitet in einen bombastischen, im Midtempo gehaltenen Pop-Rock-Song über. Paul Carrack singt dieses erste Stück, welches auch direkt in einem Soundtrack zum Film „On Dangerous Ground“ (bzw. „Choke Canyon“ in den USA) Verwendung findet. Die Produktion ist üppig, kühl und sehr technisch klingend, wie für die 1980er Jahre nun mal üblich. Silent Running ist auf jeden Fall ein Opener, der Lust auf mehr macht und man wird nicht enttäuscht.

Diesem ersten Highlight folgt ein zweites, zumindest melodisch. Das Stück All I Need Is A Miracle hat einen klassisch infizierenden Refrain, der nicht mehr aus dem Kopf geht und genauso schlicht wie genial ist. Über den Text „All I Need Is A Miracle, all I need is you“ darf man durchaus geteilter Meinung sein. Trotzdem ein tolles, positives Lied, das auch heute noch auf Konzerten die Leute wirklich von den Stühlen reißt. Erwähnenswert ist hier auch Paul Young, der locker und mit viel Druck singt.

Das dritte Lied, der dritte Sänger und man muss konstatieren, hier kommt der erste qualitative Bruch. Par Avion ist eine Ballade, von John Kirby gesungen, die, getragen von einer Genesis-typischen Drummachine, wenig zu bieten hat. Die Lyrics „Here comes the night, here comes the dreaming of you“ veranlassen den Hörer auch nicht gerade dieses Stück öfter zu goutieren. Schade, nach einem solchen Doppeleinstieg nach Maß.

Hanging By A Thread beginnt mit einem schnellen, irritierend nach etwas wie Pistolenschüssen klingenden Beat, um dann regelrecht zu explodieren. Paul Young singt dieses kraftvolle Lied energisch und die schöne, rein instrumentale und melodische Middle Eight sollte richtig laut gehört werden.

Der nächste Song, I Get The Feeling, ist nun wieder ein stilistischer Bruch. Gesungen von Paul Carrack ist dieses Lied etwas weniger üppig arrangiert. Man hört eine Orgel im Hintergrund und die fanfarenähnlichen Keyboards könnten genauso gut echte Bläser sein. Ein schönes Stück, das Abwechslung und den Soul in das Album bringt.

Pressefoto 1985

Es folgt mit Take The Reins wieder ein härteres Stück und so langsam merkt man, wie die Aufteilung der Sänger funktioniert. Paul Young singt, wie hier, die rockigen Stücke und Paul Carrack, mit viel Blue Eyed Soul in der Stimme, übernimmt den softeren Part. Ein schneidend helles Gitarrensolo hat der Song auch zu bieten und man sieht vor dem inneren Auge förmlich einen typischen achtziger Jahre Axeman sein Arbeitsgerät, nein, nicht die wilde Mähne, schwingen.

Es folgt die zweite Ballade des Albums, wieder von John Kirby gesungen, und ist leider auch ein echter Totalausfall. You Are The One ist ein eher hymnisch angelegter Song, der mitten im Gesang ausgeblendet wird und einfach keinen positiven Eindruck hinterlassen mag. Das Lied von a-ha mit gleichem Titel ist deutlich besser.

Nun beginnt das heimliche Highlight des Albums: A Call To Arms entstammt den Sessions zu Genesis‘ letztem Album. Dieser dramatische düstere Song wird von Paul Carrack zusammen mit Gene Stashuck gesungen. Gertragenes, hymnisches Keyboard leitet ein. Ein stampfender Beat und Gene beschwören den „Ruf zu den Waffen“. Der erhabene, weniger düstere Teil wird von Paul Carrack und einem wunderbaren Backing Chor bestritten. Natürlich denkt man jetzt instinktiv daran, wie dieser Song mit Phil Collins geklungen hätte, aber er hätte auf das Genesis-Album einfach nicht gepasst und kommt hier zu seiner vollen Entfaltung. Auch dieses Stück bekommt leider kein echtes Ende spendiert und wird leidlich ausgeblendet.

Es folgt das letzte Stück Taken In. Es ist eine Ballade die, ja tatsächlich, von Paul Young sehr kompetent vorgetragen wird und mit einer schönen Melodie erfreut. Das Arrangement ist wieder etwas einfacher gehalten und das einfühlsame Saxophon ist hier keineswegs kitschig.

Fazit

Ein bewundernswertes Album endet also nach neun größtenteils interessanten bis hervorragenden Songs. Das gerade die Balladen die Schwachstellen bilden, ist fast ein wenig unverständlich, da Mike Rutherford bereits bewiesen hat, dass er auch auf diesem Gebiet recht beschlagen ist. Der für Mike typische „Dingidingiding“ Gitarrensound ist auf diesem Album noch nicht wirklich zu vernehmen. So richtig wird dieser sich auf Genesis‘ nächstem Album plus Titeltrack Invisible Touch finden lassen. Wenn die Mechaniker dann schließlich ihre Living Years erklingen lassen, ist dieser Signature Sound einfach nicht mehr wegzudenken. Aber das ist ist eine andere Geschichte.

Autor: Frank Wessel