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Martin Levac – A Visible Jazz Touch Of … Genesis – Album-Rezension
Im Jahr 2011 veröffentlicht Martin Levac sein 2. Soloalbum, und dieses Mal widmet er sich einer Jazz-Neuinterpretation für ausgewählte Genesis-Songs.
Martin Levac ist vielen Genesis-Fans durch sein Mitwirken an den Shows von The Musical Box sicher ein Begriff. Der vielseitige Drummer gilt als Klon von Phil Collins und so war es nicht verwunderlich, dass er irgendwann auch eine Collins-Solo-Show präsentierte. Im Rahmen der Show gab er uns ein Interview, das hier nachzulesen ist.
Levac hatte vor Jahren bereits ein erstes Soloalbum unter dem Titel Influencesveröffentlicht. Dies war ein Versuch, seine markante Stimme gekonnt in Szene zu setzen. Das Album war leider rein produktionstechnisch nicht das Gelbe vom Ei.
Nun legt Levac das zweite Solo-Album vor. Dieses Mal widmet er sich ganz dem Thema Genesis, allerdings von einer ganz anderen Seite, als man vielleicht vermuten könnte. Wenn man Genesis hört oder ein Konzert besucht, dann wirkt die Musik immer schwer, wuchtig, groß, konzentriert und auf den Punkt gespielt. Levac macht es völlig anders. Er streift das Große, Wuchtige und vor allem Schwere der Genesis-Musik einfach ab – sein Album heißt A Visible Jazz Touch Of … Genesis und es ist das, was drauf steht – Genesis-Songs werden in jazzigen Versionen verswingt dargeboten und Levac spielt sich in eine beachtliche Form.
Die CD kommt in einem Klappcover, wie früher LPs im Gatefold Sleeve. Es gibt kein Tray, die CD liegt in einem drin, genau wie in den Mini-LP-Sleeve- Remakes vieler Genesis- und Solo-Alben. Die elf Songs hat er auf dem Backcover auf 2 Seiten aufgeteilt, tatsächlich ist es aber natürlich nur eine CD.
Das Album wurde mit wenigen Musikern eingespielt. Levac selbst singt und spielt logischerweise Schlagzeug, Frédérick Doiron, als Songwriter selbst kein Unbekannter, ist für die Gitarrenarbeit verantwortlich, Mathieu Gagné spielt den Kontrabass (und ist nicht verwandt mit Denis Gagné). Mit Julie Lamontagne ist eine der meistbeachteten Jazzpianistinnen Kanadas zu hören, aber auch der für seine Klaviereinspielungen von Genesis-Songs bekannte David Myers gibt sich auf manchen Songs die Ehre.
Für die Liveauftritte beim Québec City Jazz Festival wurde die Band durch die Schlagzeugerin Emmanuelle Caplette verstärkt, die auch bei weiteren Konzerten (Anfang März 2012 in Montreal) wieder von der Partie sein wird. Der Liveset besteht dann natürlich nicht nur aus allen elf Stücken, die für die Veröffentlichung eingespielt wurden, sondern wurde und wird mit acht weiteren, zum Teil instrumentalen Arrangements erweitert.
Das Album entsprang, genau genommen, einer Spielerei: Auf seiner Tournee fand Levac es langweilig, beim Soundcheck immer nur genauso zu spielen wie das Original, und so gab er dort mal eine Swingversion von The Lamb Lies Down On Broadway oder Watcher Of The Skies als Bossa Nova zum Besten. Beim Jazz-Stil kam dann die zündende Idee.
Die Auswahl der Stücke spiegelt Levacs Vorlieben wieder. Ganz bewusst hat er, der große Phil Collins-Fan, auf Stücke aus der Ära Gabriel verzichtet. „Bei dieser ersten Einspielung war es mir aber wichtig, For Absent Friends und More Fool Me dabei zu haben. Es sind die ersten beiden Stücke, die Collins auf einem Genesis-Album gesungen hat.“ Ansonsten hat er sich sichtlich bemüht, ältere und (relativ) neuere Stücke gleichmäßig zu berücksichtigen:
Turn It On Again
Das ohnehin flotte Stück, das seit Anfang der 80er Dauerbrenner in allen Genesis-Konzerten war, wird durch den Jazz-Touch ordentlich durchlüftet. man hat das Gefühl, als würde der Rhythmus beschwingt durch den Raum eiern und Levac hat einen Mords-Spaß.
Land Of Confusion
Von der Machart her ist Land Of Confusion ähnlich aufgebaut wie Turn It On Again. Das ernste Thema des großen Protestsongs wird so ganz anders transportiert. Während wir von diesem Song Unmengen Heavy-Metal-Coverversionen gewohnt sind, kommt die Jazz-Version mit dem umgedrehten Flair daher.
Many Too Many
Erste große Überraschung ist Many Too Many, das im Original als Ballade zwar funktioniert, aber für viele schnell den Reiz verliert. Der Jazz-Touch transportiert den Song auf eine verspieltere Ebene, fast kann man im Finale des Songs von einem Jam sprechen.
Nicht unbedingt erwartet hat man diese Wahl. Auch hier gelingt es Levac, dem Stück etwas mehr „Spiel“ zu geben. Es wirkt leicht schneller, auch gerader (das Original hatte ja ein ungerades Taktmuster). Bemerkenswert: Levac verzichtet bei dem vom Klavier und Bass dominierten Stück auf das Schlagzeug.
That’s All
Wer nun einen flotten Ausbruch von jazzigen Rumzappeleien erwartet, bekommt am Anfang erst mal einen langsamen Start präsentiert. Dann startet das flotte Stück mit Bass und Besen, dazu dezentes Klavier. Insgesamt ist That’s All dann wirklich flott, aber doch irgendwie reduziert und luftig. Vielleicht liegt es daran, dass im Prinzip nur weiche Töne und Klänge verwendet werden.
A Trick Of The Tail
Man konnte es sich fast denken – A Trick Of The Tail profitiert am wenigsten von Levacs Konzept. Das liegt allerdings auch daran, dass dieser Song schon im Original eher Genesis-untypisch recht nah am Jazz lag.
Mama
Interessant ist Mama arrangiert. Das ganze Dreckige, Aggressive, Düstere ist weg. Die erste Strophe ist nur vom Klavier begleitet, in der zweiten gibt es dezente Drums und einen dominanten Bass. Und ja, die Lache ist auch da… aber das ganze kommt dermaßen dezent und verspielt rüber, wie es eben zum Arrangement des Songs passt. Die Bridge baut dann doch so etwas wie eine Spannung auf, dafür wird auf den zweiten Lacher verzichtet und die dritte Strophe wieder zurückgehalten gespielt und gesungen. Dann wird der Hörer überrascht, Levac vergisst die letzte Strophe NICHT, sondern tobt sich noch mal richtig aus. Das Ende wird dann fast schon zu rock-poppig, aber insgesamt ist es eine interessante Version.
Misunderstanding
Eine Einladung für ein verspielt-jazziges Arrangement ist von Natur aus Misunderstanding. Levac macht mit dem Song genau das Richtige. Er lässt ihn das sein, was er hätte sein können, wenn nicht gerade Genesis ihn aufgenommen hätten. Spätestens jetzt fehlt auf, wie entspannt das Fehlen von Keyboards sein kann.
Invisible Touch
Anders als die anderen up-tempo songs ist Invisible Touch sowohl in der Instrumentierung als auch vom Tempo deutlich reduziert im Vergleich zum Original. Das tut dem Song erstaunlich gut, denn während einem das Original oft auf den Zeiger geht, macht dieses Arrangement Lust auf mehr – und weckt auf eine merkwürdige Weise Erinnerungen an Phils Version des Songs mit der Big Band.
More Fool Me
Eine andere Transformation erlebt More Fool Me. Zum einen wird es vom Klavier begleitet, zum anderen startet Levac mit einem tiefen Gesang. Wir erinnern uns: Es war dieses Stück, bei dem die Besucher bei The Musical Box in ehrfürchtiges Staunen verfielen. Wiedererkennungswert mit der Live-Performance bietet diese Version allerdings nicht. More Fool Me ist trotzdem eine logische Wahl für dieses Album – und einer der besseren Jazz-Interpretationen. Vielleicht auch deswegen, weil es so herrlich einfach funktioniert und auch auf einem Album Platz fände, auf dem vorne nicht Jazz steht.
Mad Man Moon
Während More Fool Me noch tief gesungen wurde, legt Levac das Ganze bei Mad Man Moon etwas höher an. Wieder ist das Klavier das dominierende Instrument und fast klingt es wie eine Ballade, aber vielleicht ist es ja auch einfach eine?
Das jazzige Element kommt schließlich mit der Bridge ab „hey man“. Doch hier klingt Levac und seine Band erstmals etwas konstruiert und weniger lässig.
Elf Songs, wenige Instrumente und ein verspielt und prächtig aufgelegter Levac. Mehr braucht es nicht, um einfach mal ein tolles Album aus dem Ärmel zu schütteln. Während die Genesis Suite von Tolga Kashif unendlich kompliziert und fremd klingt und Genesis-Mitglieder selbst Bandinterpretationen möglichst groß und weiträumig klingen lassen wollten (Genesis Classic / Ray Wilson – Genesis Revisited / Steve Hackett – New Blood / Peter Gabriel), befreit Levac die gewählten Songs aus ihrem Gefängnis und dem Zwang, etwas ganz Großes sein zu müssen. Genesis und Swing, Genesis und Jazz – das passt besser als man vermuten konnte. Schwachpunkte des Albums sind die etwas diffuse und schwer nachvollziehbare Songauswahl sowie manche nicht konsequente Durchlüftung der Originale. Dafür ist die Produktion sehr edel und klingt einwandfrei. A Visible Jazz Touch Of … Genesis ist mehr als ein Geheimtip – dieses Album sollten sich alle Freunde der Musik von Genesis als Kontrastmittel in den Schrank stellen – oder wahlweise in die Mediathek laden. Insgesamt haben wir es hier mit einem exzellenten Album zu tun, das vor allem eines macht: Spaß.
Und wer von diesem Spaß nicht genug bekommen kann, den wird freuen zu hören, dass Martin Levac auch gerne eine zweite Jazz-Einspielung von Genesis-Songs aufnehmen möchte, die allerdings wohl erst 2013 erscheinen kann. Vorher stehen noch etliche Shows mit seiner Dance Into The Light-Show in Montreal an – und ein gemeinsames Album mit Dave Kerzner von Sonic Reality, in dem die beiden Solostücke von Mike Rutherford, Tony Banks und Steve Hackett covern wollen. Das kann ja noch spannend werden.
Autoren: Christian Gerhardts und Martin Klinkhardt