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Karmakanic (Jonas Reingold) – Transmutation – Rezension

Jonas Reingold (Steve Hackett, The Flower Kings) hat mit seiner eigenen Band Karmakanic ein neues Album produziert – Transmutation.

Vorbemerkung:

Karmakanic? Was hat diese schwedische Progressiv-Rockband aus dem Dunstkreis der Flower Kings, Kaipa und Roine Stolt mit Genesis zu tun? Nun, ohne deren Macher, Jonas Reingold zu nahe zu treten, hätte Karmakanic mit dem neuesten Album Transmutation, wohl nur eine Erwähnung und kleine Diskussion im Forum gefunden. Aber genau er ist der Grund. Ist Jonas doch seit 2017/18 in Steve Hacketts Live-Band für das Spiel auf dem Bass zuständig. Also gönnen wir Karmakanics neuem Album ein Ohr.

Hintergrund:

Jonas Reingold, geb. 1969 in Malmö, lernte schon als Junge von acht Jahren Violine spielen. Er wurde Mitglied in einem Orchester. Es dauerte nicht lange, bis er eine elektrische Gitarre geschenkt bekam, sie spielen lernte und Mitglied in diversen Schulbands wurde. Er studierte Musik und machte den Abschluss Master Of Music. Er beherrscht das Spiel auf Bass, Gitarre und Keyboards. Jonas hatte schon immer Interesse an Progressive Rock, Jazz und Metall. Da Schweden über ein überschaubare Musikszene verfügt, wurde er schnell u.a. Mitglied der Flower Kings, Kaipa, The Tangent und Agents Of Mercy. Bei Letzteren war Nad Sylvan Sänger und Roine Stolt Gitarrist. Diese beiden sollte Mitglied bei Steve Hacketts Liveband werden. Ihnen folgte schließlich Jonas, Interessanterweise als Nachfolger von Roine Stolt.

Karmakanic Transmutation - Cover

Karmakanic wurde von Jonas eher als Kollektiv von Musikern, die seine Ideen in Musik umsetzen, denn als Band 2002 ins Leben gerufen. Bis jetzt hat das Kollektiv fünf Studioalben produziert, wobei das letzte, DOT, schon neun Jahre zurückliegt. Mit Transmutation hat sich Jonas also sehr viel Zeit gelassen. Das liegt an seiner Belastung als Musiker in anderen Bands und als Gast auf zahllosen Alben, den Folgen von Corona und seiner Akribie beim Produktionsprozess. Er vergleicht sich hierbei mit Peter Gabriel. 1

Covergestaltung und Konzept:

Der Titel des Albums, Transmutation, steht für die Transformation in einen neuen Seinszustand, den Fluss des Lebens, den Kreislauf der Natur, den steten Wandel des Universums. Jonas vergleicht das mit seiner Musik, die sich wie ein Samenkorn entwickelt, zu etwas Lebendigem erblüht, langsam in dieser Welt vergeht und ihren Seinszustand in andere Formen verwandelt.
Das in grauen Tönen gehalten Cover ziert ein Foto von Jonas halben Gesicht, dass perspektivisch „verdreht“ wirkt, da seine im Seitenprofil aufgenommene Nase „hineingebastelt“ wurde. Eine Anspileung auf den Titel? Die Gestaltung erfolgte durch von Diana Seifert und Hajo Müller (bekannt durch Steven Wilsons jüngste Projekte). 2

Band:

Neben Jonas Reingold (Bass,Guitars Keyboards) werden folgende Mitwirkende genannt:
John Mitchell (u.a. Asia): Lead Vocals,
Steve Hackett (Lead Guitars)
Randy McStine (Lead Guitars, Vocals)
Simon Phillips (Drums)
Craig Blundell (Drums)
Nick D’Virgilio (Drums),
sowie u.a.
Lalle Larsson, Andy Tillison, Tomas Bodin, Luke Machin, Göran Edman, Rob Townsend, Roger King, Krister Jonsson

Jonas hat die Creme de la Creme der (progressiven) Rockmusik für sein Projekt gewinnen können. Sie rekrutieren sich z. T. auch aus seinen Hausbands. So ist es nicht verwunderlich, dass das Album in verschiedenen Studios, u. a. der beteiligten Musiker entstanden ist. Der Mix wurde von Chris Lord in seinem Studio in L.A. vorgenommen.

Songs:

Brace For Impact (2:33)

Der Opener beginnt leise und getragen mit Gitarren, Bass- und Keyboardsounds, um dann jazzig los zu rocken. Dem Bass werden blubbernde Töne entlockt, eine Gitarre soliert und die Orgel (Andy Tillison) jault. Simon Phillips drumt zurückgenommen. Bevor es richtig heavy wird und der/die Hörer*in nach Luft schnappt, ist der Spuk abrupt vorbei.

End Of The Road (10:22)

Jonas mit Simon Phillips

Schöne Klaviertupfer (Randy Schuller) leiten über in eine proggige Gitarrenspur, der Gesang setzt ein und erzeugt eine AOR-Stimmung, die man von Asia gewohnt ist. Der Gesang wechselt regelmäßig zwischen John Mitchell und Randy McStine. Oh ja, Kaipa schimmern da durch. Bevor es zu langweilig wird, erfolgt bei Minute 5:00 ein Taktwechsel, der von Luke Machins Gitarre, die an Alan Holdsworth meets Steve Hackett erinnert, abgelöst wird. Der zweite Teil des Songs lässt aufhorchen. Schön ruhiger werdend, melancholisch mit akustischer Gitarre fließt der Song dahin, um mit der einleitenden Gitarrenmelodie auszuklingen. Erinnerungen an die Yes der Rabin-Phase werden wach. Die Reprise des Klavierintros bildet den Abschluss.

Cosmic Love (4:56)

Die Single des Albums ist aber nun eine deutliche Reminiszenz an die Yes der 80er Jahre. Den Bass hätte Squire auch nicht besser bearbeiten können. Der Refrain mit seinem akustischen Break lässt an Owner Of A Lonely Heart von Yes denken. Ein schöner Groove lädt zum tanzen ein. Eine flotte, fast poppige Nummer, die die Schwere des vorherigen Songs vergessen lässt. Das Synthesizergeblubber und die verzerrte Gesangsstimme lassen zu dem die Buggles jubilieren.

All That Glitters Is Not Gold (6:38)

Wunderschöne Arpeggien der akustischen Gitarre, Flötentöne von Markus Lukastik und sanfter, lyrischer Gesang bilden eine pastorale Atmosphäre. Nach zwei Minuten setzt das Schlagzeug von Craig Blundell ein und der Song nimmt langsam Fahrt auf. Das Genesisfeeling wird nach knapp drei Minuten von schwerem metallastigen Gitarrengebräu von Krister Jonson und Jonas in eine schnelle Richtung gelenkt. Welch ein Ausbruch! Die wütende, drohende Stimmung findet ihre Erlösung nach vier Minuten durch ein Saxophon Solo von Rob Townsend, das in ein Finale Furioso, welches ein Steven Wilson nicht besser hinbekommen würde, übergeht. Jonas spielt bei diesem Song u. a. einen Fretless Bass.

We Got The World In Our Hands (7:53)

Jonas mit Steve Hackett

Entfernte Stimmen bilden den Auftakt zu einer wunderschönen von zwölfsaitigen Gitarren (akustisch und elektrisch), gespielt von John Mitchell und Randy McStine begleiteten Fahrt auf einem Freeway hinaus in die Weiten des mittleren Westens. Der Gesang erinnert an Ray Wilsons raue und doch melodisch Stimme. Ein bisschen Westcoastfeeling gepaart mit Yes (Keyboardsoli) laden zum träumen ein. Das Gitarrensolo in der Mitte des Songs ist angelehnt an Rabin und Stolt. Der Schlussteil begeistert durch schöne lockere von Jonas gespielte Keyboards und Gitarren, die den Gesang umschmeicheln. 3

Lose This Ball And Chain (6:23)

Mit verhaltenen, ruhigen Gitarrenarpeggien wird auf den melancholischen Gesang, der Ray Wilson erinnert, gewiesen. Sanfte Percussiontöne mutieren zu einem Gebräu aus Simon Phillips Schlagzeug und pumpendem Bass. Düstere Keyboards von Tomas Bodin lassen die Stimmung kippen. Jedoch bleibt der Gesang sanft und ruhig von akustischen Gitarren umgarnt. Im letzten Drittel, nach einem kurzen Atemholen, wird es progmetallastig. Ein schneidendes Gitarrensolo und Keyboards erhöhen die Dramatik. Der Gesang wird flehentlich, laut. Die Bassarbeit ist hervorzuheben. Leise verebbt der Song.

Transmutation (The Constant Change Of Everything) (22:51)

Den Mittelpunkt des Albums stellt ein Longsong, der den Progfreund mit der Zunge schnalzen lässt, dar. Nur Streicher und ein Klavier bilden den klassischen Auftakt. Gesang setzt ein. Wir hören eine akustische Gitarre (Jan-Olof Jonsson). Das impressionistische Bild wird durch ein herrliches viel zu kurzes Gitarrensolo zerstört (die Melodie bleibt im Kopf haften und wird immer wieder erklingen). Langsam nimmt der Song durch perkussive Einlagen an Fahrt auf. John Mitchell wird gesanglich von Dina Höblinger und später Amanda Lehmann unterstützt. Keyboards in Begleitung eines wummernden Basses ziehen das Tempo an. Nick D’Virgilios Schlagzeug ist in seinem Element.

Immer wieder schwebt eine elektrische Sologitarre mit o. g. Melodie über allem. Bemerkenswert ist Jonas fantastisches Bassspiel. 4

Jonas Reingold auf der Bühne

Die temporeicheren Parts scheinen nur kurze Ausbrüche zu sein, vergehen sie doch in verträumt -melodische Klanglandschaften. Bei Minute 6:00 ff. hat Dina Höblinger ihren großen solistischen Auftritt. Sie singt wundervoll. Nun wird es richtig bombastisch mit Chören, druckvollem Spiel aller Instrumente unter beteiligung aller Musiker. Ganz nahe ist Karmakanic hier bei den Flower Kings. Dazu tragen leicht jazzige Ausflüge (Minute 10 – das Piano!), die Gitarrensoli und lange Instrumentalpassagen in der zweiten Hälfte des Songs bei. Klingt da nicht The Cinema Show auf?

Ab 18:12 hören wir ein wunderschönes Solo von Steve Hackett auf akustischer Nylon-String-Gitarre, das in Gesang übergeht. Sehr harmonisch bombastisch mit E-Gitarrensolo von Krister Jonsson, der das den Song verbindende Thema aufnimmt, klingt der Longtrack aus.

Fazit:

Für den Rezensenten ist dies das erste Hörerlebnis mit Karmakanic. Er kann daher Transmutation nicht im Musikuniversum der Band verorten, bzw. mit Vorgängeralben vergleichen. Es sind Beziehungen zum schwedischen Progressive Rock ala´ Flower Kings und Kaipa unüberhörbar. Daneben stehen Anlehnungen an die Genesis der alten Tage, den 80er Yes, Asia, Jazzrock, den späten Steve Hackett und AOR von Kiss. Dies wird zu einem deftigen Eintopf gerührt, der schmackhaft ist und immer neue Gaumenfreuden hervorbringt. Nicht nur intensiv zuhören ist gefragt. Nein, man kann auch ausruhen, in anderen Welten abtauchen und sogar tanzen. Gelingt somit Jonas Anliegen die Musik in andere Sphären zu verwandeln und den/die Hörer*in dabei mitzunehmen?

Der Rezensent bejaht dies, allerdings unter der Voraussetzung des Willens zum intensiven zuhören und sich fallenlassen. Ist der Wille da, erlebt man vielschichtige musikalische Bilder. Jonas erfindet die (Prog) Musik nicht neu, verknüpft aber geschickt Bekanntes und gewinnt ihr neue Aspekte ab. Die große Palette an Musikern trägt dazu bei. Ja, gönnen wir Transmutation ein Ohr!

Anmerkungen:

1 Die Infos wurden einem Interview/Feature von Michaels Record Collection entnommen
2 Diana Seifert Website | Hajo Müller Website
3 Die Reihenfolge von „Glitter“ und „We got“ kann auch umgekehrt sein. Die Promoinfos machen unterschiedliche Angaben.
4 Jonas spielt am liebsten auf alten „Vintage“ Instrumenten. Er schätzt den Klang der Oldies.