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John Hackett – Checking Out Of London – CD Rezension
Steve Hacketts Bruder John trat bereits mehrfach zusammen mit Steve live auf. 2004 / 2005 nahm er das Rockalbum Checking Out Of London auf. Andreas Lauer hat es sich angehört.
Er spielt professionell Querflöten, ferner Gitarren, Basspedale (mit den Händen) und ein bisschen Keyboards, und er singt neuerdings auch. Er ist seit den frühen 1970er Jahren auf Studio-Alben und auf der Bühne mit unterschiedlichster Musik zu hören – mit Steve Hackett (im Duo, im Trio und in der Band), aber auch dessen Vorgänger bei Genesis, Anthony Phillips, mit dem English Flute Quartet, mit Symbiosis und anderen. Und er verdient sein täglich Brot mit Querflöten-Unterricht und -Unterrichtswerken.
Doch von diesem künstlerischen Schattendasein hat sich „Hackett Minor“, wie er einst in Steve Hacketts Band genannt wurde, nun mit fast 50 Jahren einstweilen verabschiedet: Nach der Veröffentlichung der Sketches Of Satie gemeinsam mit Steve und eines Velvet Afternoon voller leicht zugänglicher Musik aus eigener Feder für Flöte und Klavier überrascht John Hackett nun mit seinem ersten Rock-Album.
Um die zwölf selbst komponierten (außer DNA: mit Nick Clabburn) und (bis auf Dust) von Nick Clabburn vertexteten Songs aufzunehmen, stellte John sich eine hochkarätige Mannschaft zusammen: Das Mitwirken von Bruder Steve bei einigen Stücken ist naheliegend; dessen langjähriger Weggefährte Nick Magnus fungiert als Co-Produzent, Keyboarder und, wer hätte es vermutet, auch Schlagzeuger bei allen Songs; Tony Patterson, Sänger der britischen Genesis-Coverband ReGenesis, singt mit seiner gabrielesquen Stimme drei Lieder und steuert den gesamten Hintergrundgesang bei. John selbst spielt Bassgitarre und die meisten elektrischen und akustischen Gitarrenparts, singt neun der Lieder und übernimmt die eine oder andere Keyboardpassage.
Die Vermutung liegt nahe, dass Checking Out Of London nach Songs von Steve Hackett klingen könnte, was tatsächlich nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Das Album hat viel von der vielschichtigen verträumten Stimmung ruhiger Steve Hackett-Songs von Darktown oder To Watch The Storms, und nicht zuletzt erinnert Johns Stimme von Zeit zu Zeit stark an den Bruder, ist aber wärmer und hat mehr Substanz. Das Album verzichtet auf Instrumentalstücke oder lang ausgedehnte Instrumentalpassagen, wie sie für ein Album von Steve typisch wären. Auch bleibt die stilistische und formale Vielfalt hinter jedem Album des Bruders weit zurück. Während Steve seine Gitarren bei fast keinem Stück weglässt, ist es verwunderlich, dass John an keiner Stelle sein Hauptinstrument, die Flöte, einsetzt; man hätte sich eine Aufwertung des Albums durch einige virtuose Flötenpassagen ganz im Geiste der Songs (nicht als Showcase) gut vorstellen können. Doch man täte John Unrecht, mäße man dieses musikalische Werk an dem des Bruders.
Abgesehen von vielen weiteren Vergleichen, die man ziehen könnte, nennt John selbst als Einflüsse auf die Musik dieses Albums Genesis, Pink Floyd, Moody Blues und Joni Mitchell. In erster Linie aber – und das ist die erfreulichste Erkenntnis bereits nach dem ersten Hören – klingt Checking Out Of London offenkundig nach John Hackett.
Die zwölf Songs dieser Scheibe sind rhythmisch und im Arrangement durchaus abwechslungsreich, haben einen hohen Wiedererkennungsgehalt. Allen liegt dabei eine gewisse Melancholie zugrunde, was im Genesis-Umfeld ja keine Seltenheit ist. Damit geht eine Tiefe einher, die man beim ersten Hören möglicherweise nicht bemerkt, die sich aber in zweierlei ausdrückt: zum einen in musikalischen Details, die sich erst nach und nach von Mal zu Mal ins Bewusstsein einspielen; zum anderen in den Texten, die auch bei oberflächlichem Zuhören Bilder und Gefühle evozieren.
Beachtlich sind nicht nur die Darbietungen der Gäste. John selbst überzeugt von Anfang bis Ende als souveräner Sänger und geschmackvoller Gitarrist. Natürlich hört man es sofort, wenn ein Lead-Gitarren-Part von Steve übernommen wird – er tut dies bei vier Songs, und schon dies ist ein guter Grund für all seine Fans, diese CD nicht zu ignorieren. Steve spielt außerdem ein nettes Mundharmonika-Solo. Tony Patterson singt mit rauhem Organ zwei rockige Nummern und eine sehr ruhige „Ballade“, und Nick Magnus legt ein ausgesprochen solides Fundament unter die gesamte Musik; die Produktion, für die er mit John verantwortlich zeichnet, ist durchweg transparent, vermittelt viel Raumgefühl und plaziert insbesondere die Gitarrenparts in strahlendes Licht.
Einige hervorragende Titel seien genannt: Late Trains ist ein Glanzpunkt mit einer gekonnten Dramaturgie, spannenden Harmoniefolgen und – als kleine Überraschung – einem Solo von John am Fretless Bass. Überaus stimmungsvoll kommt The Hallway And The Pram daher, mit Tempo, vielschichtigen Harmonien und Steves Harmonika-Solo. Der noch seltsamere Titel Ego & ID bezeichnet das rockigste Stück des Albums: düster und zornig, steht es im Gegensatz zum friedlichen Dreamtown oder zum fragmenthaft-ätherischen Titelstück. Die genannten Tracks markieren auch die stilistischen Eckpunkte eines Albums, welches das höchst bemerkenswerte Debut-Rockalbum eines sehr vielseitigen Musikers darstellt und die seltene Eigenschaft hat, vom verantwortlich zeichnenden Künstler großenteils eigenhändig erstellt worden zu sein. Zum Kauf kann nur geraten werden: von Multitalent John Hackett ist gewiss noch manches Bonbon zu erwarten …
Autor: Andreas Lauer