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Interview mit Glen Colson zum Genesis Archive Projekt
Im Oktober 1995 kam es auch zu einem Interview in London mit Glen Colson, der das Genesis Archive-Projekt anfangs koordinierte.
Glen Colson gehört zu den Personen im Genesis & Co.-Umkreis, die zwar mit der Musik an sich nichts zu tun haben, aber dennoch auf die eine oder andere Art eng mit der Band verbunden sind. Er war bereits für die Zusammenstellung der (sehr gelungenen) Famous Charisma Box verantwortlich, die 1993 erschien, und ist nun seit einiger Zeit damit beschäftigt, für Virgin Records das Genesis-Box-Set Archive auf die Beine zu stellen. In diesem Glen Colson Interview geht es um seine Arbeit an dem Genesis Archive Box-Set.
Das Glen Colson-Interview
(13. Oktober 1995 – London)
it: Weißt du, warum die erste der Genesis-Boxen nun doch nicht mehr vor Weihnachten erscheinen soll und weswegen der Veröffentlichungstermin aufs nächste Jahr verschoben wurde?
Glen: Nein! Es ist alles komplett fertiggestellt, und die Songs sind abgemischt. Aber ich weiß wirklich nicht, warum sie nicht mehr vor Weihnachten erscheinen soll.
it: Kannst du uns Näheres über die Stücke erzählen, die auf der ersten CD enthalten sind?
Glen: Viele dieser Tracks sind Demo-Versionen von Songs, die sie vor ihrem ersten Album aufnahmen, und sie stammen aus den Jahren 1967 und 1968.
Die Plattenfirmen wollten eine solche Box. Genesis wollte aber nicht – bis jetzt!
it: Wer hatte ursprünglich die Idee, diese drei Boxen zu machen? War das eine Idee der Band oder von Virgin?
Glen: Virgin genauso wie Atlantic in Amerika hatte seit Jahren versucht, eine Box zu veröffentlichen. Sie haben immer wieder versucht, die Band dazu zu überreden. Genesis wollte aber nicht! Jetzt aber sind sie dazu bereit, und sie suchten jemanden, der zwischen ihnen und der Plattenfirma steht – und das bin ich. Davor war es immer jemand von der Plattenfirma, der diesen Job übernehmen wollte, und vielleicht trauten sie ganz einfach nicht den Plattenfirmen. Ich bin so eine Art Mittelsmann. Also ich arbeitete für Genesis, und ich arbeitete für Plattenfirmen, dadurch wird alles etwas unkomplizierter.
Ich kann mich auf der „Farm“ aufhalten, ich kann Phil Collins ein Fax schicken, wenn ich das möchte. Und ich kann zu Tony Smith gehen und mir in seinem Büro alle möglichen Fotos der Band anschauen. Ich kenne nun mal jeden dort, und es gibt wohl sonst niemanden, der so viele Leute bei der Plattenfirma kennt wie ich. Das war wohl auch einer der Gründe, weswegen ich diese Aufgabe bekam. Wahrscheinlich war vorher einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um diese Boxen zusammenzustellen, die Genesis gerne auf drei Jahre verteilen möchte.
it: Warum möchten sie gerade jetzt diese Boxen herausbringen? Was hat ihre Meinung geändert?
Glen: Ich habe keine Ahnung! Ich meine, am Geld kann es wohl nicht liegen. Sie alle haben Häuser, Autos, Frauen… das Geld brauchen sie wirklich nicht!
it: Wie hast du mit der Arbeit an der ersten Box angefangen?
Glen: Ich stellte zunächst eine Liste mit allen Songs zusammen, von denen ich wusste, daß sie noch nicht veröffentlicht worden waren, oder an die sehr schwer heranzukommen ist, wie zum Beispiel Twilight Alehouse oder Happy The Man. Silver Song stand auch auf dieser Liste, sie wollen dieses Stück allerdings noch immer nicht veröffentlichen, da sie es irgendwie nicht mögen. Ich war sehr vehement darauf bedacht, dass nur Material enthalten sein sollte, welches noch nicht erschienen ist. So kam es also dazu, dass die beiden einzigen Lieder, die vorher bereits erhältlich waren, Happy The Man und Twilight Alehouse sind. Diese beiden Tracks sind aber so rar, dass es nicht weiter schlimm ist.
Das Problem war, das gewünschte Material zu finden.
Die Band war mir bei der Sache sehr behilflich, was ich nicht unbedingt erwartet hätte. Es ist eine langatmige Angelegenheit, mit ihnen zu tun zu haben, da sie entweder auf Tour sind oder im Ausland wohnen. Anfangs dachte ich, ich könne alles in einem Monat zusammenstellen, da ich genau wußte, welche Songs ich in der Box haben wollte. Das Problem war aber, das gewünschte Material zu finden. Sie haben ein Unmenge von Aufnahmen verloren. Über hundert Stücke sind einfach weggeschmissen worden!
it: Wer war noch involviert, war jeder in der Band daran beteiligt?
Glen: Ja, den Einzigen, den ich bisher nicht gesehen habe, ist Phil Collins. Ich habe mit ihm nur per Fax korrespondiert. Peter Gabriel hat Supper’s Ready und das komplette Lamb-Album nochmal gesungen. Sie dürften einige Teile daraus verwendet haben, speziell an den Stellen, wo er damals schlecht an das Mikrophon herangekommen ist. Ich weiß, dass er im Besitz der Master-Bänder ist. Beim Suchen in den Genesis-Archiven haben wir übrigens die Live-Tapes von der Lamb-Tour gefunden.
Sie haben drei Orte, an denen sie ihre Bänder aufbewahren. Zunächst sind da die sogenannten „Security Archives“, die unter der Obhut von Virgin stehen. Der zweite ist direkt auf dem Gelände von „The Farm“. Der dritte befindet sich in der Nähe des London Airport und ist gewaltig, weil alle möglichen Künstler dort ihre Sachen lagern: The Beatles, Elton John, die Rolling Stones. Ein Typ namens Bill Harrison leitet dieses Archiv, und er fordert die Leute dazu auf, ihre Dinge dort wöchentlich abzuliefern. Sie bewahren dort alte Fernsehbühnenbilder, Scheinwerfer und alles mögliche andere auf. Das einzige, was ich dort nicht gesehen habe, sind Musikbandausrüstungen sowie Instrumente. Also wie gesagt, die Suche nach den gewünschten Aufnahmen und Durchstöbern des alten Materials war sehr zeitaufwendig, da alles von vor 1975 stammte. Unterstützt wurde ich unter anderem von Geoff Callingham sowie Simon Hopkins von Virgin.
it: Es ist für uns sehr schwer vorzustellen, dass Peter Gabriel in seinem Studio in Box das komplette Lamb-Album noch einmal gesungen hat!
Glen: Das geht mir auch so. Es dauerte sehr lange, bis er sich wieder an dieses Werk gewöhnt hatte. Er arbeitet sehr, sehr langsam. Er ist langsamer als eine Schnecke. Aber wenn er etwas abliefert, ist es immer fantastisch.
Auch Steve Hackett und Anthony Phillips sind beteiligt
it: Waren auch Steve Hackett und Anthony Phillips beteiligt?
Glen: Steve hat mir ebenfalls geholfen. Er kam ins Studio und hat, soweit ich weiß, einige Teile von The Lamb neu eingespielt. Mit Ant habe ich einige Male am Telefon gesprochen, und auch er hat noch ein paar alte Aufnahmen bei sich gefunden.
it: Von wem hast du die Fotos bekommen?
Glen: Ich bekam sie von Richard Macphail und Armando Gallo. Auch Tony Banks hat mir sehr viele rare Bilder zur Verfügung gestellt, auf denen unter anderem John Silver abgelichtet wurde, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Mike Rutherford hatte ebenfalls sehr viel Material. Am Ende hatte ich Hunderte von Fotos.
it: Wieviele dieser Bilder sind in dem Booklet enthalten?
Glen: Sehr viele … über einhundert Fotos sind es wohl! Ein Großteil davon ist gänzlich unbekannt. Ich denke, daß die erste Box sehr aufregend für alle Fans der „alten Zeit“ sein wird. Sie wird für sie wie ein Schatz sein.
it: Befinden sich auch Aufnahmen von From Genesis To Revelation auf der ersten CD?
Glen: Ja, einige Demo-Aufnahmen von Songs dieses Albums sind darauf enthalten.
it: Du hast also auch mit Jonathan King zusammengearbeitet?
Glen: Ja, er hat etwas für das Booklet geschrieben. Er kennt das Musikgeschäft sehr genau, aber vielleicht weiß er viel mehr über das Musikbusiness als über die Musik an sich.
Chris Welch und Ed Goodgold haben Beiträge für das Booklet geschrieben
it: Wer außer Jonathan King hat etwas für das Booklet geschrieben?
Glen: Da wäre zunächst der erste Journalist überhaupt, der über Genesis berichtete, Chris Welch. Dann hat Ed Goodgold, der eine Zeitlang ihr Manager in Amerika war, etwas beigetragen. David Stopps hat in England für Genesis in den frühen Tagen ihrer Karriere sehr viel geworben. Auch er hat etwas im Booklet geschrieben. Er leitete einen Club namens „Friars“ in Aylesbury. Er hat wirklich viel für Genesis getan und war dabei behilflich, ihnen eine begeisterte Anhängerschaft zu besorgen. Und er hatte einen guten Club, und Genesis war eine gute Band. Richard Macphail hat ein paar Worte geschrieben, und auch Tony Banks, der in seinem Beitrag erklärt, warum bestimmte Songs ausgewählt wurden. Tony Banks war eine der hilfreichsten Personen bei den Arbeiten zur ersten Box.
it: Werden auch Tourdaten in dem Booklet enthalten sein?
Glen: Nein, das war zunächst zwar vorgesehen, aber die vorhandenen Daten waren nicht ausführlich genug. Einige Informationen fehlten, und der einzige, der diese Lücken schließen kann, ist Phil Collins. Das Problem ist nur, daß ich seine Tapes momentan nicht finden kann. Das wird sich hoffentlich in den nächsten Wochen ändern, aber seitdem er umgezogen ist, wurde alles etwas schwieriger. Er weiß im Moment einfach nicht, wo seine Aufzeichnungen geblieben sind. Aber sobald ich an diese Daten herankomme, werde ich eine akkurate Liste zusammenstellen und diese entweder in der nächsten Box oder der CD-ROM veröffentlichen.
it: Kannst du beschreiben, wie die Box aussehen wird?
Glen: Sie sieht wie die Erstauflage eines antiken, zweihundert Jahre alten Buches aus, daß in braunem Leder gebunden ist. Es trägt in Gold die Aufschrift Genesis Archive Volume One 1968-1975. Wenn man es aufklappt sind links und rechts je zwei CDs und das Booklet ist fest in der Mitte eingeheftet.
it: Denkst du, dass Volume Two des Genesis Archive einfacher zusammenzustellen sein wird, da dieses Material nicht so alt ist?
Glen: Sehr viel leichter, da sich alle Tapes aus der Zeit vor 1975 an allen möglichen Orten befanden. Niemand wusste so recht, wo genau die Bänder lagern. Seitdem allerdings Tony Smith das Management übernommen hat, fing dieser auch an, ihre Geschäfte in Ordnung zu bringen, und deswegen befindet sich von da an alles unter Verschluss. Alles, was sie noch tun müssen, ist, diese Aufnahmen aus den Archiven zu holen.
Zwei weitere Boxsets sind geplant und die dritte wird eine CD-Rom enthalten
it: Gibt es schon Details darüber, was auf den CDs der zweiten Box sein wird?
Glen: Im Moment wollen sie an die zweite Box noch nicht einmal denken. Sie wird sich aber mit den nächsten sechs Alben beschäftigen, also der Zeit von 1975 bis 1980/1981. Bei der dritten Box sieht es so aus, dass bereits viel Live-Material auf den The Way We Walk-Alben enthalten ist. Dadurch habe ich auch den Platz für die CD-ROM gewonnen. Die vorerst letzte Box wird also drei CDs und eine CD-ROM beinhalten. Der zweite Teil des Genesis Archive wird aber hoffentlich wieder viele unveröffentlichte Aufnahmen umfassen, wie beispielsweise Demo-Versionen, Jam-Sessions von Abacab, Single B-Seiten und spezielle Mixe. Alle möglichen Dinge also, die im ersten Teil nicht zu finden sind, da sie so etwas in den frühen Jahren auch ganz selten aufgenommen haben.
it: Wird auch Live-Material in der zweiten Box enthalten sein?
Glen: Nun, das weiß ich wirklich noch nicht. Wie bereits erwähnt, habe ich mich bisher noch nicht einmal mit ihnen zusammengesetzt. Ich möchte aber auf jeden Fall, daß alle drei Boxen Aufnahmen enthalten, die vorher unveröffentlicht waren oder die nur sehr schwer zu bekommen sind. Es gibt meiner Meinung nach keinen vernünftigen Grund, Material herauszubringen, was es bereits vorher zu kaufen gab.
it: Was wird sich auf der CD-ROM befinden?
Glen: Wir werden allen Bandmitgliedern freie Hand bei dem lassen, was sie machen möchten. Peter Gabriel wird etwas beitragen. Auch Tony Banks, der sich seit einiger Zeit intensiver mit Computern beschäftigt hat, wird ebenfalls am Inhalt mitarbeiten. Die CD-ROM wird Hunderte von Fotos, Zeitungsausschnitte, Filmmaterial sowie Videos, Musik und Plattencover beinhalten. Ich werde zudem alle Original-Plattencover „einscannen“ und auf diese Scheibe pressen lassen. Speziell für diesen Zweck habe ich mir ein Apple Macintosh-Gerät gekauft, um diese Aufgabe selber zu übernehmen.
Adrian Boot bringt mir alles bei. Er ist derjenige, der mit mir diesen Silberling machen wird. Er ist ein sehr bekannter Fotograf, und er hat auch bereits ein Programm für diese CD-ROM geschrieben. Wir hatten eine Idee und haben diese Tony Smith und der Band vorgestellt. Sie gaben uns jetzt den Auftrag, diese Idee zu benutzen und die CD-ROM zu machen. Das Ganze wird den Namen Genesis Attic tragen, und alles wird im „Cottage“, dort wo sie früher viele Songs geschrieben haben, beginnen. Man steigt durch ein Fenster des „Cottage“ und betritt dann den Dachboden dieses Hauses. Dort findet man alle möglichen interessanten Dinge. Es gibt keinerlei Hinweise oder Anleitungen, was man zu tun hat. Man „klickt“ einfach die Gegenstände an, die man näher betrachten möchte.
Die CD-Rom wird besser sein als Peters XPLORA1
it: Ihr wollt also Peter Gabriels XPlora1 schlagen?
Glen: Ja, diese CD-ROM wird besser sein. Leider kostet das Ganze sehr viel Geld. Man hat jetzt eine Videodarstellung entwickelt, die den ganzen Bildschirm ausfüllt. Wir werden diese Erfindung eventuell verwenden, so dass jedes Mal, wenn man etwas „anklickt“, die Bilder auf dem kompletten Schirm zu sehen sein werden. Zudem werden beispielsweise die Filmsequenzen in Echtzeit dargestellt werden. Es wird nicht mehr diese ruckelnden Bewegungsabläufe geben.
it: Wer bezahlt dieses ganze Projekt?
Glen: Tony Smith.
it: Stimmt es, dass es Probleme gab, das Master-Band von Twilight Alehouse zu finden?
Glen: Nun, wir haben es letztendlich gefunden. Es befand sich im Virgin-Archiv. Wir mussten außerdem drei Tracks von der BBC kaufen. Es handelt sich dabei um die „Night Ride”-Session, bei der die Songs Pacidy, The Shepherd, Let Us Now Make Love und Stagnation gespielt wurden.
it: Ein Stück, das ebenfalls bei dieser „Night Ride”-Session aufgenommen wurde, ist Dusk. Leider ist dieses Lied verlorengegangen. Gab es keine Möglichkeiten, Dusk doch noch irgendwo zu finden?
Glen: Nein, ich habe selber mit dem Archivar der BBC, Phil Lawton, gesprochen. Er war es übrigens auch, der mir die DAT-Kopien der Master-Tapes gab.
it: Viele Fans haben ein großes Interesse an Filmmaterial. Ist es vorstellbar, dass es auch eine Videoauflage des Genesis Archive gibt?
Glen: Im Moment bin ich gerade auf der Suche nach dem einstündigen Film Tony Stratton-Smith Presents Genesis In Concert. Leider kann ich die Master-Bänder nicht finden. Ich würde dieses Konzert sehr gerne veröffentlichen, aber wen ich auch gefragt habe, niemand wusste, wo diese Aufnahme geblieben ist.
Interview: Bernd Zindler und Helmut Janisch
Transkription + Übersetzung: Bernd Zindler
zuerst veröffemtlicht in it-Magazin #17, Dezember 1995
Vielen Dank nochmals an Tony und Glen, die so viel Zeit für uns geopfert haben, und an Carol Willis-Impey, die das Treffen mit Tony erst ermöglichte.
Glen wurde zwischenzeitlich übrigens von Hit & Run angewiesen, keine weiteren Informationen mehr über das Box-Set herauszugeben, was wir sehr bedauerlich finden.
Ein weiteres Interview zum Genesis Archive Projekt führten wir einen Tag zuvor auf der Farm in Surrey mit Tony Banks. Das Interview findet ihr hier.
Genesis Archive 1967-1975 erschien schließlich am 22. Juni 1998. Eine ausführliche Rezension dazu findet ihr hier.