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Interview mit Hans-Martin Buff (i/o Inside-Mix, Peter Gabriel)
Im Nachgang zur i/o Listening Session in seinem Dolby Atmos Studio in Berlin hatten wir Gelegenheit, mit Hans-Martin Buff noch ein Interview zu führen.
Interview mit Hans-Martin Buff
Nach der i/o Inside-Mix Listening-Session in Hans-Martin Buffs Studio in Berlin ergaben sich weitere Fragen und so bekamen wir die Gelegenheit, nach ein paar Wochen am 29. Februar noch ein Interview mit ihm via Zoom zu führen.
Das Interview führten Christian Gerhardts und Tom Morgenstern.
it: Fangen wir doch erstmal damit an, was du für eine Ausbildung gemacht hast?
Hans-Martin Buff: In meinen Jugendzeiten habe ich viel in Bands gespielt und gerne Songs geschrieben. Aber mir war immer klar, ich bin kein Musiker. Es hat mich auch immer irritiert, wenn Leute, die drei Akkorde konnten, gesagt haben, sie wären Musiker, nur weil sie gerne Gitarre spielen. Ich habe später mit vielen echten Musikern arbeiten dürfen. Prince ist wahrscheinlich das beste Beispiel. Wenn der und seine Gitarre zusammensaßen, dann war das ganze Bling-Bling Popstar-Zeug alles weg. Dann gab es einfach nur eine Unterhaltung zwischen zwei alten Freunden. Und so einen Freund habe ich nie gehabt. Also für mich waren Musikinstrumente immer Mittel zum Zweck.
Dann wollte ich eigentlich erst Journalist werden und bin es auch sofort geworden. Gleich nach dem Abi, 1988, war ich beim damals neuem Privatradiosender Radio 7. Das lief auch gut, aber es geschah etwas ganz Komisches – mir verging die Lust. Nach einigen Umwegen bin ich nach Amerika gezogen, weil ich dort Freunde hatte. In Amerika habe ich zunächst einfach das Geld meines Vaters verprasst, der mich monatlich ein wenig unterstützt hat (lacht). Dann hat ein Freund von mir bei einer Tontechnikerschule angefangen. Die habe ich dann auch besucht, und danach war ich verloren für die Welt. Ich fand das total geil. Und vielleicht sollte ich noch erwähnen, was vor der Schule die Tür ein bisschen aufgemacht hatte: Ich bin sehr großer Beatles-Fan und irgendwann in den späten 80ern fand ich ein Buch von einem Mark Lewisohn mit dem Titel The Beatles Recording Sessions, in dem er jeden Beatle-Tag im Studio beschreibt. Und ich dachte, na wenn das sooo viel Spaß macht im Studio, dann kann das ja so schlecht nicht sein.
it: Und wie bist du dann in den Dolby Atmos Bereich gekommen?
Hans-Martin: Ich war eigentlich immer enorm skeptisch gegenüber allem, was jenseits von zwei Lautsprechern passiert, denn für die Surround-Mischungen, die ich ab und an seit den späten 90ern machen durfte, habe ich weder Lob noch Tadel gekriegt. Die sind einfach im Regal verschwunden. Aus dem ganz einfachen Grund, dass sie weder vom Künstler noch vom Gros der Fans je gehört wurden. Meine Skepsis hat sich erst gelegt, als ich vor mittlerweile sechs Jahren von einem Freund mal Kopfhörer-Versionen von Surround-Mischungen vorgespielt bekommen habe. Er setzte mir einen normalen Kopfhörer auf, und ich hörte Wish You Were Here und Sgt. Pepper in der 5.1 Surround-Mischung, einfach via Kopfhörer. Das klang jetzt rückblickend nicht so großartig, aber es hat grundsätzlich funktioniert. Und ich dachte, das ist ein totaler Gamechanger. Weil: Dass man große Musik machen kann mit mehr Platz, das war mir schon immer klar. Bloß wenn es keiner hören kann, warum soll ich die dann machen? Musik ist für mich Kommunikation. Und deswegen war das mit dem Kopfhörer für mich ein Gamechanger. Kopfhörer kann jeder. Absolut jeder. Das ist die Story.
it: Wer sind denn so neben Prince die bekannteren Namen, die für dich relevant sind in deiner Tonkarriere?
Hans-Martin: Ich arbeite jetzt seit 16 Jahren regelmäßig mit den Scorpions zusammen. Viele Platten haben andere produziert und ich habe als Toningenieur diverse Sachen dazu beigesteuert. Die letzte Platte habe ich auch zusammen mit den Scorpions produziert. Dann wirklich sehr groß war in meiner deutschen Anfangszeit Mousse T.. Dessen größter Hit war Sexbomb mit Tom Jones, aber vor allem ist er ein wirklich, wirklich sehr guter Produzent, was er leider nicht mehr so viel ausnützt. Wir haben viel zusammen angestellt – alles von seinen eigenen Sachen über irgendwelche Remixes, Produktionen für Roachford, die Prinzen, also wirklich ein wildes Bild. Was sonst? Jede Menge. Unter meinen Platinplatten hängen auch welche von Live und No Doubt. Aber wenn ihr mal gucken wollt, was es alles gibt, schaut mal in meine Playlists bei Apple Music oder Discogs.
[Siehe Links am Ende des Interviews, Anm. der Redaktion]
it: Uns war vor allem aufgefallen, dass du für Roachford was gemacht hast. Der ist ja auch im Genesis-Dunstkreis gelandet. Das war wahrscheinlich das Album mit Mousse T?
Hans-Martin: Ach ja stimmt, der singt ja jetzt für Mike Rutherford. Ja, es war Word Of Mouth, das Album mit Mousse T..
it: Auf deiner Website haben wir auch ein Bild des Throwing Copper Albums der Band LIVE entdeckt.
Hans-Martin: Das war mein erster wirklich großer Assistenten-Job. Es war keine happy session. Das war für mich eine ganz große Lernerfahrung. Da gab es unglaublich viel schlechtes Ego in der Session. Produzent war Jerry Harrison von den Talking Heads, und ich war ein großer Talking Heads Fan. Der war nicht gemein, aber der war einfach nicht gut drauf. Ich hab gemerkt, dass ich im folgenden Jahr keine Talking Heads mehr anhören konnte. Jedes Mal, habe ich die schlechte Laune von Jerry Harrison vor mir gehabt. Ich habe wochenlang nur drei Stunden die Nacht geschlafen. Ich glaube, mal drei Tage am Stück nichts gegessen, weil sich einfach keiner gekümmert hat um mich. Dann haben sie keine Assistenten-Credits aufs Album geschrieben. Das war echt eine miese Nummer. Das tut weh. Zum Glück war ich dann schlau genug damals zum Studio zu gehen und zu sagen, ihr schreibt mir jetzt ein Zettel, dass ich der Assistent war, weil in fünf Jahren weiß das sonst keiner mehr.
it: Kommen wir wieder zum Thema Atmos – kannst du mal erläutern, wie es zu dieser Entwicklung im Business kam?
Hans-Martin: 2021 kam die Ansage von Apple und Dolby, dass man nun zusammenarbeitet. Apple wollten viel Dolby-Atmos auf ihrem Streaming-Service. Und da haben ganz schnell auch die großen Plattenfirmen mitgemacht. Speziell Universal – die ja die größte von den dreien [es gibt nur noch drei große Plattenfirmen: Universal, Warner und Sony, Anm. der Redaktion] ist. Aber auch Warner hat sich schnell angeschlossen. Bei Sony dauerte das etwas länger, was auch daran liegt, dass die ihr eigenes Dolby-Atmos-ähnliches Format haben. Sony 360. Also, die haben sich alle zusammengeschlossen und haben gesagt „wir machen das jetzt“. Und dann wurde Atmos im Prinzip nach unten durchgedrückt: Ihr liefert uns jetzt bitte Atmos. Was natürlich dazu führt, dass jemand dieses Atmos machen muss.
Es war aber keiner darauf vorbereitet, auch nicht kreativ- keiner wusste, was das richtig soll, wie gute Musik in Dolby Atmos funktioniert. Wie Christian weiß, ist dies der Grund, warum es das msm-Studio in Berlin gibt: Es ist vor allem eine Hörumgebung, wo man Leuten zeigen kann, um was es bei Atmos eigentlich geht. Und es ist ja ein himmelweiter Unterschied, ob man Dolby Atmos in so einem tollen Raum hört oder auf einer Soundbar oder auf einem Kopfhörer. Selbst wenn es dort funktioniert. Auf Lautsprechern versteht man, was Dolby Atmos musikalisch soll.
Zunächst wurden ganz schön viele faule Kompromisse geschlossen, um den Atmos Hunger zu stillen, aber langsam stehen die Zeichen auf Qualität. Apple ist wirklich sehr hilfreich, die zahlen jetzt (ich weiß nicht, ob das in die Nicht-Musik-Welt durchgedrungen ist) zum Beispiel zehn Prozent mehr Geld für Streams, die es in Atmos gibt, als für reine Stereo-Sachen. Um eben die Leute dazu zu animieren, gut und mit Lust Atmos-Content zu generieren. Gleichzeitig ist man aber noch nicht so weit, dass man reine Atmos-Musik hochladen kann. Wir wollten eigentlich ursprünglich die In-Side Mixes eigenständig veröffentlichen, nicht gekoppelt an Stereo. Jetzt hört man meist den Dark-Side Mix, wenn Atmos deaktiviert ist. Das war nicht so geplant. Aber das ging nicht anders.
it: Ja ich kann mich noch dran erinnern, als der erste Atmos-Song rauskam, haben sich alle gewundert, wieso das nur Stereo ist, wenn man es runtergeladen hat.
Hans-Martin: Ja, ich habe mich auch gewundert. Es war damals aber auch ein relativ neuer Plan, dass die In-Side Mixes zum Neumond kommen sollen, zusammen mit dem zweiten Mix. Seinerzeit hatte ich mich gewundert, dass Peter zum Januar-Vollmond meinen In-Side Mix noch nicht abgesegnet hatte. Den Multimond-Plan hatte er mit seinem Team erst bei Panopticom festgelegt. Ich finde den Plan aber großartig.
it: Ich habe es bis Oktober ausgehalten, dann habe ich mir einen Apple-TV gekauft, damit ich wenigstens mit meiner 5.1-Anlage zuhause mir den Atmos-Mix anhören konnte. Weil, da war ich echt scharf drauf. Habe alles Mögliche andere probiert – die am Desktop zu hören oder sowas. Aber im Oktober habe ich das Ding dann zum ersten Mal in 5.1 gehört und – naja, ich habe keine Deckenlautsprecher und dergleichen – aber, da hat es mich schon echt umgehauen. Ich kannte die Stereo-Mixe vorher schon und das klang jetzt völlig anders. Also, ich habe gesagt: Ja, das ist das neue Album von Peter Gabriel. Vergiss die Stereo-Mixe.
Hans-Martin: Sprich ruhig weiter
it: Wuchs dann das Verständnis und die Akzeptanz für Dolby Atmos? Wie lief das bei Peter Gabriel?
Hans-Martin: Derzeit ist unglaublich viel Spreu und ganz wenig Weizen unter denen, die Dolby Atmos machen. Weil dieser Schwung zu Atmos eben so schnell passiert ist. Und weil bestimmt nicht jeder die kreative Weitsicht von Peter Gabriel hat – zusammen mit dem Willen, das entsprechende Geld auszugeben.
it: Du hast ja gesagt, dass du ursprünglich mit Real World an anderen Sachen gearbeitet hast, bevor dann i/o kam. Was war das genau?
Hans-Martin: Nachdem mein Interesse an dieser ganzen 3D-Audio Geschichte erwacht war, habe ich mich da voll reingehängt, tatsächlich zunächst im Zusammenhang mit einem Masterstudium, einem sogenannten Practice-Studium. Das ist ein praxisbasierter Studiengang mit akademischen Abschluss, wofür der Studierende ein Projekt anbietet, welches dann der zentrale Studieninhalt wird. Ich hatte zwei Projekte, eine Platte mit Songs von mir, die ich einfach nur für Binaural, für 3D gemacht habe, und ich habe ich ein Buch geschrieben. Das heißt „Überall-Musikproduktion in 3D Audio für Kopfhörer“. Da steht nichts von Dolby Atmos drin, weil, wie gesagt, es ging nur um Kopfhörer-3D. Den folgenreichen Atmos-Apple-Dolby-Plattenfirmen-Stammtisch hatte es noch nicht gegeben. Meine 3D Musik habe ich dem schon erwähnten Mousse T. vorgeführt und der meinte, ich solle die mal Andreas Sennheiser, einem der Sennheiser Besitzer, vorführen. Und dann kam der vorbei, ich habe ihm meine Musik vorgespielt, und Andreas meinte „Peter Gabriel hat mich angeschrieben, ob ich jemanden kenne, der Binaural macht. Ich guck mal, ob der dich will.“ Und dann nach ein paar Wochen hatte ich so eine Mail in meiner Inbox: „Hallo, mein Name ist Peter Gabriel. Ich würde gerne dies und jenes machen“. Ob ich ihm denn helfen könne? – Und dann konnte ich ihm helfen.
it: Und wie ging es weiter?
Hans-Martin: In cc dieser ersten Mail waren Mike Large, der schon sehr lange auf bewundernswert enorm loyale Art Peter Gabriels kreativen Wahnsinn organisiert und möglich macht – ganz, ganz toller Typ – und Oli Jacobs, damals noch der Chefingenieur vom Real World Studio, mittlerweile dreifacher Grammy-Gewinner und im Dunstkreis von Taylor Swift und Jack Antonoff in Amerika lebend.
Wir drei haben mit Peter ein, zwei sehr unterhaltsame Zoom-Meetings gemacht, in denen ich auch von meiner Herangehensweise an das ganze Binaurale erzählt habe. Schließlich war ich mal in den Real World Studios, um die Künstlerin Ada Morghe aufzunehmen, und ich wurde gefragt, ob ich bei einem aktuellen Projekt mitmachen würde. Das war von der Regierung bezahlt: Es gibt so einen Topf Geld, der heißt „Innovate UK“ und wir haben damit ausprobiert, wie man immersiv (also: 3D, aber nicht Atmos) fürs Radio streamt. In diesem Fall mit dem Radiosender NTS. Es waren also mehrere Sessions über eine längere Zeit. Und Peter hatte ich bis dahin noch nicht persönlich getroffen, der hat das Ganze wohlwollend beobachtet.
it: Irgendwann dann aber habt ihr euch getroffen?
Hans-Martin: Es gab eine Begebenheit, da kam Oli grinsend in Studio und meinte: „Peter hat gesagt, vielleicht machen wir was zusammen. Du mit seiner Musik. Aber er kann sie dir noch nicht vorspielen, weil sie noch nicht gut genug ist.“ Und da habe ich gedacht: Genau. Da muss er sich erst mal anstrengen, der Peter Gabriel, bis es gut genug für mich ist (lacht). Weißt du? Und ich habe gedacht: Oh Gott – was ist denn das für ein Laden hier, ist ja total geil. Aber das erste Mal habe ich ihn bei einer Listening Session im Dezember 2021 im Londoner Dolby-Hauptquartier kennengelernt und ihm auf Lautsprechern vorgespielt, was ich Atmos-mäßig so mache. Das fand er ganz prima und danach haben wir eine Woche gebucht, um zu probieren, ob das mit ihm, Atmos und mir passt. Dann kam das, was ich euch schon erzählt hatte, dass ich einfach mal die ganze Festplatte in die Hand gedrückt bekommen habe: „Mach, was du willst“. So habe ich begeistert an Four Kinds Of Horses rumgeschraubt. Ihm hat es auch Spaß gemacht, und dann ging’s los.
it: Was ich auch beeindruckend finde, wieviel kreative Freiheit du da auch gehabt hast. Also, dass man dir nicht die ganze Zeit über die Schulter guckt,
Hans-Martin: Das ist super – ich kriege auch wohlwollenden, aber dennoch enormen Neid von wirklich, wirklich großen Engineer-Freunden von mir, speziell deswegen, weil ich keinen Gedanken an Stereo verschwenden musste. Denn das muss jeder andere – und ich auch normalerweise. Normalerweise kriegst du halt irgendwie einen Parallel-Stereomix und Stereo und Atmos müssen möglichst gleich klingen. Also: Der Grundvibe muss gleich sein.
it: Genau. Also, wenn man sich so anhört, wie Steven Wilson produziert, der macht halt erst seine Stereo-Mixe und dann schraubt der nur die Panoramas nach hinten.
Hans-Martin: So würde ich’s nicht machen, aber es geht ja beides. Also, wenn mir Peter jetzt zum Beispiel die Spuren von Sledgehammer geben würde, dann könnte ich den Stereomix ziemlich gut und auch ziemlich schnell nachmischen. Eine der schwierigen Sachen beim Mischen ist das Einbringen der eigenen Kreativität. Du überlegst: „Wie wäre es denn geil?“. Und jedermanns „geil“ ist anders. Bis man das erstmal austariert hat, dauert es ganz schön lange. Auch für einen selber, natürlich unter Federführung des Künstlers. Wenn das „geil“ schon definiert ist, also, wenn ich mir anhören kann, wie es sein soll, dann krieg ich das superschnell hin und mach’s nur noch besser. Und dann kann ich mir überlegen, wie ich einen tollen Atmos Mix mache. Aber natürlich ist es viel, viel kreativer und auch offener, wenn man diesen Vergleich nicht machen muss, wenn man von Null erschaffen darf. Ist eine tolle Sache.
it: Wie sehr „Null“ ist das bei i/o gewesen? Hast du tatsächlich die Spuren einfach nur als File bekommen oder konntest du mit einer fertigen Session schon anfangen?
Hans-Martin: Ich habe eine Protools-Session mit allen Spuren gekriegt. Da waren durchaus auch schon ein paar bearbeitende Plugins auf den einzelnes Sounds. Das haben die anderen zwei Mixer auch gekriegt – genau dasselbe wie ich.
it: Gab es in den Sessions auch deaktivierte oder gemutete Spuren (alternative Aufnahmespuren), in die du reinhören konntest?
Hans-Martin: Es gab am Anfang Unmengen an sogenannten Playlists, also an früheren oder alternativen Versionen der gleichen Tonspur. Was superhilfreich war, teilweise: Peter hat ein unglaubliches Gedächtnis für Arbeitsschritte. Der kann dir tatsächlich sagen: „Ey, wir haben doch mal so Wasserglas aufgenommen, auf der einen Nummer. Ich glaube, es war im August 2017 oder so.“ Und dann geht seine Assistentin Faye Dolle los und findet das auch relativ schnell. Weil er so ein kreativer Rumfuchser ist, behält sein Studioteam auch alles. Wenn er in seinem Writing Room kreativ rumnudelt, dann nehmen die alles auf. Seinen Keyboardsound, aber auch MIDI, und das ist natürlich toll – wenn ich dann zum Beispiel einen Keyboardsound größer machen muss, dann kann ich das MIDI nehmen, und ein paar Sachen dazu basteln.
it: Nehmen wir mal an, hypothetisch, du würdest jetzt gesagt bekommen, mach doch mal einen Atmos Mix von Come Talk To Me. Dann kriegst du ja was Altes, was ja auch völlig anders in der Entstehung war. Wäre das ein Problem oder wäre das für dich eine andere Herangehensweise? Weil du da ja nichts hinzumachen kannst mehr wahrscheinlich.
Hans-Martin: Ach, unterschätz mich nicht (lacht). Aber die Brücke überquere ich, wenn ich sie erreiche. Ich glaube, schwerer zu mischen wäre sowas wie Solsbury Hill, weil das wohl noch relativ ökonomisch aufgenommen wurde – ich unterstell mal 24 Spuren, aber nicht mehr. Wohingegen bei sowas wie Come Talk To Me oder bei meiner Lieblingsnummer Digging In The Dirt (die ich ja unglaublich gerne mal mischen würde) so viel Zeug drin ist, dass das Arrangement eine Atmos Version hergibt. Die schwierigsten Nummern auch bei i/o waren die im Arrangement einfachsten. Es ist schon herausfordernd, diese zu etwas Besonderem zu machen in Atmos. Der Song i/o selber zum Beispiel, da habe ich ganz schön geschwitzt. Oder So Much: Obwohl es, glaube ich, ein sehr guter Atmos-Mix ist, ist es nicht ein Riesenschritt nach vorne im Vergleich zu den Stereomischungen.
it: Hat Gabriel auch selbst gesagt, das das eine einfache Nummer ist.
Hans-Martin: Ja. – Zum Glück war ich bei der Klavieraufnahme dabei, insofern hatte ich da das notwendige Material, um das Klavier schön groß zu machen. Aber wenn es jetzt nur ein Stereo-Klavier gewesen wäre, dann wäre es schwer geworden.
it: Hast du mal mit so Upmix-PlugIns gearbeitet? So Penteo oder sowas?
Hans-Martin: Ja. – Ich nehme es manchmal für einzelne Spuren von vielen hier und da. Aber im Großen und Ganzen nicht. Upmixing ist auch zu Recht extrem verpönt – also, für die, die es nicht wissen, was Upmixing ist: Im Prinzip nimmt man einen Sound, der nicht dreidimensional ist, und pustet den mit einem Werkzeug so auf, als wäre er‘s. Das ist so wie künstliches Stereo in den 60ern. Da muss man vorsichtig mit sein. Ich meine, wenn es als Teil von einem Arrangement gut klingt, ist es toll, aber einen Upmixer auf einen ganzen Song drauf zu machen, geht gar nicht.
it: Ich habe gemerkt, dass ein 5.1 Mix eine völlig andere Stimmung, Atmosphäre hat, als der Apple-Music-Mix – also das auf dem Stereo-Kopfhörer. Wie kann man das einem Laien erklären: Was macht der Heimreceiver mit dem Atmos-Mix auf der Blu-ray, um daraus 5.1 rauszuholen? Ist da nochmal ein separater Mix irgendwo versteckt?
Hans-Martin: Die ganze Idee von diesem ganzen Dolby-Kram kommt aus dem Kino. Es gab immer folgendes Problem: Wenn ich jetzt einen tollen Filmsound habe, in dem ein Zug von hinten nach vorne fährt, wie mache ich das, wenn es in einem Kino 12 Lautsprecher gibt, in einem 100 und in einem nur fünf? Mache ich dann 20 verschieden Mischungen für verschiedene Kinos mit verschiedenen Lautsprechern? Da haben die schlauen Leute von Dolby sich gesagt: Nee, wir machen jetzt sowas wie einen Klangkoffer. In den der Sound, zum Beispiel der vom Zug, hinein kommt, und dann noch die Informationen, die sogenannten Metadaten, wo der laut Mischer langfahren soll. Auf der Kino-Seite ist später ein Auspackgerät für diesen Klangkoffer, ein Decoder. Im Kino wurde vorher der Raum eingemessen, und daher weiß der Decoder „ich habe soundso viele Lautsprecher, mit denen ich arbeiten kann“. Und dann sieht der Decoder im Klangkoffer a) den Sound des Zuges und b) den Befehl: von hinten nach vorne. Und wenn im Kino 100 Lautsprecher sind, dann schickt der Decoder den Zug über die 40 Lautsprecher auf der Seite, und wenn da eben nur fünf Lautsprecher sind, dann schickt er den Zug nur über die zwei Lautsprecher, die im kleineren Kino an der Seite sind. Dieser „Klangkoffer“ ist dann auch, was durch die Pipeline bei Apple Music kommt. Im Apple-Gerät erkennt euer Receiver, also der Auspacker, was ihr da stehen habt. Und wenn es Kopfhörer sind, wird der Kofferinhalt eben umgepackt auf Kopfhörer, wenn da fünf Lautsprecher sind, auf fünf Lautsprecher – es gibt ja nicht nur 5.1, 7.1 und dann 7.1.4, sondern es gibt ja auch 5.1.4. Also ihr könnt ja auch was an die Decke schrauben. Also es gibt diverse Konfigurationen. Es muss ja nicht immer unten 9 sein oder 7.
Und dieses System ist natürlich toll auf der einen Seite, weil es in so vielen Umgebungen funktioniert, aber gleichzeitig enorm frustrierend für den Kreativen, denn wenn Apple jetzt den Kopfhörer-Algorithmus ändert, dann klingt der gleiche Mix, den ich abgeliefert habe, in Kopfhörern anders. Weil der Auspacker anders funktioniert.
it: Ist das schon mal passiert?
Hans-Martin: Dauernd.
it: Es gibt im Social Media Leute, die berichten von einem Downmix des In-Side Mix auf YouTube. Das kann ja eigentlich nichts anderes sein, als dass man versucht, die Effekte aus dem Atmos-Mix in so ein Stereo-Format zu pressen. Geht das überhaupt?
Hans-Martin: Ja, das kannst du machen. Ich habe, wenn ich mit Dolby Atmos arbeite, einen Kofferpacker für den Klangkoffer, das ist der sogenannte Renderer. In den schickt meine Studiosoftware meine Klänge samt Klangentscheidungen und dann kann ich dem Renderer sagen: „spuck das mal fertig für 5.1 aus“. Und dann könnte ich es dir schicken nur als diese 6 Spuren für diese 6 Lautsprecher. Das kann ich auch für Stereo machen, aber geil klingt’s sicher nicht.
it: Also, Was mir direkt aufgefallen ist, bei The Court und bei i/o da gab’s sehr prägnante Drums, Percussions, die viel lauter und prägender waren als in dem Stereo-Mix. Wäre das so ein Effekt, der dann bei Stereo auch rauskommen würde?
Hans-Martin: Da habe ich auch etwas gelernt, das mich sehr unglücklich gemacht hat. Apple-Music speziell – sobald das Apple-Abspielgerät weiß, dass es Dolby kann, wird auch der Dolby-Mix gespielt. Wenn dieses End-Abspielgerät zwar Dolby-Atmos könnte, aber gerade nur Stereo angeschlossen hat, wird der Atmos-Mix in Stereo gepackt, also der In-Side Mix spielt in stereo, nicht der Dark-Side Mix, der ja dabei wäre. Was ich grunddämlich finde. Aber ich habe mir tatsächlich überlegt, ob ich jetzt wirklich darauf gucken sollte, ob der große Atmos-Mix in Stereo denn genauso geil wäre und auch in 5.1 und so weiter. Aber ich habe mich dann dagegen entschieden – weil: Dafür ist es ja nicht gemacht. Also, 5.1. sollte zumindest gut klingen, und da bin ich mir zum Glück ziemlich sicher, dass dem auch so ist.
Aber dass der In-Side Mix auf Stereo gefaltet mit dem Dark-Side Mix oder dem Bright-Side Mix in irgendeiner Weise in Konkurrenz treten können müsste, da habe ich mich bewusst dagegen entschieden. Ich habe auch einen Kommentar gelesen von irgendeinem Geek, „Da hat sich der Buff aber ganz schön weit rausgewagt, mit solchen Meistern zusammen zu mischen. Das hat ja viel zu wenig Tiefe“ und weiß der Geier was noch. Der hat’s bestimmt als Stereo-Version gehört, auf dem sowohl die technischen und kreativen Mittel fehlen, die man nimmt, um in einem Stereo-Mix Tiefe zu generieren, als auch deren dreidimensionaler Ersatz, der ja in Stereo nicht wirkt.
it: Ja, da gibt’s Unterschiede.
Hans-Martin: Also, jemand, der den Soundtrack von Dune mischt, der hört dauernd zwischen dem Groß-Atmos-Kino-Ding und dem 5.1-Ding und dann dem Stereo-Ding hin und her – weil das ein Mix ist, der in allen Situationen funktionieren muss. Von vorneherein im Kino, auf der 5.1-Anlage, die manche Leute haben, und in Stereo im Fernsehen, was auch immer. Da ist es ganz klar, dass der eine Mix alle bedienen soll. Das muss meiner nicht.
it: Du hast aber wahrscheinlich zwischendurch auch immer mal den Kopfhörer aufgesetzt und die Binaurale Version gehört davon?
Hans-Martin: Das habe ich ganz oft gemacht, gleich von Anfang an. Mein Setup war immer am Anfang binaural, dann bin ich ins Real World und habe den Sound gemacht und wenn der rund war, dann habe ich es mir nochmal mit dem Apple Kopfhörer-Sound angehört. Weil ich davon ausgehe, dass die allermeisten Leute die Mischungen so hören werden und sie so funktionieren müssen.
it: Hat der für dich dann Priorität gehab, der Kopfhörer-Mix?
Hans-Martin: Das wäre jetzt falsch gesagt, aber wenn im Kopfhörer etwas nicht funktioniert hat, dann bin ich wieder in den Mix rein und habe nachjustiert.
it: Das merkt man.
Hans-Martin: Zum Beispiel war bei Playing For Time in der ersten Mischung der Bass viel lauter und viel tiefer. Und dann habe ich mir die Kopfhörer aufgesetzt…und das ging überhaupt gar nicht. Also musste ich natürlich meinen Mix so angleichen, dass er auf Kopfhörern funktioniert hat, denn so hören ihn die meisten Leute. Ich habe übrigens hier bei mir zuhause kein Mehrkanal-Setup, also bin ich selbst einer von denen, die Atmos auf Kopfhörern hören.
it: Ich [Tom] würde das auch immer gerne tun, aber bei mir funktioniert das leider nicht. Ich hab 63 cm Kopfumpfang, und da sind die Phasenbeziehungen irgendwie anders. Es klingt auf Kopfhörern wie ein normaler, anderer Stereomix. Aber ich hab keine Räumlichkeit.
Hans-Martin: Sehr interessant. Ich erinnere mich dunkel an eine Statistik, laut der die meisten Leute Binaurales problemlos hören, 10% Binaural wirklich nicht wahrnehmen können, und dann noch 10% der Leute den Kopfhörer 3D-Kram einfach blöd finden und nicht hören wollen (es gibt schon ganz schön viele Hater in diesem Business). Es gibt sicherlich diverse technische Probleme in diesen Prozessen, die dafür sorgen, dass der Mehrwert von Stereo auf 3D-Kopfhörer wesentlich kleiner ist, als der von Mono auf Stereo. Es gibt oft keinen sofortigen Hallo-Effekt, sondern die Größe erschließt sich zunächst im Vergleich mit Stereo.
it: Peters 5.1 Mix von der Up, der hat Pionierarbeit geleistet. Und dann kamen ja auch die Genesis-Alben auf SACD, was auch nochmal viel für Interesse gesorgt hat. Es bleibt zwar, glaube ich, ein Spartenprogramm, aber wer da Bock drauf hat – das lohnt sich.
Hans-Martin: Da kommen ganz viele Sachen, die das Hören leichter machen werden. Die werden auch nicht teuer sein, und die werden die ganze Einmessungsproblematik aushebeln. Dazu gibt’s eine Entwicklung fürs Auto. In den teureren Modellen ist Atmos mit Lautsprechern bereits drin, mal sehen, wann die anderen das auch bekommen.
Ich bin ja total froh, dass ich gerade dieses großartige Feedback bekomme für den i/o In-Side-Mix, aber man bräuchte natürlich jedes Jahr 20 solcher Mixe auf dem Niveau und – viel wichtiger – Musik, die von neuen Bands für Atmos gemacht wurde. Ich finde das auch super, dass Peter Gabriel als erstes i/o für Atmos umgesetzt hat und eben nicht So oder US. Also nicht etwas, wo jeder schon eine Meinung hatte, wie „geil“ das ist. Sondern etwas, wo man das „geil“ neu definieren konnte.
it: Du warst du ja hauptsächlich im Red Room in den Real World Studios. Ich war selbst mal da vor 8 Jahren. Ist der Raum in einem der kleinen vorgelagerten Gebäuden oder ist das im Haupthaus drin?
Hans-Martin: Der Red Room ist im Hauptgebäude. Wenn du im Big Room hinten stehst und aufs Fenster kuckst, sind links und rechts Türen. Wenn du links raus gehst, dann ist auf halber Strecke zum Wood Room der Red Room. Der Red Room war früher einer der Produktions- und Mastering-Räume. Da hatte sich auch ein Produzent längere Zeit eingemietet. Ganz früher war an dem Ort tatsächlich der Eingang.
it: Mal was völlig anderes: Viele verkaufen ja grad die Rechte an ihren Sachen, auch Genesis sind den Weg gegangen. Für den Laien ist das alles wenig transparent. Kannst du erklären, was genau da passiert? Wir haben das so verstanden, dass die Bands und Künstler ihre Rechte an andere verkaufen und dann davon oder dafür auch kein Geld mehr sehen.
Hans-Martin: Nein, das ist etwas anders – ein Verlag ist sowas wie eine Plattenfirma für Kompositionen. Nicht für Aufnahmen, wie bei einer tatsächlichen Plattenfirma, sondern für Kompositionen. Es gibt in jedem Land eine oder mehrere, meist nicht private Organisationen, die das verwalten und dann das Geld dafür eintreiben. Bei uns ist das die GEMA. Von denen wird auch festgelegt, was der Anteil der Mitspieler im Urheberrecht ist. Beispiel: Du schreibst ein Lied und gibst es an meinen Verlag mit der Hoffnung, dass ich es weiter verbreite. Wenn das Lied im Radio gespielt wird, dann kriegst du knapp 70% und ich 30% der Tantiemen, also du gibst nur ein Stück ab. Du behältst aber das Urheberrecht, das kannst du zumindest in diesem Land, anders als etwa in den USA, nicht verlieren. Das Urheberrecht gilt so lange du lebst plus 75 Jahre. Heißt, stirbt ein Musiker, kriegen seine Erben noch 75 Jahre lang Geld für die Sachen, die er geschrieben hat. Danach muss man keinen mehr fragen, dann ist es urheberrechtsfrei.
Wenn man von einem Verlag viel Geld im Voraus dafür kriegt, dass man bei ihm unterschreibt, kriegt man allerdings als Liedschreiber kein weiteres Geld, bis dieses Vorausgeld vom eigenen Anteil wieder eingespielt ist.
it: Machst du noch normale Stereoproduktionen?
Hans-Martin: Ich mache auch noch normale Stereo-Sachen von Leuten, mit denen ich schon lange arbeite. Im Augenblick steige ich neuen Stereo-Produktionen nicht aktiv hinterher, ich sage aber auch nicht nein. Atmos ist jedoch derzeit mein Haupt-Thema.
Übrigens finde ich das ja total spannend, was ihr macht. Ein Genesis Fanclub. Wenn ich From Genesis To Revelation, So, Invisible Touch und Lamb Lies Down in eine Tüte packe und daraus einen Fanclub mache, dann explodiert mein Kopf.
it: Es gibt auch nicht so viele, die allem was abgewinnen können, aber die Bandbreite macht da schon den Reiz aus.
Hans-Martin: Eins meiner ersten Konzerte war 1987 vor dem Reichstag. Das war so ein Package Deal mit Bowie, Eurythmics und halt Genesis. Aber das war ja die Tour zu Invisible Touch und ganz ehrlich: Nach der Mama-Platte bin ich ausgestiegen. Hoffentlich krieg ich jetzt keine Hate-Mails von euren Invisible Touch Fans. Aber anyway, dann gab’s die Show. Und die waren so gut. Das war so eine geile Show. Mit diesen Hanseln, die ja auf der Bühne auch nicht viel machen. Nur einer machte da was, ein kleinerer mit schütterem Haar, der auch mal Schlagzeug spielte. Das war so ein schräges Konzert, aber so geil. Und ich dachte „wow“ und hab die Band dann rückwärts wiederentdeckt. Ich bin selbst ja aus keiner Popmusikfamilie und hatte auch keine älteren Geschwister, die das Zeug miterlebt hatten. Und rückwärts war für mich dann bei Lamb Schluss. Davor das fand ich nicht mehr so gut, aber Lamb war super. Lamb, das ist ein Trip, der hat mir immer gut gefallen.
it: Wir danken dir sehr für die Zeit und das Gespräch!
Hans-Martin: Sehr gern, hat mir auch großen Spaß gemacht.
Interview: Thomas Morgenstern und Christian Gerhardts (via Zoom am 29. Februar 2024)
Transkript: Christian Gerhardts und Thomas Schrage
Lektorat: Thomas Schrage
Weitere Links zu Hans-Martin Buff
Unsere i/o Listening Session mit Hans-Martin Buff
Hans-Martin Buff bei Discogs
Hans-Martin Buffs Playlist bei AppleMusic und Spotify
Website der msm-Studios