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Interview mit Daryl Stuermer (2000)

Dieses Interview führte Club-Mitglied Andreas Bonder mit Daryl Stuermer via Telefon im Juni diesen Jahres (2000)

 

it: Zunächst einmal möchten wir dir zur Veröffentlichung deines Albums gratulieren. Welche Plattenfirma steckt dahinter, und wie kann man

Another Side Of Genesis erwerben?

Daryl: Die Plattenfirma heißt Urban Island Music. Es handelt sich dabei um ein unabhängiges Label. Ich bin einer der Inhaber. Das Album ist über das Internet zu beziehen. In Europa müsste man es über „amazon.com“ kaufen können. Deweiteren kann man die CD über meine Website unter „darylstuermer.com“ bestellen. Wir haben bisher für dieses Album keinen Vertriebsweg für Europa gefunden. Sobald wir einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben, wird die CD auch in den Plattenläden erhältlich sein.

it: Wie haben sich Genesis – speziell Tony, Mike und Phil – zu deinem Projekt geäußert?

Daryl: Nun, ich habe erst vor kurzem die fertige CD an die drei verschickt. Bisher wusste nur Phil, das ich am diesem Projekt gearbeitet habe. Ich sandte ihm bereits vor einem halben Jahr eine Vorabversion des Albums auf CD, und die Musik schien ihm zu gefallen. Er spielte die CD in seinem Auto und sang dazu, da alle Stücke instrumental sind. Manchmal konnte er sich dabei nicht mehr an die Texte erinnern.

it: Wieso befinden sich so viele Stücke von Invisible Touch und We Can’t Dance auf dem Album?

Daryl

Daryl: Ich wollte nur Stücke von 1978 bis 1992 verwenden, da dies die Jahre waren, in denen ich mit der Band spielte. Ursprünglich wollte ich noch ganz andere Lieder verwenden als die, die sich letztendlich auf dem fertigen Album befinden. Ich fand aber heraus, dass sich ein Großteil der Stücke, die mir vorschwebten, nicht auf instrumentale Musik übertragen lassen. Die Songs, die ich benutzte, ließen sich sehr gut umsetzen. Bei vielen anderen Tracks gelang mir das nicht.

Invisible Touch und

We Can’t Dancemachten auf mich den frischesten Eindruck, da sie die letzten beiden Werke waren, die ich spürbar miterlebte.

it Wir würden gerne auf jeden Song des Albums etwas näher eingehen. Was kannst du uns zum Beispiel über Follow You Follow Me berichten?

Daryl: Ich überlegte, welcher Song 1978, als ich zu Genesis kam, mir am meisten bedeutete. Meine erste Tour war die And Then There Were Three-Tour. Follow You Follow Me sorgte bei Genesis für mehr Popularität. Sie hatten nie zuvor einen Song in den Top Ten-Hitlisten. Dieses Stück war, so denke ich, sehr wichtig für die Band, da es die Gruppe noch bekannter machte, als sie sowieso schon waren. Des weiteren dachte ich darüber nach, ob ich alles so wie auf dem offiziellen Album aufnehmen sollte. Ich entschied mich dazu, zwar das gleiche Tempo beizubehalten, dem Ganzen aber einen Latino-Stil und somit ein anderes Gefühl zu geben. Hold On My Heart war das erste Stück, welches ich bei diesem Projekt aufnahm. Der Gedanke war, sowohl eine bekannte als auch – wie soll ich sagen – nicht zu alte Nummer auszusuchen. Ich habe es immer gemocht, und es waren tolle Momente, als wir Hold On My Heart live präsentierten.

Auf Takin‘ It All Too Hard fiel die Wahl, da ich mir vorgenommen hatte, von jedem Album von 1978 bis 1992 mindestens ein Stück auszuwählen. Ich finde es schade, dass wir es niemals auf einer Tournee gebracht haben. Wir haben es bei den Tour-Rehearsals geprobt, aber schlussendlich niemals live gespielt. Ich habe immer den Groove dieser Nummer gemocht, und ich habe das Tempo gegenüber dem Original etwas angehoben.

Bei Throwing It All Away war es ähnlich wie bei Hold On My Heart. Auch hier spielte ich live den Bass. Ich veränderte das Ende des Songs und spielte ein langes Gitarren-Solo. Ich mochte den Aspekt, dass Amy den Hintergrund-Gesang übernahm. Es war für mich eine klarer Wunsch, dieses Lied aufzunehmen; besonders, weil ich es mit großartigen Momenten verbinde.

Bei dem Auftritt in der Serie Storytellers auf MTV spielten Brad Cole und Phil eine tolle Version von Since I Lost You. Ich wollte etwas ähliches machen und entschied, als Instrumentierung nur Gitarre und Keyboards – also akustisches Klavier und Syntheziser – zu verwenden. Since I Lost You gehört nicht zu meinen Lieblingssongs auf We Can’t Dance. Ich bin aber mit unserer Umsetzung sehr zufrieden.

Land Of Confusion wollte ich mit viel Energie behaften, so wie es besonders live immer ‚rüberkam. Ich wollte dem Ganzen aber gleichzeitig eine jazzige Note verleihen. An diesem Punkt des Albums fließen zunehmend elektrische Elemente ein.

Bei In Too Deep spielte ich live immer Bass. Es ist eine großartige Ballade von ihnen. Die Erinnerungen an dieses Stück beziehen sich in erster Linie auf die Invisible Touch-Tour. Ich liebe diese Tournee. Ich denke, dass die Band zu dieser Zeit ihren musikalischen Höhepunkt erreicht hatte.

Das nächste Lied auf der Scheibe ist Turn It On Again. Genesis sind sehr bekannt für dieses Stück. Es vertritt mehr die elektrische Seite meines Albums. Ich betrachtete Duke und versuchte auch andere Stücke wie beispielsweise Misunderstanding und Guide Vocal. Wir überlegten eine zeitlang sogar, ob wir Cul-De-Sac probieren sollten. Am Ende fiel die Entscheidung aber auf Turn It On Again.

Wir spielten die folgende Nummer, Man On The Corner, genauso wie Turn It On Again auch live bei Konzerten. Ich habe gute Erinnerungen daran. Phil setzte sich auf die Boxen, die am Rand der Bühne aufgebaut waren, um dieses Lied zu singen. Er war also im wahrsten Sinne der „Mann an der Ecke“. Ich hatte das Gefühl, dass ich Man On The Corner gut umsetzen könnte.

Zu No Son Of Mine kann ich sagen, dass ich es von allen Songs auf We Can’t Danceam liebsten spielte. Ich hielt mich sehr an das Tempo und die Stimmung des Originals. Es hat zudem ein langes Gitarrensolo am Ende.

Das letzte Lied der CD ist Never A Time, und ich liebte es auf We Cant’t Dance. Wir haben es damals auch für die Tournee geprobt. Sie hatten aber den Eindruck, dass es Throwing It All Away zu ähnlich wäre, welches sich live einfach besser eignete. Ich stimme da mit ihnen überein. Ich veränderte den Schluss des Songs auf meine Art und spielte ein paar andere Akkorde während des Gitarrensolos.

it: Du erwähntest einmal, dass Los Endos eines deiner absoluten Lieblingsstücke von Genesis sei. Gab es Überlegungen, dieses Stück mit aufzunehmen auch wenn es zwei Jahre vor deiner ersten Zusammenarbeit mit Genesis entstand?

Daryl: Ich hätte diese Nummer eventuell wirklich verwendet. Ich wollte aber an dem Konzept, also nur Material von 1978 bis 1992 zu verwenden, festhalten. Ich überlege zur Zeit, Los Endos bei Konzerten mit meiner eigenen Band live zu spielen.

it: Was soll das Cover-Artwork im Zusammenhang mit Genesis bedeuten?

Daryl: Ich wollte ein Cover entwerfen, das auch für ein Genesis-Album hätte verwendet werden können, was den Stil angeht. Das Ganze entwickelte sich dann im Laufe der Zeit immer mehr. Das Artwork basiert auf den Arbeiten des deutschen Künstlers Gustav Klimt. Für meine Frau und mich ist er einer unserer Lieblingskünstler. Wir wollten also ein Produkt, das ein wenig nach seinen Arbeiten aussieht. Es sollte eine Mischung aus dem werden, was Genesis machen würde, angereichert mit den Einflüssen von Gustav Klimt. Eine Künstlerin hier aus Milwaukee hat das Cover gestaltet und Klimt ist auch ihr Lieblingsmaler.

it: Was kannst du uns zu den verschiedenen stilistischen Elementen sagen, die auf Another Side Of Genesis vertreten sind?

Daryl: Nun, ich habe die Hälfte aller Songs mit einer Akustikgitarre aufgenommen. Ich denke, dass sich Stücke wie Land Of Confusion und Turn It On Again nicht sehr gut für Unplugged-Versionen eignen. Follow You Follow Me und Since I Lost You unterscheiden sich von den Originalen. Dort sind Unplugged-Elemente enthalten. Ein Track wie Hold On My Heart benötigt einfach die originalen Akkorde und Sounds, da es sich sonst nach nichts anhört. Ich benutzte das gleiche Keyboard wie Tony Banks, und versuchte, den gleichen Streicher-Sound wie beim Original erklingen zu lassen. Nur so hört es sich wirklich gut an.

it: Du hast den Schluss von No Son Of Mine komplett verändert. Es muss Spaß machen, deine Version live zu hören.

Daryl: Wir spielen diese Nummer tatsächlich demnächst live. Insgesamt präsentieren wir noch fünf weitere Stücke von diesem Album dem Publikum bei Konzerten. Wir spielen Follow You Follow Me, Takin‘ It All Too Hard, Land Of Confusion, Turn It On Again, Since I Lost You und No Son Of Mine. Vielleicht kommt auch noch Throwing It All Away dazu. Von Live And Learn präsentieren wir übrigens folgende Nummern: Icarus‘ Banjo, Morning Train, Urban Island, American Fields und Deadline. Sogar von meinem ersten Solo-Album, Steppin‘ Out, haben wir Material in den Set eingebaut. Es handelt sich um die instrumentale Version von I Don’t Wanna Know und Anthem. Ich würde sehr gerne für Shows nach Europa kommen. Toll wäre, wenn sich eine Musikinstrumenten-Firma bereit erklären würde, eine solche Tournee zu sponsern. In Deutschland würde ich liebend gerne spielen.

it: Was ist dein Lieblingssong auf dem Album – wenn es überhaupt einen gibt?

Daryl: Diese Frage wurde mir neulich schon einmal gestellt. Es ist wirklich schwer, dies zu beantworten. Bei den Aufnahmen musste ich immer wieder feststellen, dass jeder Song zu meinem liebsten wurde. Ich weiß nicht, ob das bekannt ist, aber eigentlich arbeitete ich zu jener Zeit gerade an einem neuen Album mit eigenen Kompositionen. Zunächst dachte ich daran, ein Lied von Künstlern wie Sting oder James Taylor mit auf diesem Werk zu verewigen. Dann kam mir die Idee, einen Song von Genesis zu verwenden. Ich war mit dem Ergebnis von

Hold On My Heart so zufrieden, dass ich zwei weitere Tracks aufnahm, um dann zu entscheiden, welche dieser drei Aufnahmen ich letztendlich aufs Album bringen würde. Nachdem alles im Kasten war, stellte ich fest, dass hier eine Art Konzept ablief. Ich entschloss mich also, ein ganzes Album mit Genesis-Coverversionen aufzunehmen und war bei jedem Lied überzeugt, an meinem Lieblingsstück zu arbeiten. Am häufigsten habe ich vermutlich No Son Of Mine abgespielt – aber mich da festzulegen, fällt mir sehr schwer.

it: Wie sehen die Promotion-Pläne für Another Side Of Genesisaus?

Daryl: Wir versuchen, wie bereits erwähnt, einen Vertrieb für das Album in Europa zu finden und einen entsprechenden Vertrag zu schließen. Danach werden wir an einem Plan arbeiten, das Marketing auf die Beine zu stellen. Speziell in England und Deutschland gibt es sehr große Genesis-Fans. In Frankreich oder Italien gibt es auch eine Menge Fans, aber die meisten E-Mails erhalten wir aus Deutschland. Bei euch gibt es viele loyale Anhänger – viel mehr übrigens als hier in den Vereinigten Staaten.

We Can’t Dance verkaufte sich sehr gut in Deutschland, und ich wünsche mir eine Reunion von Genesis bei der wir live in Deutschland und dem Rest von Europa spielen können.

it: Wie können wir uns die Alben mit den Coverversionen von Elton John- und Billy Joel-Songs, die du mit dem Keyboarder Kostia aufgenommen hast, vom musikalischen Stil her vorstellen?

Daryl: Wenn ich in Alben wie diesen involviert bin, läuft dies in der Regel über eine andere Plattenfirma. Meistens haben solche Werke kein Schlagzeug. Vergleichbar sind die Songs mit meiner Version von Since I Lost You. Das Ganze geht also etwas in eine orchestrale Richtung ohne Schlagzeug. Das Elton John-Album wurde nur mit Gitarren und Keyboards, das Billy Joel-Werk nur mit Bass, Gitarren und Keyboards aufgenommen. Another Side Of Genesis unterscheidet sich insofern von diesen Projekten, da ich dort auch ein Schlagzeug bei den Stücken verwendete.

note

it: Gibt es Pläne für die Zukunft?

Daryl: Zunächst gibt es für mich und meine Band einige Konzerte, die wir geben wollen. Von Hit & Run gab es Andeutungen über ein neues Album von Phil Collins und eine mögliche Tournee in der Zukunft. Darüber hinaus sprach man auch über eine mögliche Big Band-Tour. Das Management muss ja zunächst prüfen, ob alle Musiker überhaupt für eine Tournee zur Verfügung stehen …

it: … für eine Big Band-Tour?

Daryl: Ja, genau.

it: Er kursieren große Gerüchte …

Daryl: … es wird kein Reunion-Konzert im Wembley-Stadion geben! Ich habe keinen einzigen Brief erhalten, der als Inhalt Hinweise auf irgendwelche Shows in der nahen Zukunft hatte. Peter Gabriel will sicher keine Reunion machen, denke ich. Ich kann mir aber vorstellen, dass Tony, Mike und Phil etwas mit mir und Chester in der Zukunft machen möchten. Aber es gibt weder einen Termin noch eine aktuelle Diskussion zu diesem Thema.

it: Kannst du dir eine Zukunft mit Genesis vorstellen?

Daryl: Viele Leute sagen, dass es mit Genesis aus sei, aber ich kann mir nach wie vor eine Reunion oder eine spezielle Wohltätigkeitsveranstaltung mit Genesis vorstellen – vielleicht sogar mit Chester und mir. Ich habe den Eindruck, dass sie einer solchen Idee aufgeschlossen sind. Es hat aber bisher aus den verschiedensten Gründen einfach noch nicht geklappt hat.

it: Gab es eigentlich für dich so etwas wie ein offizielles Ende für dein Zusammenwirken mit Genesis?

Daryl: Nein! Es gab 1997 terminliche Überschneidungen für die Phil Collins- und die Genesis-Tournee. Es sollten ursprünglich 1997 auch Konzerte in den USA stattfinden. Ich sprach zu jener Zeit mit Mike Rutherford, und er meinte zu mir, dass sie schon registriert hätten, dass ich mit Phil Collins spielen würde. Phil hatte ich bereits zugesagt, also gab es in dieser Hinsicht keine Möglichkeit mit Genesis zu touren. Ich hatte das Gefühl, dass sie alles verändern wollten – auch live. Niemand sagte mir, dass die Band nicht mehr mit mir spielen möchte, oder dass ich gefeuert sei. Ich bin sehr froh, dass ich mich nicht zwischen einer der beiden Bands entscheiden musste. Das wäre wie eine Scheidung gewesen, bei der man sich klar werden muss, ob man nun mit der Mutter oder mit dem Vater geht. Übertragen gesehen bin ich meinem großen Bruder gefolgt.

Interview: Andreas Bonder
Transkription und Übersetzung: Bernd Zindler
Photo: Peter Schütz