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Interview mit Steve Hackett über „Genesis Revisited“

Steve Hackett sprach am 22. Oktober 1996 mit it über Genesis Revisited und andere Projekte

Steve Hackett sprach am 22. Oktober 1996 mit it über Genesis Revisited und andere Projekte


Einleitend möchten wir einen kurzen Auszug aus einem Interview abdrucken, das Steve am 14. September „96 mit Bill Brink geführt hat (Bill arbeitet u. a. als Autor für The Waiting Room und The Pavilion und ist ein „Paperlater“).

Bill Brink: Was hat dich zu Genesis Revisited inspiriert?
Steve: Das begann nach einer Italien-Tour mit Julian Colbeck (Red.: November/ Dezember 1994). Da war ein Fan, der mich bat, ein paar Alben zu signieren. Er hatte so ziemlich alle meine Soloalben. Nachdem ich auf allen unterschrieben hatte, drehte er sich zu seiner Frau um und sagte: ,,Hast du die andere Tüte?“ Er zog einen anderen Stapel heraus – es waren alles Genesis-Alben – und fragte mich sehr verlegen, ob ich diese auch signieren würde. Es schien, als würde er erwarten, dass ich sage: ,, … zur Hölle damit!“, was aber wirklich nicht der Fall war. Es machte mir klar, dass sich die Leute vorstellen, ich hätte meine Vergangenheit hinter mir gelassen und würde versuchen, sie auszulöschen oder zu verbannen.

Als wir nach Hause fuhren, sprach ich mit Julian darüber. Er sagte, dass, als er bei Anderson, Bruford, Wakeman & Howe spielte, es Roundabout von Yes in zwei Versionen gab und für die Fans eine Version ohne Steve Howe nicht soviel bedeutete wie mit ihm. Sie würden Steve Howe für das „ Herz von Yes“ halten. Julian meinte, das könnten einige Leute auch bei mir im Zusammenhang mit Genesis denken. Wir begannen, über eine Show nachzudenken, bei der wir Genesis-Stücke spielen würden und eine Reihe von Musikern miteinbeziehen, die aus Bands mit gleichgesinnten Fans stammen, wie Yes, King Crimson und anderen. Die Idee entstand genau in diesem Moment. Genesis hat eine Menge guter Stücke mit großartigen Ideen gemacht, aber ich hatte das Gefühl, dass sie auf dem Album nicht so gut klangen wie live. Das endete darin, dass ich eineinhalb Jahre damit verbrachte, sie zu überarbeiten. (…) Ich habe viele lange Stunden damit verbracht und war vor kurzem absolut erschöpft. Seit ein paar Monaten bin ich Vegetarier, und ich denke, das wird vielleicht seine Wirkung haben. Ich trinke nicht, ich rauche nicht, ich trinke sogar keinen Kaffee. Ich esse im Moment weder Fleisch noch Fisch und helfe sogar älteren Frauen über die Straße…

Transkription: Bill Brink / Übersetzung: Helmut Janisch


Am 22. Oktober ’96 hatten wir dann selbst die Gelegenheit, Steve Fragen zu seinem aktuellen Album bzw. seinen Zukunftsprojekten zu stellen.

it: In der Vergangenheit hast du ja immer wieder den einen oder anderen Genesis Song bei deinen Konzerten gespielt. Wohl die wenigsten Fans hätten aber eine Veröffentlichung wie Revisited, mit Genesis-Coverversionen, von Dir erwartet. Welche Idee steckt hinter dem Album?
Steve: Nun, die meisten Leute kennen mich durch meine Arbeit bei Genesis, und ich dachte, dass man mich in gewisser Weise stets nach etwas bewertete, was ich schon vor langer, langer Zeit gemacht habe. Im laufe der Jahre bekam ich das Gefühl, dass ich etwas anders an gewisse Dinge herangegangen wäre, wenn ich damals mehr Einfluß auf die Produktion gehabt und mir die Technik zur Verfügung gestanden hätte, bestimmte Sachen zu machen. Es scheint, als hätte man mich immer an dieser Phase gemessen, in der ich mich selbst eher als in einem Entwicklungsprozess befindlich einschätzte. Und so dachte ich, es wäre schön, wenn man sich in diesem Zusammenhang daran erinnern würde, dass ich damals, wie auch heute noch, mit einem gewissen Maß an Präzision arbeitete.

Ein anderer Grund ist, dass mich viele Leute gefragt haben, ob ich jemals wieder in eine Band wie Genesis einsteigen würde. Nach einer Weile stellt man dann fest, dass es nicht bloß Nostalgie für die Fans ist, sondern etwas, was darüber hinausgeht. Es ist vielleicht ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebensstils. Ich glaube auch nicht, dass heute noch Songs in dieser Art geschrieben werden. Selbst die meisten experimentellen Musiker scheinen etwas gehemmter zu sein. Also überlegte ich mir, ob es nicht interessant wäre, all diese Genesis Songs, die textlich etwas herüberbrachten und entweder etwas Magisches, Eskapistisches, Phantastisches, Prophetisches oder dergleichen hatten, mit moderner Produktionstechnik zu konfrontieren.

Ich dachte auch, dass einige Passagen vom Einsatz eines Orchesters profitieren würden, und so probierte ich es aus. Es interessierte mich außerdem, wie sich der Drumssound heutzutage anhören würde. Es war irgendwie wie: ,,Die moderne Welt schaut zurück auf die alte Welt.“ Ich habe das Gefühl, dass Stücke, die sehr alt sind, schon nicht mehr altmodisch sind, sondern zu Klassikern werden, vorausgesetzt, sie überstehen die Zeiten und die Leute kaufen sie immer noch. Ab einem bestimmten Punkt hören die Leute zum Beispiel auf zu sagen, Frank Sinatra sei altmodisch, sondern er ist dann ein klassischer Künstler seines Fachs. Ich will versuchen, die Musik zu beschreiben, die bestimmte Bands zu dieser Zeit gemacht haben: es war sehr experimentell, aber dann auch sehr eklektisch, viele Dinge wurden zusammengetragen. Ich wollte das irgendwie noch erweitern. Damals beeinflusste die Klassik die Musik ebenso wie Big Bands, was vielleicht in den Rhythmen Ausdruck fand, und natürlich auch Bücher und Märchen, die sich in den Texten niederschlugen.

Ich wollte nun noch einen Schritt weiter gehen und auch ein wenig Jazz mit einfließen lassen. Ich habe das Album zunächst für die Japaner fertiggestellt, weil sie es so schnell wie möglich haben wollten. Aber ich wollte noch ein Stück mehr darauf haben: eine Version von Los Endos, die ich mittlerweile mit Hugo Degenhardt, Pino Palladino und einer Reihe von südamerikanischen Percussionisten aufgenommen habe. Mit dabei war auch lan McDonald, mit dem ich mich 1969 anfreundete, kurz nachdem King Crimson sich aufgelöst hatten. Ich wollte schon immer irgend etwas zusammen mit ihm machen, und so kam es jetzt dazu. Er ist auch in meiner Band, wenn ich im Dezember vier Konzerte in Japan gebe. Mit auf Tour sind dann auch Chester Thompson, John Wetton und Julian Colbeck.

it: War es schwierig, sich an die alten Stücke zu erinnern, und wie hast du dich dabei gefühlt, sie nach so langer Zeit wieder zu spielen?
Steve: Ich wollte sichergehen, dass sie sehr gut klingen, und darum hatte ich mir selbst diesbezüglich einen sehr hohen Standard gesetzt. Es sollte eben so gut wie möglich klingen. Ich verbrachte lange Nächte damit, insbesondere zum Ende der Aufnahmen hin, als mir klar wurde, dass alles innerhalb eines Monats fertig werden mußte und nicht innerhalb von sechs Monaten, wovon ich ursprünglich
ausgegangen war. Letztendlich schaffte ich es dann in sechs Wochen. In dieser Zeit stand ich morgens um 6 Uhr auf und arbeitete jeden Tag bis Mitternacht. Es war die einzige Möglichkeit, es zu schaffen. Ich stand auf und plante dann den jeweiligen Tag. Alles wurde aufgeschrieben: mein Tagesablauf, Ideen für die Arrangements und die Produktion. Es sammelte sich eine Unmenge Papier an. Wenn auf einem Zettel alles abgehakt war, flog er in den Papierkorb, und weiter ging’s. Ich konnte nicht sehr viel aus der Inspiration heraus machen. Inspiration funktioniert, wenn man sehr viel Zeit hat, aber wenn man auf einen Termin hinarbeitet und sehr gut sein will, muss man viel besser organisiert sein als sonst. Man kann nicht mal eben dieses oder jenes ausprobieren.

it: Warum wurde Revisited zuerst in Japan veröffentlicht?
Steve: Die Japaner waren als erste interessiert daran, es herauszubringen und Geld dafür locker zu machen. Ich denke, sie waren vom Konzept begeistert. Sie haben wohl auch einen sehr breitgefächerten Musikgeschmack. So etwas wie dieses Album ist in Japan wohl immer modern, und sie mögen Leute, die ihre Musik mit Detailliebe machen. Es scheint ein großer Markt für derartige Musik dort zu existieren.

it: Wie kamst du mit den Japanern in Kontakt?
Steve: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ein paar Leute hatten sie uns empfohlen, und letztendlich hat uns ein Japaner bei diesem Vertrag geholfen, der z. B. auch einigen anderen Musikern, die auf Revisited mitspielen, Plattenverträge in Japan vermittelt hat. In Japan ist das Interesse an dieser Musik, wie gesagt, sehr groß. Ich meine damit nicht die Fans – nicht dass ich da dem japanischen Publikum auf den Schlips treten will, ich war immerhin noch nie dort – sondern aus rein geschäftlicher Sicht. Die Firmen
sind dort eben besonders interessiert und bereit, Geld in solche Projekte zu investieren, denn bestimmte Bands sind dort sehr populär.

it: Wann wird Revisited in anderen Teilen der Welt erscheinen?
Steve: Das ist eine Frage, auf die ich noch keine Antwort habe. Wir arbeiten daran, aber ich weiß nicht, wann das der Fall sein wird. Es liegt auch nicht ganz in meiner Hand. Es sollte aber möglich sein, die CD irgendwie zu importieren. Ich hätte mir ja gewünscht, dass das Album weltweit zur gleichen Zeit erscheint, musste aber feststellen, dass das bei mir nicht mehr so funktioniert.

Das Leben geht manchmal andere Wege. Es war alles nicht so „easy“ für mich – zumindest nicht seit 1979. In den 70er Jahren war alles viel einfacher. Man konnte ein Album schreiben, es aufnehmen und im gleichen Jahr mehr oder weniger weltweit veröffentlichen. Das Leben an sich war eher unkompliziert. Das Geschäft funktioniert aber nicht mehr wie früher. Wenn z. B. eine Firma in irgendeinem Land oder Erdteil eine CD herausbringt, heißt das noch nicht, dass das Mutterunternehmen dieser Firma die CD automatisch woanders herausbringen darf. Das wäre schön, ist aber nicht möglich. Es gibt also derzeit nur den Vertrag mit Mercury in Japan und darüber hinaus nichts. Es tut mir leid, aber ich bin darüber genauso frustriert wie jeder andere auch. Aber die CD wird irgendwann überall erscheinen.

Meine Version von The Lamb Lies Down … war sehr interessant.

it: Du sprachst vorhin Los Endos an. Wird das Stück auf zukünftigen Versionen des Albums zu finden sein?
Steve: Ja, ich will Los Endos mit dazu nehmen und dafür ein oder zwei der Stücke, die keine Genesis-Songs sind, von der CD nehmen, damit der Genesis-Gesamteindruck verstärkt wird.

it: Hast du noch weitere Stücke für das Album aufgenommen oder zumindest geprobt?
Steve: Ja, ich habe auch an ein paar anderen Songs gearbeitet und angefangen, sie aufzunehmen. Ich nahm Los Endos in einer sehr dynamischen Version auf. In That Quiet Earth habe ich auch versucht, aber so, wie der Song dann entwickelt hat, konnte ich ihn nicht mehr verwenden. Allerdings habe ich dann einen Abschnitt, der dafür bestimmt war, in Firth Of Fifth verwendet. Ich begann auch, The Lamb Lies Down On Broadway aufzunehmen. Aber letztendlich fühlte ich, dass der Song eher mit Peter Gabriel assoziiert wird, und ich beschloss, dass es am besten sei, es Peter selbst zu überlassen, The Lamb Lies Down On Broadway vielleicht irgendwann einmal neu aufzunehmen, aber meine Version von The Lamb Lies Down … war sehr interessant.

it: Wer war hier der Sänger?
Steve: Zu dem Zeitpunkt. hatte ich noch keinen Sänger – ich sang einen guide vocal selbst. Irgendwann dachte ich dann, dass eher die Person des Sängers als die Musik selbst den Song ausmachte. Es ist vielleicht nicht so einfach für so ein Stück, ein Klassiker zu werden, wenn es so mit einer Person verknüpft ist. Es gibt einige Tribute-Bands und -Alben, aber dieses Stück bedeutet den Leuten sicher nicht so viel wie manches andere frühe Material. Wie dem auch sei, vielleicht liege ich da ja fa lsch und hätte womöglich eine großartige Version abliefern können. Aber ich entschied mich, es sein zu lassen, und vielleicht wage ich mich ja irgendwann noch einmal dran.

it: Würdest du gerne noch andere Stücke neu aufnehmen?
Steve: Daran habe ich zwar gedacht, aber diejenigen, die mich interessiert hätten, wären noch schwieriger gewesen. Es gibt da noch sehr viele wunderschöne Songs, aber ich glaube nicht, dass ich mir das Genesis-Revival zu einer Lebensaufgabe machen werde. Dafür steckt zu wenig darin. Ich hatte mir nur überlegt, dass, wenn ich ein Eric Clapton-Album in die Hände bekäme, auf dem stünde „ E. C. plays Cream songs“ or „E. C. plays John Mayall“, dann würde mich das sehr neugierig machen, denn das war etwas, für das ich mich damals selbst interessierte. Ich stelle mir also vor, dass es mit Revisited ähnlich sein kann. Wem Genesis gefällt, der wird wahrscheinlich auch dieses Album mögen. Ich denke, die Musik war damals irgendwie viel detailreicher und nicht so simpel, und Revisited ist ein sehr detailreiches Album mit sehr komplizierten Arrangements bei einigen der Songs. Es geschieht sehr viel darauf. Ich wollte, dass es so eine Art musikalische Reise wird, bei der man zu vielen verschiedenen Orten geführt wird. Die Stücke sind sehr unterschiedlich, und es gibt, glaube ich, keinen wirklich durchgehenden Stil. Einiges klingt eher klassisch und einiges eher modern.

Ich denke, dass mein Genesis Revisited-Album mehr nach Genesis klingt als irgend etwas, was Genesis in der Zukunft machen werden.

it: Die Liste der Gastmusiker umfasst viele bekannte Namen. Hat dir irgend jemand, den du darüber hinaus gerne für das Album verpflichten wolltest, abgesagt? Steve: Hm, … nein, ich denke, ich habe so ziemlich jeden bekommen, den ich wollte, und ich bin sehr glücklich darüber, denn es sind alles Musiker, die ihren Job sehr gut machen.

it: Hast du auch andere (Ex-)Bandmitglieder von Genesis gefragt, ob sie an dem Projekt mitarbeiten wollen?
Steve: Ja, habe ich. So habe ich z. B. Tony gefragt, ob er auf Los Endos spielen würde, und er sagte mir zu. Dann rief er ein paar Wochen später an und sagte mir ab, weil sie gerade dabei seien, Genesis neu zu organisieren. Er dachte, es sei problematisch für ihn, bei mir mitzuarbeiten, während Genesis sich in einer Umbruchphase befindet, und dass es viel leicht „politically incorrect“ sei, wenn man ihn auf meiner Seite der Fans, in meinem Lager sehen würde. Ich denke, dass mein Genesis Revisited-Album mehr nach Genesis klingt als irgend etwas, was Genesis in der Zukunft machen werden. Aber es ist auch eine Frage der Interpretation, was man sich unter Genesis vorstellt, nicht wahr? Mein Album wird wohl eher die Traditionalisten befriedigen, wohingegen ich erwarte, dass was immer sie auch machen, es vermutlich im Pop-Markt ankommen wird. Es sind nur ein paar wenige Leute von Genesis übriggeblieben, und wenn man die Musiker, die ich auf dem Album habe, addiert – wie Bill, der Teil von Genesis war, wie Chester, der irgendwie ja auch Bestandteil der Band war, und John Wetton, der einmal als Sänger für Genesis im Gespräch war, nachdem Peter gegangen war – dann ist das ein total unglaubliches Line-up. Genesis als Band wird immer kleiner und kleiner, wohingegen ich meine Version dieser Songs größer und größer haben wollte. Das ist der Grund, warum so viele verschiedene Sänger und Charaktere beteiligt waren. Es ist interessant zu sehen, was verschiedene Sänger und Musiker aus dem Material machen, denn jeder von ihnen hört es anders. Es ist in der Tat ein Projekt, und ich behaupte nicht, dass es Genesis ist.

it: Richard Macphail hat uns gegenüber erwähnt, dass er nicht nur die „backing vocals“ auf Your Own Special Way, sondern auch ,,lead vocals“ auf einer Demoversion von Deja Vu gesungen hat. Was wurde aus dieser Version, und stimmt es, dass du ursprünglich Peter Gabriel als Sänger haben wolltest?
Steve: Richard ist heute selbst ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, aber er wollte auch immer mit dem Singen weitermachen. Er bot mir also diesbezüglich seine Hilfe an, und ich sagte: ,,Nun, ich habe diese Version von dem Stück, das Pete gemacht hat.“ Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein Demo aufgenommen, auf dem ich selbst sang, und Richard sang auf einem weiteren. Wir versuchten, uns daran zu erinnern, in welcher Tonart Peter damals gesungen hat. Pete wollte, dass ich den Song fertigstelle, und er war glücklich, dass ich ihn verwenden würde. Ich glaube, dass er das Stück einfach nicht noch einmal singen wollte, aber er sagte, er würde vielleicht eines Tages selbst eine Version aufnehmen. Also versuchte ich es mit Paul Carrack, von dem ich glaube, dass er ein hervorragender Sänger ist. Witzig erweise … als ich zusammen mit Steve Howe GTR machte, wollte ich, dass Paul Carrack der Sänger wird, aber die anderen waren davon nicht begeistert. Es gingen also leider viele Jahre ins Land, bevor ich mit ihm zusammenarbeiten konnte. Er ist sehr gut, sehr professionell. Er sang beide Songs, Your Own Special Way und On My Way … oder besser Deja Vu am selben Tag, obwohl er erkältet war. Es war nicht leicht für ihn, zu singen, aber trotz Erkältung klingt er wundervoll.

it: Worauf basiert Deja Vu? Hattest du Aufnahmen von den Selling England … -Proben?
Steve: Nein, ich hatte nur die Erinnerung an diesen Song, der damals nicht fertiggestellt wurde, aber ich mochte immer die Melodie und die Idee. Er hat eine sehr interessante Historie. Es dauerte 23 Jahre, ihn zu schreiben, was eine sehr lange Zeit für einen Song ist.

it: Hast du all die Jahre daran gearbeitet?
Steve: Oh, nein. Das Stück war für Selling England By The Pound vorgesehen, wurde aber von der Band nie fertiggestellt. Es übte irgendwie ein merkwürdiges, mysteriöses Gefühl auf mich aus. Es war sehr schwer aufzunehmen, und ich probierte viele verschiedene Arrangements aus, wie z.B. Schlagzeug und Percussions während der Strophen . Aber das hat irgendwie nicht funktioniert, und so habe ich letztendlich in den Strophen keinerlei Rhythmus eingesetzt, sondern nur im Mittelteil. Es ist witzig … manche Songs, die eher der Text als ein Rhythmus ausmacht, werden manchmal langsamer, wenn man Schlagzeug hinzufügt. Einige funktionieren besser und fließen mehr ohne die Zugabe von Schlagzeug. Akustisches Material und natürlich eine Menge klassischer Musik würden nicht sonderlich von Drums, wie wir sie kennen, profitieren.

it: Im Booklet zur CD schreibst du, dass Riding The Colossus von 1963 stammt. Hast du den
Song damals schon geschrieben?
Steve: Es war eine Idee, die ich … oh Gott … vor langer Zeit hatte. Aber diese Version war anders als die aktuelle. Sie war mit „bass strings“, und es klang eher wie The Shadows. Irgendwo gab es wohl auch eine alte Aufnahme davon, aber ich weiß nicht was damit passiert ist. Es ist also sehr alt und brauchte eine lange Zeit …

it: Das Coverartwork stammt von deiner Frau Kim?
Steve: Ja, es ist eine Collage, eine Fotomontage, die sie per Computer aus verschiedenen Bildern von verschiedenen Orten zusammengestellt hat.

it: Stammt die Zeichnung von Adam und Eva von ihr?
Steve: Nein, sie stammt aus einem klassischen Gemälde. Ich weiß nicht, von wem es stammt. Es zeigt Adam und Eva bei der Vertreibung aus dem Paradies.

it: Wusstest du, das ein Kunstwerk, das zur Illustration von Peter Gabriels Song Steam angefertigt wurde, unter anderem auch genau diesen Ausschnitt zeigt (Red.: unten rechts auf der Innenseite des rechten„ Türflügels“)?
Steve: Wirklich? Das habe ich nicht gewusst. Ist das nicht interessant? Ich denke, es ist reiner Zufalll.

it: Auf dem Cover sind einige Objekte abgebildet, die wie UFOs aussehen. Was war Kims Idee dabei?
Steve: Die Idee für das Cover stammt von uns beiden. Ich sagte zu ihr, dass ich eine Art Watcher Of The Skies-Feeling haben wollte, ein Gefühl von Außerirdischen, die mit ihrer gewaltigen Technik den Planeten Erde besuchen. Adam und Eva als primitiver Mann und primitive Frau sollten im Kontrast dazu stehen. Tatsächlich sieht es jetzt aber so aus, als ob sie „hochgebeamt“ würden, um mit ihnen Experimente durchzuführen, oder als würden sie “ heruntergebeamt“, um eine Kreation einer außerirdischen Kultur zu sein. Man kann selbst seinen eigenen Schluss daraus ziehen. Es ist eine Art offene Interpretation von Watcher Of The Skies.

it: Da wir gerade über Kim sprechen, was macht ihr seit langem geplantes neues Buch, Legends Of The Amazon?
Steve: Sie versucht augenblicklich immer noch, es zu veröffentlichen, und hat sehr viele Bilder dafür. Sie ist mit mehreren Verlegern im Gespräch, und sobald sie sich mit jemandem einig ist, wird das Buch auch erscheinen. Wie bei vielen Dingen, die in Vorbereitung sind, ist manches aber nicht immer so einfach. Einmal war ein Vertrag schon so gut wie perfekt, aber die Verlagswelt kann oft sehr merkwürdig sein. Manchmal geht den Verlagen auch das Geld aus, und sie können dir noch nicht einmal den versprochenen Vorschuss zahlen. Dann fängt man an, sich zu fragen, ob man überhaupt Geld sehen wird oder ob alles in einem einzigen Minusgeschäft enden wird. Künstler können hin und wieder sehr viel professioneller sein als die Verleger, mit denen sie es zu tun haben. Früher konnte man vielleicht so naiv sein und nur das Beste von jemandem erwarten. Heutzutage jedoch neigen wir eher dazu, sehr vorsichtig zu entscheiden, was man geschäftlich macht und mit wem man sich dabei einläßt. Wenn das bedeutet, dass es dadurch ein wenig länger dauert, dann dauert es halt ein wenig länger. Es ist besser, als nachher unangenehm überrascht zu sein, wenn etwas sich nicht so entwickelt wie gewollt.

it: Kommen wir noch einmal auf die Konzerte zu sprechen, die du im Dezember in Japan geben wirst. Finden sie nur statt, um Revisited zu promoten, oder gibt es noch andere Gründe?
Steve: Nun, der andere Grund ist der, dass die japanische Firma sieben meiner Alben veröffentlicht hat, und Revisited ist nur eines davon. Ich spiele dort also, um sehr viel Verschiedenes zu promoten. Ich hoffe auch, dass ich mit der Band, die ich mit nach Japan nehme, letztendlich vielleicht auch an neuem Material arbeiten kann – das ist meine Absicht damit – ein langfristiges Ziel mit diesen Musikern.

it: Welche Songs werdet ihr in Japan spielen?
Steve: Ich habe gerade ein Tape mit möglichen Stücken an die Jungs geschickt. Im Moment sieht es so aus, als ob wir eine ziemliche Menge machen würden. Ich kann jetzt noch nicht sagen, was genau, denn wir haben noch nicht alles geprobt, und so weiß ich nicht, was mit dieser Band funktioniert und was nicht.

it: Aber sicher gehören doch auch Stücke von Revisited zum Set?
Steve: Ja, einige bestimmt, aber nicht alle.

Heute scheint es mir, dass man entweder sein Geld dafür verwenden kann, Alben zu produzieren, oder auf Tour zu gehen. Nur, wenn man Alben macht, kann man am Ende des Tages eher etwas vorweisen.

it: Wir haben seit langer Zeit nichts mehr von Chester Thompson gehört. Er gehörte auch nicht zu Phil Collins‘ Band bei seiner letzten Tour. Weißt du, was er seit Ende der We Con’t Donce-Tour gemacht hat?
Steve: Chester und ich sind über die Jahre immer Freunde geblieben. Soweit ich weiß, ist er von Los Angeles nach Nashville umgezogen. Er hat dort ein Haus und eine Farm gekauft und in der Farm ein Studio eingerichtet. Ich glaube, er war in verschiedene musikalische Projekte involviert. Darüber hinaus weiß ich nicht viel mehr. Ich habe gehört, dass er auf einer Menge Alben der unterschiedlichsten Künstler gespielt haben soll, wie z. B. Duane Eddy. Nashville ist ja auch das Zentrum des christlichen Musikgeschäfts, und Chester ist ein sehr religiöser Mensch, also hatte er möglicherweise auch damit zu tun. Ich weiß es nicht, werde aber sicher mehr darüber erfahren, wenn ich mit ihm demnächst auf Tour bin. Ich wollte etwas mit ihm machen, dass sich vielleicht zu einer Band entwickeln könnte. Wir hoffen, das nun mit lan McDonald und den anderen zu tun.

it: Kannst du dir vorstellen mit dieser Band auch in Europa aufzutreten?
Steve: Das ist möglich – ich hoffe es. Ich weiß nur, dass die Japaner diejenigen sind, die uns einen Vertrag angeboten haben, der die Tour ermöglicht. Wenn ich auf Tour gehe, will ich auch sicher sein, dass ich nicht eine Menge Geld dabei verliere. Heute scheint es mir, dass man entweder sein Geld dafür verwenden kann, Al ben zu produzieren, oder auf Tour zu gehen. Nur, wenn man Alben macht, kann man am Ende des Tages eher etwas vorweisen. Für mich war es immer sehr schwer, eine Tour verlustfrei zu absolvieren. Wenn eine Band auf Tour geht, muss alles leider wie ein Geschäft aufgezogen werden. In Japan ist man gewohnt, sehr hohe Ticketpreise zu bezahlen. Das ermöglicht es, mit so einer Supergruppe auf Tour zu gehen.

it: Wir haben gehört, dass du im Augenblick an etwas arbeitest, was Akustikgitarre mit Orchestermusik vereint und auf Shakespeares A Midsummer Night’s Dream basiert.
Steve: Ja, das stimmt. Die Orchesterparts werden Ende des Monats aufgenommen. Wie ihr wisst, interessiere ich mich sehr für klassische Musik, und ich denke, dass es die anspruchsvollste akustische Musik ist, die ich für Gitarre und Orchester geschrieben habe. Sie ist einfacher zu machen als Rockmusik, denn man hat mit einem Minimum an Personen zu tun: ein Gitarrist, ein Ingenieur, ein Manager, eine Person, die das Plattencover macht, und mindestens 60 Leute im Orchester, die aber als eine Person operieren. Selbst wenn man es mit einem Orchester zu tun hat, ist es, als ob es nur ein Individuum wäre. Eine bestimmte Person stimmt zu, mit dir zu arbeiten. Jemand anderes dirigiert, und derjenige arrangiert eventuell auch noch. In diesem Fall ist das ein Cousin von mir, namens Matt Dunkley, ein Trompeter, mit dem ich in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet habe. Er hat auch beim Revisited-Album mitgewirkt, wo er die Arrangements herausgeschrieben hat und diesen lob phantastisch erledigte. Vorausgesetzt also, man hat die Vorbereitungen sorgfältig getroffen, ist es möglich, alles mit einem minimalen Aufwand zu machen. Die Titel, die auf dem Album sind, habe ich über eine lange Zeit hinweg zusammengetragen. Ich nahm im Laufe der Jahre einige Akustikstücke auf, und immer, wenn eines fertig war, ging ich zum nächsten über. Ich denke, es ist musikalisch deshalb sehr stark, weil ich mir Zeit dafür genommen habe. Es war schön, das zu tun, und ich liebe diese Art Musik. Ich würde sagen, es erfreut mich eher als es mich erregt. Rockmusik ist wohl sehr erregende Musik, aber wenn ich die schönste klassische Musik höre, könnte ich nicht sagen, dass sie mich im selben Maß erregt. Aber ganz sicher erfreut es mich, bewegt zu werden und meine Gefühle aufwühlen zu lassen. Ich kann klassische Musik hören und etwas als sehr schön und erbauend empfinden, aber normalerweise bringt es mich nicht zum Tanzen oder dazu, mich zu bewegen. Es ist eine andere Art von Energie. Manchmal versuche ich, beides zu kombinieren, wie bei Genesis Revisited, was eine Mischung beider Energien ist. A Midsummer Night ’s Dream hingegen ist eine bewußte Trennung dieser Energien, bei der ich bewußt keine E-Gitarre und keine Drums verwende. Alles hat eine sehr viel ruhigere Stimmung.

it: Wann wird das Album fertiggestellt sein?
Steve: Ich muß die Arbeit daran beenden, bevor ich nach Japan gehe. EMI in England wollen es wohl nächsten Februar herausbringen. Ich war in der Tat sehr mit diesen beiden Projekten beschäftigt, die vollkommen gegensätzlich sind. Beide bedeuten mir sehr viel, wenn auch auf verschiedene Art und Weise.

Interview, Transkription, Übersetzung: Helmut Janisch
zuerst erschienen im it-Magazin #21, Dezember 1996