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IQ – Interview mit Peter Nicholls, Aschaffenburg 2018
Im Rahmen ihrer Tour hatte Helmut Janisch (Genesis Fanclub Redaktion) die Gelegenheit, mit Peter Nicholls von IQ ein Interview in Aschaffenburg zu führen.
Die 1981 gegründete britische Band IQ gehört zu den Top-Acts des Neo-Progressive-Rock-Genre. Allerdings gibt es bei ihnen keine direkten Berührungspunkte mit Genesis oder den Soloprojekten, wie beispielsweise bei Nick D’Virgilio (Spock’s Beard) oder Ian Mosley (Marillion). Gerade darum wollten wir einmal auf diese Band hinweisen, zumal ihr bisher letztes Studioalbum, The Road Of Bones, sehr erfolgreich war.
Wir trafen IQ-Sänger Peter Nicholls kurz vor dem Auftritt in Aschaffenburg am 10. Februar und baten ihn, uns einige Fragen zu beantworten. Einige davon hatten sogar auch etwas mit Genesis zu tun.
it: Es heißt, die Geschichte von IQ habe bei einem Genesiskonzert angefangen. Wie kam’s?
PN: Während der Trick Of The Tail-Tour 1976 war ich beim Konzert in der Bingley Hall in Stafford. Da habe ich Mike [Holmes, Gitarrist von IQ] und Niall [Hayden, heute Mitglied der IQ Bühnencrew] getroffen. Ich wohnte im Norden von England, sie lebten im Süden, wir kannten uns nicht. Wir saßen halt vor der Halle und warteten auf den Einlass. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir ins Gespräch gekommen sind. Weißt du das noch? [zu Niall, der gerade vorbeikommt]
Niall: Du hattest gesehen, dass wir ein paar Plattencover dabei hatten, die von den Bandmitgliedern signiert waren.
PN: Ich hab Lamb-Cover gesehen.
Niall: Und dir ist aufgefallen, dass Mike I Know What I Like mit einem Autogramm von Peter Gabriel dabei hatte.
PN: Es hat also alles ganz zufällig angefangen. Wir kamen ins Gespräch, haben Adressen ausgetauscht und einander geschrieben. Irgendwann habe ich dann mal geschrieben: „Ich bin Sänger, lasst uns eine Band gründen.“ Das war ja vollkommen undurchführbar, weil wir 450 Kilometer voneinander entfernt wohnten. Ich war auch kein Sänger. Aber ich wollte einer sein, weil ich im Jahr zuvor The Lamb Lies Down… gesehen hatte und mich die Erfahrung völlig überwältigt hatte. Da dachte ich: Das will ich machen. Und bis heute ist The Lamb mein absolutes Lieblingsalbum. Wir fingen an, uns auszutauschen, und dann bin ich mal nach Southampton gefahren, um Mike und Niall zu besuchen. Die hatten eine Band; Mike spielte Gitarre und Niall Schlagzeug. Daraus wurde dann The Lens, der Vorläufer von IQ. Ich war dann also Mitglied von The Lens … einer Instrumentalband … klar, wo das Problem liegt, nicht wahr? [lacht] Ich hatte überhaupt kein Selbstvertrauen, was das Singen angeht. Ich ging zu den Proben und sang keinen Ton, weil ich solche Angst hatte – und weil ich fand, dass die Jungs richtig gut waren. Am Ende fing die Band an, Auftritte als Instrumentalband zu machen, und ich ging. Aber ich habe dann in Manchester eine Band gegründet. Wir haben ein Konzert gespielt, und Mike und Niall kamen vorbei, um sich meinen Auftritt anzusehen. Ein halbes Jahr davor hatte sich The Lens aufgelöst und IQ gegründet und sie waren nach London gezogen. Wenn man damals als Band Erfolg haben wollte, musste man in London sein. Am Tag nach dem Konzert haben sie mich gefragt, ob ich bei IQ mitmachen möchte. Und eine Woche später hatte ich mein erstes Konzert mit ihnen [lacht]. Das ging alles so schnell, ich erinnere mich nicht einmal, ob ich für den Auftritt geprobt habe. Ehrlich gesagt gab es bei der Musik von IQ auch nicht so furchtbar viel zu singen … das waren vielleicht drei Stücke, bei denen ich gesungen habe.
it: Wie stark hat die Musik von Genesis IQ damals beeinflusst, und wie stark ist dieser Einfluss heute?
PN: Heute nicht mehr so groß, aber damals sicher schon stark. Jeder in der Band hatte andere musikalische Vorlieben, aber Genesis war der Punkt, an dem wir uns alle getroffen haben. Als wir Anfang der 80er anfingen, gab es eine gewisse Renaissance des Progressive Rock. Und jede Band wurde mit bestimmten anderen Bands verglichen. Die einen wurden mit Genesis verglichen, andere mit Yes und wieder andere mit ELP. Als wir anfingen, gab es ständig Vergleiche mit Genesis. Das habe ich gut verstanden, denn der Einfluss von Genesis war da und er war deutlich. Aber ich finde, wir haben sehr schnell unseren eigenen Klang entwickelt. Auf unserem ersten Album, Tales From The Lush Attic, gab es offensichtliche Ähnlichkeiten, aber auf unserem zweiten Album, The Wake, klangen wir schon wie IQ.
it: Ihr habt ja auch manche Stücke von Genesis live gespielt.
PN: Stimmt, aber nicht ernstgemeint. Wir haben Watcher Of The Skies gespielt, ein kleines Medley aus The Cinema Show, Robbery, Assault And Batteryund dem Schluss von The Musical Box. Ein paarmal haben wir auch Lilywhite Lilith gespielt … sehr schlecht [lacht]. Die Genesis-Songs haben wir nur ganz gelegentlich gespielt. Das war immer eine Art Witz für uns: Wir wurden ständig mit Genesis verglichen, also haben wir uns gedacht: „Na dann, los, spielen wir mal Genesis!“ [lacht]
it: Auf Tales From A Dark Christmas, der neuesten Veröffentlichung von IQ, beginnt das Stück Merry Christmas Everybody mit einem Zitat aus Apocalypse In 9/8.
PN: Das kommt daher, dass die ersten Akkorde von Merry Christmas fast dieselben sind wie die Akkorde in Apocalypse In 9/8. Ein kleiner Scherz für Eingeweihte.
it: Gibt es denn Verbindungen oder gemeinsame Projekte zwischen Mitgliedern von IQ und Genesis?
PN: Ende der 80er, als ich nicht in der Band war, haben IQ eine Tour mit Mike & The Mechanics gemacht. Darüber hinaus gibt es keine Verbindung zu Genesis, nein. Naja, wir haben sie alle mal getroffen. Ich bin immer herumgelungert und habe mir Alben signieren lassen und so. Bei der Wind & Wuthering-Tour habe ich am Bühneneingang gestanden und mir alle Alben signieren lassen. Es ist ganz schön aufregend, seine eigenen Helden zu treffen. Sie waren alle sehr zugänglich, sehr freundlich. Peter Gabriel ist ein großer Held, und er hat alles signiert, was man ihm vorlegte. Das war eine wertvolle Lehre für mich, wie man Menschen umgehen sollte. Heute tauchen die Leute mit ganzen Stapeln von IQ-Material auf. Sie haben das alles gekauft und man signiert das alles. Es ist natürlich einfach, freundlich zu jemandem zu sein, der das, was du machst, toll findet. Ich bin immer sehr dankbar dafür, dass die Leute unterstützen, was wir machen und das alles kaufen.
it: Was denkst du darüber, wie sich Genesis von den 70er Jahren bis heute entwickelt hat?
PN: Es ist ziemlich schwierig für sie, denke ich. Wenn sie sich nicht verändert hätten, dann hätte man sie dafür kritisiert, dass sie sich nicht verändert haben. Als sie sich verändert haben, hat man sie dafür kritisiert, dass sie sich verändert haben. Keine Band kann so bleiben, wie sie ist. Das Publikum ändert sich. Du bist nicht dieselbe Person, die du vor 30 Jahren warst – und sie eben auch nicht. Die Musik hat sich genau so entwickelt wie immer: Sie sind mit leeren Händen ins Probenstudio gegangen und haben geschrieben, improvisiert, gejammt und mal geschaut, was dabei herauskommt. Und das bedeutet: Was da herauskommt, ist natürlich und organisch. Als Steve ging, endete meiner Ansicht nach die Magie von Genesis. Und Duke war für mich ihre letzte große Tour. Phil hat damals unglaublich gut getrommelt. Er war ein spektakulärer, äußerst musikalischer Schlagzeuger. Ich habe die Band bis zum bitteren Ende verfolgt. Ich habe sie auch auf der letzten Tour [Turn It On Again, 2007] gesehen. Vielleicht wirkte es ein bisschen oberflächlich, aber es war immer noch Genesis. Schade, dass sie viele Songs nach unten transponiert haben. Ich kann die Gründe dafür nachvollziehen, aber dadurch ist etwas verlorengegangen. Und letztes Jahr habe ich Phil in der Royal Albert Hall gesehen. Da hat er ja überhaupt nicht getrommelt, sondern sein Sohn Nick – und der war großartig. Aber Phil hat die ganze Zeit auf seinem Stuhl gesessen. Alle Leute träumen von einer Genesis-Reunion, und Phil sagt: „Ich mache das, wenn ich einfach nur trommeln kann.“ Tja. Die Zeiten sind vorbei und das ist sehr schade. Die Geschichte von Genesis ist zuende, denke ich. Steve ist immer noch eine Art Gralshüter der frühen Jahre. Und The Musical Box machen ihre Version von Genesis. Es gibt offensichtlich immer noch eine Menge Interesse an den frühen Jahren von Genesis.
it: Wie siehst du die Entwicklung von IQ?
PN: Was die Qualität angeht, versuchen wir immer, in der Aufwärtsbewegung zu bleiben. Das gelingt uns auch, finde ich. Subterranea war ein riesiges Projekt für uns, und es hat uns auf eine ganz neue Ebene gebracht, einen Schub nach vorne gegeben. Seitdem ist jedes Album musikalisch stärker geworden. The Road Of Bones war vermutlich das Album, das sich am besten verkauft. Wir stehen heute an einem Punkt, denke ich, an dem die Fans froh und dankbar sind, dass wir immer noch neue Sachen machen. Wir stehen nicht auf der Bühne und spielen Zeug von vor 30 Jahren. Das ist für mich das Entscheidende an der Band. Wir bewegen uns immer noch vorwärts, wir schreiben neue Sachen, wir fordern uns immer wieder neu heraus. Wir brauchen so lange, weil wir so hohe Ansprüche an uns selbst haben.
it: The Road Of Boneswar ja wirklich sehr erfolgreich, und es hat ein paar tolle Soundeffekte. Wie werden die Musik und die Instrumentierung des nächsten Studioalbums von IQ aussehen?
PN: In der progressiven Musik gibt es ja die traditionelle Instrumentierung: Mellotron, Basspedale und so weiter. Wir haben einen Sound, den wir uns mühsam erarbeitet haben: den Sound von IQ. Wir haben ihn uns angeeignet und bewahren ihn. Aber wir wollen uns auch weiterentwickeln. Jedes Mal, wenn ich das neue Album von jemandem höre, den ich wirklich mag, will ich vor allem hören, was neu ist. Was hat sich seit dem letzten Album verändert? Ist dieses Album ein Fortschritt gegenüber dem vorigen? Danach halte ich immer Ausschau – auch bei dem, was wir machen. Ich möchte, dass jemand ein neues IQ-Album hört und überrascht wird – nicht enttäuscht davon, dass es komplett anders ist. Es sollte nicht völlig anders sein, aber es sollte anders sein, überraschend und herausfordernd, sodass es sich lohnt.
it: Hatten die Änderungen in der Bandbesetzung Auswirkungen auf The Road Of Bones?
PN: Sicher. Wenn man The Road Of Bones mit seinem Vorgänger Frequency vergleicht, sind da drei Leute, die nicht auf dem vorigen Album vertreten sind. Die zwei Bandmitglieder, die gleich geblieben sind, sind Mike und ich. Es sind drei neue Leute dazugestoßen; das bringt neue Einflüsse, neue Schwingungen in die Band. Die Band ist immer eine Zusammenfassung von den Leuten in der Band und davon, wo sie gerade stehen. Wenn wir das Album jetzt aufnehmen würde, wäre es anders. Und das neue Album wird wieder anders sein. Es wird bestimmt schwierig werden, einen Nachfolger zu diesem Album zu machen – aber das war schon bei jedem Album so. Die Leute fragten: „Wie werdet ihr ein Folgealbum zu Subterranea hinkriegen?“ Wir werden schon einen Weg finden. [lacht] Was wir machen, gefällt vielleicht nicht immer jedem. So ist das mit Musik. Sie ist subjektiv, man mag sie oder man mag sie nicht.
it: Wie wird das nächste Album werden?
PN: Ich weiß es nicht. Wir arbeiten gerade daran. Mike hat eifrig neue Sachen geschrieben, und wir haben viele Ideen. Das ist es, was mir so viel Freude macht. Ich weiß nicht, wie das Album ausfallen wird. Es ist immer eine Menge Arbeit und immer das Wichtigste für mich, denn wenn wir mal keine Konzerte mehr spielen, wenn es die Band mal nicht mehr gibt, dann gibt es immer noch die Alben. Das wird unser Vermächtnis sein, und darum ist es wichtig, dass jedes Album so stark wie irgend möglich ist.
it: Und wann erscheint es?
PN: Wir werden wohl im Herbst mit den Aufnahmen anfangen, von daher: In der ersten Hälfte des nächsten Jahres, denke ich. Aber nagelt mich nicht darauf fest [lacht]. Das ist so, als ob Peter Gabriel sagt, sein neues Album kommt Weihnachten heraus – aber Weihnachten in welchem Jahr? Üblicherweise kommt bei uns ungefähr alle fünf Jahre ein neues Album.
it: Vielen Dank für das Interview.
PN: Danke.
Wir hoffen, dieses Interview hat bei denen, die IQ noch nicht kannten, Interesse für die Band geweckt. Mehr über IQ auf der offiziellen Website oder auf Facebook.
Das Album The Road Of Bones ist bei amazon, JPC und iTunes erhältlich
Interview: Helmut Janisch
Fotos: Vincent Janisch
Livefoto: Andreas Tittmann
Übersetzung: Martin Klinkhardt