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Mike + The Mechanics – M6 – Rezension
Nachdem Genesis ihren Umbruch in Form von Album und Tour getestet haben, widmeten sich die einzelnen Mitglieder wieder ihren Soloprojekten. Mike Rutherford nahm ein neues Album mit seinen Mechanics auf, das nun wahlweise M6 oder schlicht Mike & The Mechanics hieß.
Mike + The Mechanics – Self oder M6?
…and then there were three – so wird es bei dem neuen Album der Mechanics indirekt und doch unmissverständlich bekannt gegeben, denn schon auf der ersten Seite des Booklets werden Mike, Paul Y. und Paul C. als Mechanics angegeben. Das war’s dann auch, denn auch die Mechaniker sind geschrumpft, von ursprünglich fünf auf drei Mitglieder.
Ungewöhnlich deutlich hatte sich das ja schon beim Beggar-Album angedeutet. Nun sind die Mechaniker definitiv zu dritt. Aber wenn man sich die Verteilung der Instrumente auf die drei anschaut, dann muss man auch feststellen, dass man für eine Studioproduktion mehr nun wirklich nicht braucht. Wie üblich übernahm Mike die Gitarre und den Bass, und Paul Young durfte sich neben den Vocals auch noch als Perkussionist austoben. Auf Paul Carrack ist überraschenderweise der Löwenanteil gefallen. Neben den üblichen Vocals und Keyboards spielte er noch Gitarre (wohl Akustik-Gitarre) und Schlagzeug, wobei er noch vom Studio-Drummer Gary Wallis unterstützt wurde, der auch schon beim letzten Album mitmischte. Noch hervorzuheben ist, dass acht der insgesamt dreizehn Songs von Mike und Paul Carrack und davon zwei von allen dreien geschrieben wurden und nur fünf vom üblichen Songwriter-Team Rutherford/B.A.Robertson bzw. Rutherford/C. Neil. Sicherlich kommt auch deswegen das gesamte Album irgendwie unverbraucht rockiger und lebendiger rüber als die bisherigen Alben, die doch teilweise ziemlich stark aus künstlich erzeugten Popelementen bestanden.
Als „entschlackt und luftig“ wurden die Songs in einer Kritik beschrieben, und genau diese Worte bringen es auf den Punkt. Ein insgesamt sicherlich einwandfreies Pop-Album, das die Themen „Trennung und Liebe und Trennung…“ in allen Variationen behandelt, aber auf keinen Fall so einfach durchnudelt, sondern schon mit einem gewissen Anspruch vermittelt und musikalisch umsetzt. Kurzes Rätselraten gibt es dann noch bei der Festlegung des eindeutigen Titels des Albums. M6? Oder doch Mike & The Mechanics? Letzteres dürfte wohl der Fall sein, denn schließlich unterscheidet sich dieser Titel dann doch zumindest schreibtechnisch vom Erstlingswerk Mike + The Mechanics. Mit „M6“ sollte dann wohl auf das insgesamt sechste Werk verwiesen werden, obwohl es sich eigentlich um das fünfte Studioalbum handelt, denn wer zählt schon ein Greatest Hits-Album mit?
Bei den Songs ist man mit einer thematischen Besprechung schnell durch, denn bei so einem Album sollte die Musik doch die wichtigere Rolle spielen. Neben den perfekt inszenierten Melodien sucht man hier außergewöhnliche und aus Experimentierfreude entstandene Klangkonstruktionen zwar vergeblich, aber das muss ja auch nicht immer sein, und das tut der ganzen Produktion auch ganz gut. Wahrscheinlich braucht auch Mike davon hin und wieder eine Pause. Zu den Songs im einzelnen:
Whenever I Stop (Rutherford/Carrack) ist ein Opener, der so richtig Laune auf den Rest macht. Im Volumen absolut richtig dosierte Akustikgitarren und ein typisch gut klingender Paul Carrack überfallen einen förmlich mit diesem erfrischend gut klingenden Song, der zum Ende hin noch von einem weiblichen Background-Chor ergänzt wird. In diesem Lied erkennt jemand, dass er sich ändern muss, um eine bestimmte Person, die er nun erst schätzen lernt, da sie fort ist, zurückzubekommen. Immer wenn er zur Ruhe kommt, quälen ihn diesbezüglich Fragen und Gedanken.
Now That You’ve Gone (Rutherford/Carrack) ist unüberhörbar die Hit-Single des Albums und erklingt in einem für die Mechanics ungewöhnlich „trendigen“ Dance-Sound, wodurch die Drums leider etwas künstlich ru?berkommen. Wahrscheinlich liegt das am für diesen Song mitverantwortlichen Co-Produzenten Brian Rawling, der kurz zuvor Cher mit Believe in die Charts schießen ließ. Glücklicherweise gibt es bei den Mechanics keine computerverzerrten Stimmen, und auch sonst erscheint dieser Song irgendwie handfester. Auch fu?r diese Singleauskopplung sang wieder Paul Carrack, was dem Song sozusagen den letzen Schliff gab. Thematik: Jemand wird von einer geliebten Person verlassen, muss nun damit fertig werden und ist nur noch ein Schatten seiner selbst (könnte es vielleicht auch ein Klageruf von Mike an seinen ehemaligen Genesis-Kollegen Phil Collins sein?).
Bei Ordinary Girl (Rutherford/Carrack/Young) wird schon im Titel deutlich, dass es sich bei der hier behandelten weiblichen Person um ein ganz einfaches Mädchen handelt, das seinen ganz stinknormalen Partner richtig liebt, so dass selbst ein Mann, der sie umschwärmt und mit außergewöhnlichen Dingen verwöhnen will, sie nicht bekommen kann. Es ist der erste Song des Albums, bei dem Paul Young als Lead-Sänger zum Zuge kommt und ihm mit seiner etwas rauheren Stimme das gewisse Etwas gibt. Zusammen mit der fast countrymäßigen Rutherford-Gitarre und dem richtigen Tempo ist das eine tolle Kombination.
All The Light I Need (Rutherford/BA. Robertson) ist meiner Meinung nach die tollste Ballade, die die Mechanics bisher herausgebracht haben. Mit einer eindringlichen und auf das Wesentliche instrumentalisierten Melodie, mit nicht überschäumenden Drums an den wesentlichen Stellen sowie einem hervorragenden Text verzaubert dieser Song seine Hörer. ‚Verzaubert“ soll hier nicht kitschig klingen, sondern hat in diesem Zusammmenhang schon etwas Magisches, so wie in einer Beziehung, von der hier die Rede ist. Auch da geben sich der von Paul Carrack personifizierte Mann sowie sein Gegenüber mit der Magie des Wesentlichen zufrieden, das diese Menschen eben auch über äußerst schwierige Zeiten hinweg zusammen hält. Einzig die Keyboardeinlage scheint leicht unglücklich gestaltet, doch dieser charmante Song hat solch großes Potential, dass er dies locker wegsteckt.
What Will You Do (Rutberford/B.A.Robertson) röhrt Paul Carrack schon fast seinem Gegenüber als hämisch, anklagende Frage ins Gesicht, mit der er wissen will, was seine Partnerin wohl den Rest ihres Lebens tun wird, wenn er sie verlassen hat. Genauso deutlich, wie er hier zu verstehen gibt, dass er genau weiß, wer am Zusammenbruch der Beziehung Schuld hat, wird am Ende klar, dass er sich wohl dieselbe Frage stellt. Unterstützt wird er an den entscheidenden Passagen von einem passenden Chor, ansonsten sind schnelle, aber dennoch zurückhaltende Drums und ein leicht verzerrter Gitarrensound die Begleiter dieses Stückes. Die auf die schönen Seiten dieser Beziehung zurückblickenden Teile werden dann auch etwas langsamer gespielt.
My Little Island (Rutherford/BA Robertson) ist dann auch schon die nächste Ballade dieser CD, mit der Paul Young gefühlvoll und andächtig von einem (geistigen) Ort berichtet, an den man sich zum Relaxen zuru?ckziehen kann. Genauso andächtig kommen auch Drums und Gitarre zum Zuge. Die eigene kleine, zu heile Welt eben, in der man auch zu zweit genießen kann, untermalt von sanften Streichern, die man nicht eindeutig als Synth-Strings entlarven kann.
Open Up (Rutherford/Carrack) wird von leisem Synth-Drumming und angehaucht, geschrubbt gespieltem Gitarrensound eingeleitet und mausert sich mit wohlklingender Carrack-Stimme zum melodischen Pop Song. Man sollte in einer Beziehung seine Gefühle immer offen zeigen, klagt Paul Carrack hier irgendwie auch nach einer neuen Chance. Zwar ist eine Trennung noch nicht vollzogen, doch durch seine verschlossenen Gedanken und entsprechendes Verhalten wird man halt immer falsch gedeutet und bei Vermittlung seiner tatsächlichen Gefühle unglaubwü?rdig.
When I Get Over You(Rutherford/C. Neil) – wenn er erst mal über die schmerzlich gescheiterte Beziehung hinweg ist, ja, dann wird er alles ganz anders machen: Die vergangene Zeit vergessen und die einst geliebte Person verdrängen, wohl wissend, diese dadurch zu verletzen. Wenn man ihm jedoch Glauben schenken sollte, dann ist auch ihm sehr übel mitgespielt worden. Ein sich noch in der Verarbeitung befindender schmutziger Trennungskrieg, von den Mechanics in einen schnellen, leichten Gitarrensound mit im Hintergrund klagenden Streichern verpackt. Dazu eine gewollt teilweise hallende Stimme des Lead-Sängers Paul Young.
If Only (Rutherford/Carrack) wird als weitere Ballade, unterlegt von einem langsamen Bass, mit leicht lauter werdenden Drums und leise durchklingenden Keyboards, von Paul C. im Refrain zu wahren Höhenflu?gen verholfen. Ob hier Paul Carrack oder Mike das kurze Akustikgitarrensolo spielt, ist nicht hörbar. Nach zwei Instrumenten klingt es jedoch nicht. Inhaltlich geht es um eine Trennung, die wohl von beiden Beteiligten bereut wird und die diesmal auf die Verschlossenheit des Gegenüber zurückzuführen ist. Eine neue Chance ist für ihn unausweichlich.
Asking (For The Last Time) (Rumerford/Carrack) kommt mit einem sanft-dynamischen Bass unterlegt und mit leicht luftigen Drums und groovigen Gitarren im Refrain recht angenehm rüber. Ergänzt wird das Ganze von Carrack-typischen Hammond-Orgelklängen und einem weiblichen Backgroundchor. Hier fragt jemand sehr eindringlich zum letzten Mal, ob er die Entscheidung seiner Partnerin, ihn zu verlassen, noch ändern kann. Wohl wissend, selber Fehler gemacht zu haben, gibt er jedoch rein äußerlich zu verstehen, dass er aber auch damit leben könnte. Das sollte man ihm bei der sich im Refrain immer wiederholenden nun wirklich allerletzten Frage aber nicht glauben.
Always Listen To Your Heart (Rutherford/Carrack/Young) beginnt mit verzerrten mehrstimmigen E-Gitarren und tuckert in einem langsam fortschreitenden Tempo und unspektakulären Drums dahin. Paul Young erteilt hier als erfahrener Mensch, der in der Lage ist, sich Fehler einzugestehen und daraus zu lernen, allgemeingültige gute Ratschläge an eine jüngere Generation: Immer auf den Ruf seines Herzens hören, ehrlich sein und im alltäglichen stressigen Leben Stärke zeigen, was alles wohl u.a. den gesunden Menschenverstand repräsentieren soll. Ein mehrstimmiger Gesang, der hauptsächlich aus Paul Young besteht, untermalt den Refrain.
Did You See Me Coming (Rutherford/Carrack) wird durch laute und eindringliche Akustik-Gitarren eingeleitet, die später leicht von ihren E-Schwestern rhythmisch unterlegt werden. Paul Carrack beklagt hier eine unehrliche Partnerin, der er bis jetzt, ihr immer glaubend, wohl seine Zeit vergeudet hat. Das weist aber auch daraufhin, dass er ihr immer wieder Chancen gegeben hat, was er aber wohl auch erneut tun wird, obwohl er nun um die „Macken“ seines Gegenübers weiß. Ein angenehm klingender Mechaniker-Backgroundchor ist auch zu hören.
Look Across At Deamland (Rutherford/B.A.Robertson) beendet würdig dieses wundervolle Album als, langsame, liebevolle Ballade, die Paul Young zum besten gibt. Teilweise nur angehauchte Instrumente treiben im Fluss eines angenehm langsamen Rhythmus dahin und vermitteln irgendwie ein Gefühl von Reinheit und innerer Ruhe. Selbstfindung im Traumland – wohl das Land der Liebe, das es gerade von jungen Menschen zu entdecken gilt und in dem man sich zurechtfinden muss. Geheimnisvolles und magische Momente gilt es zu ergründen, am besten mit einer geliebten Person, mit der man dann auch nach den Sternen greifen kann.
Die dreizehn Songs – allesamt perfekt arrangiert, mal mehr und mal weniger tiefgründig – behandeln das altbewährte Thema – besonders im Hinblick auf Trennung. Wer von den Mechanics nun wirklich eine Leidensgeschichte umzusetzen hatte und ob das überhaupt der Fall war, bleibt dahingestellt. Wahrscheinlich wurden die Songs aber mal wieder mit den Themen bestückt, mit denen sich normale Leute nunmal alltäglich befassen. Alles in allem ist das neue Album ein unbestritten tadelloses Werk, das eine solide Fortführung des Projektes Mike & The Mechanics darstellt. Personell reduziert und gefühlsmäßig hat es sich nun zu einer echten Band gemausert. Eine weitere Qualitätssteigerung ist nicht zu überhören und lässt auf kommende Veröffentlichungen hoffen. In bezug auf Genesis ist noch zu sagen, dass dieses Album wirklich weit entfernt von Calling All Stations ist und wohl mehr an We Can’t Dance anzulehnen ist. Bleibt zu hoffen, dass sich Mike weiteres Potential an zündenden Ideen für das neue Genesis-Album aufgehoben hat.
Autor: Oliver Schwarze
zuerst veröffentlicht in itNr.27 (Herbst 1999)