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Interview mit Sound Engineer Michel Colin
Im August 2021 hatten wir während der Proben zur kommenden Genesis-Tour die Gelegenheit mit Michel Colin, Sound Engineer von Phil Collins und Genesis, zu sprechen.
Seit etwa 20 Jahren ist der Franzose Michel Colin auf Tour der Sound Engineer für Phil Collins und Genesis. Damit ist er hauptverantwortlich für den Konzertsound und war mit Phil Collins v. a. 2004-2005 auf der First Final Farewell Tour und 2017-2019 auf der (Still) Not Dead Yet Tour sowie 2007 mit Genesis auf der Turn It On Again Tour buchstäblich weltweit unterwegs. Drinnen und draußen, bei Regen und Sonnenschein. Natürlich ist er auch auf der kommenden The Last Domino? Tour wieder der Chef am Mischpult. Während der Proben für diese Tour stand er uns freundlicherweise für ein Interview zur Verfügung. Darin gibt er Einblicke in seine Arbeit und erzählt über seinen Werdegang.
it: Wie laufen die Proben?
Michel Colin: Sehr gut. Heute haben wir etwas länger gearbeitet als sonst, ein paar Sachen ausprobiert. Wir sind hier fast fertig. Ein paar Tage vor dem Tourauftakt treffen wir uns dann in Birmingham wieder.
it:Es ist interessant, dass noch fast nichts von den Proben nach außen gedrungen ist.
Michel:Alle sind sich in Zeiten von sozialen Netzwerken sehr bewusst, dass alles, was man dort veröffentlicht, sofort in die ganze Welt verstreut wird.
it: Kommen wir direkt mal zu dir. Wie bist du zum Beruf des Sound Engineers (Tontechnikers) gekommen?
Michel:Ich war auf einer Schule für Audiovision und Kino und habe dann in einem Kino als zweiter und später erster Assistent des Direktors gearbeitet. Zur gleichen Zeit spielte ich Schlagzeug in einigen Bands und begann meine Bands aufzunehmen. Ich kümmerte mich um den Live-Sound für diese Bands und einige andere. So verließ ich einige Zeit später die Film- für die Musikindustrie. Und dann habe ich das Schlagzeug gegen das Mischpult getauscht. Das war in den frühen 1980er-Jahren.
it: Was hast du gemacht bzw. für wen hast du gearbeitet, bevor du den Job bei Phil Collins bekamst?
Michel:Ich habe mit vielen französischen Künstlern gearbeitet wie Jane Birkin, Alain Souchon, Maxime Le Forestier, Mireille Mathieu, Sylvie Vartan, Yves Duteil, Sapho. All diese Sänger sind so gar nicht „Rock“. Aber für sie sind in der Abmischung Liedtext und Stimme sehr wichtig. Ich habe auch auf einigen großen Festivals in Frankreich und der Schweiz als Front-of-House (FOH) Engineer mit vielen internationalen Bands und Stars gearbeitet, die ohne Tontechniker angereist waren. Das ist einige Zeit her. Heute hat jede kleine Band einen eigenen Tontechniker. Zwischendurch war ich auf vielen Großveranstaltungen und Galas in Europa, Afrika, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderenorts tätig. Zudem habe ich für viele Firmen und natürlich auch im Studio als Produzent für einige französische Bands und Sänger gearbeitet.
it: Und wie hast du den Job bei Phil Collins bekommen?
Michel:In den frühen 2000er-Jahren stellte mich mein Freund Alain Schneebely, der seit der ersten Big Band-Tour vor 25 Jahren für Phil arbeitet, Phils Produktions- und Tourmanager Steve Jones vor. Das war während des Paleo Festivals in der Schweiz. Zu der Zeit lebte Phil in der Schweiz. Steve schlug vor, dass ich eine von Phils Little Dreams Foundation-Shows betreuen sollte. Danach haben wir einige Shows in den USA gemacht und starteten die Promotion für Testify. Anscheinend gefiel Phil und den Produzenten meine Arbeit und so wurde ich FOH-Engineer bei Phils Touren und dann bei Genesis.
it: Wie ist die Arbeit mit Phil Collins? Ist es eine große Herausforderung mit einem so erfahrenen Weltstar zusammenzuarbeiten?
Michel:Weißt du, es ist immer einfacher mit großartigen Profis zusammenzuarbeiten als mit Anfängern oder Laien. Der Leistungsdruck bei diesen riesigen Shows in enorm und du musst für die Zuschauer den perfekten Sound sicherstellen. Aber die Qualität der Musik und der Musiker macht es sehr leicht das zu erreichen.
it: Wie groß ist generell und natürlich im Besonderen tontechnisch dein Einfluss auf die Shows? Hört die Band auf deine Hinweise und Meinungen?
Michel:Ja, während der Proben und selbst auf Tour tauschen wir uns regelmäßig mit den Musikern und auch mit Phil aus. Manchmal haben sie einen Wunsch oder eine Frage zum Sound. Und manchmal bitte ich sie um etwas, das die Songs besser klingen lässt. Es ist sehr gut, diesen engen Austausch mit Künstlern zu haben.
it: Hast du mit Phil jemals im Studio gearbeitet?
Michel:Nein, Nick Davis ist derMann.
it: Muss du seitdem Phil Collins seit der Not Dead Yet Tourund auch auf der kommenden The Last Domino? Tour auf einem Stuhl sitzt „etwas Besonderes“ machen, um Phil so klingen zu lassen als würde er stehen?
Michel:Es ist leider ziemlich unmöglich, Phil so klingen zu lassen wie früher als er hinter dem Mikrofon stand. Die Stimme ist nicht mehr so fest und stark wie zuvor. Also musste ich meine Arbeitsweise daran anpassen mit anderem Processing und Mikrofonen.
it: Warum hat Phil von der (Still) Not Dead Yet Tour weder eine Audio- noch Videoaufnahme veröffentlicht? Wurde irgendeine Show der Tour professionell gefilmt?
Michel:Das ist die Entscheidung von Phils Produzenten. Und ich kann bestätigen, dass keine Show gefilmt wurde.
it: Was ist der Unterschied zwischen der Arbeit mit Phil Collins und der mit Genesis?
Michel:Die Musik ist selbstverständlich anders. Aber der größte Unterschied ist, dass es bei Genesis drei „Leader“ gibt. Drei „Stars“, mit denen man umgehen muss. Tony Banks und Mike Rutherford sind sehr stark in die Planung der Shows hinsichtlich Licht, Videos und Sound eingebunden. Sie verbringen sehr viel Zeit mit mir, um die Aufnahmen der Proben und meine Abmischung anzuhören und ihren Sound einzustellen.
it: Gibt es einen nennenswerten Unterschied zwischen dem Sound-Personal und der Ausrüstung bei Phil Collins und Genesis?
Michel:Nein, es ist fast die gleiche Crew und die gleiche Art von Tonausrüstung.
it: Wie viele Leute sind in der Soundcrew für die Genesis Tour?
Michel:Zehn Leute, mich eingeschlossen.
it: Gib uns bitte mal einen kleinen Einblick, wie die kommende Genesis Tour zustande gekommen ist. War es eine große Überraschung für dich, als du den Anruf von Genesis bekommen hast nach 12 Jahren Pause? Wann habt ihr euch erstmals getroffen?
Michel:Direkt nach der Still Not Dead Yet Tour von Phil. Während des letzten Europa-Legs der Tour waren Mike + The Mechanics Vorband in den Stadien. Eines Abends in Berlin kam Mike auf die Bühne und spielte den Genesis-Song Follow You, Follow Me mit Phil. Das haben sie dann noch ein paar Mal gemacht während der Tour. Und schlussendlich ist etwas passiert „in the air these nights“. So war es keine große Überraschung mehr, als wir für eine möglich neue Genesis Tour zusammengerufen wurden. Im Januar 2020 begannen wir zwei Wochen lang mit Genesis in New York zu proben und es wurde entschieden, im darauffolgenden Herbst in Großbritannien zu touren. Unglücklicherweise änderte die Covid-Pandemie all diese Pläne.
it: Wann haben Genesis entschieden, Backgroundsänger zu engagieren? Waren sie von Beginn der Proben an dabei oder war es zumindest bereits bei den ersten Proben klar, dass es Backgroundsänger geben würde?
Michel:Das wurde entschieden als wir in New York waren. Sie kamen dann dazu als wir im Oktober 2020 mit den Produktionsproben in London anfingen.
it: Gibt es auf der aktuellen Tour eigentlich wieder einen „button pusher“ wie er in der 2007er-Tourdokumentation Come Rain Or Shine zu sehen ist?
Michel:Ja, den gibt es immer noch. Es ist diesmal professioneller. Aber dieser Job kann nach wie vor nicht von einem Computer übernommen werden, weil es keinen Time-Code gibt. 2007 war es ein ziemliches Chaos damit.
it: Wie bereitest du dich auf die Tour vor? Musst du auch „proben“?
Michel:Wie gesagt führen wir umfangreiche Proben als Vorbereitung für die Tour durch. Ich im Besonderen höre mir die Originalsongs an und meine Liveaufnahmen, um mich an die Klangfarbe und die Abmischung jedes Tracks zu erinnern.
it: Was ist dir an deiner Arbeit besonders wichtig?
Michel:Man sollte jedes Instrument, das der Zuschauer auf der Bühne sieht, auch hören können. Das gilt selbst für einen Triangel oder andere kleine Instrumente.
it: Wie hat es sich angefühlt, letztes Jahr zu proben, ohne dann für absehbare Zeit tatsächlich auf Tour gehen zu können?
Michel:Wir sind froh, wieder zusammen bei diesem großartigen Projekt dabei zu sein und freuen uns darauf, damit nun endlich auf die Straße zu gehen.
it: Kannst du uns einen kurzen Überblick über die Ausrüstung für die Genesis Tour geben?
Michel:Alle Lautsprecher kommen von L.Acoustics. Ganz grob haben wir folgende:
– 24 K1 + 6 K2 L&R
– 8 Kara-II Center Cluster
– 24 K1 + 6 K2 LL&RR
– 16 Kara-II + 6 SB18 seitlich über der Bühne
– 8 A15 Gänge L/R- 12 Kiva II Front Fills
– 36 KS 28 Subwoofers
– 24 K2 Delay L/R
– 2 S6L 32 Avid Konsolen, FOH & Monitore
– 1 LV1 Waves Konsole + einige L1 Prozessoren für die Signalsteuerung (bedient von unserem Systemtechniker Ben Phillips)
it: Wie sieht bei dir ein normaler Arbeitstag auf Tour aus? Wann kommst du an der Halle oder dem Stadion an? Musst du das Sound-Equipment erst ausladen oder ist das bereits getan, wenn du ankommst?
Michel:Ich komme üblicherweise gegen 11 Uhr vormittags am Veranstaltungsort an und beginne, meine „FOH-Welt“ (Konsole usw.) mit Bühnenhelfern aufzubauen. Die Trucks sind da bereits ausgeladen worden. Die Soundcrew startet gegen 8 Uhr morgens mit dem Aufbau der Lautsprecher und dem Bühnenequipment. Gegen 14 Uhr sind wir bereit für einen Line-Check. Dann machen wir (oder auch nicht) einen Soundcheck um etwa 16 Uhr.
it: Musst du während des Konzerts noch viele Einstellungen vornehmen oder ist die meiste Arbeit dann schon getan?
Michel:Während der Show muss ich immer wieder Fine-Tuning machen. Vieles lässt sich nicht vorher einstellen, sondern ist Handarbeit.
it: Ist für die kommende Tour die Veröffentlichung einer Audio- und/oder Video-Liveaufnahme geplant? Die Tourproben Ende 2020 wurden gefilmt. Werden sie zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht? Oder war das nur eine Art „Sicherheitsaufnahme“ für den Fall einer Tourabsage?
Michel:Die Aufnahme der Proben wurde vor allem für die Band gemacht und für uns als Arbeitsreferenz. Sie wurde auch für Teaser im Rahmen der Tourpromotion genutzt. Ich habe von den Aufnahmen besondere Abmischungen gemacht für die Musiker ohne Gitarren oder Schlagzeug oder Bass usw. Mike hat mich gebeten, ihm solche Tracks zu schicken. Die hört er sich nicht einfach nur an sondern braucht sie zum Proben zu Hause. Auf jeden Fall nehme ich alle Shows in zwei Stereo-Tracks und Multitrack auf. Also…
it: Sind die Tour-Teaser denn mit Liveaufnahmen von den Proben untermalt oder handelt es sich teilweise um Albumversionen der Songs? Da gab es unter den Fans sehr unterschiedliche Wahrnehmungen.
Michel:Für den Teaser wurden tatsächlich nur Liveaufnahmen der Proben für die aktuelle Tour verwendet. Es gibt allerdings einen Teaser für die Nordamerika-Konzerte. Da sind teilweise ältere Aufnahmen genommen worden. Das hört man aber auch, vor allem an Phils Stimme.
it: Du hast die Covid-Pandemie angesprochen. Welche Auswirkungen hatte das auf deine Arbeit abgesehen von der Genesis Tour, die immer wieder verlegt wurde?
Michel:Mit den anderen Shows war es genauso – verlegt und verlegt, abgesehen von etwas Studioarbeit, die weniger betroffen war.
it: Fühlst du dich in diesen Zeiten sicher, wenn ihr durch Großbritannien und Nordamerika reisen werdet?
Michel:Ich bin durchgeimpft, passe auf und trage Maske. Das sollte ok sein.
it: Denkst du, dass die Genesis Tour im September tatsächlich stattfinden wird abgesehen von den abgesagten Shows in Dublin und Belfast?
Michel:Ja, nun da wir wissen, dass die UK-Tour am 20. September in Birmingham beginnen wird.
it: Was ist soundtechnisch die größere Herausforderung: drinnen oder draußen zu arbeiten und warum?
Michel:Es gibt zwei unterschiedliche Herausforderungen:
Drinnen müssen wir manchmal mit der Raumakustik und dem Hall kämpfen. Das kann richtig heftig sein!
Draußen ist die Akustik weniger ein Problem aber hier sind Wind und Regen unsere Feinde.
it: Was war für dich der Veranstaltungsort, an dem du tontechnisch die meisten Probleme hattest mit der Einstellung des Soundsystems?
Michel:Ich erinnere mich an die Amsterdam ArenA, die ein Fußballstadion ist mit einem Glasdach! Der Widerhall ist aberwitzig und in diesem Stadion Musik zu machen ist eine fürchterliche Herausforderung! Andere Orte stellen uns vor Schwierigkeiten hinsichtlich der Zugänglichkeit für das Ein- und Ausladen, z. B. die Waldbühne in Berlin.
it: Was ist deine Lieblingsmusik/-gruppe/-künstler?
Michel:(lacht) So viele, von Albinoni bis hin zu Zappa.
it: Hast du einen Lieblingssong/-track von Phil Collins und/oder Genesis? Du darfst so viele nennen, wie du möchtest!
Michel:Soll ich wirklich alle nennen? (lacht)
it: So einfach kommst du mir nicht weg.
Michel:Ok, bei Phil Collins ist es z. B. „Billie“ (gemeint ist: Don’t Lose My Number), natürlich In The Air Tonight oder (Something Happened On The Way To) „Heaven“. Bei Genesis I Know What I Like. Wie passend! (lacht) Dann auch so etwas wie „Jesus“(He Knows Me), Domino, Firth Of Fifth oder Misunderstanding.
it: Sind dir jetzt Songs rausgerutscht, die auf der Setlist der kommenden Tour auftauchen werden?
Michel:Nein. Naja, vielleicht ein paar. Manche sind ohnehin gesetzt oder offensichtlich dabei.
it: Und offenbar magst du nicht nur Pop oder nur Prog?
Michel:Nein. Ich mag durchaus nicht nur den Prog. In den 1980er-Jahren bin ich übrigens schon zu Phil Collins-Konzerten in Paris gegangen.
it: Du und ein paar andere Crewmitglieder nutzen freie Abende auf Tour gerne für gutes Essen. Nenne doch mal deine Lieblingsrestaurants weltweit, in denen du über die Jahre auf Tour gegessen hast!
Michel:Meistens, wenn wir keine spezielle Adresse haben, versuchen wir den besten Italiener in der Stadt zu finden. Und meistens ist es sehr gut. Ich erinnere mich an fantastische Restaurants in Schweden, Mexico, Kanada, New York, Russland, Argentinien, Deutschland? usw. Für uns gehört eine gute Show genauso dazu wie gutes Essen und guter Wein.
it: Was machst du im Moment außer Genesis? Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Michel:Ich mache mit meinen üblichen Kunden weiter Musik, mit Pop, Rock und auch Klassik. Einige Veranstaltungen und auch ein kleines bisschen Studio. Jetzt, wo ich im Ruhestand bin, mache ich nur noch, was ich wirklich möchte. Und sicherlich hat das Touren mit Phil und Genesis dabei absoluten Vorrang.
it: Vielen Dank, dass du dir Zeit für unsere Fragen genommen hast! Wir wünschen dir eine erfolgreiche Genesis Tour. Bleib gesund!