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Tony Banks – Interview zu Genesis Archive (12.10.1995)

Im Oktober führten wir auf der Farm in Surrey ein Interview mit Tony Banks über die Pläne der Archive Boxsets.

Die Öffnung des Genesis Archive

Zunächst war es nur ein Gerücht: Genesis möchten altes Archivmaterial veröffentlichen. Mehr und mehr wurde dann bekannt, dass es sich dabei nicht etwa nur um eine einzelne CD oder eine Box mit einigen CDs handeln wird. Vielmehr wird es eine Anhäufung von rarem Demo-, Live- und bislang nur auf Vinyl erhältlichem Material sein, die aus drei Teilen mit jeweils vier CDs besteht.

Die ursprüngliche Planung, dieses „Box-Set” zu splitten und jeweils zum Weihnachtsgeschäft 1995, 1996 und 1997 herauszubringen, ist inzwischen, zumindest was den ersten Teil anbelangt, gekippt. Dieser wird (Zitat) „irgendwann 1996” erscheinen, was bestenfalls im Frühjahr sein wird, unter Umständen aber auch erst eine Veröffentlichung zum Christfest 1996 bedeutet – mit dementsprechenden Folgen auf den restlichen Zeitplan. Wir werden also definitiv mindestens die nächsten zwei bis drei Jahre an diesem delikaten musikalischen Knochen zu kauen haben.

Ursprünglich als ideale Ergänzung zu einem geplanten Bericht über Teil 1 geplant, sind unsere Interviews, die wir im Oktober mit den zwei Hauptbeteiligten an Genesis Archive Vol. 1 geführt haben, nun wenigstens eine kleine Appetitanregung. Wir hoffen, Ihr seid nach dem Lesen der nächsten Seiten nicht gar zu hungrig, denn, wie gesagt, dieses „Supper” ist vielleicht noch lange nicht „ready”.

Das Tony Banks Interview

12. Oktober 1995 – The Farm, Surrey

it: Wie wir wissen, wird der erste Teil des Box-Sets aus Material der Gabriel-Ära bis 1975 bestehen. Offenbar warst Du während der letzten Monate sehr mit diesem Projekt beschäftigt. Kommt das nur, weil Du mehr Aufnahmen aus dieser Zeit besitzt als sonst jemand in der Band?
Tony: Nun, mit einer Menge Material, das auf dem Album sein wird, hat Phil überhaupt nichts zu tun. Er war also recht wenig mit einbezogen, ebenso wie Mike, der mit Mike & The Mechanics beschäftigt war. Ich hatte in der Tat die meisten der Aufnahmen, die für die Box verwendet wurden, oder besser gesagt, sie sind tatsächlich alle in meinem Besitz. Ich glaube, dass andere auch Bänder hatten, aber sie haben sie verloren. Peter hatte ebenfalls welche, aber er kann sie nicht finden. Er sagt, er hätte sie mir gegeben bzw. sie nie gehabt.

Wie auch immer, sie sind unauffindbar, was ich nicht als großen Verlust empfinde, weil es ohnehin zuviel Material gibt. Es handelt sich dabei um Aufnahmen aus der Zeit vor From Genesis To Revelation, und es ist Material, das wir damals für nicht gut genug hielten, um es auf dem Album unterzubringen. Einige der Songs sind schön, aber aus anderen war einfach nichts zu machen.

it: Werden all diese Stücke auf dem Box-Set erscheinen?
Tony: Nein, nicht alle. Einige haben wir weggelassen, insbesondere weil die „Performance” einfach sehr schlecht war. Nichts-destotrotz wird es etwa 70-80 Minuten größtenteils gänzlich unveröffentlichten Demomaterials geben. Dazu gehören Songs, die schon auf Bootlegs erschienen sind, wie Shepherd, Let Us Now Make Love und Pacidy von den BBC-Night Ride-Sessions und eine, allerdings völlig andere, Version von Going Out To Get You. Das meiste stammt aus der Zeit, als wir diese ganzen Demos zusammenstellten und mit Jonathan King zusammen waren.

Teile von The Lamb und Supper’s Ready werden neuen Gesang enthalten

it: Stimmt es, dass Peter der andere Hauptmitarbeiter an dem Projekt war?
Tony: Eigentlich nur als Sänger. Wir hatten eine Liveversion von The Lamb Lies Down On Broadway, bei der einige Gesangsparts überarbeitet werden mussten, und es lag ihm viel daran, diese Passagen neu einzusingen. Viele Stellen waren ziemlich schlecht, denn die Kostüme und Masken, die Peter damals trug – natürlich auch das „Slipperman”-Kostüm-, waren bekannt dafür, dass er mit dem Mikro nicht nahe genug an den Mund kam. Sie mussten also neu aufgenommen werden. Es endete darin, dass er den Gesang für das komplette Konzert neu aufnahm, wobei wir aber nur 30-40 Prozent davon brauchten. Auch für die Liveversion von Supper’s Ready, die auf dem Album sein wird, nahm er einige Stellen neu auf.

it: Welche Teile des Stücks?
Tony: Einiges am Anfang. Was etwas schwierig war, war die „666”-Passage. Er bekommt so etwas nicht mehr hin (lacht!). Er konnte sich hier also nicht viel gegenüber dem Original verbessern, aber es ist ganz o. k. so. Es ist eben wie eine Liveversion, und dafür klingt es sehr gut. Aus instrumentaler Sicht hört sich alles großartig an.

it: Hast Du eng mit Peter zusammengearbeitet?
Tony: Nicht sehr eng. Meistens haben wir am Telefon darüber gesprochen, und wir sehen uns natürlich auch recht häufig. Es ist also nichts sonderbar daran. Ich glaube es machte ihm Spaß, das alte Zeug zu singen. Es erinnerte ihn wohl wieder daran, dass das Album sehr gut war. Für jeden von uns liegt das alles in entfernter Vergangenheit. Ich habe mich erst vor einiger Zeit im Rahmen der Remasters wieder damit befasst, und es war das erste Mal, dass ich all diese Dinge wieder einmal hörte, seit wir sie aufnahmen.

Wir haben die Studioversion von it mit Peters neuem Gesang neu abgemischt

The Lamb war immer eines meiner Lieblingsalben, und eine Liveversion davon zu bearbeiten, war recht witzig, weil sie einige kleine Unterschiede zum Studioalbum hat. Wir hatten damals die Chance, ein wenig herumzuprobieren. Die Aufnahme des Konzerts stammt von einem Auftritt in Amerika, und auf dem Band fehlte das letzte Stück, it. Wir haben also die Studioversion davon genommen und mit Peters neu aufgenommenem Gesang dementsprechend anders abgemischt. Es klingt gut. Es klingt wirklich gut, und man möchte direkt das ganze Album neu abmischen. Als wir damals The Lamb abmischten, waren wir insbesondere bei etwa sechs Stücken so unter Zeitdruck, dass wir so schnell wie möglich arbeiten mussten. Wir beschäftigten uns Tag und Nacht damit, nur um diese Sache endlich fertigzubekommen.

it war eines dieser Stücke, und der Mix auf dem Album war fürchterlich. Wenn man sich aber den ursprünglichen Song anhört, klingt er sehr gut. Das ist also eine interessante Ergänzung zu all dem anderen Material. Neben Peter haben auch alle anderen Bandmitglieder an den meisten der Liveaufnahmen ein wenig „herumrepariert”. Es ist interessant, wie sehr viel jedoch recht gut war. Es gab ein paar Dinge, die wir einfach tun mussten – schnelle Keyboard-Teile und ein wenig neue Gitarre, die Steve aufnahm. Wir haben nichts an den Drums gemacht, obwohl es ein paar schwache Stellen gab. Es war nicht möglich.

it: Steve war also ebenfalls beteiligt?
Tony: Er nahm Gitarrenpassagen am Schluss von Supper’s Ready neu auf, ja sogar einen ziemlichen Teil von Supper’s Ready. Er nahm auch ein paar andere kleine Sequenzen neu auf, die ihm vielleicht wichtiger erschienen als uns. Es war gut, einige Sachen bei Lamb zu korrigieren, aber vieles klang ohnehin großartig.

it: Wo wurden diese Aufnahmen gemacht, hier auf der Farm?
Tony: Ja, Steve kam auch hierher. Peter nahm seine Sachen im eigenen Studio auf.

Erst gestern haben wir Build Me A Mountain gefunden

it: Offenbar existieren ja mehr unbekannte Songs, als das Box-Set enthalten wird. War es schwierig, zu entscheiden, welche Stücke veröffentlicht werden sollten?
Tony: Als wir das Material gesichtet hatten, wurde klar, dass es eine CD nur mit diesen Songs ergeben würde. Es gab Stücke, von denen wir wussten, dass sie eine vernünftige Tonqualität haben, wie die der „Night Ride”-Session, die wir nun auch nehmen. Außerdem existierten ein oder zwei Songs, die wir seinerzeit schon auf einen recht hohen Standard gebracht hatten, und einen ähnlich weit entwickelten, der für Genesis To Revelation aufgenommen wurde. Diesen Song, Build Me A Mountain, haben wir übrigens gestern erst gefunden. Es ist ein recht übles Tape, aber es ist zumindest dieser Song drauf.

Insgesamt waren es aber zwei Extra-Songs, die wir für Genesis To Revelation auf Albumniveau brachten. Der zweite war Visions Of Angels in einer anderen Version als die auf Trespass. Leider konnten wir keine Kopie dieser Aufnahme finden – niemand hat sie. Wir können noch nicht einmal das Demo von Visions Of Angels finden, das mit zu den „Frühstadium”-Demos gehörte. Insgesamt ungefähr zwölf Songs der frühen Jahre konnten wir nicht wieder auffinden. Ich hatte etwa zwanzig weitere, und wir wählten die besten daraus aus. Einige sind Demos von Songs, die später auf Genesis To Revelation erschienen. Von vielen anderen haben die meisten Leute noch nicht einmal etwas gehört.

Mir selbst bedeuten die Songs nicht besonders viel, und es hätte mich nicht beunruhigt, wenn sie niemand je gehört hätte. Es sind nicht unsere besten Stücke, aber da ich weiß, dass es andere Leute interessiert, ist es vollkommen in Ordnung. Wenn man schon einmal die Idee hat, so etwas zu veröffentlichen, muss man auch etwas bieten, was die Leute interessiert. Es ist eben speziell für die Fans gemacht und sollte nicht das erste sein, was man von Genesis hört. So macht es auch keinen Sinn, sich diese Aufnahmen anzuhören, wenn man z. B. From Genesis To Revelation nicht kennt.

it: Was wird mit dem Material geschehen, das auch nach Erscheinen des Box-Sets noch unveröffentlicht ist?
Tony: Nun, ich denke, es wird wahrscheinlich bei mir zu Hause verstauben. Ich weiß, … (lacht!) … es ist wie mit allem – ist es nicht so? Man will immer alles. Man will so viel, wie nur geht, aber einiges war einfach viel zu … einiges scheiterte an der „Performance” ebenso wie an allem anderen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es übereilt gemachte Vorab-Mixe waren. Einer der Toningenieure, die mit uns arbeiteten, neigte dazu, die „backing vocals” viel zu laut zu mischen, was darin endete , dass die Songs wirklich ruiniert wurden.

Es gab zwei oder drei, die sehr gut sind, bis zu dem Punkt, an dem dieser furchtbare Hintergrundgesang dazukommt und man denkt: „Oh Gott!”. Ich meine, man wird trotzdem genug bekommen, und wer weiß, ob der Rest je erscheinen wird. Wenn wir einige der anderen Dinge gefunden hätten … es gibt zwei oder drei wirklich gute Stücke, die nicht mehr da sind. Für eine mögliche BBC-Serie nahmen wir ca. 20 Minuten Musik auf. Das Ganze war in vier Abschnitte unterteilt und enthielt eine Menge von Teilen, von denen einige später für Fountain Of Salmacis, Anyway und Teile von Cage verwendet wurden. Ein paar wirklich gute Dinge waren darin enthalten, aber ich habe keine Idee, was mit dem Band geschah. Ich dachte, Peter hätte es, aber er meinte, er hätte es nie gehabt.

Der Produzent davon war Paul Samwell-Smith, der bei den Yardbirds war und Cat Stevens produziert hatte. Wir fragten auch ihn, aber er kann sich an nichts aus dieser Zeit erinnern. Ich glaube, er war damals auf diversen „Trips”. Er sagte, er könne sich nicht einmal daran erinnern, überhaupt mit uns gearbeitet zu haben (lacht!), obwohl wir einige Tage zusammen im Studio waren. Einige potentielle Singles, die wir aufnahmen, fehlen auch. Ein Stück namens The Wooden Mask war eines davon, und das andere war eine Version von Going Out To Get You. Beide sind unauffindbar. Wenn diese Dinge also irgendwann einmal auftauchen sollten, könnte es sein, dass wir sie vielleicht auch herausbringen – ich weiß es nicht. Wahrscheinlich gibt es sie ja doch nicht mehr.

it: Wie ist der Titel dieses 20-Minuten-Stücks, das Du eben erwähnt hast, und wann wurde es aufgenommen?
Tony: Das war ca. 1969, und ich bin mir nicht sicher, ob wir es überhaupt betitelt haben. Einer der Teile davon hieß Anyway, weil es diesen Song beinhaltete – allerdings mit vollkommen anderem Text. Ich kann mich an diesen Teil erinnern, aber die anderen waren wahrscheinlich viel interessanter. Alle waren sehr unterschiedlich und basierten auf Klavier und Gitarre. Später verwendeten wir die meisten der guten Teile davon in anderen Songs. Gerade darum wäre es recht witzig, sie noch einmal in dieser Zusammenstellung hören zu können. Ich hätte es gerne einmal gehört. Es ist wahrscheinlich nicht so gut, wie Ihr denkt, aber es war ein wichtiger Augenblick in der Entwicklung der Band. Es war sehr früh, aber genau zu dem Zeitpunkt, als wir anfingen, etwas anspruchsvollere Stücke zu machen.

Ihr werdet ungefähr 280 Minuten Material zu verschlingen haben

it: Könntest Du Dir vorstellen, dass einige der Stücke, die nicht gut genug für die Box-Sets sind, auf einer Art Fanclub-CD veröffentlicht werden?
Tony: Ich weiß nicht. Es ist wirklich noch zu weit weg. Ihr werdet ungefähr 280 Minuten Material zu verschlingen haben, und die folgenden Teile des Box-Sets werden ähnlich konzipiert sein. Das ist schon eine Menge Zeug. Was dann übrig ist, ist wirklich nur noch der „Kaffeesatz” – nur etwas für die Süchtigen. Ich sage nicht, dass es nicht herauskommen wird … eines Tages vielleicht. Aber im Moment sind wir so weit gegangen, wie wir können, denke ich.

Tony Banks Genesis Archive Interview - The Farm, Surrey 1995

it: Wir haben gehört, dass Anthony Phillips kürzlich eine Aufnahme der ersten LP-Seite von From Genesis To Revelation gefunden hat, die eine frühe Version ohne die zusätzlichen Streichinstrumente ist und ein oder zwei Songs enthält, die nicht auf dem Album enthalten sind. Kennst Du dieses Band?
Tony: Nun, es ist die Aufnahme, die ich vorhin erwähnte. Build Me A Mountain stammt von dort. Die anderen Songs darauf … wir verwendeten eine Version von In The Wilderness ohne Streicher, und die meisten anderen Stücke, insbesondere auf dieser Albumseite, hatten ohnehin keine „Strings”. One Day war der andere Titel, der noch ziemlich schlechte Streicher-Arrangements hatte, aber für die Box nahmen wir sogar nur eine Demoversion davon, weil diese noch besser klingt als die Albumversion ohne Streicher.

Auch die Tonqualität der Aufnahme, die Ant gefunden hat, ist recht schlecht. Es sind „rohe” Abmischungen, und das beste Stück darauf dürfte The Conqueror sein. Aber da es ohnehin keine Streichinstrumente enthält, klingt es so wie auf From Genesis To Revelation. In The Wilderness ist auch gut, und ich dachte schon immer, dass es ein großartiges Stück ist.

it: Was kannst Du über die Titel Hey und Through The Looking Glass sagen, von denen wir gehört haben, dass sie auch auf der Box zu finden sein sollen?
Tony: Hey war eines der Demos. Es wird auch auf dem Album sein, und es klingt gut. Ich kann mich aber nicht an ein Stück namens Through The Looking Glass erinnern (lacht!). Es hört sich für mich eher an, als gehöre es zu Anthonys eigenem Material.

it: Um 1970/71 herum wolltet ihr offensichtlich mehr neues Material schreiben als auf das „Archiv” zurückzugreifen. Existieren neben den bekannten Non-Album-Stücken aus dieser Zeit, wie Twilight Alehouse, noch andere, von denen wir noch nie etwas gehört haben?
Tony: Nicht aus dieser Zeit. Wir spielten andere Songs live, aber es gibt keine Aufnahmen davon. Es gibt die Fassung von The Light auf Bootleg. Das war einer davon. Es gab noch einige andere kleine Stücke und Songs. Aber sie existieren nicht mehr, außer jemand hat ein Bootleg davon. Die Tonqualität dürfte aber sehr schlecht sein. Es gibt also nicht viel mehr von dieser Periode.

Vor dem Trespass-Album hatten wir einen Live-Set von wenigstens 75 bis 80 oder 90 Minuten. Was dann auf Trespass landete, war wirklich nur die Hälfte von dem, was wir damals hatten. Die andere Hälfte wurde, mit Ausnahme von Twilight Alehouse, nie aufgenommen. Dazu gehörten Songs wie Let Us Now Make Love, Shepherd und Pacidy, aber auch einige andere, wie Jamaica Longboat. Diese Stücke waren gut. Sie waren absolut gut und hätten auch auf Trespass sein können – aber sie waren es nicht. Sie passten einfach nicht alle drauf, und so gingen sie verloren.

Als wir dann an Nursery Cryme herangingen, hatten wir davon die Nase voll. Wir überarbeiteten The Musical Box, das noch während dieser Zeit entstanden war, und der Rest des Albums waren wirklich neue Songs. Einige Sequenzen waren allerdings schon seit einiger Zeit vorhanden. Einen Teil von Fountain Of Salmacis schrieb ich, als ich noch an der Universität war. Es war also überwiegend neues Material, das wir zusammen mit der neuen Band, mit Phil und Steve, schrieben.

Einige frühe Ideen wurden in späteren Tracks verwendet

it: In den folgenden Jahren habt ihr dann noch weitere alte Ideen verarbeitet. Lilywhite Lilith zum Beispiel entstand aus The Light. Welche anderen Stücke entstanden ebenfalls aus alten Ideen?
Tony: Nun, The Fountain Of Salmacis entstand bereits, als ich an der Uni war, ebenso wie Teile von Supper’s Ready. Diese endeten als The Guaranteed Eternal Sanctuary Man bzw. As Sure As Eggs Is Eggs, was das gleiche Thema ist. Zu diesem Teil, der als Refrain gedacht war, bildete ursprünglich die Flöten/Gitarren-Passage vor der Apocalypse In 9/8 die Strophe.

Was noch? A Trick Of The Tail natürlich, das ist ein Stück, das ich Jahre vorher geschrieben hatte. Aber wir kommen damit schon in die nächste „Zone”. Wir haben immer wieder eine Menge alter instrumentaler Stückchen eingebaut. So auch, wie gesagt, bei In The Cage. Die Akkordwechsel im Solo, das die „Brother John”-Sektion einleitet, waren etwas, was seit längerem herumschwirrte und ursprünglich auch Teil der besagten BBC-Aufnahme war. Ebenso stammt eine Menge von Musical Box daraus. Twilight Alehouse entstand aus einem umgearbeiteten Genesis To Revelation-Teil. Die Teile kamen und gingen, und es gab welche, von denen wir immer wußten, dass wir sie mögen und es lediglich die Frage war, wann wir sie verwenden würden.

Als es darum ging, das Lamb-Album zu machen, hatte sich eine Menge dieser Teile und Sequenzen angesammelt. Wir brachten also Anyway heraus. Lilywhite Lilith entstand, weil Phil etwas geschrieben hatte, was einen Refrain ergab, und wir keine Strophe dafür hatten. Wir überlegten uns also, warum wir nicht die Strophe von The Light dafür nehmen sollten. Es stammte ebenfalls von Phil, und wir hatten es noch nirgendwo verwendet. Also fügten wir diese beiden Teile zusammen, und es hörte sich gut an.

it: Wann begannt ihr damit, Liveauftritte aufzunehmen?
Tony: Die ersten richtigen Aufnahmen waren die für Genesis Live. Sie entstanden für das amerikanische Radioprogramm „King Biscuit Flower Hour”. Wir schnitten alle frühen Shows ausschließlich nur für diese Radioshow mit, und von da an nahmen wir bei jeder Tour mindestens ein bis zwei Konzerte auf. Das ist der Grund, warum wir den Mitschnitt von der Lamb-Tour haben – er entstand auch für „King Biscuit”. Zu den Aufnahmen für Genesis Live gehörte auch eine Version von Supper’s Ready, und eigentlich dachten wir, wir könnten sie für die Box verwenden.

Dann hatten wir aber noch zwei andere Versionen, und beide waren besser als diese. Die, die wir nun ausgewählt haben, klingt mit Sicherheit am besten. Einige Gesangsparts könnten besser sein, aber so war es eben. Peters Stimme … (krächzend): „Six six six” … war immer einer dieser Momente, wo wir dachten: „Uuuh, wird er es diesmal schaffen?”.

Mit dem Album Genesis Live waren wir nie glücklich

it: Warum erschien Supper’s Ready nicht schon als Bonus-Track auf dem Genesis Live-Album, als dieses 1994 remastered wurde?
Tony: Weil es nicht geplant war, irgendwelche Bonus-Stücke mit auf die CDs zu nehmen. Wir wollten sie wieder so herausbringen, wie sie waren, und außerdem lief damals schon das Projekt an, an dem wir nun arbeiten, und das gibt uns die Möglichkeit, solche Dinge zu veröffentlichen. Genesis Live ist ein Album, das ich nicht wiederveröffentlicht hätte, weil ich denke, dass der Sound nicht gut genug ist. Wir haben versucht, es so gut klingen zu lassen, wie wir nur konnten. Wir haben einige Knackser und Brummgeräusche entfernt, aber es ist einfach kein sehr gutes Album. Es entstand sehr schnell und sollte ursprünglich nur in Deutschland erscheinen, weil die Deutschen eine Art Sampler wollten. Aber wir waren nie glücklich mit dem Album. Es ist Teil einer Periode, aber es war nicht sehr gut.

it: Habt ihr in dieser Zeit auch irgendwelche Studio-Sessions auf Audio oder Video aufgenommen?
Tony: Eigentlich nicht, nein.

it: Von Ende 1969 an war die Band kontinuierlich in einer Art Tretmühle von Schreiben-Aufnehmen-Touren. Wolltet ihr das so, oder hat die Plattenfirma Druck auf euch ausgeübt?
Tony: Nein, nein, wir wollten es wirklich so haben. Bis zu Foxtrot haben wir gleichzeitig geschrieben und sind live aufgetreten. Immer wenn wir ein paar Tage frei hatten, schrieben wir, und dann ging es zurück „on the road”. Das änderte sich, als wir mit Selling England By The Pound anfingen. Es war das erste Album, für das wir eine dreimonatige Session einlegten. Wir mieteten dieses Haus, arbeiteten drei Monate lang nur an Selling England, und ich muss sagen, es war eine sehr schlechte Erfahrung. In den ersten Tagen hatten wir eine Menge Ideen. Wir schrieben die Teile, die zu Epping Forest wurden, ich schrieb fast alles von Firth Of Fifth, und das Gitarrenriff, das später zu I Know What I Like wurde, entstand.

Diese Ideen waren sehr gut und entwickelten sich prima. Aber zum Ende der Sessions hin hatten wir genug davon, denn es war alles, was wir spielen konnten. Epping Forest wurde immer dichter, weil einfach zuviel darin untergebracht war. Eine Menge guter Teile des Stücks gingen verloren, und ich denke, es hängt auch nicht sonderlich gut zusammen. Als wir Cinema Show schrieben, entstand das Solo woanders. Mike, Phil und ich arbeiteten daran, und das war ein schöner Moment. Als wir letztendlich alles zusammen hatten, waren wir alle glücklich damit. Allerdings enthält das Album auch das Genesis-Stück, das ich am wenigsten mag, und ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht: es ist After The Ordeal. Ich finde, es ist einfach Müll. Es ist so eine Art pseudo-klassisches Ding, und insbesondere mag ich mein eigenes Spielen nicht.

Als wir das Album zusammenstellten, war es zu lang und wir wollten es kürzen. Ich sagte: „Ich will After The Ordeal loswerden, weil das Müll ist”. Peter erwiderte: „Ja, es ist Müll, aber wir sollten auch den Schluss von Cinema Show wegschneiden, weil das auch Müll ist”, aber ich fand, dass das wirklich gut klang. Also einigten wir uns auf einen Kompromiss und beließen beides auf dem Album. Von allen remasterten CDs hat Selling England wohl mit am meisten von der Überarbeitung profitiert. Man kann wirklich wieder alles hören. Für die alte Vinyl-Fassung mussten wir so viel ändern. Besonders bei Firth Of Fifth mussten wir den Sound absolut herunterdrehen, um es auf Vinyl abspielbar zu machen. Ich höre mir die CD-Version des Songs sehr gern an – sie ist phantastisch.

Die Non-Album Tracks werden auch auf den Archive-Sets sein

it: Hast du schon eine Vorstellung, was auf den nächsten beiden Teilen des Box-Sets enthalten sein wird?
Tony: Wir wissen es wirklich noch nicht. Wir haben es auch bei diesem Teil nicht gewußt, bis wir schließlich daran gearbeitet haben. Etwas, was auch noch auf dem ersten Teil des Box-Sets ist, sind die zwei oder drei Non-Album-Studiosongs. Das sind Twilight Alehouse, Happy The Man und eine Singleversion von Watcher Of The Skies. Der nächste Teil wird ein wenig mehr Songs dieser Art enthalten, wie It’s Yourself und Match Of The Day. Ich denke, dass das allein eine CD füllen kann. In gewisser Weise gibt es weniger unveröffentlichtes Livematerial. Die meisten Songs erschienen auf Seconds Out und später auf Three Sides Live.

Es gibt nur ein paar Songs, wie beispielsweise All In A Mouses Night. Etwas anderes, was wir hoffen auf diesem Teil unterbringen zu können, sind Teile von Aufnahme-Sessions. Ich dachte eigentlich, wir könnten so etwas auch auf dem ersten Teil unterbringen, aber irgendwie fanden wir nicht das Richtige. Die Qualität der späteren Aufnahmen war jedoch besser, und Phil war stets gut darin, einen Rekorder mitlaufen zu lassen, einfach nur, damit wir uns an gewisse Ideen besser erinnern konnten. Einige dieser Aufnahmen klangen wirklich gut. Wir werden sie uns also einmal anhören.

Es wird aber noch eine Menge Zeit vergehen, bis wir alles gesichtet haben und entscheiden, womit wir die vier nächsten CDs füllen. Man kann andere Liveversionen von Songs nehmen oder eine Menge Demo-Material. Man kann sogar auf Sachen auf Multi-Track zurückgreifen, die nicht verwendet wurden. Es gibt die unterschiedlichsten Stücke und Stückchen, die möglicherweise in Betracht kommen. Der nächste Teil wird die Periode von Trick Of The Tail bis Duke umfassen und der darauf folgende dann den Rest ab Abacab.

Interview: Helmut Janisch und Bernd Zindler
Transkription + Übersetzung, Foto: Helmut Janisch
zuerst veröffentlicht in it-Magazin #17 (Dezember 1995)


Wir haben außerdem auch ein Interview mit Glen Colson über das Archive Projekt geführt. Dieses Interview findet ihr hier.
Ein paar allgemeine Infos zum erwähnte BBC Night Ride Programm findet ihr hier.
Genesis Archive 1967-1975 erschien schließlich am 22. Juni 1998. Eine ausführliche Rezension dazu findet ihr hier.