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Interview mit Horst Königstein von 1997 (Deutsche Peter Gabriel Alben)
Am 24. Oktober 1997 trafen wir Horst Königstein in seinem Büro beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg und sprachen mit ihm über seine Zusammenarbeit mit Peter Gabriel.
Nur sehr wenige Deutsche waren in der Vergangenheit bei der Entstehung eines Albums von Genesis & Co. maßgeblich beteiligt. Einer ist Horst Königstein, der zusammen mit Peter Gabriel an dessen beiden deutschen Alben arbeitete. Wir trafen ihn am 24. Oktober 1997 in seinem Hamburger NDR-Büro zu unserem ersten „deutschen Interview“.
it: Wie sind Sie mit Peter Gabriel in Kontakt gekommen?
Königstein: 1979 hat mich ein Marketing-Spezialist angerufen und gesagt, Peter Gabriel hätte bei Ihnen angefragt, ob sie jemanden wüßten, der seine Texte ins Deutsche übertragen könnte. Er hätte Lust daran, ein deutsches Album zu machen.
it: Kannten Sie Peter zu diesem Zeitpunkt?
Königstein: Jetzt kommt der Hammer – ich habe nicht gewußt, wer er war. Ich kannte Genesis, habe sie aber nie gehört. Mich haben sie nicht interessiert. Ich bekam dann die Lamb Lies Down …- und die Solsbury Hill-LP, und die habe ich mir durchgehört. Von der Solsbury Hill-LP war ich beeindruckt. Die Genesis-Sachen waren mir zu kryptisch, so ornamental und zu verspielt. Das mochte ich nicht so sehr.
Ich habe dann vorgeschlagen, wir sollten uns treffen. Falls wir uns mochten, dann könnten wir auch herausfinden, ob wir zusammenarbeiten könnten. Also, ich war nicht an ihm interessiert, ich war kein Fan und hab‘ mich ihm deswegen auch nicht zu Füßen geworfen, sondern war sehr abwartend. Ich war ein voll ausprobierter Filmemacher mit einem lustigen Verhältnis zur Sprache, aber eben niemand, der ins Popgeschäft wollte.
it: Wie verlief dann Ihr erstes Treffen mit Peter?
Königstein: Es wurde ein Flug gebucht, und ich wurde in Heathrow abgeholt. Ein Hit & Run-Mann hat mich nach Bath expediert, und zwar gleich zu Peter Gabriel. Peter hatte dort dieses Farmhaus. Es war total kalt und feucht, und er stand da unten in seiner Küche und rührte ein Müsli-Süppchen an. Wir haben uns gegenseitig belauert. Jeder hat von sich etwas erzählt, und dann ist er mit mir in das ‚Barn‘ gegangen, ein Herrenhaus. Dort habe ich all diese Sachen gesehen, die er mit dem von ihm gerade entdeckten und geliebten Fairlight-Synthesizer machen wollte. Er hat mir Intruder und Games Without Frontiers vorgespielt. Das war schon in den Charts, aber das Album war noch nicht veröffentlicht. Peter hat mir dann in diesen Räumen, die eigentlich nur aus altem grauem Schiefergestein bestanden, die Sachen, die schon fertig gemischt waren, vorgespielt. Mir flogen wirklich die Ohren weg. Er hat mir erzählt, wie er bestimmte Sounds gesampelt hat. Das waren für mich damals böhmische Dörfer.
Am nächsten Tag habe ich seine Frau kennengelernt, er hat mir Bath gezeigt, und wir haben nur miteinander über uns geredet. Jeder hat sich dem anderen ein bißchen dargestellt. Ich habe gleich relativ viel über das Leben dort herausgefunden. Peter erzählte mir, daß Solsbury Hill eine Geschichte über die Empfängnis eines Kindes ist. Ich kriegte so den ganzen mystischen Kram mit, der mich eigentlich immer ein bißchen bei ihm gestört hat. Tja, und dann habe ich acht Wochen lang an den Texten gearbeitet.
it: Wie hat das mit den Übersetzungen funktioniert?
Königstein: Nun, ich habe versucht, nicht so sehr die Bedeutungen unmittelbar einzufangen, sondern vielmehr Äquivalente seines Singens. Das Englische sollte zum Deutschen Verbindung haben. „Eindringling“ z. B. ist eigentlich ein ganz altmodisches Wort, aber darin sind so viele merkwürdige Vokale enthalten. Ich fand, daß das mit Intruder zu tun hat. Oder Through The Wire – bei Durch Den Draht wird Peter hart. Das ist ja so eine sado-masochistische Phantasie. Peter Gabriel ist für mich, so wie ich ihn erlebte, einer der erotischsten Menschen, der wirklich ganz weich und amorph ist, aber der ein wirklicher Erotomane ist, geradezu aufgeladen von Sex. Ich habe versucht, dies in den Texten viel dramatischer zum Ausdruck zu bringen als im englischen Original.
it: Hatten Sie Probleme, die Vorstellungen, die Peter in seinen Texten hatte, umzusetzen, oder war alles klar?
Königstein: Also, es war nie klar (lacht). Wenn man so ein Lied wie Eindringling nimmt – das ist ein Lied, in dem es um jemanden geht, der in seine Wäsche wichst. Das habe ich aber auch nicht rausgelesen, das hat Peter mir erzählt. Er liest ja sehr viele Bücher. Manchmal ist dann ein Song wie die Antwort oder wie eine kurze Inhaltsangabe. Er hat z. B. etwas über Protokolle von Assassins gelesen und daraus eben Snapshot Into The Light (Red.: Familiy Snapshot) gemacht.
it: Wie haben Sie Peter die deutschen Übersetzungen nahegebracht?
Königstein: Zu meiner deutschen Übersetzung habe ich ihm immer eine Rückübersetzung gemacht.
it: Warum?
Königstein: Weil es ganz oft mit dem englischen Text nichts mehr zu tun hatte, sondern nur noch lautmalerisch war.
it: Mußten Sie musikalische Vorkenntnisse haben?
Königstein: Nein, ich war totaler Laie. Das ist auch eine gute Voraussetzung, sonst geht man nämlich viel zu kostbar mit einer Komposition um. Man muß sie auch zerstören wollen. Und das habe ich gründlich gemacht. Zum Beispiel „Geh weg, geh weg“, einfach nur so ein Schrei, den hat er ganz wunderbar gemacht. Dies konnte entstehen, weil ich ihm auch verschiedene Worte gab. Manchmal sagte er: „Es gibt noch andere Worte“, und da habe ich ihm einfach noch Worte genannt. Daraufhin sagte er: „Die Worte klingen noch besser, die würde ich gerne benutzen.“
it: Interessiert Sie weniger die Musik als das Gesprochene?
Königstein: Nein, beides gehört zusammen. Als ich damals anfing, mit Peter zu arbeiten, lernte ich, daß Sprache einfach zersungen werden kann und Sprache nicht nur wohltönend zum Abhören der Erzählung da ist – also die Verbindung, daß Sprache Musik ist und nicht Sprache auf Musik liegt. Das ist etwas, was ich von Peter gelernt habe und was man dann auch, glaube ich, dem Album anhört.
it: Absolut, ja. Wie kam es dann 1982 zu einer erneuten Zusammenarbeit für das vierte Album? War das vorher schon verabredet?
Königstein: Nein, das war ein ganz interessanter Moment. Peter hatte sich insoweit vorbereitet, und ich hab‘ gesagt: „Lass uns noch ein Album machen.“ Und er sagte: „Ja, ich glaub ich hätte Lust dazu.“ Und wir haben es in der Tat diesmal in zwei Wochen hingekriegt. Ich fand Rhythm Of The Heat ganz großartig, das Album insgesamt aber schwach – Peter selbst auch. Er fand, daß das Album wie eine Sackgasse war, und das hatte sehr viel mit privaten Krisen zu tun.
it: Das ganze war also nicht mehr so intensiv?
Königstein: Nein, es hat mich auch nicht mehr so interessiert.
it: Peter hat ja auch versucht, ein Album in anderen Sprachen herauszubringen. Was glauben Sie, warum außer in Deutschland so wenig Interesse daran bestand?
Königstein: Er wollte das, soviel ich weiß, in Spanisch und Französisch machen. Aber es gab einfach nicht genügend Initiative. Allerdings war auch die Kraft ein bißchen verloren.
it: Here Comes The Flood stammt ja weder vom dritten noch vom vierten Album. Wie kam es dazu, daß Peter gerade dieses Stück vom ersten Album in Deutsch aufnahm?
Königstein: Ich kannte es vorher gar nicht. Er spielte es mir vor, und es hat mich total verzaubert. Sie dürfen nicht vergessen, daß 1979/80 die Zeit der großen apokalyptischen Phantasien war: die AKW-Ängste, die Geschichte mit Star Wars, die atomare Bedrohung durch die Cruise-Missiles usw. So habe ich auch Here Comes The Flood eigentlich als ein Lied über eine abgeräumte Erde mit nur zwei Überlebenden verstanden. Ich habe mich völlig von seinem Text gelöst, aber das fand er gut so. Es ist ja live in einem kleinen Studio eingespielt worden, und das war für mich persönlich das intensivste Erlebnis, das ich je mit einem Sänger hatte. Ich habe ihm dieses Apokalypsen-Bild vertieft und habe ihm gesagt, daß für mich England die Piers ist, die alten Tanzpiers. Ich wollte Brighton – ein leeres Seebad, wo die Tiere an Land kriechen, und alles ist vernichtet. Dann sieht man so eine tangverhangene Pier, und am Ende der Pier gibt es einen funkelnden Palast, an dem schon die Farbe abblättert, und es spielt irgendeine Musik, und ein Paar tanzt. Und nur die beiden hören die Musik, die vielleicht gar nicht da ist.
it: Es gibt da noch einen anderen von Peter auf Deutsch gesungenen Titel, Ich und mein Teddybär. Haben Sie damit auch etwas zu tun, oder wer hat das gemacht?
Königstein: Nein, damit habe ich nichts zu tun. Ich weiß auch nicht, wer es gemacht hat.
it: Gab es bei Soauch eine Zusammenarbeit zwischen ihnen und Peter?
Königstein: 1985 war ich bei ihm, als So in den letzen Zügen lag. Es gefiel mir gut. Wir haben über jeden Titel gesprochen, und da war auch sein Privatleben wieder geklärt. Es war ein Album, das eine Heiterkeit und Gelassenheit hatte. Ich habe ihm gesagt: „Lass uns doch ein Album machen, wo nur zwei oder drei Titel deutsch sind, oder mach eine EP.“
it: Es gab also durchaus die Idee, daß auch So übersetzt werden sollte?
Königstein: Ja, dann zeigte sich aber, daß alles schon so weit gediehen und die Promotionmaschinerie angelaufen war, daß die Firma es nicht wollte.
it: Wie kam es dazu, daß Peter Jetzt kommt die Flut 1984 bei Ihrer Fernsehsendung Haus Vaterland gesungen hat?
Königstein: Die Idee von Haus Vaterland war, daß deutsche Mythen auf junge Künstler treffen. Ich wollte, daß Bilder aus deutscher Unterhaltungsgeschichte aufeinander treffen. Ich finde, daß Peter auf rätselhafte Weise da rein gehört. In Sendungen von mir sind Sachen zu sehen, die er nur für mich gemacht hat. Das war, wie gesagt, einmal die Sendung Haus Vaterland, wo er Jetzt kommt die Flut gesungen hat. Und dann war da Reichshauptstadt privat mit Illusions. Beides sind ja Unikate. Nie hat jemand Friedrich Holländer besser gesungen als Peter, und er hat sich gequält mit dem Song. Aber er hat das als Freundschaftsdienst gemacht. Das entstand 1987 während der Tour. Wir konnten nicht in ein Studio gehen, also haben wir es auf der Tourbühne gedreht. Er hat zwei Wochen lang geübt und war fix und fertig. Er hat Illusions nachher nie wieder gesungen. Ich habe mich übrigens nur getraut, ihm das anzutragen, weil ich mitbekam, daß er bestimmte Popsongs auf eine strange Art und Weise singen kann. 1980 habe ich ein Konzert von ihm in Bristol gesehen. Vorher haben wir sehr viel über Abba gesprochen, und ich habe gesagt, daß mein Lieblingslied The Winner Takes It All ist. Da hat er es mir als Geschenk in Bristol gesungen.
it: Haben Sie regelmäßig Peters Konzerte gesehen?
Königstein: Ja, ich habe mir alles angeguckt. Die Inszenierung von Lepage (Red.: Secret World Tour 1993) ist eindrucksvoll gewesen. Ich habe bei drei Tourneen, wann immer er deutsch gesungen hat, mit ihm nochmal geübt. Er hat ja bei der ersten Tour – die mit den schwarzen Overalls und diesen Grubenlampen – die meisten deutschen Titel gesungen. Da hatte er richtig gebimst, richtig gearbeitet. Da kannte er alles auswendig. Die Leute sind niedergekniet. Es war eine irre Stimmung.
it: Würden Sie das Ganze heute noch einmal machen?
Königstein: Ich würde jederzeit wieder mit ihm arbeiten. Aber ein ganzes Projekt? Ich glaube, man kann es einfach nicht wiederholen. Es war die Zeit, in der wir alle etwas in Deutsch sagen wollten. Ich wollte etwas als Künstler sagen, und er auch. Und das kommt so nicht wieder zusammen. Peter wird seine Rolle neu definieren müssen. Man kann als Singer/Songwriter, als Erzähler mit Musik, noch ein paar Jahrzehnte guthaben. Aber man muß auch aufpassen, daß man nicht in den Pomp und die Peinlichkeit abrutscht. Gerade die alternden Künstler von Genesis sind ja in einer extrem schwierigen Situation. Auf der einen Seite sind sie Träger von Fahrstuhlmusik geworden, Genesis allen voran. Genesis bedienen jetzt die 40-50jährigen. Das ist Musik für nett eingerichtete Wohnungen. Aber es ist keine Musik mehr, die wie ein Störfaktor ist. Und wenn Peter Gabriel etwas wollte, dann wollte er Störfaktor sein. Wenn ich Phil Collins höre, dann schalte ich ab. Das kann ich nicht mehr hören, seine ganzen Pastichen von Diana Ross-Titeln. Es gab Sachen, die habe ich gerne gehört. Das erste Album, Face Value, fand ich grandios. Allerdings konnte man da bestimmte Sachen hören, die er von Peter übernommen hat, z.B. dieses „Hardcore drumming“, das man nur in Steinhöhlen aufnimmt. Das ist bei Intruder genauso wie bei In The Air Tonight. Es sind bestimmte Sachen, da merkt man, daß die Keyboard-Sounds und die Drum-Sounds sehr ähnlich sind.
it: Haben Sie noch Kontakt zu Peter?
Königstein: Ja, wir haben uns jedesmal gesehen, wenn er hier war. Alle ein, zwei Jahre treffen wir uns auch mal in London oder New York. Peter meint, wir würden noch einmal was zusammen machen. Ich sehe das eigentlich nicht so. Ich weiß nicht, er braucht ja immer unglaublich lange für seine Arbeiten. Er war in vielem Bastler und Spieler-Avantgardist. Alles, was er jetzt mit Apple zusammen erarbeitet hat, diese CD-ROMs, das machen jetzt auch andere. Peter wird sicherlich in eine echte Krise kommen. Er wirkt sehr weich, aber er ist ein absoluter Beherrschertyp. Wir haben beide auch harte Zeiten miteinander gehabt, weil ich auch sehr autoritär sein kann. Es war spannend, ganz spannend. Ich möchte keine Sekunde vermissen. Es ist die größte avantgardistische Arbeit, mit der ich zu tun hatte.
Vielen Dank nochmals an Horst Königstein für die geduldige Beantwortung all unserer Fragen!
Interview: Bernd Zindler + Peter Schütz
Transkription: Peter Schütz
Fotos: Peter Schütz (1997) / unbekannt (Königstein und Gabriel)