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Genesis – Three Sides Live – 2CD Rezension
Die Abacab-Tour 1981/1982 wurde in Form eines weiteren Doppel-Live-Albums dokumentiert. Three Sides Live enthält tatsächlich nur drei LP-Seiten Live-Material.
…war ein gutes Jahr für Genesis. Der kommerzielle Erfolg ihres 1981 aufgenommenen Albums Abacab konstatierte den weltweiten Ruhm der Band. Hinzu kam Phil Collins‘ beginnende Solokarriere, welche mit In The Air Tonight einen fulminanten Auftakt feierte und seinen Bekanntheitsgrad erheblich steigerte.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Abacab-Tour wesentlich erfolgreicher war als alle Tourneen zuvor. Es hatte sich einiges geändert seit jenen Tagen, in denen Genesis vor allem durch Peter Gabriels theatralischen Mummenschanz auffiel. Die Band war nun für ihre bombastischen Bühnenshows bekannt, die mit kräftigen Lichteffekten umgesetzt wurde.
So setzte Genesis Ende der Siebziger Jahre Deckenspiegel ein, um ihr Licht noch präziser und vielgestaltiger zu platzieren. 1982 kam es jedoch zu einer echten Lichtrevolution die fortan die gesamte Showbranche umkrempelte. Genesis forcierte, zusammen mit der Firma Showco, die Entwicklung von Scheinwerfern, die durch den Einsatz von dichromatischen Spiegeln sekundenschnell die Farbe und Lichtbündelung wechseln konnten. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Innenseite des Three Sides Live-Albums ein Bühnenfoto ziert, welches die imposante Wirkung dieser Lichter verdeutlicht.
Das Album erschien im Juni 1982 in zwei Varianten. Zum einen gab es die namensgebende Veröffentlichung, welche speziell für den amerikanischen Markt konzipiert war. Auf der letzten Seite präsentiert es fünf Studiosongs, die während der Aufnahmen zu Duke und Abacab entstanden. Vertigo übernahm dann auch den Vertrieb in Europa, so dass eben diese Version auch bei uns erschien. In England hingegen verzichtete man auf die Studioaufnahmen und veröffentlichte stattdessen noch vier weitere Livesongs die 1976 und 1980 aufgezeichnet wurden. Die englische Variante war in Deutschland lange heiß begehrt, und auf dem Albumcover machte ein Sticker mit den Worten Four Sides Live die hiesigen Käufer darauf aufmerksam, dass sich der überteuerte Preis lohnt.
Die Titel stimmen chronologisch nicht mit der Setlist überein. Das ist wohl ein Tribut an die „Unwägbarkeiten“ einer LP-Veröffentlichung. Damals wurde darauf geachtet die Lieder sinnvoll auf vier Abschnitte zu verteilen. Ähnlich ist es ja auch bei Seconds Out.
Ein eklatanter Unterschied zu Seconds Out ist hingegen der härtere Sound, den man geboten bekommt. Die Drums klingen viel knackiger, die Gitarren rauer und der Gesang von Collins hat eine aggressive Schärfe wie nie zuvor. Dies geht allerdings auf Kosten der Transparenz. Das Album wirkt komprimierter und flächiger als Seconds Out.
Die Songs
Als Opener fungiert hier Turn It On Again, das etwas schneller als in der Originalversion gespielt wird. So erhält man einen treibenden Anheizer der durchaus Wirkung zeigt. Nach der abgedämpften Gitarreneinleitung vernimmt man Collins Einzählen und los geht der Spaß. Und der vermittelt sich ungebremst durch die Spielfreude und der souveränen Darbietung. Nach dem Abklingen des Applauses erhebt sich wie aus dem Nichts der wuchtige Einstieg zum einzigen Progklassiker von Abacab: Dodo. Das Stück wirkt noch opulenter als im Original. Mikes Basspedale wummern unter der kreischenden Gitarre Daryls und machen so die Stärken der Band überdeutlich. Der Hörer wird überwältigt von der Dramatik einer dahinrollenden Soundwalze. Allerdings fällt in solchen Passagen der dichte komprimierte Klang des Albums negativ auf. Es fehlt ein wenig an Brillianz und Transparenz. Hier punkten ganz klar die fünf Jahre älteren Aufnahmen, welche auf Seconds Out Verwendung fanden.
Knackig und nahe am Original präsentiert sich Abacab, der Hit des Jahres 1981. Phils aggressiver Gesang gibt dem Song die nötige Kraft. Besonders der ausgiebige Instrumentalteil profitiert von der Livedarbietung. Gegenüber der Studioversion lebt er regelrecht auf, und mündet in ein entschlossenes Ende.
Die 2. Seite der LP präsentiert nun die eigentliche Eröffnung des Konzertes, Behind The Lines. Ein Meisterwerk der Band, die auch auf Three Sides Live zu den Höhepunkten gerechnet werden darf. Glücklicherweise entschied man sich, diesen Song im Verbund mit Duchess zu spielen. Beide Stücke brillieren durch eine souveräne, würdevolle Darbietung.
Me and Sarah Jane ist laut Banks seine letzte klassische Komposition im Stil der alten Genesis*. Es war eine gute Entscheidung diesen raffinierten Erguss an Akkorden und Harmonien auch live zu spielen. Hier wird die detailierte, interpretationsfreie Aufführung, welche von Kritikern häufig bemängelt wird, zur echten Stärke. Die Band kann sich vollkommen der Dramatik und Leidenschaft widmen.
Beschlossen wird die zweite Seite der ersten LP mit Follow You Follow Me. Dieser Song wurde nach Meinung des Verfassers 2007 sehr viel besser gespielt. Auf Three Sides Live fehlt die nötige Ruhe, und gerade Collins geht hier viel zu impulsiv aus sich heraus.
Mit Misunderstanding folgt ein leichter Einstieg in die anspruchsvollste Seite des originalen Albums. Das vom Gesang leidenschaftlich vorgetragene Ende des Liedes ist durchaus stimmig und gibt Misunderstanding einen souligen Touch.
Mit dem In The Cage-Medley erhält der Progliebhaber ein echtes Schmankerl. Dieses Werk besticht durch Leidenschaft und Spielfreude und wirkt zu keiner Zeit leblos routiniert. Es ist einfach begeisternd mit welcher Virtuosität diese strenge Komposition gespielt wird. Hier wird ein Feuerwerk an Arpeggien und Melodien gezündet, begleitet von einer Rhytmusgruppe die den Hörer trotz all der schrägen Takte beschwingt mitgrooven lässt. Trotzdem zerfällt In the cage nicht, sondern schafft es einen tollen Spannungsbogen zu halten. Am Ende des Titels fließt die Band in die nicht minder packende Cinemashow. Durch die zeitweise Reduktion auf das eigentliche Genesis-Trio erhält das Medley die Luft die Anhand der vorgetragenen Opulenz notwendig ist. Das gilt auch für den dritten Teil der „Suite“ The Colony Of Slippermen. Nach diesem Festmahl mündet das Werk zunächst in die Ruhe von Afterglow, steigert sich jedoch zu einem fulminanten Finale. Hier setzt das Album den eigentlichen Schlusspunkt, da die vierte Seite etwas vollkommen anderes bietet. Das gilt sowohl für die „Studioversion“ als auch für die Livesongs der britischen Ausgabe.
Die “vierte“ Seite
Die Studiotracks haben allesamt einen sehr trockenen, direkten Klang. Die ersten 3 Titel entstanden im Zuge der Abacab-Sessions, wohingegen die anderen beiden Songs für Duke konzipiert waren. Dieser „Überschuss“ wirklich guten Materials dokumentiert den großen kreativen Output zu jener Zeit. Das Konzept mit der 4.Seite einen weiteren Charterfolg zu platzieren ging auf, denn obwohl Paperlate nur in England ein Hit war, erreichte er doch ein sattes Airplay. Das hing wohl vor allem mit Phils Soloerfolg zusammen, zumal der Song mit seinen Bläsern wie ein typisches Collinswerk daher kommt. Nichtsdestotrotz ist er doch eine Gemeinschaftskomposition.
Während You Might Recall noch relativ locker wirkt, entwickelt Me And Virgil jene eindrückliche Dramatik die Genesis‘ Popmusik damals noch immer von der Masse abhob. Evidence Of Autumn ist eine typische Banks Komposition und hätte mit seiner melancholischen Stimmung auch gut auf sein erstes Soloalbum A Curious Feeling gepasst.
Beschlossen wird Three Sides Live mit einem traurigen, nachdenklichen Song aus der Feder Rutherfords: Open Door. Es ist ein ungewöhnlicher Abschluss für eine insgesamt lebendige, aufwühlende Liveplatte.
Demgegenüber wirkt die britische Veröffentlichung harmonischer, obwohl die Aufnahmen thematisch genauso wenig zu den ersten drei Seiten passen. Für den Proghörer wird hier natürlich einiges geboten. Unverständlich bleibt indes weshalb die fehlerhafte ID Marker (Titeltrennung) nicht ausgebessert wurden.
One For The Vine entführt uns wieder zu den epischen Werken der Siebziger. Live wirkt dieses Stück weniger abgedreht als auf Wind and Wuthering. So erscheint es in sich noch stimmiger. Wieder beeindruckt die souveräne Darbietung und die leidenschaftliche Arbeit aller Beteiligten. Hier wird songdienlich und gefühlsbetont musiziert, was besonders bei Daryls zurückhaltender Gitarrenarbeit auffällt. Bei einem solchen Epos vermisst man keine ausufernden Improvisationen, sondern lauscht gespannt der vorgetragenen Geschichte.
Lebhaft und imposant erhebt sich zunächst Fountain of salmacis. Dies ist ein echter Höhepunkt der vierten Liveseite. Gerade Collins Interpretation der gabrielschen Vorlage ist doch sehr gelungen. Die Band besticht ein weiteres Mal durch Spielfreude und Agilität. Eine bessere Liveversion dieses Klassikers wird schwerlich zu finden sein!
Beendet wird die Zusammenstellung alter Liveaufnahmen durch ein weiteres Medley, welches besser auf Seconds Out gepasst hätte, da es sich um eine Aufführung von 1976 handelt.
Obwohl It sehr ambitioniert vorgetragen wird kann es nicht den Drive der Studioversion entwickeln. Schade. Eine gute Wahl hingegen ist der symphonische Abschluß durch Watcher Of The Skies. Natürlich ist es bedauerlich das wir hier nicht die komplette Version geboten bekommen, aber dieses Ende wirkt wie ein Paukenschlag der einen wunderbaren Punkt unter das gebotene Liveprogramm setzt.
Fazit
Ein lohnendes Livealbum ist Three Sides Live allemal, obwohl es spannender gewesen wäre die originale Setlist zu übernehmen. Für Progliebhaber sei die britische Ausgabe empfohlen, die mittlerweile auch in Deutschland gängig ist. Wer hingegen die Genesis der „Umbruchsphase“ bevorzugt und sich an Abacab erfreut, sollte die namensgebende Variante wählen. Zu bedenken ist dabei lediglich das es bisher keine Ausgabe gibt, die uns die klanglichen Vorzüge der remasterten Version in Kombination mit den 5 Studioaufnahmen bietet.
* aus Chapter & Verse, 2007
Trackliste:
CD1
Turn It On Again
Dodo
Abacab
Behind The Lines
Duchess
Me And Sarah Jane
Follow You Follow Me
CD2
Misunderstanding
In The Cage / The Cinema Show / The Colony Of Slippermen
Afterglow
Paperlate +
You Might Recall +
Me And Virgil +
Evidence Of Autumn +
Open Door +
One For The Vine *
Fountain Of Salmacis *
Watcher Of The Skies / It *
* Live-Tracks der englischen Four Sides Livesowie der Definitive Edition Remaster
Autor: Robert Krauskopf