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Genesis – Platinum Collection: The Video Show – DVD Rezension
Parallel zur Platinum Collection erschien 2004 die The Video Show DVD, welche fast alle Musikvideos der Bandgeschichte auf einer DVD in Stereo, Dolby Digital 5.1 und dts Sound vereinigt. Christian Gerhardts erledigte die Hör- und Sehprobe.
Es sind merkwürdige Zeiten. Jahrelang wurden die Wünsche der Fans konsequent nicht beachtet, und plötzlich erreicht uns eine Flut von interessanten Veröffentlichungen aus den Backkatalogen des Genesis-Umfeldes. Nicht ganz ohne Grund, schließlich gibt es von den Hauptdarstellern kaum noch neues Material und gerade bei Genesis selber steht es, wenn überhaupt, im Spiegeluniversum in den Sternen, ob noch mal ein neues Album kommt.
Grund genug, dem bereits Geleisteten oder Missratenen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Nach dem Genesis Songbook und den beiden Live-DVDs The Way We Walk sowie Live At Wembley Stadium gibt es nun eine Kollektion der Genesis Musikvideos aus den Jahren zwischen 1976 und 1999. Es ist kaum zu glauben, aber auch diese Zusammenstellung ist annähernd komplett. Und als wäre das nicht schon eine feine Sache, schiebt EMI direkt ein 3-CD-Set mit dem Namen Platinum Collection hinterher. Beides erscheint am 29.11.2004 und beides enthält genug Diskussionsstoff.
Die DVD
The Video Show ist natürlich aus zweierlei Gründen interessant. Zum einen wurde auch hier das DVD-Medium genutzt, um die Songs soundtechnisch aufzupolieren. The Video Show lässt so manchen Klassiker in einem etwas anderen Licht erstrahlen. Des Weiteren ist altes Videomaterial nun in guter Qualität auf DVD zu haben, das zuvor auf etliche Male abgespielten und abgenudelten Tapes zu Hause vor sich hin moderte. Und außerdem liegt die letzte offizielle Videokollektion nun auch schon 16 Jahre zurück.
Die DVD kommt in einem schönen Digipak mit den Abbildungen der Original-Singles – teilweise sind das richtige Exoten, wie das Singlecover von Follow You Follow Me. Das ist schon alleine deswegen exotisch, weil dieses Cover vermutlich gar nicht echt ist.
Der Digipak ist zusätzlich mit einem Pappschuber versehen und kommt somit in einem schlichten, aber effektvollen Design.
Die Menus sind gespickt mit Symbolen und Figuren der letzten 34 Jahre, zu jedem Track gibt es separat aufrufbare Writing-Credits. Das Tonformat ist standesgemäß wählbar – dts, 5.1 und Stereo. Das Bildformat ist in der Regel 4:3, außer bei neuerem Material wie zum Beispiel Congo, dann ist es der neue Standard 16:9.
Beim Betrachten der Titelreihenfolge erfolgt das erste Stirnrunzeln. Zwar beginnt die DVD mit No Son Of Mine stark und endet mit The Carpet Crawlers 1999 stärker, aber dazwischen gibt es eine völlig sinnfreie Titelreihenfolge. Alle Alben mit verfügbaren Videos werden chronologisch rückwärts abgearbeitet. Soweit auch okay. Aber dann folgt nach den Videos von A Trick Of The Tail die Videosammlung von Calling All Stations. Einmal mehr hat man das Gefühl, als sollte die Wilson-Ära thematisch und bandhistorisch an den Rand gedrängt werden.
Die Videos
Das allererste Genesis-Video überhaupt, I Know What I Like, fehlt, da es den kritischen Augen und Ohren von Peter Gabriel nicht standhalten konnte. Die Band entschied sich dann, das Video aus qualitativen Gründen wegzulassen. Der Rest der Kollektion hat eine durchweg gute Bildqualität mit entsprechenden Abstufungen. Warum allerdings beispielsweise That’s All etwas körnig rüberkommt und Ripples dagegen ein Genuss ist, kann sicher nicht mit dem Alter begründet werden.
Irgendwann um 1983 herum haben Genesis das Video-Genre etwas ernster genommen und sich selber gleichzeitig weniger ernst. Während die Videos zu Keep It Dark oder Robbery, Assault And Battery völlig hilflos und peinlich wirken (aber gerade deshalb Kultstatus haben), untermauern Mama oder
Illegal Alien eine Art künstlerische Aufbruchstimmung. Böse Zungen behaupten, dass die steigende Qualität der Videos negativ mit der Qualität der Musik korreliert. Fakt ist auf jeden Fall, dass der Erfolg der Platte Invisible Touch zu einem Großteil auf den geschickt in Szene gesetzten Videos beruht. Gleiches gilt für We Can’t Dance, als das I Can’t Dance-Video auf MTV rauf und runter gespielt wurde. Genesis haben auch in diesem Genre ihre Marke hinterlassen.
Allerdings waren sie nie so verquer kreativ wie Peter Gabriel, sondern ließen eher allen Schabernack mit sich machen. Und so wurde aus den ernsthaften Charterhouse Boys auch mit Hilfe von Phil Collins eine Comedybande, die sich pausenlos selbst auf die Schippe nahm. Illegal Alien, Invisible Touch, Anything She Does, I Can’t Dance oder Jesus He Knows Me sind richtige Lachnummern und zeigen auch, dass Phil Collins ein guter, Tony Banks aber ein schlechter Schauspieler ist. Aber wen stört das. Über diese Videos haben auch die Die-Hard-70s Fans mindestens heimlich gelacht. Als dann Ray Wilson in die Band kam, schlug man wieder einen ernsthafteren Weg ein, blieb aber auf einem mittelhohen Niveau. So sind auch Shipwrecked und Congo kleine Kunstwerke ihrer Regisseure.
The Carpet Crawlers 1999 wiederum ist und bleibt ein Mysterium. Auf VH-1 wurde vor einigen Jahren das Video gezeigt, auf der DVD befindet sich eine andere Version. Peters gestrichene Strophe des Video-Edits ist plötzlich wieder da, dafür fehlt Phils Strophe völlig. Aber das Video ist mit seinen vielen Bildern aus 30 Bandjahren der perfekte Abschluss der DVD, Chronologie hin oder her. Am Ende kann man sogar sagen, es wäre ein guter Abschluss für die gesamte Band, wenn die sich tatsächlich nicht mehr aufraffen können.
Doch was wären Musikvideos ohne Ton? Hier wiederum ergibt sich ein völlig anderes Bild. Land Of Confusion, eines der besagten Meistervideos, für das die Band ihren einzigen (!) Grammy bekam, bleibt im 5.1-Sound eher blass – schlimmer noch, die für das Video essentiellen Nebengeräusche sind überhaupt nicht wahrnehmbar – und das auf allen drei Tonspuren. Andere Songs wie No Son Of Mine etwa sind dezent räumlicher und klarer im Sound, bei Keep It Dark dagegen erfreut man sich an den klanglichen Effekten. Nick Davis hat es nicht übertrieben, aber man hätte sich hier und da dann doch etwas mehr gewünscht, vor allem bei dem überdezenten The Carpet Crawlers. Bei No Reply At All überraschen die Bläser von hinten, bei Tonight Tonight Tonight der Drumsound. Wer bisher nicht wusste, dass es auf
Not About Usein Klavier zu hören gibt, kann sich hier davon überzeugen. Das gleiche gilt für die flippigen Keyboardsounds in der letzten Strophe von Jesus He Knows Me. Und bei dem Video gibt es auch eine Soundpanne. Wie fast überall ist die Gesangsstimme schwerpunktmäßig auf den Centerlautsprecher gelegt. Das macht Sinn und klingt authentisch, denn wer kann schon zweistimmig singen? Aber während Phil als Priester seine Ansage macht, kommt diese auch durch den Center und vermasselt den echten Gesangseinsatz, der erst beim zweiten bis dritten Wort durch den Centerlautsprecher erfolgt.
Wiederum erfreulich wird es, je älter die Songs werden. Die neuen Mixe klingen erstaunlich frisch, und sogar ein Many Too Many macht richtig Spaß. Bei den Tracks von A Trick Of The Tail dann hört man gerne öfter hin, denn die werden ja 2005 auch als SACD erscheinen. Jedenfalls kommt bei den 5.1-Mixen auf der DVD Steves Gitarre deutlich besser zum Vorschein als auf den CDs. Die Gitarren sind ohnehin die Gewinner bei der Surround-Abmischung. Bei den Keyboards kommen einige Effekte zum Vorschein, die zuvor im Soundbrei vergraben waren.
Die Drums lassen einen etwas ratlos am Kopf kratzen. Mal sind die neuen Mixe genial, mal hat man das Gefühl, dass die Drums unsauber abgemischt sind und im Vergleich zum Stereo deutlich an Wucht verloren haben. Aber die Wahrheit liegt bekanntlich im Ohr des Betrachters. Und von da aus betrachtet sind die Surround-Mixe eine interessante Aufmöbelung teilweise verdrängter Songs. Und dann gibt es sogar das Top-of-The-Pops-Video von Paperlate. Da ist man doch eigentlich bestens bedient. Es drängt sich auf, Genesis zu widersprechen. „Ripples never come back“ sangen sie einst. Aber das hört sich irgendwie anders an.
Fazit
Die DVD hinterlässt eine Fülle von Eindrücken und Gedanken und man ertappt sich immer wieder dabei zu glauben oder zu wünschen, dass dies nicht alles war. Auch wenn
The Carpet Crawlers 1999 ein würdiger Abschluss wäre. Zu was es auch immer kommen wird oder nicht, wird die DVD keinem verraten. Aber sie sorgt für eine Menge Kurzweil und schöne Erinnerungen an die Zeiten, als einen noch alles vom Hocker reißen konnte … and everybody cries for more.
Autor: Christian Gerhardts, November 2004