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Interview mit Phil Collins, Best 153, April 1981

In diesem Interview war Best bei Phil Collins eingeladen – nur wenige Tage nach der Veröffentlichung von Face Value.

Der Name des Albums erlaubte dem Autor des Interviews einige fast unübersetzbare Wortspiele, und so übersetzt Paul Herlitschka so nah wie möglich an der Bedeutung des Autors, dessen Vokabular oft aus der Zeit stammt.

In England wird seit mehr als 15 Tagen ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt: der Ansturm ist groß. LP public N° 1 (als Wortspiel mit Ennemi public n°1[Staatsfeind Nummer eins], Anm. der Red.) ist, wie wir wissen, in der Lage jedes Haus zu erobern. Vorsicht ist geboten. Keine Angst, wenn Sie sich dieses Gesicht anschauen, werden Sie es nie vergessen. Das Haar ist kurz, die Augen starren ins Leere, ein rundes, unrasiertes Gesicht wie Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest. Sein Kopf bedeckt die Wände der Stadt, die Titelseiten der Zeitungen und die Plattencover in den Radiostationen im ganzen Königreich …

5 Pfund, das ist das Maximum, der Preis für ein Gesicht: Face Value, Phil Collins‘ erstes Soloalbum, erobert die britischen Charts wie eine auf Radioaktivität tanzende Geigerzähler-Nadel. Unglaublich, aber wahr: das ist die diesjährige Ausbeute des Sängers und Schlagzeugers von Genesis …

Roissy Airport, Meeting Point, zehn Uhr morgens. Im Vordergrund stehen vier Personen, die sich hinter den getönten Gläsern ihrer Sonnenbrillen verstecken. Diese Leute sind Headhunter, die von der WEA-Promotion-Abteilung (im Ursprungstext WEALAT, Anm. der Red.) auf Collins angesetzt wurden, harte Kerle, die keine halben Sachen machen. Ihr Auftrag (und sie haben ihn angenommen) besteht darin, Collins aufzuspüren, bevor sie ihn zum Reden bringen können. Eine aufklärende Mission, bei der die Anwendung eines Mini-Kassettenrekorders oder die Explosion eines Blitzlichts die einzigen Angriffswaffen sind. Was Collins betrifft, so kann er sich nur mit seinem Gesicht verteidigen: Face Value, ja oder ihr könnt mich m…!

Gegenüber dem Gebäude 2 von Heathrow wartete der Bedford-Minibus brav auf seine Passagiere. Die vier und ihre Begleitung von WEA-Records, der örtliche Vertreter der Firma und drei Jäger von außerhalb Europas quetschten sich so gut es ging in den Innenraum des Fahrzeugs und es fährt auf dem Queens Highway in Richtung Guildford im Südwesten. Auf der 60-minütigen Fahrt können wir ausgiebig über unser Ziel The Old Croft, so heißt Phils Unterkunft, nachdenken. Ist es ein Cottage, ein Herrenhaus, ein Palast, ein Mietshaus oder eine Hütte? Die Wetten laufen.

The Old Croft ist einfach nur ein kleines Neureichen-Landhaus aus rosa Backsteinen mit großen Fenstern und Blick auf die überaus friedliche englische Landschaft. Ein gemütliches kleines Häuschen mit einem leichten Geruch von gestrichenem Holz: Phil wartet auf der Türschwelle auf uns, im einheitlichen grauen Sweatshirt seines Lieblingspubs, dem Victoria Shalford. Es ist genau 13 Uhr.

Alle sitzen im Wohnzimmer vor einem Stapel Sandwiches, die allzu deutlich britischer Herkunft sind. Der erste der Jäger macht sich bereit: Phil gehört ihm für 25 Minuten. Ja, die heroischen Zeiten der Einzelinterviews sind vorbei, und das Jahr ’81 läutet das Zeitalter der industriellen Interviews ein. Heutzutage werden Scharen von Journalisten, die aus ihren Charterflugzeugen aussteigen, zur Fließbandarbeit gezwungen. Am bedauernswertesten sind dabei die Künstler: Versuchen Sie einmal, dieselbe Geschichte siebenmal in weniger als vier Stunden zu erzählen: Es ist die Hölle. Und am Ende verlieren sie die Nerven.

Wenn ich mich entschlossen habe, Phil Collins nach all meinen Kollegen zu bearbeiten, dann nur, um mich von der Trägheit des Fragens zu befreien. Aber nach vier Stunden im Wohnzimmer, da kann man schon mal anfangen, die Zeit als lang zu empfinden.

Doch Jill, Phils Freundin, ist charmant, ihr amerikanischer Akzent klingt wie ein Linda-Ronstadt-Hit. Sie ist blond, lächelt und tut ihr Bestes, um uns abzulenken: Schallplatten, Kassetten oder Kaffee, alles, um die Zeit zu vergessen. Sogar John Lydon im Fernsehen und sein wahnsinniges Interview, in dem er dem Journalisten, der von einem beginnenden Schlaganfall geplagt wird, nichts anderes sagt als: „Wir sind keine Band, wir sind ein Unternehmen“. Was mich betrifft, so entdecke ich allmählich einige seltene Schätze. Selten und überraschend waren die LPs von den Ohio Players, Curtis Mayfield und den Temptations in Mr. Genesis‘ Plattensammlung …

Endlich kommt Phil mit seinem leeren Glas zurück. Er füllt es mit Weißwein und lädt mich ein, ihm in ein holzgetäfeltes Zimmer mit einem wunderschönen Billardtisch und einem alten Safe zu folgen. Collins erzählt mir, dass der Safe rein dekorativ ist, dass er direkt aus L.A. kommt und dass er (angesichts seines Alters) von Jesse James ausgeraubt worden sein könnte.

Face Value beginnt in meinem Kopf ein wenig klarer zu werden. Die Hinweise bestärken meinen Eindruck von der Platte. Zuerst die amerikanische Freundin, dann der Safe aus L.A. und vor allem die Soul-Sammlung erklären viele Besonderheiten. Die offensichtlichste ist der 100-prozentige Radiostation USA-Sound von Phils LP, eintausendfünfhundertzweiundvierzig Wellenlängen vom gutmütigen Genesis-Segelflugzeug entfernt. In The Air Tonight löst bei mir den Blitz des UKW-Stereo-Radioprogrammierers aus. Welchen Titel soll ich spielen? Die LP ist eine Playlist für sich. Und noch dazu ist es eine Playlist, die viel mehr Yankee als British ist.

Okay, die Anwesenheit einiger Gäste wie Stephen Bishop oder der Bläsergruppe von Maurice White’s Earth Wind and Fire sowie das Village Recorder Studio sind die unverzichtbaren Zutaten, um die schwebende Musik in zucker- und kalorienreichen Funk zu verwandeln. Jill diente als Sirene, um Phil in die USA zu locken. Freundin in L.A. = viele Reisen, Entwicklungsfaktor: das ist die magisch-mathematische Formel für die überraschende musikalische Kehrtwende des Genesis-Sängers.

Innenleben

Phil beobachtet mich mit den Augen eines verschlafenen Cockerspaniels. Ich materialisiere ein Kissen aus Hypnose und Träumen unter seinem Kopf, ein unsichtbarer Scheinwerfer leuchtet in seine Augen: Es ist 5 Uhr nachmittags und Zeit für vertrauliche Gespräche.

Best: Du bist der erste Künstler, den ich je getroffen habe, der einfach nur auf die Schippe genommen werden will. Warum der Titel Face Value?
Phil Collins: Ich habe ziemlich lange gesucht, weil ich einen Titel finden wollte, der das Album gut beschreibt. Zuerst dachte ich an Exposures, aber Fripp hatte den Titel bereits verwendet. Dann dachte ich an Interiors, aber da war Woody Allen schon dran. Das Wort Interiors und das Konzept, das dahintersteckt, ist faszinierend, weil es alles repräsentiert, was man sich vorstellen kann. Das Cover der Platte ist wie ein Blick nach innen. Ich habe mich für Face Value entschieden, um dieses Ich besser annehmen zu können. Das sind meine Ideen, meine Geschichten, meine Verrücktheiten. Ich gebe sie euch, ihr müsst nur noch darüber urteilen.

B: Ist das der Grund, warum du (auf dem Cover, Anm. der Red.) als Ich statt als Phil oder Phil Collins aufgeführt wirst?
P.C.: Es ist auch eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen dem Sänger von Genesis und mir zu verdeutlichen. Ich bin etwas anderes und ich möchte, dass die Leute das wissen.

B: Es gibt einige überraschende Begegnungen bei Face Value, Stephen Bishop zum Beispiel, was zum Teufel hatte er hier zu suchen?
P.C. Ich bin ein alter Fan von Bish und habe alle seine Alben.

B: Wie habt ihr euch kennengelernt?
P.C.: Das ist Clapton zu verdanken. Sein Haus ist nur ein paar Schritte von hier entfernt. Eric ist ein alter Freund von Bish. Als mich Claptons Frau zum Mittagessen einlud, verbrachte Stephen gerade ein paar Tage Urlaub bei ihnen. Ich fragte ihn sofort, ob er nicht ein paar Backing Vocals für mein Album machen wolle. Er sagte sofort zu und schickte mir sogar die Einladung zurück. Ich spiele auf seiner letzten LP Red Cab To Manhattan mit Eric und Gary Brooker.

B: Es ist schon seltsam, dass so viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen.
P.C.: Als Bish mich im Studio in L.A. aufsuchte, kannte er meine Musik überhaupt nicht. Er hatte noch nie Genesis gehört, also erwartete er von einem Engländer wohl so etwas wie Heavy Metal Rock. Ich spielte ihm auf dem Synthesizer This Must Be Love (den Song, den er singt) vor, und er sagte sehr überrascht: „Hey, ich liebe das. Das ist das komplette Gegenteil von dem, was ich erwartet hätte“. Im Ernst, ich glaube, er war beeindruckt: er liebt dieses Lied und die anderen auch. Übrigens, ich erwarte einen Anruf von Stephen, denn es besteht eine sehr gute Chance, dass ich auf seiner nächsten LP Schlagzeug spielen werde.

B.: Face Value wurde in L.A. aufgenommen, aber was ist mit dem Rest?
P.C.: Der Rest wurde hier im ersten Stock von The Old Croft gemacht. Vor anderthalb Jahren habe ich mir ein 8-Spur-Rekorder gekauft, also habe ich zuerst ein paar Demos aufgenommen. Dann bin ich auf den Geschmack gekommen, weshalb 90 % der Tracks auf dem Album, vor allem die Keyboards, hier entstanden sind. Dann wurde alles wieder in 24 Spuren umgewandelt. Meine Arbeit dort oben erspart mir viele Zwänge. Es ist sehr nützlich, sein Studio zu Hause zu haben.

B: Du lässt dir Zeit, wie es auch Winwood tut.
P.C.: Nur, dass er zu Hause mit seiner kleinen 24-Spur-Anlage ein eher anspruchsvoller Mensch ist. Genau wie McCartney auf seinem zweiten Soloalbum, McCartney 2.

B: Wie hast du es geschafft, die Bläser von Earth Wind and Fire abzuwerben?
P.C.: Ich habe sie einfach gefragt. Ahmet Ertegun, der Präsident von Atlantic Records, lud mich zu sich nach Hause ein, um Duke zu hören, kurz bevor es veröffentlicht wurde. Es schien ihm zu gefallen, also bot ich ihm an, die Kassetten meines Albums, die Kassetten von oben, anzuhören. Da seine Reaktion sehr positiv war, nutzte ich die Gelegenheit, um ihn um Hilfe bei den Mitwirkenden zu bitten. Ich wollte die Bläser von Earth Wind and Fire haben und bekam sie ohne Probleme. Maurice White hatte sich die Genesis-LP bereits angehört. Ich glaube nicht, dass er eine Band oder Musik akzeptiert hätte, die nicht zu ihnen passte. Diese Jungs drängen sich nicht auf und sind furchtbar wählerisch. Abgesehen von den Jacksons oder den Emotions (die von White produziert wurden) spielen sie nie für irgendjemanden.

Für mich sind diese Bläser aber vor allem das dynamischste und persönlichste Element der Band. Als White grünes Licht gab, fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Tom Tom 84, ein kleiner Kerl aus Chicago, übernahm alle Bläserarrangements, er ist auch auf den Platten von Earth Wind and Fire zu hören.

Turn It On Again

B: Wo hast du während deiner Zeit im Golden State gelebt?
P.C.: Bei Jill; zu dieser Zeit hatte sie noch ihre Villa in Bel Air. Jetzt sind wir gezwungen, zwischen London und L.A. hin und her zu fahren, und das ist verdammt teuer.

B: Was, du nimmst nicht den Skytrain? (weniger als 2.000 Franc für Hin- und Rückfahrt).
P.C.: Hm. Ich glaube, ich brauche das nicht wirklich, aber es gibt andere Probleme. Die Tourneen zum Beispiel, die uns ein Vermögen kosten: das Soundsystem, die Lightshows, das Bühnenteam, die Transporte und was weiß ich noch alles, wir verlieren Tausende von Pfund. Es ist normal, dass man, um das Beste zu bekommen, Geld bezahlen muss, und Genesis verdient nicht so viel Geld, wie die Leute glauben.

Schau dir dieses Haus an. Ich habe es vor einigen Jahren gekauft, als die Inflation noch halbwegs stabil war. Heute ist es doppelt so viel wert. Ich wohne in einem luxuriösen Anwesen, das ich mir heute jedoch nicht mehr leisten könnte. Trotz der astronomischen Kosten hatten wir uns bei unserer letztjährigen England-Tour auf kleine Säle wie Theater beschränkt. Das war eine Veränderung, die uns allen sehr am Herzen lag, weil wir endlich unser Publikum sehen konnten. Da man aber trotzdem so viele Kids wie möglich erreichen will, kehren Genesis in diesem Jahr wieder in die Stadien zurück.

Andererseits spiele ich oft außerhalb der Band. Bei Brand X, John Martyn und den anderen waren das immer in kleinen Clubs, wie bei John letzte Woche hier in der Nähe. Ich plane übrigens, seine nächste LP zu produzieren. Das ist umso einfacher, als er kaum einen Produzenten braucht. Er macht seine Arbeit und alles, was der Produzent zu sagen hat, ist: Okay, das ist eine gute Aufnahme. Next!

B: Ich muss zugeben, dass mich der Soul-Einfluss auf deiner Platte ziemlich überrascht hat.
P.C.: Sagen wir doch einfach, dass es mir gefällt.

B: Hat dir das schon immer gefallen?
P.C.: Yeah. Ich habe Sam and Dave, Marvin Gaye, Aretha und die Temptations gehört und auch schwarzen Jazz-Rock à la Weather Report. Ich mag auch War und all das gute schwarze Zeug, das die US-Radiosender spielen. Wenn ich dort bin, finde ich die FM-Tunerskala großartig. Bei jeder Nummer findet man einen anderen Sender. Du schaltest einen Radiosender ein, und wenn dir das Programm nicht mehr zusagt, gehst du zum nächsten. Das ist möglich, weil es Hunderte von Radiostationen gibt. Du findest immer einen Radiosender, der praktisch zu 100 % deinem Geschmack entspricht. Wenigstens wird dir nichts aufgezwungen, im Gegensatz zu jenen Ländern, in denen du keine Alternative hast, außer dem, was man dir anbieten will. Pluralismus gibt es z. B. in England nicht, wo Musikmagazine das Sagen haben.

Die Radiosender begnügen sich damit, ihre Hitparaden zu senden, und versuchen nie, ein Risiko einzugehen. Aber selbst in den USA verfallen die UKW-Sender immer mehr dem Top Forty-System. Die meisten dieser Sender sind rockorientierte Sender für Erwachsene, die nur mit etwa 50 Platten arbeiten. Das ist die Technik der übermäßigen Beeinflussung. Schade, denn in der guten alten Zeit konnte der FM-DJ drei oder vier verschiedene Lieder aus einem Album auswählen; heute wählen sie nur noch ein einziges Lied aus, das ist die Rückkehr eines gewissen Konservatismus in den USA. Früher habe ich diese Radiosender den ganzen Tag lang gehört, ohne dass es mir langweilig wurde, aber heute schalte ich ab, weil ihr Programm oft die Grenzen des Erträglichen überschreitet. Sie probieren nichts mehr aus, und stattdessen machen die Programmdirektoren lukrative Werbeverträge mit den Plattenfirmen.

B: Als ich das letzte Mal in L.A. war, haben die gleichen Sender jede Viertelstunde Follow You, Follow Me gespielt. Du bist auch einer der Nutznießer des Systems.
P.C.: Es stimmt, dass sie Follow You… in den Vordergrund gestellt haben, aber auf Kosten aller anderen Titel auf dem Album. Wie bei Duke, wo sie nur Turn It On Again im Programm hatten. Es ist einfacher, dem Publikumsgeschmack zu folgen, als zu versuchen, ihn zu ändern. Es heißt immer: Erster Song, erste Seite oder erster Song, zweite Seite. Wenn es aber in der Mitte der Platte einen Hit gibt, wird er trotzdem gespielt, aber was den Rest des Albums angeht: Fehlanzeige! Aus diesem Grund befinden sich die meisten Hits am Anfang der Plattenseiten. Das ist viel einfacher und vor allem weniger anstrengend. Wenn man innerhalb einer Woche 3000 LPs zur Beurteilung bekommt, ist es schon eine große Sache, sich nur den ersten Titel anzuhören, wenn man dann noch weiter suchen muss … Jetzt schalte ich das Radio nur noch ein, um zu sehen, ob sie meine Platte spielen oder nicht.

B: Dennoch scheint Face Value wie maßgeschneidert für amerikanische UKW-Radiosender.
P.C.: Als ich dieses Album gemacht habe, habe ich überhaupt nicht an solche Dinge gedacht. Es ist MEIN Album. Lange Zeit waren es (das Album, Anm. der Red.) und ich identisch, aber wenn man es dann anderen anvertraut, dann nur, damit sie über es verfügen können. Was es genau bedeutet, weiß vielleicht nur ich. Aber für den Käufer ist das nicht wichtig: Er sieht eine Platte mit der Aufschrift Face Value und legt sie auf seinen Plattenspieler. Wenn sie ihm gefällt, ist das okay, wenn nicht, dann ist es halt so. Er kann nicht die gleiche emotionale Beziehung haben.

B: Die Coverversion von Behind The Lines hat mich sehr zum Lachen gebracht, sie ist ganz anders als bei Genesis.
P.C.: Dass ich diesen Song gecovert habe, war fast ein Zufall. Kurz nach der Aufnahme des Titels für Duke versuchte ich im Studio, ein Band zu löschen, und machte einen Fehler beim Bedienen eines Knopfes. Anstatt zu löschen, schaltete der Recorder auf Play, aber mit erhöhter Geschwindigkeit. Ich sprang an die Decke. Es war wirklich toll, es klang wie die Jackson 5. Ich nahm mir vor, den Song eines Tages in ein funky Ding zu verwandeln. Es ist lustig, aus einem Genesis-Song einen tanzorientierten Hit zu machen.

B: Ist das das lang erwartete Signal, dass sich die Band weiterentwickelt?
P.C.: Wir sind uns sehr bewusst, wie die Band in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Einige glauben, dass Genesis ein für alle Mal in eine Schublade gesteckt und etikettiert wurde. Ich denke, diese Leute werden enttäuscht sein, denn unser neues Album wird sie überraschen. Okay, auf seinen Soloplatten macht jeder genau das, was er mag, aber der Grund für die Existenz einer Band ist vor allem das gemeinsame Schreiben.

B: Schreibt ihr immer zusammen?
P.C.: Ja, jetzt schon. Auf Duke zum Beispiel spiegeln die meisten Stücke unsere gemeinsame Arbeit wider. Daraus haben wir schon lange kein Geheimnis mehr gemacht. Die Band war zu einem praktischen Vehikel für eine Sammlung von Solo-Songs geworden. Jeder brachte seine eigenen Kompositionen mit und wir wählten sie gemeinsam aus. Bei der nächsten LP wird das glücklicherweise anders sein. In den letzten Monaten haben wir viel geschrieben, tatsächlich gibt es genug Material, um ein Doppelalbum herauszubringen.

B: Glaubst du nicht, dass Genesis ohnehin in ihrem Image als Institution gefangen bleibt?
P.C.: Oh oh oh … Nein.

B: Aber wenn man ein Genesis-Album kauft, weiß man im Voraus, was einen erwartet. Glaubst du nicht, dass das Publikum gerne überrascht wird?
P.C.: Natürlich, und wir versuchen immer noch, sie zu überraschen, wohlgemerkt es wird aber immer schwieriger. Ich stimme dir zu, Genesis gibt es schon sehr lange und deshalb denken die Leute unbewusst, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst zu übertreffen. Doch wenn morgen eine unbekannte Band auftauchen und unsere Musik spielen würde, wäre sie wahrscheinlich zehnmal erfolgreicher als wir. Aus dem einzigen Grund, dass die Band den Reiz des Neuen in sich trägt. Wenn Genesis dieselben Titel spielt, hört man in allen Ecken ein Pfeifen.

Aus diesem Grund habe ich meine Platte bei WEA International und nicht bei Charisma veröffentlicht. Diese Situation ist für uns furchtbar frustrierend. Dennoch bin ich mir sicher, dass unsere Musik nicht als retro oder déjà-vu abgestempelt würde, wenn die Leute uns nicht schon vorher gehört hätten.

Wir achten darauf, niemals Second Hand Genesis aufzuwärmen. Natürlich gibt es einen Stil und das ist auch normal, denn es sind die gleichen Jungs, die die Instrumente zum Klingen bringen. Aber diese Jungs haben ein Leben und sie entwickeln sich weiter, genau wie ihre Sicht der Dinge.

So weit hast du Recht, Duke war eine Rückkehr zu einem traditionelleren Genesis, aber das Gefühl war anders. Ich mochte And Then There Were Three nicht so sehr, weil es ihm an Substanz fehlte. Duke war meiner Meinung nach ein viel besseres Album … außer, dass ich mit Cul De Sac nie etwas anfangen konnte. Hat es dir denn gefallen?

B: Na ja!
P.C.: Cul De Sac ist einer von Tonys Songs, das typische Beispiel. Im Moment fällt es mir schwer, mich darauf einzulassen.

B: Und Peter?
P.C.: Ich habe auf seiner letzten LP gespielt. Es ist eine sehr mutige Platte, und es ist typisch für Peter, dass er sich weigert, Kompromisse einzugehen. Aber Atlantic, seine Plattenfirma in den USA, hat ihn gefeuert, weil sie ihn für unkommerziell hielten. Weißt du, die Leute suchen immer nach Ausreden. Es gibt diejenigen, die Genesis erst mochten, nachdem Peter weg war, und dann gibt es die anderen. Es gehört zum guten Ton, Peter zu respektieren, aber Genesis ist nicht mehr angesagt.

B: Was gibt es Neues bei euch?
P.C.: Zunächst einmal ist da Hugh Padgham, der Toningenieur, den Peter und ich für unsere jeweiligen LPs eingesetzt haben. Mit einem neuen Toningenieur wird sich der Sound der Band zwangsläufig verändern. Zweitens werden wir uns selbst produzieren. Aber ich glaube, dass sich vor allem unser Schreibstil geändert hat. Das Ergebnis dürfte für viele eine Überraschung sein.

Phil Collins ist eine glückliche Nr. 1 in allen Charts. Sein Hit In The Air Tonight ist durch und durch gabrielesk. Auch wenn er einer der besten Schlagzeuger der Welt ist, schafft er es dennoch, ein Mindestmaß an Originalität an den Tag zu legen. Auf In The Air kreiert Phil einen neuen Rhythmus, indem er traditionelle und elektronische Drums übereinanderlegt. Hand In Hand ist überraschend funky, ebenso wie I’m Not Moving angenehm McCartney-lastig ist. Seltsam, dieser Collins und seine Coverversion von Tomorrow Never Knows von den Beatles erinnert an den Todd Rungren Sarkasmus.

Phil Collins mag die erste Runde der 80er-Jahre-Challenge mit Face Value gewonnen haben, aber für Genesis ist das Spiel noch nicht vorbei. Wir werden sehen, ob ihr Facelifting anhält, wenn ihre Doppel-LP veröffentlicht wird.

Im Minibus auf der Rückfahrt döst der ehrenwerte Vertreter der Plattenfirma zu Face Value ein, das auf dem bordeigenen Kassettenrekorder läuft. Die Jagd ist vorbei. Der Bus wird uns in der Stadt ausspucken. Verlorene Abenteurer, deren Magen vom Ketchup der Sandwiches zerfressen ist, war es für uns an der Zeit, ein Dach über dem Kopf für die Nacht zu finden. Unsere Sonnenbrillen sind in einem billigen Hotel in der Nähe von Paddington gestrandet, und wir mit ihnen. Was Collins‘ Kopf angeht, so wird er sich bald zu all den anderen an einer Wand in meiner Pariser Wohnung gesellen. Bis zum nächsten Mal …

Übersetzung: Paul Herlitschka
Medien: Thierry „Rael Demilin“
Lektorat: Peter Schütz
Fotos und Interview: Gérard Bar-David