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Genesis – Wind & Wuthering Tour (1977) – Tourbericht
Die Wind & Wuthering Tour von Genesis war die erste mit Chester Thompson a Schlagzeug – und die letzte mit Steve Hackett.
Die WInd & Wuthering Tour 1977 markierte das Ende einer Ära – Steve Hackett verließ die Band nach der Tour. Und es gab auch den Beginn einer neuen Ära. Erstmals saß Chester Thompson am Schlagzeug.
Vorgeschichte
Nach der A Trick Of The Tail-Tour, die überaus erfolgreich verlaufen war, machte sich Genesis im Herbst des Jahres 1976 an die Arbeiten für das nächste Album. Man mietete zu diesem Zweck das Relight Studio in Hilvarenbeek in Holland. Das neue Werk mit dem Titel Wind & Wuthering erschien im Dezember 1976. Bill Bruford, der für Genesis bei der letzten Tour die Rolle des Schlagzeugers übernommen hatte, engagierte sich inzwischen in einem Bandprojekt, das er zusammen mit John Wetton und Rick Wakeman ins Leben gerufen hatte (später wurde daraus die Gruppe UK).
Chester Thompson ersetzt Bill Bruford
Aufgrund dieser Aktivitäten stand Bill Bruford für Genesis nicht mehr zur Verfügung, und Phil hatte nun die erneute Aufgabe, einen Schlagzeuger zu suchen, der sie bei den bevorstehenden Live-Auftritten begleiten sollte. Nach langer Suche war endlich der amerikanische Jazz-Drummer Chester Thompson gefunden, der schon vorher bei Gruppen wie Weather Report oder Frank Zappa hinter den Trommeln gesessen hatte
Zu diesem Zeitpunkt waren es nur noch neun Tage bis zum Beginn der Tour, und für die anstehenden Proben zog man sich in die eigenen Übungsstudios namens The Farmyard im englischen Berkshire zurück und bereitete sich dort auf ein anstrengendes Konzertjahr vor
Schon vor der Veröffentlichung von Wind & Wuthering hatte die Band verkündet, dass eine große Welttournee folgen sollte. Und in der Tat liefen die Vorbereitungen für die aufwendigste und teuerste Tour, die Genesis bis dahin gemacht hatte
Technische Ausstattung und visuelle Effekte
Mit auf Reisen genommen wurden unter anderem 28 Tonnen des notwendigen Klangsystems und der Lichtausstattung, die in 5 Lkws untergebracht wurden. 15 „Angestellte“ kümmerten sich nur um die technischen Einrichtungen und deren perfekten Einsatz während der Shows
Für die visuellen Effekte hatte man sich auch etwas einfallen lassen. Die Laser beispielsweise, die bereits bei der vorangegangenen Tour erprobt wurden, sollten auch diesmal – allerdings in verbesserter Form – zum Einsatz kommen. Das angeschaffte Lasersystem kostete die stolze Summe von 60.000 Pfund und sorgte im Zusammenspiel mit dem verwendeten Trockeneis für atemberaubende Effekte
Bei der Beleuchtung der Bühne durch die Scheinwerfer hatte man auch eine tolle Idee. Neben den „normalen“ Strahlern wurden 48 Boeing 747-Landelichter in zwei parallelen Reihen hintereinander an der Decke aufgehängt, die allesamt senkrecht nach unten strahlten. Die auf diese Weise angestrahlte Bühne schien dann eine Art Käfig zu sein, der von weißen Gitterstäben begrenzt wurde. Dieses „Markenzeichen“ benutzte Genesis auch noch bei späteren Touren
Um einige der Songs von der visuellen Seite her noch zusätzlich zu untermalen, wurden auch andere sehr schöne Effekte produziert. Während der Präsentation des Liedes All In A Mouse’s Night zum Beispiel erzeugte man einen „Regenbogen“, indem man den Spektralfarben entsprechende nach oben strahlende Scheinwerfer, die hinter der Bühne nebeneinander angeordnet waren, auf Trockeneis richtete. Man erzeugte so auf recht einfache Weise eine phantastische, faszinierende Illusion
Tourneeablauf und Setlist
Der Tourneeplan sah vor, dass Genesis am Neujahrstag des Jahres 1977 das erste von drei Konzerten im legendären Rainbow Theatre in London gaben. Die 150 Jahre alte Konzerthalle am Finsbury Park war 1974 wegen Geldmangels geschlossen worden, und Genesis war die erste Band, die dort wieder ein Konzert gab, nachdem das Theater von drei reichen Musikfans saniert worden war. Es folgten Konzerte in England und Schottland und eine große Nordamerika-Tour, die die Band dort noch bekannter werden lassen sollte
Bei der Auswahl des Sets ging man diesmal nicht ganz so weit in die Geschichte von Genesis zurück (wie das noch bei der Trick-Tour der Fall gewesen war). Die Band nahm viele neuere Stücke in das Programm auf, wobei aber auch Klassiker nicht zu kurz kamen.
Während der drei Abende im Londoner Rainbow Theatre durften die Zuschauer folgende Lieder genießen:
Eleventh Earl Of Mar
The Carpet Crawlers
Firth Of Fifth
Your Own Special Way
Robbery, Assault & Battery
In That Quiet Earth
Afterglow
Lilywhite Lilith
Wot Gorilla?
One For The Vine
Squonk
All In A Mouse’s Night
Supper’s Ready
I Know What I Like
Dance On A Volcano
Los Endos
The Lamb Lies Down On Broadway
The Musical Box (Closing Section)
Dieser Set hatte allerdings nicht sehr lange Bestand, denn bereits in Birmingham veränderte die Band den Ablauf der gespielten Songs. Man strich Lilywhite Lilith, Wot Gorilla? und All In A Mouse’s Night ersatzlos und eröffnete von nun an jedes Konzert bei dieser Tour mit Squonk. Aufgrund des Hitparadenerfolges, den die Spot The Pigeon-EP in England hatte, entschloss sich die Band nach den Gastspielen in Brasilien, Your Own Special Way durch Inside & Out zu ersetzen
Bei den drei Gigs im Londoner Earl’s Court spielte Genesis als Zugabe eine um den Mittelteil gekürzte Version von The Knife, was natürlich bei den Fans zu wahren Hysterieanfällen führte
Aufnahmen und Filmmaterial
Übrigens wurden Teile der Konzerte im Londoner Earl’s Court sowie im Pariser Palais des Sports auch gefilmt. Allerdings schlummern diese Aufnahmen in den Archiven der Fernsehsender, und es ist sehr fraglich, ob sie einmal in voller Länge entweder ausgestrahlt oder als offizielles Kaufvideo das Tageslicht wiedererblicken werden. Die BBC hat in der Vergangenheit zumindest Teile des aufgenommenen Earl’s Court-Materials gesendet bzw. zu Promotionzwecken zur Verfügung gestellt
Bereits während der Tour entschied man sich dazu, ein Livealbum herauszubringen, welches die phantastische Atmosphäre der Genesis-Konzerte aus dieser Zeit festhalten sollte. Die vier Shows im Palais des Sports in Paris sollten für diesen Zweck aufgenommen werden. Nach Abschluss der Tour traf man sich dann in den Londoner Trident Studios, um das gesammelte Livematerial abzumischen. Man hatte beschlossen, nicht nur auf die aktuellen Aufnahmen zurückzugreifen, sondern auch vorhandene Bänder von der Trick-Tour auf dem Werk zu verewigen. Das fertige Doppel-Livealbum, betitelt Seconds Out, erschien im Oktober 1977. Es ermöglicht uns eine Zeitreise in die siebziger Jahre und ist für viele Fans zum wahren Kultobjekt geworden
Veränderungen in der Band
Ein Ereignis allerdings trübte die tolle Stimmung in der Band und sorgte für eine ganz wesentliche Veränderung in der Besetzung von Genesis. Steve Hackett entschied sich während des Abmischens des Seconds Out-Albums, die Gruppe zu verlassen und seine eigenen Ideen in Soloprojekten zu verwirklichen
Im Laufe der Aufnahme-Sessions zum Wind-Album gab es bereits gewisse Spannungen zwischen den Musikern und auch als sie schon auf Tour waren, sprach man über die Zukunft der Band für den Fall, dass Steve ausscheiden würde. So kam die bestätigende Nachricht für Mike, Phil und Tony nicht sehr überraschend und schockierte die drei in keinster Weise. Man war sich sicher, dass man auch den Weggang von Steve verkraften würde
Einen Motivationsschub besonderer Art erhielt die Gruppe Ende 1977. Die englische Musikpresse wählte sie nämlich zur besten Live-Band des Jahres. Diese Ehrung machte sie natürlich noch bekannter, zeigte aber auch, dass sich Genesis nun endgültig als Rockband der absoluten Spitzenklasse etabliert hatte
Autor: Bernd Zindler
zuerst veröffentlicht in it-Magazin #10
Poster Image: George German