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Genesis – Trespass – CD Rezension
Als erstes echtes Genesis-Album gilt Trespass, das Genesis noch ohne Phil Collins und Steve Hackett einspielte. Hier erfahrt ihr alle Details zum Album.
Die anderthalb Jahre zwischen den Veröffentlichungen des Genesis-Debüts im März ’69 und des Nachfolgers Trespass im Oktober des folgenden Jahres können wohl als die entscheidendste Phase der Genesis-History bezeichnet werden. Jedem, der beide Alben kennt, muss die enorme Weiterentwicklung des Bandstils auffallen. Viele wichtige Erfahrungen, die in jener Zeit gemacht wurden, legten den Grundstock zu dem, was später noch kommen sollte.
Nachdem sich der Frust über die Sache mit der ersten Platte gelegt hatte, kehrte zunächst einmal wieder Alltag in das Leben der Einzelnen ein. Jeder ging seinen eigenen Weg in Sachen Ausbildung, doch die Musik und die gewonnenen Erfahrungen der vergangenen Monate ließen keinen von ihnen los. Über seine Zeit an der Uni meint Tony: „Zu dieser Zeit schrieb ich ziemlich viele Songs, ich konnte kein Klavier spielen, da der Musiktrakt noch in Arbeit war, und für einen gewissen Zeitraum komponierte ich auf der Gitarre, was ich sehr interessant fand … es war eine sehr produktive Periode für mich.“ Auch wenn man sich seltener sah, nutzte man jede freie Minute, um miteinander zu proben. „…den ganzen Sommer über reisten wir herum und probten in den Häusern von Freunden. Die Eltern von jedem waren für zwei bis drei Wochen weg, und wir machten uns breit“, erinnert sich Mike. Er und Ant beschäftigten sich damals gemeinsam viel mit der Weiterentwicklung ihres Spiels mit zwölfsaitigen Gitarren. Und der neue musikalische Enthusiasmus der beiden war es auch, der zuerst sie selbst und im Sommer dann auch Tony und Peter dazu brachte, die Ausbildungen abzubrechen, um von nun an sich nur noch Genesis zu widmen – Bis auf John Silver, der das Risiko einer Musiker-Karriere nicht eingehen wollte. Die Band ließ sich aber dadurch nicht aufhalten und versuchte, an ihren Schwächen, die bei der Produktion des Debuts auftauchten, zu arbeiten.
Tony: „Wir hatten den ganzen Sommer lang geprobt, aber immer noch keine Gigs gespielt, weil wir nur neues Material schrieben und spielten und neue Sachen lernten. Während jener Zeit und auch über die folgenden Monate hinweg wurden viele Demos aufgenommen.“ Den neuen Drummer John Mayhew fand man wie üblich über eine Anzeige im Melody-Maker und war so nun auch bereit für den ersten Gig: diese berühmte Party bei Mrs. Balms im September ’69. Im Wochenendhaus der Familie von Richard Macphail fand man für die Winterzeit einen perfekten Platz, um sich auf die anvisierte Karriere vorbereiten zu können. „Definitiv war das der Beginn einer neuen Zeit, da wir anfingen, miteinander zu leben. Diese Wochenendhaus-Phase war sehr prägend“, so Mike über diese Zeit, und Richard Macphail erinnert sich an den Tagesablauf: „Wir standen in der Regel um 7 Uhr auf und frühstückten, und dann probten sie zehn bis elf Stunden durch, konsequent, nur von Mahlzeiten unterbrochen.“
Der letzte von außen kommende musikalische Einfluss in jener Zeit war übrigens King Crimsons Album In The Court Of The Crimson King. Über den Producer John Anthony, den die Band bei einem der jetzt immer regelmäßiger stattfindenden Auftritte überzeugte, kam der Kontakt zu Charisma-Boss Tony Stratton-Smith zustande. Es war nicht schwer, ihn für dieses Projekt zu begeistern, und so stand bald einer neuen Albumproduktion nichts mehr im Wege. Diese intensive „Songwriting-Phase“, in der auch einige Demos aufgenommen wurden, und die mehr oder weniger regelmäßigen Auftritte hatten in Tonys Augen einen positiven Nebeneffekt: „Bei diesem Album war alles anders. Wir hatten nun ein wenig Liveerfahrung, und jeder Song dieses Albums war vorher auf der Bühne gespielt worden. Wir hatten mindestens doppelt soviele Songs zur Auswahl, wie schließlich auf dem Album erschienen.“
Für die Auswahl der Album-Songs gab es nach Meinung Richards einen entscheidenden Faktor: „Die Auswirkung, die die Gigs auf sie hatten, war sehr ausschlaggebend.“ Dazu Ant: „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob wir tatsächlich das Beste aussuchten … viele Akustik-Stücke, die es auch verdient hätten, fielen unter den Tisch.“ Im Sommer 1970 wurde Trespass innerhalb eines Monats in den Trident Studios aufgenommen. Tony: „Wir waren immer noch sehr unerfahren und neigten dazu, zu viele Sachen in einen Song hineinzupressen. Im Vergleich zum ersten Album konnten wir über 16 Spuren anstelle von 4 Spuren verfügen, was wir nach Kräften ausnützten. Nichtsdestotrotz gab es viele gute Sachen auf diesem Album, und es bewegte sich in die Richtung, in die wir seither fortgefahren sind. “ Die intensive Auseinandersetzung mit ihrer Musik machte sie selbst zu ihren schärfsten Kritikern: „Mit dem Endresultat des Albums waren wir nicht sonderlich zufrieden. Wir waren immer äußerst kritisch und nicht sehr zufrieden mit der Produktion, obwohl wir mit John Anthony gut zurecht kamen“, meint Tony. Der wachsende Perfektionismus und die sich damit steigernde Unzufriedenheit mit sich und den Beiträgen der anderen veranlassten Ant schließlich, die Band zu verlassen. Er war der neuen professionellen Arbeitsweise in einer Band nicht mehr gewachsen, und Probleme löste man damals nicht mit Gesprächen, sondern mit „Trennungen“. Ant: „Es war einfach die allmähliche Erkenntnis für mich, dass ich in einer solchen kollektiven, demokratischen musikalischen Umgebung nicht existieren kann.“ Nach einem solch herben Verlust dachte sich die Band „wenn schon, denn schon“ und trennte sich kurzerhand auch von Schlagzeuger John Mayhew, den man sowieso nie richtig als gleichwertiges Bandmitglied betrachtete. Dass es aber weitergehen würde, stand nie in Frage.
zuerst veröffentlicht in itNr.26 (Frühjahr 1999)