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Genesis und R-Kive: Heiße Luft oder Potenzial für mehr?
Von einer aufregenden Neuigkeit war die Rede, am Ende war die Fanbasis eher fassungslos als begeistert. Auch 17 Jahre nach dem letzten Studioalbum und sieben Jahre nach der letzten Tour zeichnet sich keine Sensation ab. Warum R-Kive aber trotzdem Potenzial hat, in Zukunft auch für die Fans interessante Aktivitäten nach sich zu ziehen, versucht Christian Gerhardts in einer Bestandsaufnahme zu erörtern.
Genesis 2014. Das ist das Jahr der „aufregenden Neuigkeiten“, der Spekulationen, der Gerüchte, der Hoffnungen, der Ernüchterung. Es war eine Weile sehr ruhig im Genesis-Lager. Jetzt ist alles sehr unruhig. Bei den Fans produziert die Unruhe aber eher Sarkasmus als Euphorie. Genesis 2014, das erscheint vielen als halbgares Lebenszeichen und Fanabzocke. Der Shitstorm tobt wie selten zuvor bei einer Band dieser Größenordnung. Und das alles wegen eines 3CD-Sets? Was ist eigentlich passiert? Was können wir tatsächlich erwarten?
Die Nerven der Genesis-Fans liegen blank
Das Fanlager der Band wirkt fahrig und nervös. Der vermeintliche Hardcore Fan oder die treue Fanbasis hängt eher an der Musik der 70er und ausgewählten Tracks der späteren Jahre – wie zum Beispiel Home By The Sea oder Fading Lights. Seit Veröffentlichung der Super-Audio-CD-Boxsets 2007 und 2008 sowie des Live-Boxsets und der Movie-Box warten die Fans darauf, dass Genesis weitere Juwelen ihrer Geschichte preisgeben und sich nicht einfach ihrem Schicksal ergeben. Jedes Lebenszeichen wird registriert, oft überhöht und es hat gern den Anschein, dass die Fangemeinde sich wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen verhält, sobald es offizielle Ankündigungen gibt – oder auch nur eine Ankündigung der Ankündigung.
Es ist kaum zu übersehen, dass Großteile der Band und des Managements die Entwicklung Internet einfach nicht ernst genug nehmen oder total verpennt haben. Dabei gab es eine Zeit, in der Phil Collins persönlich in seinem Forum Antworten auf Fan-Fragen gab. Heute gibt es kaum noch eine ernstzunehmende Website aus dem Bandumfeld, selbst Peter Gabriels Webauftritt ist unter aller Kanone. Hier ist es Steve Hackett, der mit einer informativen Website nur wenige Wünsche offen lässt. Facebook hat auch längst die Band und ihre Fans erfasst, aber die Band und deren Management haben es bis heute nicht verstanden, solche Medien sinnvoll zu nutzen.
Ein wichtiger Faktor im Umgang mit der Fanbasis ist die Informationspolitik. Doch zu vielen Aktivitäten gibt es keine verlässlichen Aussagen und dann werden Hinweise auf die Veröffentlichung von „sehr aufregenden Neuigkeiten“ gepostet, die sich – zumindest für die Fans – am Ende als überhaupt nicht aufregend herausstellen. Niemand hat etwas gegen ein neues 3CD-Set mit einer Werkschau, aber warum muss man ausgerechnet die Fanbasis derart veräppeln und dies als „very exciting“ ankündigen? Es wäre sicher einfacher gewesen zu sagen „wir planen eine neue Werkschau, das ist für die Harcore-Fans sicher nicht interessant, also erwartet hier keine Sensation“. Mit der tatsächlichen Ankündigung aber vermutet die halbe Fanwelt irgendwas zwischen neuem Album, Reunion-Konzert oder aufregendem Archiv-Material. Nach etlichen Enttäuschungen wird derzeit fast alles rund um Genesis von den Fans mit Sarkasmus überzogen, ironisch zerpflückt oder mit wütenden Kommentaren bedacht. Entsprechend war der Shitstorm nach der Ankündigung von R-Kive gewaltig.
Was steckt hinter der Idee zu R-Kive?
Wir sollten alle von der Palme herunter kommen und Frust und Ärger einmal beiseite stellen und die Lage sachlich bewerten:
2014 ist das Jahr, in dem erstmals die großen Fünf wieder auf einem Foto zu sehen waren; es wird eine Dokumentation zur Bandgeschichte geben und alle fünf haben mitgewirkt; es gibt mit R-Kive eine neue Werkschau und erstmals sind auch ausgewählte Solotracks enthalten – gleichberechtigt von jedem drei. Eine derartige Betrachtung als „Gesamtkunstwerk“ hatte es bei Genesis noch nie gegeben. Dies ist ganz offensichtlich eine Marketingstrategie, den gesamten Katalog der Band und seiner Mitglieder wieder ins Gespräch zu bringen – nachdem dieser etwa fünf Jahre total brach gelegen hat und quasi mausetot war.
Was kann R-Kive bewirken und was kann danach realistischerweise passieren? Genesis könnten wieder ins Gespräch kommen, neuer Hörerschichten könnten erschlossen werden, die Familie Genesis könnte besser vermittelt werden – gerade in einem musikalischen Herbst, in dem es auch neue Alben alter Wegbegleiter wie Pink Floyd und Queen geben wird. Es liegt nun an der Band und dem Management, diese Möglichkeiten zu nutzen. Gelingt es, die Musik von Genesis für neue Hörer spannend zu machen, müssen aber weitere Dinge folgen, die auch der Fanbasis etwas bringen.
Eine Neuauflage der Alben, zum Beispiel die Fortsetzung der derzeit auf Eis liegenden Blu-Ray-Audio Reihe, kann ein positives Resultat sein. Dazu sind etliche Projekte in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben oder wurden gar nicht erst angefasst. Die Board-Tapes-Reihe wurde vielversprechend diskutiert, dann aber zu den Akten gelegt. Weitere Möglichkeiten bieten sich bei Genesis in punkto Outtakes. Auch weitere Konzertfilme, wie die legendäre Lyceum-Show 1980. Andere Konzertfilme können ein Upgrade auf Blu-ray gut vertragen.
Bei Phil Collins ist das Potenzial noch größer. Die Alben könnten eine Neuauflage mit Bonustracks erhalten, 5.1-Versionen sollen angeblich ja auch existieren, Konzertfilme wie die 1982er Pasadena Show oder eine Show der Both Sides Tour. Das könnte vor allem dann interessant werden, wenn Phil wirklich noch mal auf Tour geht. Welche Schätze in seinen Archiven schlummern, hatte er in der kurzen Zeit seines Going Back Fanclubs angedeutet (siehe hier). Bei Gabriel sind die Möglichkeiten ähnlich mannigfaltig: Surround-Versionen seiner Alben, Outtakes bzw. ein Archive-Set. Auch das Album Son of Ovo ist angeblich seit Jahren fertig. Tony Banks könnte seine Alben auch neu auflegen oder sich wirklich an ein neues Rock-Projekt wagen.
Und ganz neue Musik? Natürlich ist das bei den Solokarrieren deutlich wahrscheinlicher: Steve Hackett verwöhnt uns regelmäßig mit frischem Material. Neues könnte auch von Phil Collins kommen, von den Mechanics kommt ganz sicher was, von Peter Gabriel auch – in irgendeinem September. Tony Banks hat es leider aufgegeben, Rockalben zu produzieren.
Reunion?
Die BBC Dokumentation Together And Apart wird auch als „Reunion-Dokumentation“ vermarktet. Tatsächlich sind die Mitglieder des klassischen Lineups wieder vereint, wenn es um Marketing-Aspekte geht. Sie sind aber nach wie vor meilenweit davon entfernt, zusammen zu touren oder gar ein neues Album aufzunehmen. Beides erscheint derzeit auch in der Trio-Variante ohne Steve Hackett und Peter Gabriel äußerst unwahrscheinlich. Für R-Kive hätte man ja auch ein gemeinsames Konzert organisieren können, in dem jeder eigene Songs spielt und am Ende eine handvoll Genesis-Songs gegeben werden. Auch das wird nicht passieren.
Also gilt, wann immer eine „exciting News“ angekündigt wird: Erwartet keine Reunion auf der Bühne und kein neues Album. Falls irgendetwas in der Richtung doch irgendwann passiert, werden wir das sicher über eine Exciting News erfahren. Bis dahin können wir nur hoffen, dass die absurde Öffentlichkeitsarbeit der Band endlich an die Gegebenheiten des Internetzeitalters angepasst wird und sich Band und Management darüber hinaus endlich mal des Potenzials ihrer Fanbasis bewusst werden und auch die Vermarktungsmöglichkeiten erkennen, die daraus erwachsen können.
Autor: Christian Gerhardts
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Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Bestandsaufnahme zu den Entwicklungen rund um Genesis im Jahr 2014. Diese begann mit Ankündigung der BBC-Doku Together And Apart und wurde mit der Ankündigung von R-Kive fortgesetzt.
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