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John Hackett – Interview, Dezember 2008
John beantwortete Helmut Janisch einige Fragen rund um sein zweites Akustik-Soloalbum Prelude To Summer.
it: Dass dein neues Album klassische Musik enthält, hat mich ganz schön überrascht. Als wir uns zuletzt unterhielten, hast du erwähnt, dass ein neues Rockalbum in Arbeit sei. Was ist daraus geworden und wie kam es, dass du das Album mit Flöten und Gitarren vorgezogen hast?
John: Die ursprüngliche Idee bestand darin, ein kurzes Projekt zu machen, bevor ich mit dem nächsten Rockalbum anfange. Daraus ist dannPrelude To Summer geworden. Das war im Frühjahr 2007. Ich hatte ein paar Demos zusammengestellt und mich mit Clive Williamson von Symbiosis in einem kleinen Restaurant in der King’s Road in London getroffen. Er äußerte sich sehr positiv über die Musik, die er auf meinem Walkman hörte, also dachte ich mir: „Fein, dann mache ich ein akustisches Album mit Flöte und Gitarre. Das dauert so etwa acht Wochen, wenn ich das meiste selbst spiele.“ Wie sich herausstellte, hatte ich den Zeitbedarf völlig unterschätzt. Das Schreiben ging sehr schnell, ein paar Monate dauerte es, glaube ich, und das Flötenspiel war auch kein Problem; aber die Gitarre! Ein Demo aufnehmen ist das Eine; aber als ich anfing, Versionen aufzunehmen, die als Master dienen könnten, habe ich gemerkt, dass es viel schwieriger ist, klassische Gitarre aufzunehmen als ich dachte. Jedes Quietschen und jeder schiefe Ton schien aus den Boxen nur so herauszudonnern – Zeit zum Üben! Und obwohl, wie du sagtest, das Rockalbum zum größten Teil schon geschrieben war und definitiv schon unterwegs, musste es erstmal warten.
it: Prelude … lässt sich eher mit Velvet Afternoon und den CDs von Symbiosis vergleichen – wie würdest du die Ähnlichkeiten beschreiben? Was ist bei Prelude To Summer im Vergleich anders?
John: Es sind meistens Instrumentalstücke, bei denen die Flöte die Hauptrolle spielt; mitunter sind sie sehr atmosphärisch – insofern ähneln sie hier Symbiosis und dem Velvet…-Album. Beim Symbiosis-Material ist aber sehr viel improvisiert, bei Velvet … und Prelude … aber nicht. Velvet Afternoon ist eine Sammlung von Stücken in verschiedenen Stilrichtungen vom Barock bis zur modernen französischen Richtung. Prelude To Summer dagegen hat eine einheitlichere Ausdrucksweise. Es gibt dort unverkennbar einen starken französischen Einfluss in der Richtung von Satie. Aber hier und da blitzt auch mal Prog auf – wenn man darauf achtet – und ein spanischer Einschlag, bei der Gitarre erwartet man das ja schon.
Nach dem Erfolg, den das Album Sketches Of Satie hatte, und all den Jahren, in denen ich Flöten- und Gitarrenstücke mit Steve gespielt habe, war das ein Bereich, den ich weiter erkunden wollte. Ganz besonders gereizt hat es mich, für manche Stücke mehr als nur eine Gitarre einzusetzen. Tomorrow, Twilight Forest und Gaudi’s Dream zum Beispiel sind für Flöte und Gitarrenquartett. Im Ganzen, glaube ich, ist mein Komponieren auf Prelude … schon reifer.
it: Auf Velvet Afternoon und auch auf Prelude To Summersteht auf der Vorderseite der Hülle der Hinweis „für Flöte und Klavier“ beziehungsweise „für Flöte und Gitarre“. Warum dieses? Der Titel ergibt doch auch so einen Sinn, und Checking Out Of London. hat ja auch nicht den Untertitel „für volle Band“. Sollen damit potentielle Käufer „gewarnt“ werden, dass das hier kein Pop/Rockalbum ist, damit sie wissen, was sie erwartet?
John: Genau. Als ich Red Planet Rhythm mit Moodi Drury herausgebracht habe, gab es Leute, die mich fragten, ob das jetzt der Nachfolger zu Checking Out Of London sei. Wenn man sich anschaut, dass das eine Kollaboration ist, einen völlig anderen Stil hatte und gänzlich instrumental war – also das war ganz offensichtlich nicht der Nachfolger! In England gibt es einen Werbespruch: „It does exactly what it says on the tin”, und genau so wollte ich es mit Prelude… halten. Wenn ich es ganz genau genommen hätte, dann hätte dort gestanden „für Flöte, Gitarre und Keyboards“, weil auf dem Album auch ein paar zarte Mellotronmandolinen und Orgeltöne zu hören sind, die Nick Magnus auf einigen Stücken spielt. Aber ich habe Nick vorher gefragt, und er ist zufrieden mit den Credits.
it: Warum hast du so lange gebraucht, um zu deinem „ursprünglichen“ Instrument, der Gitarre, zurückzukehren? Hat es dich beeinflusst, dass Steve so ein guter Gitarrist ist, dass du nicht wolltest, dass die Leute die Hackett-Brüder miteinander vergleichen?
John: Ich erinnere mich, dass ich einmal mit einem besonders verzwickten Stück von Bach Probleme hatte; da drehte sich mein alter Flötenlehrer zu mir um und sagte: „Daran kann man sein Leben lang arbeiten!“ Ja – eigentlich habe ich einen Großteil meiner Zeit damit verbracht, die Flöte zu beherrschen. Und als ich angefangen habe Flöte zu spielen, spielte die Frage „Soll ich meinen Bruder mein Leben lang nachmachen?“ schon eine Rolle, da hast du recht; das wäre wahrscheinlich auch ein Fehler gewesen. Der andere Aspekt besteht darin, dass ich klassische Gitarre zu spielen körperlich sehr anspruchsvoll finde; das hat mich jahrelang davon abgehalten und erklärt zum Teil auch, warum Prelude… so viel Zeit gebraucht hat.
it:Wie bist du mit Chris Glassfield zusammengekommen, der ja auf Prelude… ein paarmal Gitarre spielt?
John: Das war, als ich mit einigen Gitarrenpassagen Probleme hatte – vor allem weil ich zur selben Zeit versuchte, auch noch mein eigener Aufnahmeingenieur zu sein – im Sommer 2007. Clive Williamson erinnerte sich, dass er mal mit Chris Glassfield auf einem Konzert gespielt hatte. Er legte ein Album von ihm auf, Amembo, und mir gefielen der Klang und die Phrasierung sofort. Also hat Clive ihn für mich angerufen. Und ich bin froh darüber, denn sonst wäre Prelude To Summervielleicht erst im Frühling 2009 erschienen – nun, manche würden sagen, das wäre besseres Timing …
it: Ich würde gerne Steve mit einem Paar Nylons sehen (wie es im Booklet erwähnt wird) – wenn ihr davon Bilder gemacht habt, hätte ich gerne Abzüge …
John: Das ist nicht dein Ernst! Übrigens, um die vorige Frage fortzuführen: Ich habe Steve ziemlich am Anfang natürlich gebeten, auf Prelude … zu spielen, aber das ganze Album wäre eine zu große Verpflichtung gewesen. Ich bin auch sehr zufrieden damit, wie es jetzt ist – drei Gitarristen, von denen ich den Löwenanteil habe. Ich glaube, das Album hat dadurch gewonnen, dass wir Chris‘ Sound und Steves Solos auf Stücken wie Closure und Voices Of The Sea haben. Mir war es auch wichtig, Abwechslung bei den Stücken zu haben; deshalb habe ich drei Gitarrenstücke extra geschrieben, damit Steve sie spielt.
it: Welche Rolle spielte Clive Williamson bei der Entwicklung des Albums? Und wie steht es im Moment mit Symbiosis – gibt es die Band noch und bist du da noch beteiligt?
John: Wie gesagt: Es war Clives Begeisterung, die mir das Selbstvertrauen gab, so ein Projekt anzufangen, auf dem ich das Meiste selbst spiele. Clive hat vor kurzem das ganze Material von Symbiosis bei iTunes verfügbar gemacht (auch in Deutschland); jetzt gerade stellen wir ein Album zusammen mit bislang unveröffentlichten atmosphärischen Stücken, die zur Untermalung von BBC-Sendungen benutzt wurden. Was ich immer schon besonders mochte daran, ein Teil von Symbiosis zu sein, ist die Bandbreite musikalischer Richtungen von entspannenden Ambientklängen über dunklere Stimmungen bis zu globaler Musik. Die letzte Veröffentlichung heißt Dancing In Your Dreams (symbiosis-music.com – oder bei iTunes kaufen), aber wir haben schon eine ganze Zeit kein Konzert gespielt.
it: Das Bild auf dem Cover stammt von deinem Vater. Von ihm ist (jedenfalls in Genesis-Fankreisen) wenig bekannt, abgesehen von Steves Serpentine Song, der offenkundig darauf beruht, dass euer Vater seine Bilder sonntags außerhalb des Hyde Parks ausstellte und verkaufte [Red.: The Serpentine ist ein See im Londoner Hyde Park]. Könntest du uns ein wenig über ihn erzählen?
John: Gerade vorhin habe ich eine E-Mail von Jemandem bekommen, der wissen wollte, ob man irgendwo einen Kunstdruck von dem Bild auf dem Cover bekommen kann. Als junger Mann schon war unser Vater Peter Hackett richtig gut darin, Zeichentrickfiguren zu skizzieren und zu malen; eigentlich hatte er einen Bürojob, aber ich glaube nicht, dass er jemals darin aufging. In mittleren Jahren hat er dann, wie du schon sagtest, angefangen, Bilder am Hyde Park zu verkaufen. Das lief bald so gut, dass er seinen Job ganz aufgab und einen Laden im Süden von London kaufte, den er als Atelier und Galerie benutzte. Er war damals sehr fit und spielte Fußball im Verein, als er schon weit über 50 war. Deshalb hat es ihm besondere Freude gemacht, wenn bekannte Fußballer vorbeikamen und seine Arbeiten bewunderten. Er ist immer noch sehr stolz darauf, dass er Kevin Keegan [Red.: Bekannter britischer Fußballer und Trainer der englischen Nationalelf 1999-2000] ein Bild verkauft hat. Seit ein paar Jahren geht es ihm nicht mehr so gut, und er hat die Malerei aufgeben müssen. Auch deshalb fand ich es sehr schön, dass ich sein Bild Voices Of The Sea als Albumcover benutzen konnte.
it: In den Credits heißt es, dass du Flöte und Altflöte spielst. Außerdem wird dort erwähnte, dass du eine Sonderanfertigung der Flöte für die Aufnahmen benutzt hast. Hast du zwei separate Exemplare oder kannst du den modifizierten Flötenkopf auf verschiedenen anderen Flötentypen verwenden? Manche Fans wundern sich ja auch vielleicht immer noch, warum du diese einzigartige vertikale Flöte benutzt, könntest du noch einmal den Grund dafür erläutern?
John: Die vertikale Flöte war ein echter Lebensretter für mich. 1993 hatte ich einen Autounfall. Seitdem habe ich Beschwerden mit dem Nacken und dem Rücken. Der Vorteil der vertikalen Flöte liegt darin, dass sie ergonomisch ist: Die Arme bleiben unten und weder Hals noch Wirbelsäule werden gedreht. Außerdem sieht man seine Finger, während man spielt. Die Altflöte, die ich benutze, hat einen gebogenen Kopf und ist daher bequemer als der normale gerade Kopf. Der Flötenkopf, den ich auf meiner Konzertflöte verwende, wurde erst vor ein paar Jahren von einem englischen Flötenbauer namens Mike Allen entwickelt und passt auf die meisten meiner anderen Flöten. Ich spiele aber meistens dieselbe Flöte, eine alte Muramatsu aus massivem Silber mit gedeckten Löchern. Willie Simmons, ein anderer Flötenbauer in der Nähe der Penny Lane in Liverpool, hat sie für mich umgebaut.
it: Wo wurde das Album aufgenommen? In deinem Studio zuhause?
John: Der Großteil wurde in meinem eigenen Studio aufgenommen, das glücklicherweise sehr ruhig ist und eine sehr trockene, beherrschbare Akustik hat. Nick Magnus war dann in der Lage, die Aufnahmen zu behandeln und beide Musiker in die richtige Akustik zu bringen. Da „die beiden Musiker“ gewöhnlich ich an der Gitarre und ich auf der Flöte waren, war es unverzichtbar, dass sich insgesamt ein überzeugender Liveeindruck ergab. Ich glaube, es ist geglückt, aber es könnte sein, dass ich noch ein wenig üben muss, bis ich sowohl Gitarre als auch Flöte live spielen kann!
it: Kommen wir zu etwas Anderem: Das Acoustic Trio hat ja inzwischen schon in mehreren Teilen der Erde Konzerte gegeben. Haben Steve, Roger und du erwartet, dass es so ein Erfolg werden würde, als ihr angefangen habt?
John: Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was Steve und Roger erwartet haben. Was mich angeht, so war ich einfach froh, dank der vertikalen Flöte wieder live spielen zu können – nach langer Bühnenpause. Aber die Reaktion auf das Trio ist fantastisch. Mir persönlich gefällt besonders, dass man genau hören kann, was jeder von uns spielt; es ist also kein Klangteppich. Das bringt natürlich den zusätzlichen Stress mit sich, dass man eben ganz präzise spielen muß, aber es ist auch sehr dankbar.
it: Was waren die herausragenden oder heitersten Momente auf den Touren?
John: Die ersten Konzerte mit dem Trio in Japan waren umwerfend. Ich war zum ersten Mal in Japan, und zu sehen, wie die Fans auf der anderen Seite der Erde mit ihren Exemplaren von Voyage Of The Acolyte in einer langen Schlange anstehen, hat mir wirklich die Augen geöffnet. Das klingt jetzt so, als hätte ich eine fantastische Sehkraft, nicht wahr? Aber es war jedenfalls toll, wieder mit Steve auf der Bühne zu stehen?
it: Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus, was ist schon in der Mache?
John: Nun, das nächste Rockalbum lockt. Die meisten Stücke sind dafür schon geschrieben, wieder mit Lyrics von Nick Clabburn. Sie haben den üblichen „dunklen“ Clabburn-Ton, aber wie bei Prelude … glaube ich, dass ich mich als Songwriter weiterentwickelt habe. Ich war auf jeden Fall ganz von den Socken, wie mein erstes Soloalbum Checking Out Of London angekommen ist. Und ich möchte dir und allen anderen Leuten danken, die mir in den letzten Jahren so viel Mut gemacht haben, seit ich meine Arbeiten ein bißchen mehr auffächere.
Interview: Helmut Janisch
Übersetzung: Martin Klinkhardt