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Mike + The Mechanics – Refueled! Tour live in Frankfurt 2023 – Konzertbericht
Im Rahmen der Refueled! Tour 2023 spielten Mike + The Mechanics die erste deutsche Show am 31.05.2023 in Frankfurt am Main.
Hinweis: Die Fotos zu diesem Konzertbericht stammen nicht aus Frankfurt, sondern von den Shows in Sheffield und Northampton, aufgenommen von Scott „8By10ByScott“Saldinger mit freundlicher Genehmigung, diese hier zu veröffentlichen. Mehr Fotos von Scott findet ihr hier.
Am 31. Mai 2023 war ich in der Jahrhunderthalle in Frankfurt, um den Auftakt der Mike & The Mechanics Refueled Tour Deutschlandkonzerte mitzuerleben. Ich bin erst seit den frühen 90ern bei Genesis dabei und habe mich dann aber konsequent über die kommenden Jahre in alle Epochen und einen Großteil der Soloprojekte eingearbeitet.
Die Hits der Mechanics aus den 80er und 90ern hatte ich als Kind meiner Zeit natürlich im Ohr, aber „mein“ Mechanics-Album ist sicherlich Beggar On A Beach Of Gold, was mir meine Mutter seinerzeit zum Geburtstag geschenkt hatte.
Nach dem viel zu frühen Tod von Paul Young und noch einige Jahre vor dem Ausscheiden von Paul Carrack nach Rewired sind mir die Mechaniker abhanden gekommen. Soll heißen: mit der Neuauflage der Band im Jahr 2010 bin ich nicht wirklich vertraut und habe von den neuen Mechanics-Sachen auch nur The Road im Plattenregal stehen. Das Album empfand ich als „gepflegte Langeweile“ und habe das Projekt dann nicht weiter verfolgt. Umso mehr war ich begeistert, Genesis auf ihrer The Last Domino? Tour erleben zu können, zeigte die Band sich doch verjüngt (Nic Collins) und voller Spielfreude. Ich bin daher ehrlich: insbesondere die Ankündigung, dass Nic Collins mit auf die Mechanics-Tour gehen würde, gab den Ausschlag, es zunächst per hr1 Ticketalarm-Gewinnspiel, und einer überschaubaren Erwartungshaltung zu versuchen, ein Konzert zu besuchen.
Letztlich habe ich mein Ticket nicht gewonnen, weil meine beste Freundin ein Einsehen hatte und mir, als das Kartenkontingent immer weiter abnahm und ich immernoch nicht gewonnen hatte, eine Karte geordert und mir geschenkt, mit den Worten: „Viel Spaß, ich konnte jetzt nicht länger warten, sonst wäre das Ding nachher noch ausverkauft gewesen!“. Alleine das war schon cool. Aber erst seit dem Abend in Frankfurt weiß ich, wie großartig dieses Geschenk wirklich war.
Ich hatte mich im Vorfeld des Konzerts nur wenig mit der Tour beschäftigt, aber hier über das Forum, über die Facebook-Gruppe und die Instagram-Accounts von Nic Collins und den Mechanics ein paar Schnipsel gesehen und gehört. Die paar Videoschnipsel die ich im Facebook vom UK-Leg der Tour sah, haben mich jetzt ehrlicherweise auch nicht vom Hocker gehauen, wirkten aber ok. Wie gesagt, ich war mit einer überschaubaren Erwartunghaltung angereist.
Das Klientel der Mechanics ist – zumindest war das mein Eindruck gestern Abend – dem von Collins- oder Genesis-Konzerten recht ähnlich. Was ich nicht nur an den getragenen T-Shirts festmachen möchte, sondern auch an meinen persönlichen Eindrücken der letzten Collins und Genesis Konzerte die ich in den letzten 20 Jahren besucht habe.
Die Leute sind in einem gehobenen mittleren Alter, man braucht quasi keine Ordner und alle Leute sind in der Lage, auf dem 8-Euro-teuren Parkplatz der Jahrhunderthalle halbwegs sinnvoll und koordiniert einzuparken. In der Halle selbst gibt es beim Anstehen an den Ständen kein Gedränge, die Bühne wird von einem einzelnen Sicherheitsangestellten in Jacke und Schlips überwacht. Alles ist gemütlich, alles ist unaufgeregt. Leute kommen an den Bühnenrand um ein schnelles Foto zu machen. Alles kein Problem. Man sieht Familienväter, deren Mit-Zwanziger-Töchter offensichtlich den gemeinsamen Konzertbesuch mit den Eltern als Geschenk gemacht haben. Der Vater genießt es, seine Frau ist leicht genervt, weil er die Hände frei haben will und seine Jacke nicht halten möchte… Der Vater setzt sich durch. Er wird später am Abend ausdauernd mitklatschen. Als einer der ersten im Oberrang aufstehen und – ganz offensichtlich – den Abend in vollen Zügen geniessen.
Laut Karten ist Einlass 18:30 Uhr, Konzertbeginn 20 Uhr. Das Ende ist auf einem Monitor in der Halle für 21:45 Uhr avisiert. Das überrascht, weil ich ja dann doch von der Pause im Set erfahren hatte und mit einer Spielzeit von rund 2 Stunden gerechtet habe. Aber gut. Einlass in die Konzerthalle (und damit auch zum Merch-Stand) war meine ich gegen 19 Uhr gewesen. Auch hier alles gesittet, die Ordnerinnen machten einfach die Treppen frei und langsam machten sich die Menschen, teils mit Currywurst, Bier oder einem Weinglas in der Hand, auf den Weg in die komplett bestuhlte Konzerthalle. Für mich ging es nach oben auf den Balkon. Meine beste Freundin meinte noch, ich solle von den Plätzen nicht zu viel erwarten. Aber sie waren toll.
Ich hatte einen sauberen Blick in die sich stetig füllende Halle, in der leichter von der Bühne ausgehender Nebel lag. Die Bühne entspricht wohl der der UK-Konzerte. Eine schlichte Skyline im Hintergrund, einige Lichtelemente. Nic Collins Schlagzeug steht mittig, links von mir aus gesehen stehen die Keyboards von Roachford (vorne) und leicht versetzt und erhöhe dahinter das von Luke Juby, dem „Whistler“. Auf der anderen Bühnenseite entdeckt man die Gitarrenaufbauten von Mike und Anthony Drennan.
Zwischen Nic und den Keyboards ist eine Mikrofonstange. Diese wird ausgiebig von Tim „The Power“ Howar genutzt werden. Von den Plätzen im Oberrang sieht man die schlichte Bühne gut und nach und nach füllt sich die Halle bis zur nahezu vollständigen Belegung. Um kurz nach 20 Uhr betritt die Band, angeführt von Nic Collins, die Bühne. Mike erscheint, großgewachsen und schlank, als Lichtgestalt im komplett weißen Anzug.
Ohne viel Umschweife beginnt das erste Deutschland-Konzert der Mechaniker seit rund 4 Jahren unter dem Jubel der etwa 4.000 Zuschauer.
Die Setlist entspricht wohl, bis auf eine leicht variierende Reihenfolge, der aus den englischen Konzerten, allerdings wird in Deutschland keine Pause gemacht. Die Band startet kurz nach 20 Uhr mit einem fulminanten Get Up. Direkt beim ersten Song wird klar: Die Band ist in Spiellaune, die Geschwindigkeit des Songs ist angemessen schnell, der Sound der Instrumente ist klar, die Vocals sind gut zu hören und die Bässe von Mike und Anthony sind, ebenso wie die Drums von Nic Collins, druckvoll. Direkt erinnere ich mich wieder, warum man auf Live Konzerte geht. Wegen der Spielfreude, wegen der Möglichkeit, den Sound und die Stimmung auf der Bühne (auch körperlich) zu fühlen.
Es gibt keine Bildschirme auf oder hinter der Bühne, so dass ich aus der Entfernung in der ich zur Bühne bin, keine Gesichtsausdrücke sehen kann, aber ich spüre den Spaß, den die Band hat.
Mit Get Up haben wir einen Live-Klassiker der Band, zu finden auf dem Album Word Of Mouth. Ein schöner, thematischer Start in den Abend. Und direkt beim ersten Song wird mir persönlich klar, die neuen Sänger, die sich über den ganzen Abend hin gegenseitig unterstützen und gleichzeitig dem anderen den Moment im Vordergrund gönnen werden, tragen die alten Songs ohne Probleme.
Nach Get Up kommen zwei für mich persönlich wichtige Songs. Mit A Beggar On A Beach Of Gold kommt direkt das Titelstück „meines“ Albums. Und es rockt. Naja, jetzt vielleicht eher im übertragenen Sinne. Ich gebe zu, dass ich zur Vorbereitung des Konzerts über den Tag The Road nochmal aufgelegt habe (und sie wieder größtenteils gepflegt langweilig empfand), mich aber auch dabei erwischt habe, einige der alten Hits unter der Dusche zu trällern (die armen Nachbarn…) und den Tag über vor mich hin zu summen. Und Beggar war in meinem privaten Rehearsal fast komplett zu hören.
Die nächste Nummer ist einer der wenigen Mechanics-Songs, die ich schon einmal live gehört hatte. In der Ringkirche in Wiesbaden, im Oktober 2022, hatte Ray Wilson Another Cup Of Coffee gespielt. Da hat der Song auch Spaß gemacht. Aber in der Besetzung mit alten und neuen Mechanikern ist er nochmal besser. Sehr zum Leidwesen eines das halbe Konzert mit seinem Handy mitschneidenden Besuchers, fange ich spätestens hier an, gelegentlich (sehr gut) mitzusingen.
Zwischendrin stellt sich die Band vor. Sie wird frenetisch gefeiert. Und Mike erklärt in sympathischem Deutsch unter anderem, dass man aktuell auf der „Aufgetankt“ Tour sei und jetzt in Deutschland angekommen wäre. Man sei „generalüberholt“. Das Publikum dankt es ihm mit lauten Lachen und viel Applaus. Tim Howar stellt den neuesten Mechaniker vor, der aus einer gänzlich unmusikalischen Familie stamme. Das Publikum flippt ein bisschen aus. Mike ergänzt, dass es einige „Tropfen Genesis“ geben werde über den Abend. Soweit so gut.
Ich erwische mich bereits jetzt dabei, auf die Pause zu hoffen, um mir am Merchandise Stand, der von einem einzelnen Roadie betrieben wird, eines der wenig ansehnlichen Shirts kaufen zu wollen, um eine physische Erinnerung an den Abend mitzunehmen. Beim Reingehen hatte ich den Stand zwar sondiert, aber eine Kaufentscheidung vom Verlauf des Konzerts abhängig machen wollen. Bilder habe ich keine von den Waren gemacht. Überhaupt hatte ich mir vorgenommen, das Handy diesesmal so gut es geht stecken zu lassen und einfach das Konzerterlebnis 80er/90er Style mitzunehmen.
Weiter geht es mit Are You Ready und Try To Save Me, zwei Stücke aus der neueren Ära der Mechanics, wobei mir Try To Save Me besonders gut gefallen hat. Are You Ready ist natürlich alleine vom Titel her schon gut geeignet für den frühen Part eines Konzerts und eine gute Wahl, nach drei alten „Hits“, das „neue“ Material einzubringen.
Try To Save Me ist dann eine schöne, ruhigere Nummer, die Roachford mit seiner starken Stimme trägt. Oh, und, ja, es ist mir dann auch aufgefallen, dass dieses Stück von der The Road CD aus meiner Sammlung stammt, über die ich mich bereits zwei mal in diesem Bericht nicht so freundlich geäußert habe.
Es folgt auf diese beiden Stücke der erste „Tropfen“ Genesis des Abends…
Jesus He Knows Me! Tim Howars Gesang wird von einer launischen Ansage Mikes eingeleitet, der kurz erklärt, dass Phil, Tony und er das Stück, dessen Text sich mit den US-amerikanischen TV-Predigern widmet, in den 80ern (!) geschrieben haben und sich ein gewisser Tony immer Sorgen gemacht habe, dass man bei einer Live Aufführung des Songs, Gefahr laufe, mit einem Brick (Ziegelstein), auf der Bühne beworfen zu werden. Er meinte dann lachend weiter, dass er Tony damals beruhigt habe. Der Sänger wäre ja wohl das Ziel eines solchen Ziegelwurfs und nicht die anderen Musiker. Das Publikum lacht und Mike fährt fort, Sänger sei heute Abend eben ein gewisser Tim Howar. Dann legt die Band los und alle schlimmen youtubeschnipselinduzierten Befürchtungen, Tim Howar könnte dem Song nicht gerecht werden, verfliegen.
Was mir immer mal wieder über den Abend negativ auffällt ist, dass einige der klassischen Keyboardsounds aus den Einleitungen von Stücken, deutlich verändert sind im Vergleich zu den Originalversionen. Das verstehe ich nicht. Die Sounds wirken auf meine Ohren teilweise extrem billig. Das muss doch besser gehen oder es ist eben Absicht. Egal, es betrifft aber zum Beispiel das Keyboard Intro von Jesus. Die wohlbekannte Klangfarbe der Gitarre und das druckvolle Schlagzeug lassen dann aber Erinnerungen an meine allererste CD, The Way We Walk Vol. I, aufkommen. Und ich merke, dass ich auch in der Mechanics-Version des Songs, die hohen Töne nicht bekomme.
Tim Howar spielt mit dem Publikum und führt eine interessante Mischung aus Phil Collins Kopie (Give me 180 Million Dollars by the Weekend) und eigenen Betonungen und Publikumsinteraktionen auf. Der Song zerstreut eine weitere „Sorge“ des Abends für mich.
Mit The Best Is Yet To Come und Let Me Fly folgen zwei weitere Stücke des Let Me Fly–Albums der Mechanics, was ich mir nach diesem Abend sicherlich dann doch noch werde gönnen müssen (kleiner Kritikpunkt: keine CDs am Merch-Stand…). Das gefühlvolle Let Me Fly wird abermals von Andrew Roachfords markanter und super Gesangsstimme getragen. Das etwas lebendigere The Best Is Yet To Come kannte ich tatsächlich schon vorher und es ist ein verheißungsvoller Titel zu diesem Zeitpunkt des Sets. Oh ja, die Band spielt gut, Mike hat sichtlich Spaß, es gelingt den Musikern, das „alte“ Publikum abzuholen mit eigenen Songs und klassichem Material und es stehen noch jede Menge Hits aus… The Best Is Yet To Come.
Und da geht es auch schon zurück in die 1980er, mit Silent Running vom ersten Album der Mechanics. Auch hier ist der Anfang leicht anders, was das Intro angeht, aber Roachfords Gesang holt mich schnell ab und überzeugt mich bei diesem Klassiker. Ich meine, es ist der Moment, wo zusätzliche Lichtelemente hinter und um das Schlagzeug in grün erstrahlen, aber ich bin nicht sicher. Überhaupt ist der Einsatz von Licht weniger pompös als bei Genesis, nichtsdestotrotz in einer gelungenen Schlichtheit gehalten, die dem Transport der Musik und der ihr innewohnenden Emotion dient und sich nicht störend in den Vordergrund drängt. Mike weiß, was er tut, scheint es mir. Und Andrew Roachford weiß es auch. Was ein Künstler!
Wir sollten uns so langsam der Pause nähern, denke ich bei mir, und überlege, ob ich den Hoodie mit dem Mechaniker an der Zapfsäule mit Flüstertüte in der Hand haben möchte oder ob es das Nummernschild-Shirt auch tut. Ein gutes Zeichen.
Die fleissigen Hände der Roadies, die zwischen den Stücken oftmals neue Gitarren angereicht haben, tragen nun Stühle und ein Miniatur-Drumset in den Vordergrund der Bühne. Dort findet ein kleines, sie nennen es „Akustik-Set“, statt. Dabei handelt es sich um ein Medley, bei dem Mike und Anthony immerhin die E-Gitarren gegen Akustikgitarren austauschen.
Den Anfang macht das wunderschöne Wonder (von Let Me Fly) und dann folgen die nächsten Tropfen von Genesis: Invisible Touch wird in dieser Version angespielt und geht in Don’t Know What Came Over Me (ebenfalls vom Let Me FlyAlbum) über. Dann geht es zurück zur Hit Mechanik der 1980er und 90er mit Nobody’s Perfect und Everybody Gets a Second Chance. Bei letzterem singt die Halle mit. Bei ersterem merkt man, wie gut Howar und Roachford menschlich wie musikalisch harmonieren. Dazu die schöne Untermalung der Band. Unaufdringlich. Nostalgisch. Ich habe Gänsehaut (und singe mit).
Dann kommt Follow You Follow Me. Ich kann nicht anders, hole mein Handy raus, mache die Taschenlampe in einer schlechten digitalen Feuerzeugimitation an und schwenke es hin und her, während ich den Genesis-Klassiker, tief in meinen eigenen Gedanken und Erinnerungen versinkend, mitschmachte. Abgenudelt? Na, klar! Trotzdem (immer wieder) schön? Oh ja..
Irgendwie wird das hier und heute nichts mit einer Pause, auch wenn die Band die Bühne verlässt…Ich nehme mir vor, beim Verlassen der Halle die 35 EUR in ein schwarzes Shirt zu investieren und lasse mich weiter von der Nostalgie tragen, während um mich herum klatschende Fans auch begeistert mitgehen. Die helfenden Hände bauen das Miniset schnell wieder ab, die Band verschwindet. Bis auf Mike. Mike steht mittig auf der Bühne im weißen Spotlightkegel, allein mit seiner E-Gitarre.
Den ganzen Abend über haben sich die farbigen Lichtstrahlen der Scheinwerfern auf seinem weißen Anzug gesammelt und ihn wieder und wieder in neue Farbmäntel gehüllt, ihn in verschiedene Lichtgewänder getaucht. Jetzt ist er strahlend weiß und er rockt los: Der Riff zu I Can’t Dance, dem letzten Tropfen Genesis des Abends, füllt die Halle. Das Publikum ist begeistert.
Zu Mike tritt Tim Howar und singt sich die Seele aus dem Leib. Nach und nach kommt die Band zurück und setzt mit ein. Auch hier haben wir einen totgenudelten Song, den ich eigentlich garnicht so toll finde, der mir aber auch wieder Spaß gemacht hat gestern. In ein 80er/90er Jahre Hit-Set passt das Ding halt aber auch schon echt gut rein.
Und die Band hat eben auch das, was ein gutes Konzert ausmacht. Sie haben (Spiel-)Spaß. Tim Howar holt die letzten Zuschauer von ihren Stühlen und zieht sie an den Bühnenrand. Die Fans sind vielleicht älter, aber sie sind am Leben und haben Spaß dran. Die Halle steht.
Nachdem Tim Howar einmal mehr im Mittelpunkt gestanden hat kommt jetzt die große Stunde von Andrew Roachford. Die Band, aber vor allem er, performen Cuddly Toy.
Was folgt sind mehrere Minuten voller satter Rockmusik, krasser gesanglicher Leistung, bestem Showmanship, lustiger Audience-Participation, starken Gitarren und Bässen und Drums. Die Band rockt. Die Halle bebt. Das Publikum ist begeistert. Es fällt mir einmal mehr positiv auf, wie schön sich die beiden Lead-Sänger gegenseitig unterstützen.
Sie gönnen sich gegenseitigen das Rampenlicht eines „eigenen“ Songs, um dann auch wieder – wie eben noch im Medley gesehen und gehört – wundervoll gleichberechtigt zusammen zu singen. Eine tolle Dynamik einer gut eingespielten Band. Und Roachford kann ich garnicht genug herausheben. Sein Cuddly Toy ist sicherlich eines der absoluten Highlights des Abends.
Nach diesem Rock-Intermezzo schließen Klassiker der Mechanics das Programm ab.
Andrew Roachford gibt einem wunderbar kitschigen The Living Years ein neues Intro, eine eigene Note und holt mich trotzdem (oder gerade deshalb?) emotional total ab.
Das Ding ist schon auch ein echtes Meisterwerk der 80er Jahre Popmusik von Mike. Beeindruckend, dass Andrew das so gut performt bekommt, nachdem er direkt zuvor bei Cuddly Toy minutenlang alles, aber auch wirklich alles rausgehauen hat. Profi!
All I Need Is A Miracle ist wieder ein Song für Howar. Und das Publikum. Was ein Brett. Muss ich nochmal sagen, dass es ein totgedudelter Hit der 80er ist? Wohl kaum. Aber mal ehrlich, deswegen sind wir ja auch da. Klar, man wünscht sich vielleicht den einen oder anderen Ausflug in die obskureren Mechanics-Stücke (für mich etwa: Why Me, A Call To Arms, Hanging By A Thread, Mea Culpa, Web Of Lies…) oder etwas aus dem weitläufigen Katalog der Genesis-Familie, jenseits der ausgetretenen Hitpfade, aber die Hits braucht’s schon auch. Und All I Need Is A Miracleist genau das. Ein Hit. Das Publikum liegt Tim Howar zu Füßen – der geht auch schon mal in die Knie für uns oder klettert etwas an Nics Drumset-Podest hoch. Das Publikum singt. Das Publikum tanzt auch schon seit einer ganzen Weile links und rechts vor der Bühne. Die Youtube Aufnahmen werden der Stimmung in der Halle und der musikalischen Darbietung nicht gerecht.
Es folgt Over My Shoulder, ein weiterer Song „meines“ Albums Beggar. Auch hier singt und klatscht das Publikum, angehalten und angefeuert von Tim Howar und der Band, begeistert mit. Das Ding ist ja auch ein Gassenhauer. Luke „The Whistler“, ist bei diesem Song mit Bassgitarre unterwegs und bekommt auch seinen Moment Center-Stage, beim Pfeif-Solo. Er flötet gekonnt vor sich hin und wird dafür entsprechend abgefeiert. Der Song macht allen Spaß und beendet den regulären Teil des Konzerts. Die Halle tobt. Der Familienvater von weiter oben steht bereits seit fünf oder sechs Stücken und lässt sich auch von seiner Ehefrau nicht mehr einfangen. Seine Töchter sind begeistert und filmen abwechselnd das Geschehen auf der Bühne und ihren Papa. Was ein Geschenk für diesen glücklichen Menschen!
Wir klatschen die Band zu einer Zugabe zurück. Roachford ruft augenzwinkernd „Zugabe“ in sein Mikro und auch ihm liegt die Halle zu Füßen.
Die „neuen“ Sänger haben es geschafft. Beide sind unterschiedlich. Beide sind total stark. Beide haben Spaß an der Arbeit und beide verstehen sich gut. Was ein Erlebnis. Auch der Rest der Band ist klasse. Mike hat Spaß (mag sein, dass er sich verhauen hat, mir egal, ich habe es nicht gehört), auch wenn das Silent Running Solo vielleicht nicht monströs virtuos ist. Aber was soll’s. Er hat den ganzen Kram geschrieben! Mir würde das langen und ich finde, er spielt gut heute Abend. Das tut auch Anthony Drennan. Ihn „kenne“ ich noch von der Calling All Stations Tour. Da fand ich ihn gut und auch hier, im Gewand eines Mechanikers, liefert er einfach solide und überzeugend ab. Nicht aufdringlich, aber gekonnt. Ich kann verstehen, warum er als Back-Up-Gitarrist bei der Last Domino Tourvon Genesis dabei war. Einzig Luke bleibt etwas blass, was aber eher daran liegt, dass er alles macht (Backgroundgesang, Keyboard-Parts, Pfeifen…) aber nie wirklich lange im Vordergrund steht. Er macht auf mich den Eindruck eines idealen Teamplayers. Während sich Nic Collins wohl den halben Abend über schwer zusammen genommen hat (er wurde bei der ersten Bandvorstellung früh am Abend bereits sehr gefeiert und musste beschämt abwinken hinter dem Drumkit), peppt er jetzt in der Schlussnummer, der einzigen Zugabe des Abends, Word of Mouth, den Drum-Part richtig auf. Das Ganze gipfelt dann in einer Bandvorstellung, in der jeder Künstler ein Solo gibt. Tim Howar stellt die Band nochmal vor und stellt auch klar, dass Familie Collins eventuell doch nicht ganz unbegabt sei, was die Musikalität angeht. Dann spielt der jeweilige Künstler ein Solo. Das Solo von Andrew Roachford ist zunächst eine Homage an die kürzlich verstorbene Tina Turner. Er intoniert ihr Private Dancer. Die Halle geht empathisch mit. Dann geht er weiter zu Superstition (hier sitzen die Keyboard-Tonfarben glücklicherweise) und wird frenetisch gefeiert. Nicht ganz so wie bei seinem Cuddly Toyvorher, aber man merkt, das Publikum liebt ihn. Luke spielt einen Teil aus That’s All(meine ich zumindest) und Mike spielt wohl Purple Haze – und das ohne größere Fehler. Ich hatte ja, bis es soweit war, auf ein Genesis Solo gewartet, vorzugsweise das aus Second Home By The Sea, aber das wusste ich vorher, dass das nichts wird. Dafür überraschte Anthony Drennan mit dem Firth of Fifth Solo.
Das abschließende Drum-Solo von Nic ist sicherlich (neben Cuddly Toy) ein weiteres Highlight des Konzerts, zeigt er hier nicht nur sein Talent, seine mittlerweile gewonnene Erfahrung, sondern auch seine Jugend und seine Eigenständigkeit vom Stile des Vaters. Tim Howar bekommt kein eigenes Solo, er nimmt statt dessen nach Nic Collins wuchtigem Drum-Solo Word of Mouthwieder auf und beendet den Abend mit einem Singspiel zwischen ihm und uns.
Ich habe längst aufgehört mir Sorgen zu machen, ob man mein Gesinge auf der Handyaufnahme meiner Nachbarn hören kann. Ich bin unentwegt am Grinsen und meiner besten Freudin dankbar, dass sie es nicht auf einen Glücksspielgewinn hat ankommen lassen, sondern mir einen solchen fantastischen Abend beschert hat. Was habe ich mich gefreut, Mike Rutherford und Nic Collins, nach Amsterdam II, noch einmal wieder zu sehen. Aber ich bin auch froh, Andrew Roachford (was für eine Stimme und Charisma!) und Tim Howar eine Chance gegeben zu haben. Luke, sorry, du kommst zu kurz, aber du hast perfekt mit gespielt! Gleiches gilt für Anthony Drennan. Und nochmal – der Klang von Live-Musik, Basspedale und Drums. Es geht einfach nichts drüber.
Die Band verneigt sich und geht dann unter mächtigem Applaus ab und überlässt Mike Rutherford die Bühne für einen kurzen Moment, in dem sich die Fans bei ihm für Jahrzehnte wunderschöne Pop- und Rockmusik mit stehenden Ovationen bedanken. Beim Rausgehen erstehe ich das hässliche schwarze Shirt und trage es stolz zum Parkplatz, an dem die Fans gesittet ausparken und ohne Prollgehabe den Stau gen Autobahn überstehen.
Ein toller Abend geht zu Ende, ein schönes Konzert reiht sich in meine Erinnerungen toller Konzertabende der Genesis-Familie ein. Ich bin dankbar und zufrieden. Meine gute Laune hält bis tief in die Nacht an. Wer die Gelegenheit hat, sich die Aufgetankt (äh…Refueled) Tour (nochmal) anzuschauen, sollte das Geld nicht scheuen und sich das Erlebnis gönnen. Ich bin der Meinung, es lohnt sich total. Es ist ein Trip in die Vergangenheit, die 80er und 90er, klar. Aber es fühlt sich einfach schön an. Und gut. Irgendwie wie nach Hause kommen. Ich schreibe hier ständig von Spaß. Aber genau das ist es, was ich erlebt und gesehen habe. Spaß allenthalben. Bei der Band auf der Bühne und beim Publikum. Klingt nach Klischee, war aber eben genau so. Und seien wir ehrlich. Ist Spaß nicht genau das, was wir alle gerade brauchen können…? The Best is Yet To Come – hoffentlich.
Autor: Nico Bracht (Frankfurt Show)
Fotos: Scott „8By10ByScott“ Saldinger (UK-Shows)