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Mike + The Mechanics – Leipzig und Berlin, Hit The Road Tour Konzertberichte
Im Rahmen der umjubelten Hit The Road Tour spielten Mike + The Mechanics im Juni 2011 Open Air im Leipziger Zetkin-Park auf der Parkbühne sowie im Admiralspalast in Berlin. Christian Gerhardts hat beide Shows unter die Lupe genommen.
Es war schon eine kleine Sensation, als bekannt wurde, dass Mike Rutherford seine Mechanics wiederbeleben würde. Rutherford und „die beiden Pauls“, Paul Carrack und Paul Young, waren jahrelang überaus erfolgreich und haben in dieser Formation bei vielen Fans einen Kultstatus erreicht, an dem man nur schwer vorbeikommt. Von den Pauls ist keiner mehr dabei, aber die neuen Namen treten dann doch irgendwie in deren Fußstapfen. Dass Mike Rutherford einen Andrew Roachford für sein Projekt gewinnen konnte, ist die eigentliche Sensation. Er füllt die Lücke aus, die Paul Carrack hinterlässt – wenn auch auf seine sehr eigene Weise. Sein Gegenpart, Tim Howar, ist weitgehend unbekannt und arbeitete zuletzt als Darsteller in Musicalproduktionen in Kanada. Zusammen mit einigen alten Bekannten und neuen Gesichtern spielte die Formation schließlich das Album The Road ein und kündigte an, damit auch touren zu wollen.
In Deutschland fanden Anfang Juni sieben Konzerte statt, dazu kam ein Auftritt in der Schweiz Ende Mai. Die Konzerte fanden in bestuhlten Theatern statt, und nur zwei Konzerte waren reine Stehplatzkonzerte. In München (Tonhalle) und in Leipzig (Parkbühne) konnten die Fans ausgelassen und ohne Stühle ihre Band feiern. Später gab es noch ein paar Radiokonzerte und Festivalauftritte. Es macht daher Sinn, zwei verschiedene Konzerte der Tour zu betrachten, in diesem Fall Leipzig und Berlin.
Die Parkbühne in Leipzig liegt relativ zentrumsnah im Clara-Zetkin-Park. Es ist ein relativ kleines Areal, auf dem bei voller Auslastung etwa 2500 Zuschauer Platz finden. Entsprechend intensiv ist dort die Atmosphäre. Für die Mechanics schien den ganzen Tag die Sonne vom Himmel und so war es bis in die Abendstunden auch sehr warm. Draußen im Glashaus, dem Biergarten im Park, lauschten einige Fans dem Soundcheck. Später trank die Band (allerdings ohne Mike) in diesem Biergarten vor der Show noch ein Bier. Dagegen ist der Admiralspalast eine völlig andere Location. Es erinnert an die englischen Theater mit Balkonen und verschnörkelten Designs.
Der Einlass verlief zügig und relativ knapp vor Showbeginn. Als erstes hörte man Mike aus dem Off die ersten Akkorde des Titelsongs des neuen Albums spielen, schließlich erschien er am rechten Bühnenrand unter tosendem Applaus und der Rest der Band folgte ihm rasch. Andrew Roachford nahm halblinks an seinem Keyboard Platz, weiter links hatte Luke Juby noch mehr Tastenarbeit zu verrichten. Gary Wallis, schon früher ein Co-Mechanic, kümmerte sich um die Schlagzeugarbeit und ganz rechts spielte Anthony Drennan Gitarre und Bass. Drennan war der Live-Gitarrist auf der Calling All Stations Tour von Genesis. Tim Howar wiederum platzierte sich in der Bühnenmitte und begnügte sich zunächst mit Background-Vocals. Roachford zeigte gleich beim Opener, dem Titelsong The Road, warum er der absolute Glücksgriff ist. Wie Carrack spielt er auch Keyboards, aber man hat sofort das Gefühl, dass er um Klassen besser singt.
Bevor es schließlich mit dem zweiten Song weitergeht, meldet sich Mike zu Wort, dass er immer noch der alte Mike sei, er aber neue Mechanics mitgebracht hat und sich freut, wieder aufzutreten. Dann folgt A Beggar On A Beach of Gold und nun darf sich Tim Howar austoben. Jetzt dürfte jedem klar sein, warum Rutherford sich für Howar entschieden hat. Seine leicht rauchige Stimme passt perfekt zu den von Paul Young gesungenen Songs und als Performer ist das Attribut Rampensau vermutlich das treffendste. Gary Wallis haut auf die Felle und Howar geht völlig aus sich raus, bindet das Publikum vom ersten Moment an ein und singt den Mechanics-Klassiker überaus kraftvoll und überzeugend. Schon jetzt ist der Knoten beim Publikum geplatzt.
Weiter geht es mit Get Up, das zwar nie wirklich ein Hit war, aber schon immer gerne live gespielt wurde und auch prima in die Anfangsphase der Show passt. So wird das Publikum gleich mal in Klatsch und Hüpflaune gehalten (letzteres funktionierte aber auch nur in Leipzig, denn dort gab es eh nur Stehplätze). Der zweite neue Song des Abends wurde als Try To Saveangekündigt, auf das Me haben Rutherford und Roachford galant verzichtet. Der Song wird in der Live-Version zunächst etwas getragener gespielt, bekommt eine Art Intro und dreht erst zum Ende hin auf. Mit Another Cup Of Coffee wird einer der großen Hits der Mechanics gespielt und hier kann man wenig falsch machen. Gesungen wurde der Song von Andrew Roachford. Danach folgt die vielleicht einzige wirkliche Überraschung im Set. Nobody Knows vom Living Years-Album wird gespielt und dies, so Roachford, weil er und Tim Howar Mike dazu überredet haben. Die Strophen singt Roachford, während Tim Howar für den kraftvoll gespielten Refrain verantwortlich ist. Spätestens hier fällt auf, welch einen Spaß Gary Wallis am Schlagzeug hat. Die Hauptarbeit an der Gitarre überlässt Rutherford übrigens auch öfter mal Anthony Drennan, aber das war auf der Calling All Stations-Tour auch schon so.
I Don’t Do Love ist das dritte Stück des aktuellen Albums The Road. Mike witzelt bei der Einleitung, dass man das Album ja in einem „Plattenladen“ kaufen könne, wenn man denn einen fände – worauf Roachford ihn belehrt, dass es heutzutage kaum noch CDs gibt und man das bei iTunes kaufen könne. I Don’t Do Love wird stark reduziert dargeboten, Howar singt im Refrain mit, ansonsten ist der Song wieder eine Chance für Roachford, sich auszuzeichnen. In den Strophen singt er gewissermaßen das Motto des Abends und der Tour: Do You Wanna Dance? Do You Really Wanna Dance?Ja, wenn ihr uns denn lasst …
Das nächste Stück, If I Were You, stammt von Rewired, zu dem Rutherford mittlerweile ein gespaltenes Verhältnis hat. Angekündigt wird das Stück als Duett und eigentlich müsse es eine männliche und eine weibliche Stimme geben, aber mangels Masse singt Howar eben die Frauenstimme. Es ist erstaunlich, wie viel besser der Song plötzlich klingt, nur weil Roachford und Howar ihn singen.
Danach kommt es zu einer Art Blaupause, denn Roachford stimmt einen seiner zahlreichen Solohits an. Auch wenn man seine Musik vielleicht nicht auf Anhieb kennt, Only To Be With You dürfte man mit ziemlicher Sicherheit schon mal gehört haben. Und so reiht sich diese Nummer ein in das Up-Tempo-Feeling des Abends. Danach hat Roachford erst mal Pause, es wird nach Genesis-Fans gefragt und es folgt das Unvermeidliche: Zunächst Follow You Follow Mein einer achtbaren Darbietung, dann I Can’t Dance in einer recht forschen Version. Beide Genesis-Songs singt Tim Howar, der bei Follow You Follow Medurchaus zu überzeugen weiß. An I Can’t Dance haben sich schon auf früheren Tourneen die Geister geschieden, das ist 2011 nicht anders.
Das Finale des normalen Sets leitet das grandiose The Living Years ein, hier dürfte Roachford den qualitativen Höhepunkt seiner Gesangsperformance an diesem Abend haben. Das Publikum dankt es ihm mit einem langen und kräftigen Applaus. Die Stimmung steigt weiter mit einem lockeren Over My Shoulder, bei dem Luke Juby der Mann der Stunde ist, was das Pfeifen angeht. Howar hatte im it-Interview verraten, dass keiner außer Luke vernünftig pfeifen kann. Danach darf Tim Howar für All I Need Is A Miraclewieder zum Mikro greifen und wieder kann er seine Qualitäten als Performer ausspielen. Der Song ist schon zu Ende gespielt, als er das ganze noch mal mit seinen Publikumsinteraktionen hochkocht und die Band wieder einsteigt – eine grandiose Live-Version!
Nach einer kurzen Pause kommt die Band zurück auf die Bühne und es wird ein weiterer Roachford-Klassiker gespielt – Cuddly Toy. Bei diesem Song fängt die Band sogar an zu improvisieren und Roachford betreibt Zählspiele mit dem Publikum und Drummer Gary Wallis.
Das Finale ist dann Word Of Mouth, das auch mit Paul Young oft als letzter Song dargeboten wurde. Tim Howar würdigte seinen Vorgänger, in dem er diesen Song Paul Young widmet. Wie schon auf früheren Tourneen wurde der Song in die Länge gezogen und Tim Howar kann sich richtig austoben. Höhepunkt ist dann die Vorstellung der Band, wenn jeder einzelne auf seinem Instrument mal kurz glänzen kann. Mike hat bei seiner Vorstellung übrigens immer etwas gejammt, in der Regel war es das Riff von Turn It On Again. Schließlich geht unter tosendem Jubel ein kurzer, aber vor allem kurzweiliger Abend zu Ende und die Band bedankt und verbeugt sich.
Mike + The Mechanics in Leipzig und Berlin – die beiden Konzerte waren inhaltlich identisch, aber doch grundverschieden. Die kleine Open-Air-Bühne in Leipzig lockte bei schönem Wetter etwa 2500 Fans ins stufige Rund, Sitzplätze gab es keine und die Band fing an zu spielen, als die Sonne noch auf die Bühne schien. Dennoch war gewissermaßen vom ersten Moment an eine Riesenstimmung da. In Berlin begann alles etwas verhaltener, der Admiralspalast wirkt auch eher wie ein Kinosaal mit Oberrang. Also dauerte es hier etwas länger, bis die Leute aus sich raus gingen und aus den Sitzen sprangen. Der Sound war in beiden Locations allerdings exzellent.
Die Band selbst übertraf die meisten Erwartungen. Es war nicht zu erwarten, dass das Album The Road kommerzielle Bäume ausreißt, aber die Live-Shows wurden gut angenommen und überall zeigte man sich unterm Strich eher begeistert als nur zufrieden, welche neuen Gesichter da das Line-Up aufgemischt haben. Andrew Roachford ist mit seiner Stimme weit mehr als nur ein Ersatz für Paul Carrack. Seine Präzision, seine Klarheit und seine soulige Seite produzieren auch bei den alten Mechanics-Hits zahlreiche Gänsehautmomente. Hier muss man vor allem The Living Yearsnennen. Tim Howar auf der anderen Seite hatte das weitaus schwierigere Erbe – er musste den verstorbenen Paul Young ersetzen (oder besser: ihm nachfolgen). Seine Leistung kann gar nicht genug gewürdigt werden. Howar lebt für die Bühne und er blüht auf ihr regelrecht auf. Sein Gesang ist mehr der eines echten Performers, nicht umsonst hat er auch in Musicals gesungen und spielt in einer Alternative-Rockband namens Van Tramp.
Zwei Songs sangen die beiden in einem echten Duett – zum einen Nobody Knows, das vielleicht die einzige Überraschung in der Setlist war, zum anderen If I Were You. Beides funktionierte grandios und erntete immer großen Szeneapplaus. Doch die Setlist war insgesamt der größte Kritikpunkt. Zu kurz, zu berechenbar und gleich 2 Genesis-Songs im Set, wobei zumindest Follow You Follow Meals interessant oder gelungen bezeichnet werden kann. Die beiden Roachford-Songs kamen ebenfalls gut an, aber niemand hätte sich einen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn man noch 2-3 weitere Mechanics Songs gespielt hätte. Seit Jahren fordern die Fans Songs wie The Ghost Of Sex And You, Nobody’s Perfect, Why Meoder auch ein A Call To Arms, das vermutlich wieder sehr gut als Duett funktionieren würde. Überraschend war auch, dass auf den Gassenhauer Silent Running verzichtet wurde. Man kann nur spekulieren, ob dieser Song vielleicht zu stark auf Paul Carrack zugeschnitten war oder bei den Tourproben auf Grund anderer Gegebenheiten darauf verzichtet wurden. Auch aus dem 1999er M6-Album gab es keinen Song zu hören. Hier würde sich zum Beispiel When I Get Over Youfür Tim Howar anbieten.
Nach der Hallentour im Sommer (mit der Ausnahme Leipzig) spielte die Band auf verschiedenen Festivals weitere Shows, darunter auf der Isle Of Wight, im Hyde Park London, in Osteuropa, aber auch nochmal in Deutschland, so zum Beispiel in Warburg und später in Wedel. In beiden Fällen wurden kürzere, etwa einstündige Sets gespielt und in beiden Fällen kam die Band sehr gut an. Kurios: Auf den Tour-Shirts wurde Warburg als „Cologne“ gelistet.
Unterm Strich: Die Mechanics haben ein erstklassiges Comeback hingelegt. Dies untermauerten sie auch im Spätsommer bei den Open Air Shows und somit freuen wir uns auf 2012. Luft nach oben gibt es auf jeden Fall und weil die Band immer noch die Leute von den Sitzen reißt, wird es bei den deutschen Konzerten 2012 keine Sitze mehr geben. Freuen wir uns auf die Fortsetzung der Mechanics-Live-Party.
Autor: Christian Gerhardts
Fotos: Peter Schütz, Bernd Zindler