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Genesis – The Genesis Songbook – DVD Rezension
Quasi als Update des Videos A History von 1991 erscheint zehn Jahre später das etwas kompaktere, dafür aktuellere Genesis Songbook. Ob der etwas andere Ansatz der Dokumentation an den Erstling von 1991 heranreicht, beurteilt Christian Gerhardts in dieser Rezension.
Es gibt Licht am Ende des Tunnels. Jahrelang musste sich der geneigte Genesis-Fan mit einer Servicewüste abfinden. U2 oder R.E.M. verwöhnen ihre treuesten Fans regelmäßig mit besonderen CDs, Livemitschnitten etc. Bei Genesis sah das bisher anders aus. Bisher. Nach mehreren missglückten Versuchen, das Internet adäquat zu nutzen, scheint nun endlich die Idee der offiziellen Homepage mit großem Zufriedenheitsgrad aufzugehen. Diese neue Fan-Nähe wird auch durch die erste DVD-Veröffentlichung deutlich, die aus dem Genesis-Kern stammt. Von Phil Collins gibt es bereits gutes DVD-Material im Handel, jetzt zieht die Gruppe nach.
Viele von uns wünschen sich seit langem eine Art update des A History-Videos von 1991. Viel ist passiert seit der Zeit vor We Can’t Dance, was ein ähnliches Konzept mehr als rechtfertigt. Also halten wir nun eine aktuelle Fassung einer Bandbiographie in Bild und Ton in Händen.
Das Medium DVD
The Genesis Songbook ist als DVD und VHS-Kassette erhältlich. Das enthaltene Bonusmaterial macht aber die DVD interessanter. Wieder einmal ein Grund für alle VHS-Junkies, auf die DVD umzusteigen.
Um es vorweg zu nehmen, der Titel und vor allem das Cover sind schlimm. Einfach grauenhaft. Blöder als auf dem Cover haben Tony, Mike und Phil selten geguckt, dazu repräsentieren sie nicht unbedingt alleine das, was wir auf der DVD finden. Der Titel ist wahrscheinlich aus der Verlegenheit entstanden, keinen Titel zu finden. Jedenfalls sollte man diese beiden Faktoren besser übersehen, um sich nicht unnötig zu ärgern.
Die Dokumentation
In einer Stunde wird mit rasantem Tempo die Geschichte der Band anhand von ausgewählten Songs und mit den Kommentaren von kompetenten Begleitern jeder Periode erzählt.
Schon das Startmenü macht Lust auf mehr. Zur Neueinspielung von Horizons durch Steve Hackett kann man entsprechend auswählen. Die Dokumentation beginnt mit einer Aufnahme der Proben zum Konzert zu Ehren von Tony Smith im letzten Herbst – also gleich ein Leckerbissen, es folgt eine rasante Diskussion über das, was Genesis waren – in jeder Periode. Hier kommen auch Peter Gabriel und Tony Smith zu Wort.
Es wird auf Jonathan King verzichtet, der sicher seinen Anteil an der Bandgeschichte hat, wenngleich sein „ich-entdeckte-Genesis“-Gehabe vermutlich nicht nur den Fans, sondern auch der Band selber irgendwann auf den Zeiger geht. Wir hören und sehen den Start von Genesis in knapper Form noch einmal, dürfen wieder einmal hören, dass Phil schon ein guter Drummer war, als er sich beim Vorspielen an sein Schlagzeug setzte, dass er die gesamte Stimmung auflockerte, dass man zunächst gar keine Live-Band sein wollte und dass der Verlust von Anthony Phillips ein harter Schlag für die Band war. Alles nichts neues, aber dennoch liebevoll, vielleicht etwas zu knapp dokumentiert. Als kleines Highlight kommt Ur-Drummer John Silver zu Wort.
Doch nun folgen endlich Überraschungen. Chris Welch, ein journalistischer Genesis-Fanatiker, Armando Gallo – jedem Fan ein Begriff – und, ja: Alan Hewitt kommen zu Wort. Eine interessante Mischung! Über den Inhalt der Aussagen kann man streiten, aber es tut gut, einmal externe Genesis-Insider zu hören. Steve Hackett erzählt von seinem ersten Eindruck von Genesis – und passt sich ironischerweise mit seinem Outfit (große rote Sonnenbrille und schwarz weiße Krawatte) dem eher schlechten Design des Covers der DVD an. In der Folge bekommen wir wieder Bekanntes geboten.
An manchen Stellen tut es gut, dass nicht alles so breitgetreten wirkt, aber dann wiederum würde man gerne mehr hören oder einmal einen kompletten Live-Song. Peter Gabriel bringt einen zum Schmunzeln, wenn er erklärt, dass man keinen Bock auf Top of the Pop und so’n Zeug hatte, um I Know What I Like zu promoten. Völlig überraschend bekundet an dieser Stelle Ray Wilson (nicht als Ex-Sänger, sondern als ‚Musician‘ bezeichnet) seine Bewunderung über die frühen Genesis. Etwas knapp kommt wieder Peter’s Ausstieg daher, dafür wird der Neustart mit Phil als Sänger besser beleuchtet. Bei The Lamb kann man nun mal nicht mehr hören, dass Tony das Album nicht so toll fand und dass Peter alle Texte schreiben wollte. Das nächste Highlight ist somit David Hentschel, langjähriger Produzent, der von den Schwierigkeiten und Besonderheiten von Genesis im Studio in der post-Gabriel-Ära berichtet.
Vielleicht der größte Höhepunkt folgt nun mit einer Neuaufnahme von Afterglow in einer E-Pianoversion, die in voller Länge noch einmal in den DVD-Extras dargeboten wird. Thematisch untermalt wird der Song durch die lyrische Vereinfachung der Band und der Feststellung von Alan Hewitt, dass Afterglow ihr ultimativer Song ist. Eine deutliche, klare Aussage, die aber sicher streitbar ist. Kurz werden die Umstände für Steve’s Abschied skizziert, auch David Hentschel äußert sich hier wieder. Armando Gallo setzt gekonnt den Schlusspunkt unter die (musikalische) Phase Eins der Band.
Mike zeigt, wie er einst Follow You Follow Me improvisierte und Chester Thompson stellt fest, dass das Songwriting der Band auf höchsten Niveau lag und immer noch liegt. Rasant geht es weiter zu Duke, wo Daryl Stuermer seine Bewunderung über die häufigen Stilwechsel der Band kundtut. Im Rahmen der Songentwicklung zu Turn It On Again spielt Mike den Song schnell und in der langsameren Ursprungsfassung vor – und verhaspelt sich ordentlich am Gitarrenhals. Solche Einlagen machen diese DVD natürlich noch etwas interessanter.
Mit Mama wird gewissermaßen die nächste Phase der Band eingeläutet. Allerdings muss man rügen, dass ihr streitbarstes Album, Abacab, einfach übergangen wird. Dafür bekommt man bei Mama zu hören, dass der Song durch Rap beeinflusst wurde. Die Schuld daran trägt Hugh Padgham, der eine Platte von Grandmaster Flash mit ins Studio brachte.
Mama läutete die erfolgreichste Genesis-Periode überhaupt ein, dementsprechend werden die folgenden Alben mit Kurzweil besprochen. Chester Thompson merkt kritisch an, dass Genesis von einer Fan-Band zu einem globalen Event wurden, was die Sache etwas von ihrem hohen Standard herunterholt. Entsprechend erkennt Tony Banks, dass die Band die langen Songs nie aufgab, aber wohl aufgrund der Singles in Erinnerung bleiben wird. Damit hat er für die Collins-Ära sicher recht! Alle wehren sich gegen das Kommerz-Image in der gewohnten Form.
Nostalgie kommt auf, als es um We Can’t Dance geht. Daryl Stuermer bedauert es, nicht noch einmal die Chance bekommen zu haben, mit Tony, Mike, Chester und Phil zu touren. Und nun folgt tatsächlich ein Einblick in die Calling all Stations-Zeit. Man konnte durchaus befürchten, dass man diese für die DVD außer Acht lassen würde. Mit genauso viel Kurzweil wie die Passagen zuvor werden der Versuch und das angebliche Scheitern der Post-Collins-Genesis geschildert. Ray Wilson bedauert es, Tony Smith auch, Tony Banks fühlt sich in Konkurrenz zu den Pop-Bands gestellt. Insgesamt kommt ein Gefühl der bislang undefinierten Möglichkeiten für die Zukunft auf.
Tony Smith bringt es auf den Punkt: Sobald es gutes Material gibt, kommt der Rest von selbst. Chester Thompson: Es beeindruckte mich, dass sie eine richtige Band waren. Bis heute habe ich keine gleichberechtigtere Band gesehen als Genesis. Alan Hewitt treibt es auf die Spitze: Sie waren die größten, so einfach ist das.
DVD-Bonusmaterial
Als Bonus bietet die DVD eine Menge Zusatzmaterial, auf etwa 40 Minuten:
1. Phil Collins Joins Genesis
Die übliche Pool-Geschichte wird ausführlich erzählt. Zuvor berichtet Phil von dem Ende seiner Flaming Youth-Zeit und von Ronnie Caryl, der ebenfalls bei Genesis vorspielte. Mike stellt noch einmal heraus, dass Phil die Band entscheidend auflockerte.
2. Steve Hackett Joins Genesis
Auch hier nichts entscheidend Neues. Steve erzählt von der Annonce und der Eigenartigkeit der Band. Nach wie vor erscheint es ihm erstaunlich, wie einfach er in die Band gekommen war.
3. Horizons
Steve spielt den Klassiker Live auf der DVD auf der Akustik-Gitarre in einer neuen Version. Mehr davon!
4. Writing
Supper’s Ready
Was Mama in den 80ern war, war sicherlich Supper’s Ready in den 70ern. Die Entstehung des Klassikers wird beschrieben. Tony erklärt, dass erst Willow Farm das Stück wachsen ließ und die endgültige Qualität in der Endpassage durch Apocalypse in 9/8 entstand. Hier spielt Tony am Klavier einige der entstehenden Passagen vor, was die Sache sehr veranschaulicht, vor allem für Nicht-Musiker.
5. The Lamb Lies Down On Broadway
Alle sehen skeptische, extravagante und hochwertige Aspekte in The Lamb. Die Idee war es, das Konzept von Supper’s Ready auf ein ganzes Album auszudehnen. Dann wurde es ein Doppelalbum und Phil wundert sich immer noch, wie man auf die Idee kam, das ganze Album live zu spielen, obwohl es noch gar nicht erschienen war. Noch einmal wird Gabriel’s Ausstieg beleuchtet mit dem fehlenden letzten Konzert.
6. Firth of Fifth
Tony bekommt Gelegenheit, sein Lieblingsstück zu sezieren. Dabei spielt er den Mittelteil am Klavier und verspielt sich wie Mike Rutherford bei Turn It On again, aber er nimmt es mit Humor. Bemerkenswert, dass sie diese Szene nicht neu eingespielt haben. Tony stellt klar, dass es sein Song ist, er aber ohne Genesis nie das geworden wäre, was er ist.
7. Bill Bruford Joins Genesis
Zunächst ist er nie Genesis beigetreten. Bill Bruford und Phil Collins erzählen die Umstände, unter denen Bill bei Genesis spielte und auch wieder verschwand. Wirklich Neues bekommen wir nicht zu hören.
8. Chester Thompson & Daryl Stuermer join Genesis
Die beiden Herren waren halbe Bandmitglieder, nachdem sie etliche Jahre als Live-Musiker dabei waren. Auf den Alben haben sie auch nie gespielt. Chester erzählt, dass Alphonso Johnson von Weather Report ihm Genesis vorspielte und wenig später Phil auf Grundlage des Zappa-Albums Roxy And Elsewhere Chester fragte, ob er mit Genesis spielen wolle. Chester’s Slang. Man, it’s bad“ für „Mann, das ist genial“) verwirrte die Band soweit, dass sie glaubten, er würde während der ersten Tour wieder gehen. Chester empfand Genesis als etwas völlig Neues für ihn, also reizte ihn der Job auch. Daryl dagegen wurde durch die Collins-Genesis aufmerksam und wurde von Rutherford zum Vorspielen eingeladen. Daryl kannte auch schon Chester Thompson und wusste, dass er schon ein Jahr zuvor bei Genesis spielte. Insofern fühlte er sich wohl, diesen Job anzunehmen.
9. Follow You Follow Me
Neuaufnahme des Pop-Klassikers in semi-akustischer Form. Der Song wirkt etwas anders als die Ray-Wilson-Unplugged-Version. Vor allem deshalb, weil Phil singt. Eine gute neue Version des Songs.
10. Afterglow
Das Highlight der DVD nochmals in voller Länge. Leider beherrscht Phil die hohen Passagen nicht mehr oder er traut sich einfach nicht, sie zu singen. Wie dem auch sei, das Stück treibt einem die Tränen in die Augen und die Gänsehaut auf den Rücken. Zuvor wird nochmals über die Bedeutung des Songs berichtet.
11. No Son Of Mine
Ebenfalls semi-akustisch, allerdings nur zur Hälfte. Danach erzählt Jim Yukich wie schon bei Land Of Confusion während des normalen Teils der DVD von der Entstehung des Videos. Man sieht schließlich den Schluss des Videos und die DVD ist zu Ende…
Fazit
100 Minuten Material mit Kurzweil, Details, Altbekanntem und großen Überraschungen. Für den Fan(atiker) ist diese DVD vielleicht nicht zu 100% höchstes Niveau, aber insgesamt hinterlassen Genesis den erfreulicherweise positiven Eindruck, etwas für die Fans produziert zu haben. Genesis-Interessierte, die bisher aber eher Laien sind, können mit dieser DVD einen guten Einblick in die Bandhistory bekommen. Kritisch zu sehen ist das Fehlen von Abacab und einem Bericht der Neuaufnahme von The Carpet Crawlers. Vielleicht bekommen wir aber weitere interessante Ausschnitte im Rahmen der geplanten folgenden DVDs. Man darf gespannt sein. Und zum Schluss: Was haben wir erfahren? Alan Hewitt kaufte Invisible Touch, hörte es und spielte Frisbee damit.
Turn it on again!
Autor: Christian Gerhardts