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Interview mit Steve Hackett – Best 88 (November 1975)

Best hatte in Paris die Möglichkeit Steve Hackett zu seinem noch nicht veröffentlichten neuen Album Voyage of the Acolyte zu befragen. Dabei geht es auch um Tarot-Karten, göttliche Codes und um Genesis sowie den Weggang von Peter Gabriel.

STEVE HACKETT … und Fragen

Die Aktualität und ihre Auswirkungen führen manchmal dazu, dass ein einfacher Besuch in Paris eine andere Dimension annimmt und oftmals viele Fragen klärt, die uns im Hals stecken geblieben sind. Der Fall Genesis, eine Band, die auf dem Höhepunkt ihres Ruhms von allen als unzerstörbar angesehen wurde, verwirrt durch die einfache und unwiderrufliche Entscheidung ihres Sängers und Aushängeschilds Peter Gabriel, sich vorzeitig in den Ruhestand zu begeben, was für ihre Anhänger sehr schmerzhaft ist. Steve Hackett, der sitzende Gitarrist von Genesis, reist nach Paris. Er kommt, um sein allererstes Soloalbum Voyage of the Acolyte vorzustellen, spricht über seine Entstehung, seine Essenz und seine Geheimnisse.

Nur halbherzig weicht er den zu erwartenden Fragen aus, zur Band natürlich, über seine problematische Rückkehr auf die Bühne und zu kommenden Genesis-Alben. Steve Hackett ist stets um einen loyalen Tonfall bemüht und hat die Zurückhaltung des Angelsächsischen, manchmal erkennbar in seinen Humor, aber auch in der Feinheit des Lateinischen. Als intelligente Persönlichkeit und brillanter Gitarrist repräsentiert er jene Generation von Musikern, die einen großen Anteil an der Erweiterung der Klangmöglichkeiten haben. Mit einem Gesicht, das aussieht, als hätte es sich im Zeitalter geirrt, ist er gekommen, um dem Rieseln des Herbstregens auf den alten Steinen von Paris zu lauschen …

Best: Ich nehme an, dass deine Anwesenheit in Paris vor allem mit der bevorstehenden Veröffentlichung deines ersten Soloalbums zu tun hat?
Steve Hackett: … das im Oktober auf Charisma erscheint. Wenn du einen Plattenspieler mitgebracht hättest, hätte ich dir die Testpressung vorgespielt.
 
B.: Da sind auch ein paar Leute von Genesis dabei …
S.H.: Ja, Mike Rutherford und Phil Collins, mit denen ich schon seit einigen Monaten über mein Projekt gesprochen habe. Mein Bruder John spielt Flöte und Synthesizer. Mike Oldfields Frau Sally singt und Robin Miller, der einige King Crimson-Kompositionen eingesungen hat, spielt Holzblasinstrumente und das Englischhorn.
 
B.: Kann man es mit den Alben der Band vergleichen?
S.H.: Tatsächlich ja und nein. Zwar weicht die musikalische Richtung nur durch den Wechsel der kreativen Komponenten voneinander ab, aber wenn ich zwischen dem Einfluss von Genesis und einer rein persönlichen Kreation unterscheiden müsste, wäre mir das nicht möglich. Das Album kann als Ergänzung zu den Alben der Band betrachtet werden, weil es von einem ihrer kreativen Mitglieder gemacht wurde …
 
B.: Ist das sein einziger Zweck?
S.H.: Nein, natürlich nicht. Ich habe darin eine persönliche und sehr intime Suche betrieben, zum einen durch meine Überzeugungen, meine Vorstellung von Klangpoesie und zum anderen durch die Stimmungen, die aufeinanderprallen, um diese Abgründe des Tons zwischen maßloser Gewalt und seliger Gelassenheit zu schaffen. Der Titel an sich vermittelt, was das Album an Bewegung und Ungreifbarkeit hat. In Voyage of the Acolyte geht es um die Existenz nach eigenen Regeln und Codes. Auch wenn man nicht von einer fortlaufenden Geschichte oder von Fabeln sprechen kann, wie es bei der Genesis der Fall ist, so gibt es doch eine Einheit des Klangs, die nicht begrifflich gefasst ist, sondern über den Klang hinaus durch ein bildliches Medium getragen wird…
 
B.: Was wäre das?
S.H.: Das Tarot-Deck der Alten. Die Bedeutung der Karten ist zweideutig. Es gibt die des Spiels und dann die der Weissagung. Sie ist sogar dreifach, wenn man sich die Mühe macht, die im Kupferstich ausgeführte Zeichnung der Karten des alten Decks zu betrachten und zu beschreiben (Hackett zieht ein Deck mit 78 abgenutzten Karten aus seiner Tasche). Jedes Lied, oder vielmehr jeder Titel, hat eine der Karten als Grundlage und Hintergrund; jenseits davon gibt es meine Musik und das, was man in sie einbringen möchte.

Obwohl ich kein Mystiker bin, messe ich all diesen göttlichen Codes große Bedeutung bei, und das löst bei mir umfangreiche mentale Projektionen aus. Nehmen wir zum Beispiel dieses Bild … Es zeigt einen Turm, dessen Spitze in Flammen steht. Türme spielen in der Mythologie eine große Rolle, sei es die von Dakhma, Zigguratt oder Babel. Babel steht für die Zerstörung, den Holocaust der Zivilisation, die Verwirrung des Verständnisses zwischen den Menschen und den Völkern.

Die Gewalt wird also mit einem Thema vertont, das einer einfachen Spielkarte entnommen ist. A Tower Struck Down stellt diesen lyrischen Höhenflug voller alter Legenden und Übereinstimmungen mit der Gegenwart dar. Dasselbe gilt für The Hermit (er zeigt mir die Karte), wo die Einsamkeit des Mannes auf diesem Stück Pappe besser dargestellt wird als in großen Gedichten, die zu nebulös und ohne Wirkung sind. Aus diesem Grund habe ich mich vor allem auf die Musik konzentriert und nur wenig auf die Texte. Bei Genesis stellte sich das Problem nicht, da Peter die Fähigkeit besaß, die Worte zu orchestrieren und ihnen entweder eine religiöse oder epische Bedeutung zu verleihen…
 
B.: War seine Rolle darauf beschränkt?
S.H.: Ja … also … du meinst für die Alben?
 
B.: Ja, ausschließlich.
S.H.: Er hatte auch die Gabe, die Gefühle der Leute zu provozieren, sagen wir mal, die Gefühle von uns (den Bandmitgliedern) ganz besonders. Er provozierte dich in deinem menschlichsten oder unmenschlichsten Teil. Er schrieb die Texte und tat nichts anderes als das, abgesehen von ein paar Produktionsproblemen, aber er trieb jedes Gefühl in uns an, und das war sehr wichtig.
Auf meinem Album gibt es nur drei Texte. Das ist der große Unterschied zwischen meiner Platte, die vor allem eine besondere Instrumentierung von Ideen und Bildern ist, und den Genesis-Platten, die ausgewogene Konzepte sind. Ich agiere vor allem über Klangbilder (der Manager der Band kommt in diesem Moment mit dem Probeexemplar des Albums. Das prächtige Cover veranlasst zu einigen Kommentaren).
 
B.: Wer ist die Schöpferin des Covers?
S.H.: Meine Freundin. Sie hat auch das Innenbild gemalt, diese traumhafte Landschaft mit dem Eremiten, dessen Kopf in Pastellfarben, Wasser und Sonnenschein getaucht ist. Es passt perfekt zur Musik, nicht wahr?

B.: Man denkt an Magie, wenn man es sich ansieht.
S.H.: Das ist richtig. Man findet die Fremdheit des Mittelalters wieder, diese Zeit der Weisen, Merlin der Zauberer, die Hexen, die Alchimie, die Mythen, die Legenden … die Tarotkarten. Die Musik suggeriert ebenfalls dieses besondere Klima.
 
B.: Es gibt dennoch eine Frage, die alle beschäftigt. Wirst du mit der Band auf die Bühne zurückkehren, ohne Peter Gabriel?
S.H.: Ja, ohne jeden Zweifel. Und vielleicht schon Ende des Jahres. Wir haben für Januar ein Album geplant.
 
B.: Wird das Comeback mit einem neuen Sänger stattfinden? Manager: – Ja, mit Johnny Hallyday oder Elvis Presley (Hum, englischer Humor).
S.H.: Es gibt zwei Möglichkeiten, die Theatralik der Musik von Genesis nicht zu verlieren. Entweder man nimmt einen neuen Sänger, was schwierig zu sein scheint, oder man macht eine Show mit Ballett, Tänzern und einer totalen Lichtshow, und ich glaube, wir werden uns für die zweite Lösung entscheiden.
Im Moment befinden wir uns in einer Phase der Planung. Ich habe gerade mein Album beendet, Phil (Collins, der Schlagzeuger) vollendet seines und hat gerade eine Band namens Brand X gegründet, für die er das Material des ersten Albums schreibt. Eine Band, die ein bisschen wie Mac Laughlin’s Lifetime klingt.
 
B.: Peters Weggang schien dich nicht zu überraschen.
S.H.: Nein, denn er war schon seit mindestens einem Jahr geplant. Peter hatte es uns kurz nach der Veröffentlichung von The Lamb Lies Down gesagt. Es war in der Band etabliert, aber wir wollten es nicht zu früh bekannt geben. Was Peters Gründe angeht, so sind sie rein persönlicher Natur. Er hat sich in seinem Brief an den Melody Maker ausführlich dazu geäußert, und ich kann nur seine Beweggründe wiedergeben. Es ist zu intim und es gibt keine menschlichen Probleme innerhalb der Band. Was ich sagen kann, ist, dass Peter es uns ermöglicht hat, einen anderen Weg zu finden und zu organisieren. Wir sind nicht unvorbereitet.

B.: Ist sein Weggang endgültig?
S.H.: Das kann ich dir nicht beantworten.
 
B.: Was hast du vor Genesis gemacht?
S.H.: Ich ging zur Schule wie jeder andere auch.
 
B.: Genesis war deine erste Band…
S.H.: Professionell, ja.
 
В.: Und dein Leben als Teenager.
S.H.: Nicht interessant!
 
B.: Du musst doch in deiner Jugend einen bestimmten musikalischen Weg eingeschlagen haben. Von deiner ersten Liebe bis zu diesem Album gab es eine Menge Musik, die unter der Oberfläche der Fotos verschwand …
S.H.: Aber dieses Album ist auf keinen Fall eine Krönung. Es ist nur eine musikalische Projektion einer Intimität, sagen wir … Kultur im sensiblen Sinne des Wortes. Kultur als Antwort auf die eigene Vorstellungskraft, auf den Drang, Land zu erschließen, das einem gehört, dessen Ausmaß man aber nicht kennt. Dank bestimmter Werke wissen wir, was uns sensibel macht.
 
В.: Apropos: Wird das Album vielleicht auch auf der Bühne zu hören sein?
S.H.: Nein, die Musiker haben andere Beschäftigungen. Ich hatte das Album ohnehin nicht für Live-Auftritte vorgesehen, das wäre zu langweilig.
Um auf meine Jugend zurückzukommen: Ich war vor allem – und das ist typisch für meine Generation in England – ein Fan von Rock’n’Roll, den Stones und den Beatles. Solange ich kein Musiker war, musste ich keine Wahl treffen. Mein Geschmack reichte von den Stones bis zu Eric Satie, Debussy, Ravel und Vivaldi. Die Offenheit des Musikgeschmacks schließt sich mit zunehmendem Alter, weil es das Wesen eines Teenagers ist, offen zu sein, und dann bewirkt der Zeitmangel, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert. Damals war also die totale Offenheit und früher war sogar alles weniger systematisch, weniger starr. Jetzt gibt es die Clans. Genesis wurde durch das Aufnahmevermögen seiner Mitglieder zu dem, was es ist. Wir haben genauso viel Beatles wie King Crimson gehört, das sind die beiden wichtigsten Achsen. Aber am Anfang hörte ich sowohl Tommy Steele wie Die Symphonie der neuen Welt.

B.: Du scheinst die Musik heute, die Musik und ihre einzelnen Genres, als einen Kulturkampf zu empfinden.
S.H.: Das ist ein bisschen so, man muss nur die Presse lesen.
 
В.: Das hat es doch schon immer gegeben, oder?
S.H.: Nicht innerhalb einer selben Generation.
 
B.: Aber kannst du eine Musikrichtung akzeptieren, die weit von deiner eigenen entfernt zu sein scheint, wie z. B. US-Hardrock-Bands?
S.H.: Das verstehe ich nicht.
 
В.:  Verstehst du deren Bedeutung als Zeugnis einer gewissen Gewalt und urbanen Realität?
S.H.: The Lamb Lies Down war aber auch ein sehr ergreifendes Zeugnis für die Einsamkeit von Wohnsiedlungen und die Tragödien, die sich dort immer wieder abspielen.
Aber es ging nicht darum, die Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen. Hat Lou Reed das alles nicht verstanden? Besser als MC 5, wie mir scheint, und seine Musik redet nicht um den heißen Brei herum, aber sie ist dennoch universeller.
 
В.: Hörst du diesen Leuten noch zu?
S.H.: Jetzt nicht mehr.
 
В.: Wirst du an weiteren Soloprojekten arbeiten?
S.H.: Vielleicht.
 
B.: Ich glaube, du hast schon auf dem ersten Soloalbum von Tony* Banks gespielt, oder? 
S.H.: Oh ja, das ist eine Erfahrung, die vielleicht nicht besonders lohnend ist, die aber lange Zeit sehr lustig war. Ich verbrachte oft die Wochenenden bei ihm und wir hatten bei diesen Treffen mit Freunden eine gemeinsame Leidenschaft, nämlich zu trinken, bis uns schlecht wurde. Man fängt langsam an und im Laufe der Nacht tranken wir immer mehr, bis wir völlig betrunken waren. In dieser Nacht schleppte mich Tony* in sein Studio und ließ mich bis zum Morgengrauen spielen. Das hat er mir zumindest gesagt, denn ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was in dieser Nacht passiert ist.
Trotzdem versicherte er mir, dass ich die Gitarre auf seinem Album gespielt habe …


 * Anm.d. Red.: Hier kann es sich nur um eine Verwechslung oder einen Schreibfehler handeln. Wir nehmen an, der Interviewer und Steve sprechen vom Album des Ex YES-Gitarristen Peter Banks, Two Sides of Peter Banks, welches im August 1973 erschien und auf dem auch Phil Collins mitwirkte. Hackett spielt dort bei einem Song die Gitarre. Dagegen erschien das erste Solo-Album von Tony Banks (A Curious Feeling) erst im Jahr 1979.
 
Übersetzung: Paul Herlitschka
Medien: Thierry „Rael Demilin“ + Peter Schütz
Lektorat: Peter Schütz
Interview: Paul Harris