- Artikel
- Lesezeit ca. 6 Minuten
Mike + The Mechanics – Live At Shepherds Bush – DVD Rezension
Besucher der letzten beiden Mechanics Tourneen berichteten von durchweg relativ kurzen, aber auch kurzweiligen Konzerten mit einer beachtlichen Live-Band-Qualität…
Anders als zu erwarten war endete die Geschichte von Mike & The Mechanics nicht mit Paul Youngs tragischem Tod, sondern fand in dem recht experimentellen Album Rewired eine beachtenswerte Fortsetzung. Dass die Mechanics plötzlich Mike & The Mechanics & Paul Carrack hießen, kann man genauso als Gimmick betrachten wie die Tatsache, dass Mike Rutherford und die Mechanics im Vorprogramm von Phil Collins letzter großer Europa-Tour spielten. Für Genesis Fans war dies eine ziemlich kuriose Situation.
Besucher der letzten beiden Mechanics-Tourneen berichteten von durchweg relativ kurzen, aber auch kurzweiligen Konzerten mit einer beachtlichen Live-Band-Qualität. Der frische Mix aus den beiden Pauls am Mikrofon und die immer hochkarätigen Gastmusiker – wie etwa Tim Renwick, Gary Wallis (beide tourten 1994 auch mit Pink Floyd) oder Jamie Moses (tourt derzeit mit Queen + Paul Rodgers) brachten Mike & The Mechanics den Ruf einer professionellen Live-Band ein. Da ist es schon paradox genug, dass es bisher kein Live-Album der Band gibt. Hoffnungen darauf konnte man sich auch nach Rewired nicht unbedingt machen.
Im it-Interview bezweifelte Mike Rutherford im Frühsommer 2004, dass es eine Nachfrage danach gibt. Auch die Shows in Phil Collins‘ Vorprogramm würde man schließlich wohl kaum mitschneiden und daneben gab es nur sehr wenige Mechanics-Shows. Für den September wurde aber dann eine Handvoll Shows angekündigt, unter anderem auch ein Auftritt im altehrwürdigen Shepherds Bush Empire in London. Die ausverkaufte Show in London wurde schließlich für die Veröffentlichung einer Live-DVD gefilmt. Initiator dafür war nicht etwa die Band, sondern die Firma Eagle Rock Entertainment – hier ist die DVD nun auch erschienen.
Technische Details
Die vorliegende DVD hat eine Laufzeit von insgesamt 127 Minuten, von denen etwa 75 Minuten auf den Konzertteil fallen. Das Bildformat ist einmal mehr 16:9. Dieses Format hat sich nun längst als Standart durchgesetzt und verdrängt selbst im Fernsehen mehr und mehr das 4:3 Format. In Europa ist die DVD in PAL erschienen, in Nordamerika im dortigen Standart NTSC. Die DVD ist Codefree und sowohl X-Box- als auch Playstation-2 kompatibel. Die Tonformate sind Dolby Digital 2.0 Stereo sowie Dolby Digital 5.1 Surround und das hoch auflösende dts-Surround. Damit erfüllt die DVD alle Kriterien, um technisch überzeugen zu können.
Konzertfilm
Das nur etwa 75-minütige Konzert profitiert von einer zuweilen lebhaften, bisweilen ruhigen Kameraführung und der Konzerthalle, die mit 3 Oberrängen und dem Innenraum ein Live-Feeling auf engstem Raum garantiert. Der Sound ist glasklar, manchmal wünscht man sich eine deutlichere Betonung der E-Gitarren und hat außerdem das Gefühl, dass die Publikumsgeräusche mehr oder weniger stark in den Hintergrund gemischt wurden. Für den Audio-Mix zeichnet sich übrigens Gary Wallis verantwortlich, der während des Konzerts die Drums spielt. An den Percussion erkennt man zudem schnell einen alten Bekannten – Peter van Hooke. Die zweite Gitarre (bzw. oftmals die erste) spielt wie schon 1999 Jamie Moses, die Keyboards spielt Rupert Cobb, der auch auf dem Album
Rewired dazugehörte. Dazu kommen zwei Background-Sänger, Abbie Osmon und Paul McGee, die die Live-Band um Paul Carrack und Mike Rutherford komplettieren. Bemerkenswerterweise spielte Paul Carrack während des Konzerts kein einziges Mal an den Keyboards.
Die Setlist ist ein bunter Mix aus alten und nicht so alten Hits, dazu einige Songs des neuen Albums.
Now That You’ve Gone entpuppt sich einmal mehr als erstklassiger Pop-Song, allerdings vermeidet es Paul hier sehr oft, die hohen Noten zu singen. Dafür wird man mit einem völlig überraschenden Trompetensolo von Rupert Cobb überrascht. Interessant ist auch eine spontane (?) Textabänderung. Im Original hieß es „I’m just a shadow of the man I used to be, before you turned me inside out“ – jetzt heißt es „…before you came to my rescue“. Bei Get Up bekommt Jamie Moses gleich zwei Mal die Gelegenheit zu einem kurzen Gitarrensolo. Mike spielt hier wie auch beim folgenden Track If I Were You den Bass. Der neue Song überzeugt genauso wie der Opener Falling.
Bei der Ansage zu einem weiteren neuen Song, Perfect Child, verkündet Mike Rutherford sogar, dass es sich um die allererste Live-Präsentation des Songs handelt. Diese spielt die Band dann routiniert herunter.
Den ersten echten Stimmungshöhepunkt gibt beim Doppelpack des
Beggar-Albums. Another Cup Of Coffee ist heute noch im Radio ein viel gespielter Titel. Seinerzeit war es kein Überhit, aber ein gefälliger Mechanics-Gassenhauer. Kein Wunder also, dass das Publikum hier besonders mitgeht. Interessant wird es bei A Beggar On A Beach Of Gold – diesen Titel hatte ja ursprünglich Paul Young gesungen. Dem entsprechend macht Paul Carrack dies auch bei seiner Ansage deutlich und überzeugt schließlich mit seiner Darbietung des Songs. Der Song klingt zwar irgendwie anders, aber nicht unbedingt schlechter.
Ganz im Stil der ’98er Genesis Show gibt es auch einen unplugged-Block, bei dem mit
Whenever I Stop und All The Light I Need gleich zwei Songs des M6 Albums gespielt werden. Dafür kommt auch Gary Wallis nach vorne und spielt Percussions.
Gänsehaut-Atmosphäre gibt es wie schon auf den vergangenen Tourneen beim größten Mechanics-Hit überhaupt – der Hymne The Living Years, einst von Mike anlässlich des Todes seines Vaters geschrieben. Im Kontrast dazu lässt das flippige Over My Shoulder so manches Bein wippen.
Als letzte Zugabe spielt die Band das energiereiche Word Of Mouth. An diesem Song versucht sich Paul Carrack nicht wirklich als Sänger, sondern überlässt weites gehend Paul McGee das Feld. McGee macht einen überzeugenden Eindruck, wenngleich er die Ausstrahlung und die Power von Paul Youngs Stimme natürlich nicht kopieren kann. Und während die Zuschauer auf den drei Ebenen des Shepherd Bush Empires gerade das Gefühl bekamen, dass die Band nun richtig aufdreht, ist das Konzert schon vorbei. 75 Minuten Edel-Pop am Stück einer Band, die nunmehr schon seit 20 Jahren aktiv ist. Ein bisschen wenig für sechs Studioalben und etliche Chart- und Radiohits.
Bonusmaterial
Das Bonusmaterial besteht zum einen aus insgesamt sieben Mechanics-Videos, die alle leider nur im Stereo vorliegen: Silent Running, The Living Years, Word Of Mouth, Over My Shoulder, A Beggar On A Beach of Gold, Another Cup Of Coffee und One Left Standing. Zum anderen gibt es einen gut viertelstündigen Blick hinter die Kulissen, dessen Schwerpunkt auf Interviews mit Paul & Mike liegt. In diesem Special hört man u.a. die Band den Song I Don’t Want It All proben, der ja auf der DVD gar nicht enthalten ist (und auch nicht in London gespielt wurde). Außerdem sieht man einige bewegte Bilder der Phil Collins-Shows vom letzten Sommer, bei denen die Mechanics Support-Act waren.
Fazit
75 Minuten Konzert, sieben Musikvideos und ein viertelstündiges Special – die Mechanics kommen mit ihrer ersten Live-DVD. Da wäre sicher mehr drin gewesen, jedoch ist das vorhandene Material eine relativ runde Sache. Der Sound ist klar, das Bild sehr gut und die Location Kult. Die Band spielt locker auf, alle sehen zwar älter aus, doch haben sie ihren Spaß nicht verloren. Die Live-Band spielt professionell, ist eingespielt und man hat das Gefühl, dass es ihnen sehr viel Spaß macht – ganz gleich, ob es akustisch oder elektrisch zur Sache geht.
Von einer Tatsache kann sich die Band aber nicht freisprechen: Paul Young ist auch Jahre nach seinem Tod immer noch in den Köpfen der Band. So hat man das Gefühl, dass Paul Carrack beim Singen von
A Beggar On A Beach of Gold sich besonders anstrenge. Kurios dagegen ist sein Gesang bei
One Left Standing. Die Refrainzeile „how come I am the one left standing“ verklemmt er sich jeweils und singt „how come I am the river flowing“ dafür doppelt.
Insgesamt aber spielt die Band ein gutes, solides Konzert, das nur etwas kurz geraten ist. Wer viele Mechanics-Shows gesehen hat, wird Paul Young ggf. vermissen – wer sich aber auf die Show relativ unbefleckt einlässt, der wird überzeugt sein von der Darbietung. Die Videos sind ein interessantes Extra, das Backstage-Special ganz ordentliches Pflichtmaterial. So darf sich Live At Shepherds Bush London auf ordentlichem Niveau einreihen in die wahre Flut von DVD-Veröffentlichungen aus dem Genesis-Lager….und Mike & Paul haben ihre erste Prüfung nach dem Comeback bestanden und sind nun Mechanically Re-staged.
Autor: Christian Gerhardts