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Genesis – Live in Los Angeles (12 + 13.10.2007)
Das Tourfinale der Turn It On Again-Tour fand in der Hollywood Bowl in Los Angeles statt. Wieder einmal war es der Regen, der eines der Konzerte prägte und ein persönliches Highlight für Ulli Klemt, der vor Ort war.
Eigentlich gab es ja gar kein Dach, weswegen die Überschrift strenggenommen nicht stimmt, aber darüber später mehr. Im Hotel saß schon ein Dutzend Fans an der Bar und bald kamen weitere hinzu. So begegnete ich Leuten, die ich schon bei den vorigen Konzerten getroffen hatte (sogar jemanden, den ich zuletzt in Helsinki gesehen hatte). Kurz darauf stieß Maria von Ultrastar, der Firma, die die offizielle Genesis-Website betreut, zu uns. Sie hatte einige Geschenke mitgebracht und als derjenige mit der weitesten Anreise “gewann” ich eine Genesis-Tourkappe, die mir später gut zupass kam.
Gegen halb sieben ging ich dann die Straße entlang zur Hollywood Bowl, nur zehn Minuten den Hügel hinauf. Vor den Toren saßen noch ziemlich viele Leute beim Picknick; es war aber schon richtig was los. Wer noch nie in der Bowl war, sollte wissen, dass man die Bowl unten betritt, wo auch die Konzertmuschel (die Bühne) ist. Die Leute, die ganz oben saßen, mussten also die ganze Strecke hinaufsteigen. In der Waldbühne in Berlin ist es ähnlich, glaube ich (ich war noch nie dort). Nur ein bisschen größer und mit einer Muschel anstelle eines Zeltdachs. Die Logen sind sehr klein. In jeder Loge gab es gewöhnlich vier Stühle und Klapptische, weswegen viele Leute in ihrer Loge aßen. Die Stühle sind nicht numeriert; die Sitznummer auf der Eintrittskarte ist also wenigstens in den Logenbereichen (”Garden” & “Terrace”) sinnlos. Mein Sitz lag in einer “Garden”-Loge an der oberen linken Seite des Bereichs (wenn man auf die Bühne schaut); so hatte ich dann gute Sicht auf die Bühne insgesamt und die Muschel darüber.
Irgendwie hatte es die Roadcrew geschafft, die gesamte Arenabühne auf diesem kleinen Raum aufzubauen. Der Bühnenboden war eben, abgesehen von den Schlagzeugpodesten. Die Scheinwerfer, die sich sonst in einem Halbkreis die Vorderkante der Bühne entlangziehen, waren hier an einer Wand zwischen der “Pool”-Sektion (dem vordersten Zuschauerbereich) und den “Garden”-Logen installiert.
Überall waren weitere Varilites aufgestellt. Es gab, soweit ich sehen konnte, keine Kamera direkt vor der Bühne – dafür reichte der Platz einfach nicht aus. Für Mama hatte Phil dann wohl eine festmontierte Kamera. Vor dem Konzert sprach ich noch kurz mit dem Toningenieur Michel Colin. Er sagte, dass die “offizielle” Wettervorhersage ab acht Uhr abends Regen ankündigte. Andere Wetterberichte im Fernsehen sprachen von Schauern ab elf Uhr bis in den Morgen hinein. Keine gute Nachricht für ein Open-Air-Konzert. Das Hauptproblem lag daran, dass die Band zum ersten Mal nicht von einem Dach geschützt wurde. Bei den anderen Open-Air-Shows hatten sie die Stadionbühne benutzt, die zwischen den Beleuchtungs”armen” eine Plexiglasabdeckung hatte, die den größten Teil der Bühne schützte. Hier war es offensichtlich, dass bei Regen auch die Band nass werden würde.
Kurz bevor das Konzert anfing, kamen die Gäste der Band an. Ich sah viele Sänger aus Phils Soloband (Connie Jackson, Lamont van Hook und Bill Cantos). Als das Konzert begann, war es noch trocken, und die ersten Stücke verliefen problemlos. Während sie In The Cage spielten, begann es zu regnen. Nur ein kleiner Schauer. Dennoch könnte er der Grund für erste größere technische Probleme bei der Cinema Show gewesen sein. Ein großer Teil der Lautsprecher funktionierte nicht mehr, kam dann aber bei Duke’s Travels zurück. Außerdem schienen die Jungs erstmals Probleme mit ihren Instrumenten zu haben (vor allem Daryl, aber da kann ich mich täuschen). Nach Afterglow ging der Schauer zu Ende, und Phil sagte einiges (einschließlich des F-Wortes) vor Hold On My Heart; etwa: “Na toll, Genesis spielen draußen, lass es runterpladdern!” Immer wieder kam die Roadcrew während des Konzerts mit Handtüchern auf die Bühne und wischte den Bühnenboden trocken.
Bis Throwing It All Away war es ziemlich trocken. Während dieses Stückes zeigten die Bildschirme Luis Conte, wie er in einem Regenmantel tanzte und ganz offensichtlich jede Menge Spaß hatte. Allmählich wurde der Regen immer stärker. Gut, bei manchen Konzerten in Europa hat es weit stärker geregnet, und diese Show läßt sich keinesfalls mit der in Katowice vergleichen, aber – wie gesagt – lag das Problem darin, dass ohne Dach die Band und ihre empfindlichen Instrumente klatschnass wurden. Sie hatten übrigens ein paar neue Effekte hinzugefügt, die die Architektur des Veranstaltungsortes perfekt ausnutzten. Während Mama war beispielsweise das Innere der Muschel rot ausgeleuchtet. Eine simple Idee, aber äußerst wirkungsvoll!
Es regnete weiter, und etwa bei Domino bauten ein paar Roadies sogar einen Regenschirm über Tony und seinen Instrumenten auf. Los Endos war ein Höhepunkt der Show. Hier bauten sie einen sehr dramatischen Effekt ein, indem sie die roten Feuerwerkseffekte, die in Europa bei Home By The Sea verwendet wurden, hinter der Bühnenmuschel zündeten. Es wirkte, als stünde die ganze Bühne in Flammen. Mit dem Regen verschlimmerten sich auch die technischen Probleme. Die Band hatte sichtlich Mühe, sich durch Invisible Touch zu kämpfen. Irgendwann in dem Stück wischte Tony einmal über die Tasten, vielleicht um das Regenwasser zu entfernen, was zu einem sehr eigenartigen Geräusch führte. Dann beugte er sich vor und fummelte am Keyboard herum, weil es nicht mehr funktionierte. Am Ende lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme – und die Band spielte das Stück ohne Keyboards zuende!
Dann verließ die Band die Bühne wie üblich nur mit einem kurzen Winken ins Publikum, um dann später zu den Zugaben zurückzukehren. Aber schon wenige Sekunden später kehrte Phil alleien zurück. Da hatte ich schon ein ganz schlechtes Gefühl. Phil sagte, sie seien so durchnässt wie das Publikum und hätten es mit sehr viel Glück so weit durch das Set geschafft. Sie könnten jetzt einfach nicht mehr weiterspielen. Darum dankte er allen und verließ die Bühne. Direkt danach erklang Fading Lights aus den Lautsprechern und die Show war vorüber. Nachdem ich die Bowl verlassen hatte, kehrte ich schnurstracks ins Hotel zurück, um mich abzutrocknen.
Dessen ungeachtet war es ein tolles Erlebnis, und ich freue mich, dass ich dabei war. Das Konzert war – trotz der technischen Probleme – großartig und zeichnete sich durch ganz besondere Lichteffekte aus. Das Feuerwerk am Ende von Invisible Touch wurde natürlich auf und hinter der KOnzertmuschel gezündet; drinnen gab es kein Feuerwerk. Daher entging den Leuten in den vorderen “Garden”-Logen und allen in der “Pool”-Sektion einiges. Aber sie waren natürlich nahe an der Band, und das gleicht es natürlich wieder aus.
13. Oktober
Am frühen Nachmittag vor der zweiten Show in Los Angeles und damit der letzten der Tour habe ich der Hollywood Bowl einen Besuch bei Tageslicht abgestattet. Ich stieg die Stufen bis ganz oben zur letzten Reihe empor und hatte von dort nicht nur einen Blick über den gesamten Veranstaltungsort – von dort oben kann man auch den berühmten Hollywood-Schriftzug sehen. Als ich wieder hinunterstieg und nachschaute, wo ich abends sitzen würde, traf ich noch jemanden aus dem offiziellen Genesisforum. Wir unterhielten uns eine Weile, und es war schon fast zwei Uhr, als ich die S-Bahn in die Innenstadt nahm, um mich für das Konzert fertigzumachen.
Um drei Uhr war ich endlich wieder im Hotel, wo ich erstmal meine E-Mails und die privaten Nachrichten im Genesis-Forum las. Maria von Ultrastar (die Betreiber der offiziellen Webseite) hatte mir eine Nachricht geschickt: Ich durfte beim Soundcheck dabeisein und vielleicht sogar beim Meet & Greet, das für den Nachmittag für die Gewinner eines Wettbewerbs bei VH-1 organisiert wurde. Ganz überraschend kam die Nachricht nicht, denn Maria hatte mir schon tags zuvor gesagt dass sie eventuell noch ein paar Fans mehr unterbringen könnte und ich dann dabei wäre, weil ich einen der längsten Anreisewege hierher hatte. Bis ihre Nachricht eintraf, war das jedoch alles noch in der Schwebe. Ich sollte um halb fünf am Westeingang der Hollywood Bowl sein. Logisch, dass ich schnellstens alles Nötige zusammenraffte und nach Hollywood zurückraste.
Als ich beim Künstlereingang am Westtor ankam, waren noch zehn Minuten Zeit – ich war der erste dort. Bald darauf tauchten zwei andere (David & Catherine, ein Paar aus England) auf. Maria erschien, verteilte Armbänder und eilte fort, um die anderen Fans einzusammeln, die am falschen Eingang standen. Während ihrer Abwesenheit traf ein Lieferwagen im abgesperrten Backstagebereich ein. Als Phils persönlicher Assistent Danny Gillen ausstieg, war klar, dass auch Phil nicht weit war. Und wirklich erschien er gleich darauf und ging in das Gebäude. Tony Banks war der nächstes und der letzte, den wir dort von der Band sahen. Maria kam ein paar Minuten später mit den anderen zurück. Neben den VH-1-Gewinnern und uns dreien war nur noch ein weiterer Fan dabei, der ganz aus den Niederlanden kam. Alles in allem waren wir also etwa zehn Leute. Während wir noch da standen, war von drinnen schon Musik zu hören, aber ich vermute, es waren nur die Techniker, die alles in Schwung brachten. Dann kam Hannah, die PR-Agentin für die Tour, heraus und führte uns hinein. Wir durften den Soundcheck aus dem “Pool”-Bereich hören, der direkt vor der Bühne der Hollywood Bowl liegt. Als wir hereinkamen, stellten wir sofort fest, dass die Band schon auf der Bühne war und mit dem Soundcheck gerade begonnen hatte. Wir durften uns in die fünfte oder sechste Reihe setzen, und niemand beschwerte sich, als wir anfingen, jede Menge Fotos zu machen. Außer uns waren noch eine Handvoll Gewinner von einem regionalen Radiosender und ein paar Freunde der Band da, insgesamt weniger als 20 Leute, sodass es ein sehr familiäres Ereignis war.
Der Soundcheck begann mit lockerem Jammen. Phil und Chester spielten den Barhockerteil des Schlagzeugduetts und Phil spielte einige Takte Follow You Follow Me, um das Mikrofon an seinem Headset zu testen. Ein Kameramann justierte mit ihm zusammen die Kamera für Mama. Aus Platzgründen gab es keine beweglichen Kameras auf Schienen in der Bowl, sondern nur Kameras, die von etwas weiter weg filmten. Für Mama wurde aber natürlich noch eine Kamera für die Nachaufnahmen auf Phil benötigt. Da Phil beim vorigen Konzert hierbei nicht völlig in der Bildmitte war, gab es Verbesserungsbedarf. Es dauerte eine ganze Weile, und Phil verdrehte einige Male die Augen; er war offensichtlich leicht genervt von solchen technischen Sachen.
Als sie dann alle mit dem Jammen fertig waren, spielten sie gemeinsam No Son Of Mine, eines der Standardstücke beim Soundcheck. Wie gewöhnlich spielten sie es fast komplett und gingen dann zu Behind The Lines / Duke’s End über, was sie ebenfalls oft beim Soundcheck spielten. Regelmäßige Leser meines Tourtagebuches werden sich erinnern, dass ich in Berlin schon einmal beim Soundcheck dabei war. Daher wusste ich, was ungefähr passieren würde. In dem riesigen Berliner Olympiastadion hatte ich allerdings nur vom oberen Ende der gegenüberliegenden Kurve zustehen können, also so weit entfernt von der Bühne wie es nur ging. Darum freute ich mich besonders, dieses Mal nahe an der Bühne zu sein, auch weil ich das letzte Konzert am Abend von etwas weiter hinten (aus dem “Garden”-Bereich) sehen würde. Zwischen den Stücken mussten weitere technische Probleme gelöst werden, z.B. eines mit Mike’s Sender für die Im-Ohr-Monitorlautsprecher. Am Ende des Soundchecks wiederholten Phil und Chester alleine den Schlagzeugteil des Duke-Intros, was sehr vertraut, aber als ansonsten unbegleitete Version sehr interessant klang. Zwischen den Stücken klatschten wir schüchtern Applaus – das klang seltsam, da wir ja nur so wenige waren.
Nach etwa 25 Minuten war der Soundcheck vorbei, aber wir wussten immer noch nicht, ob das Meet & Greet stattfinden würde. Der Zeitplan der Band ist so vollgestopft, dass man für so etwas kaum Zeit findet – zumal es das letzte Konzert der Tour war und sich sicherlich eine Menge Freunde und Verwandte für ein Treffen vor dem Konzert angesagt hatten. Umso erleichterter und aufgeregter waren wir zu hören, dass die Jungs gleich von der Bühne in die Pool-Zone herunterkommen würden, um ein sehr kurzer Meet & Greet abzuhalten!
Unter den wachsamen Augen von Tim Brockman (dem Tourmanager), Danny Gillen und Tony Smith kamen Mike, Tony und Phil (in dieser Reihenfolge) von der Bühne. Es sah recht akrobatisch aus, denn die Stufen waren ziemlich hoch. Mensch! habe ich gehofft, dass sie sich nichts brechen so kurz vor dem Ende der Tour. Daryl und Chester gesellten sich aus irgendeinem Grunde leider nicht hinzu. Zwar kann ich mich glücklich schätzen, sie schon einige Male getroffen zu haben, aber es tat mir leid für die anderen Fans, die sicherlich gerne die ganze Band mit den “Nebenmännern” getroffen hätten.
Wir reihten uns vor der Bühne auf, während die Jungs hinunterstiegen, und zufällig stand ich ganz vorne. Mike habe ich zuerst die Hand geschüttelt, dann Tony. Obwohl ich mich schon seit langem für einen Fan der Band halte, muss ich zugeben, dass ich mit diesen beiden nciht warmwerde; besonders Tony ist ziemlich ruhig und nicht so offenherzig wie vielleicht Phil. Mein Eindruck. Wenn ich Tony besser kennen würde, müsste ich diese Ansicht wahrscheinlich revidieren. Als ich dann Phil die Hand schütteln durfte, musste ich bei dem, was ich sagte, improvisieren. Obwohl ich wusste, dass ich vielleicht die Gelegenheit bekommen würde, hatte ich mir nicht überlegt, was ich ihnen sagen wollte. Als Phil mich also ansah (von unten her – er ist wohl noch etwas kleiner als ich und ich bin schon kein Riese – sorry Phil, so ist es halt), sagte ich, er könnte mich vielleicht von einigen Konzerten wiedererkennen, da ich insgesamt 24 Shows gesehen hatte. Ich formulierte das so vorsichtig wie möglich, denn ich hätte nicht im Leben erwartet, dass er mich wiedererkennen würde. Daher war ich auch nicht überrascht, als seine Reaktion verriet, dass das nicht der Fall war. Aber er war sehr verblüfft, wie viele Shows ich gesehen hatte, und fragte, ob die 24 Konzerte allein auf dieser Tournee gewesen wäre, was ich bejahte. Ich weiß nicht mehr, was wir sonst noch sprachen; jedenfalls gibt es ein Foto, auf dem wir beide lachen. Was er oder ich davor gesagt haben, weiß ich nicht. Als Fußballfan fragte ich Phil, der die schwarze Jacke von Hannover 96 trug (die mit der weißen 96 auf der Brust), ob er wisse, was er da trage. Darauf er: “Ich weiß, dass sie aus Hannover kommt.” Und als ich sagte, dass das nicht meine Lieblingsmannschaft (ist halt so, ihr Hannover-Fans) sei, meinte er, das sei ihm wurscht. Ihm gefiele sie und sie hielte ihn warm. Die Begegnung dauerte kaum eine Minute und Phil zog weiter. Die Jungs gaben Autogramme auf ein paar Sachen, die die Leute mitgebracht hatten. Gerne hätte ich mir auf ein Tourprogramm ihre Autogramme geben lassen, aber so früh gab es natürlich noch keines zu kaufen (und Schande über mich, dass ich keines auf Vorrat dabei hatte).
Als ich einige Fans Fotos mit Tony, Mike und/oder Phil machen sah, fiel mir auf, dass ich das beinahe vergessen hätte. Also fragte ich Hannah, ob ich noch eines mit Phil haben könnte. Aus Zeitgründen fasste sie drei von uns zusammen und wir machten dieses – wie ich finde – sehr schöne Bild. Ich bin übrigens der ganz rechts, und ich stehe nicht auf Zehenspitzen (ich bin 1,80 groß – Durchschnitt).
Wir verabschiedeten uns und damit war das Meet & Greet auch schon vorbei. Nach weniger als zehn Minuten. Ich spreche wohl für alle, die dabei waren, dass wir kaum glauben konnten, was da eben passiert war. Besser kann es nicht kommen. Und ich darf euch versichern, dass besonders wir vier, die so sehr kurzfristig die Gelegenheit bekamen, uns bewusst waren, was für ein Glück wir hatten. Maria erzählte später, sie sei eine Liste im [offiziellen] Forum durchgegangen, wer bei dieser Show dabei sein würde. Als Administratorin habe sie dann geschaut, ob im privaten Profil der Nutzer eine Telefonnummer angegeben war, und alle Auswärtigen angerufen, meistens aber nur auf den Anrufbeantworter gesprochen. Wir vier waren die einzigen, die sie erreicht hatte. Nach diesem einzigartigen Erlebnis – so was passiert nur einmal im Leben! – war das darauffolgende Konzert fast nur noch ein besonderes Zuckerl.
Natürlich mussten wir Bowl nach dem Soundcheck verlassen und nach dem offiziellen Einlass gegen sieben Uhr abends wieder hineingehen. In der Zwischenzeit habe ich etwas gegessen und ein Bier getrunken und das letzte Konzertsouvenir erstanden, das mir noch fehlte. Viele T-Shirts und andere Kleidungsstücke waren in den normalen Größen nicht mehr erhältlich. Mit etwas Glück bekam ich noch eine Jacke, die mir passt. Wie am Tag davor ging ich vor dem Konzert noch durch die Bowl. Gerade hier in Hollywood war es ja gut möglich, dass ein paar bekannte Leute da waren, und es war also keine völlige Überraschung, als ich Arturo Velasco (den Posaunisten der Vine St.Horns) begegnete. Wir hatten uns zuvor bei Phils letzter Tour in Nîmes, Chicago und bei den Proben in Neuchâtel getroffen. Außerdem lief mir Maria über den Weg. So hatte ich Gelegenheit, ihr noch einmal dafür zu danken, was sie für uns getan hat!
Ein weiterer deutscher Fan hatte mir gesagt, dass er auch bei dem Konzert sein würde. Kurz vor dem Konzertbeginn traf ich ihn dann – gar nicht so einfach bei den Menschenmengen, die auf ihre Plätze strömten. Dieser Freund hatte in Rom direkt neben mir in der ersten Reihe gestanden. Abgesehen davon, dass wir einander bei vielen Konzerten überall in Europa begegnet waren, ist das natürlich eine besondere Erinnerung für uns. Während ich zu meinem Platz zurückging, erklang Simon Collins’ Version von Keep It Dark aus den Lautsprechern. Ich hatte sie noch nicht gehört und war verblüfft, wie cool sie klingt. Eine ganz frische Version, die sich dennoch ans Original hält. Meines Wissens war dieses Stück noch nie zuvor vor dem Konzert gespielt worden.
Als das Konzert begann, war der Himmel fast ganz frei. Höchstwahrscheinlich also kein Regen! Dem perfekten Tourfinale stand also nichts mehr im Wege. Das Konzert begann genau wie am Vortag gegen 20:20, und es ist wohl keine große Überraschung, wenn ich sage, dass sich die Setliste auch bei der letzten Show nicht geändert hat. Immerhin spielten sie alle Stücke, auch I Can’t Dance und Carpet Crawlers, nicht wie bei dem Regengig am Vortag. Wenn am Vortag die Lautstärke aus Lärmschutzgründen reduziert worden war, „drehten sie sie“ beim letzten Mal richtig „auf“ [Wortspiel erkannt? d.Übers.] – noch nie habe ich den Bass vor allem bei Los Endos so stark gehört und gefühlt! Das ganze Gebäude schien zu wackeln! Gut, dass die Gegend hier Erdbeben gewohnt ist.
Phil sagte gleich am Anfang, dass dies das letzte Konzert der Tour sei, und er später darauf zurückkommen werde. Noch einmal boten die Jungs eine tolle Show. Wie versprochen, sagte Phil noch ein paar Worte direkt vor Carpet Crawlers. Er sprach ein paar Minuten, bemerkte, dass „so, wie wir hier stehen, nichts weiter geplant“ sei, und das machte den Abend noch bewegender. Er dankte der Roadcrew und nannte viele von ihnen namentlich. Dann wurden natürlich Daryl und Chester vorgestellt. Phil sagte, dass Mike, Tony und er sie sehr gern hätten, und er enthüllte nach mehr als 35 Jahren in der Band, dass er Tony und Mike sehr sehr lieb hat. Tja, schade, meine Damen, jetzt wisst ihr Bescheid!
Während sie Carpet Crawlers spielten, dachte ich daran, was alles in den letzten vier Monaten passiert war – zweifelsohne dem besten Dritteljahr meines Lebens! All die Warteschlangen, in denen ich bei jedem Wetter stand. All die Reisen, die mitunter sehr anstrengend waren. Die ganzen großartigen Momente, wenn ich andere Fans traf, Crew- und Bandmitglieder – ich glaube, mehr Einsicht kann man als normaler Fan gar nicht bekommen. Und darum scheue ich mich auch nicht zuzugeben, dass ich bei dem letzten Stück eine Träne zerdrückt habe.
Nachdem die Band sich zum letzten Mal verbeugt hatte, fiel es schwer zu glauben, dass es das jetzt so ziemlich gewesen war. Ich verabschiedete mich von einigen Fans und vom Toningenieur Michel Colin, der immer ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit abzweigte, um vor oder nach den Shows mit mir zu sprechen. Er war auch derjenige, der jenes ganz besondere Fotos machte, auf dem ich in Rom in der ersten Reihe zu sehen bin (der Typ ohne Mütze mit dem blauen Genesis-T-Shirt, der in die Kamera schaut).
Von der Hollywood Bowl kehrte ich direkt in mein Hotel zurück. Ich fand es zwar schade, nicht nach dem Konzert noch zu einem Fantreffen zu gehen, aber es ist so schwer, von da dann wieder loszukommen, und ich musste am nächsten Morgen früh heraus, um meinen Flieger nach Hause zu bekommen. Mein Wecker klingelte also um halb sieben Morgens, und nach einer Dusche und dem Kofferpacken fuhr ich um halb acht zum Flughafen. Nach dem Check-in habe ich dann erst mal gefrühstückt. Als ich ans Gate kam, sah ich draußen wieder „Bora Bora“ – dieselbe Maschine, die mich in der Vorwoche nach L.A. gebracht hatte – in ihrer fantastischen Farbgebung von Air Tahiti Nui, wie sie betankt und beladen wurde. Wir wurden schon ein paar Minuten früher als geplant aufs Rollfeld gelassen und hoben etwa zehn Minuten vor eins ab. Die Flugroute führte von L.A. über Las Vegas nach Denver und bot tollen Ausblick auf die grandiose Bergwelt unter uns. Nach einem sehr guten Essen (Nudeln mit Räucherlachs und einem guten Glas Weißwein) versuchte ich zu schlafen, weil es draußen außer Wolken nichts zu sehen gab. Die Fensterblenden überall im Flieger wurden geschlossen, damit es zum Schlafen dunkel genug war. Als ich nach einem Nickerchen von eineinhalb Stunden hinausschaute, war es schon völlig dunkel draußen.
Mehr als zwei Stunden später – sechs Stunden nach dem Start – näherten wir uns Grönland über der Davis-Straße; etwa um ein Uhr morgens Ortszeit. Ich konnte nicht wieder einschlafen und ging ans Snackbuffet und trank etwas Wasser. Wieder auf meinem Platz sah ich aus dem Fenster und wunderte mich zunächst, was für seltsame Wolkenformationen ich da draußen sah. Dann merkte ich, dass ich mich irrte: Was ich da sah, waren Nordlichter. Mit meiner Kamera machte ich ein paar Bilder (mit einer Belichtungszeit von etwa 30 Sekunden), wodurch die grün-grauen Schemen, die man mit dem Auge sieht, zu hellen grünen Formationen wurden. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und ich war sehr beeindruckt!
Als wir über Nordwestirland europäischen Luftraum erreichten, gab es Frühstück, und keine zwei Stunden später landeten wir auf dem Flughafen Charles de Gaulles in Paris. Nach zweieinhalb Stunden brachte mich dann eine Maschine der Air France nach Düsseldorf. Es war ein seltsamer Zufall, dass wir auf dem Weg zum Gate vor einer Startbahn anhalten mussten: Ein Airbus der Finnair startete gerade nach Helsinki. So wie ich vor vier Monaten, als ich meine Tour begann. Der Kreis meiner Auswahl an Shows hatte sich geschlossen.
Im Nachhinein betrachtet habe ich sehr viel Glück gehabt, dass all meine Reisen so problemlos verliefen – und manchmal war es wirklich ein verzwickter Reiseplan! – und ich dabei auch noch gesund geblieben bin. Ich möchte hier keine einzelnen Personen hervorheben (ich glaube / hoffe, ihr wisst, wer ihr seid), denn ich habe auf der ganzen Tour so viele Fans getroffen, dass ich sie unmöglich alle aufführen kann. Aber jeder einzelne hat meine Tour verschönert. Natürlich danke ich Genesis für 24 unvergessliche Abende, tolle Shows bei Regen und bei Sonnenschein, in der Nacht oder auch bei hellstem Tageslicht (wie bei den beiden ersten Shows). Diese Erinnerungen werden mich mein ganzes Leben lang begleiten. Ich habe gewaltige Mengen an Fotos, mit denen ich jedes einzelne Konzert und meine Reisen dazwischen so oft wiedererleben kann, wie ich möchte. Es hat mir viel Spaß gemacht, meine Eindrücke mit euch zu teilen. Ich hoffe, ihr habt auch eure Freude daran gehabt. Im Moment ist zwar „nichts weiter geplant“ … aber, Jungs: Ich bin bereit, wenn ihr soweit seid!
Autor: Ulrich „Ulli“ Klemt