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Genesis – Interview mit Nir Z – Berlin 1997
Zufällig ergab sich im Hotel Adlon in Berlin auch die Gelegenheit, mit dem neuen Genesis Schlagzeuger Nir Z ein Interview zu führen.
Während wir auf Ray warteten, der während unseres Interviews mit Tony und Mike nicht dabeisein konnte, kam Jon Webster von Virgin UK mit einem uns bis dahin unbekannten jungen Mann in den Raum und meinte: „Ich hab‘ ne Überraschung für euch, das hier ist Nir Z. Wenn ihr wollt, könnt ihr erst einmal mit ihm sprechen.“ Natürlich wollten wir das … also führten wir auch ein Interview mit Nir Z.
it: Wie fühlst du dich als neuer Genesis Drummer?
Nir: Ich fühle mich großartig. Aber ehrlich gesagt hatte ich noch nicht die Zeit, darüber nachzudenken, denn ich konzentriere mich auf die Musik. Diese Woche haben wir in New York mein Drum-Kit zusammengestellt. Die arbeiten dort im Moment immer noch daran, schneiden dran herum und montieren verschiedene Sachen. Aber ich fühle mich super. Es ist das Beste, was mir je passiert ist.
it: Wie kam es denn eigentlich zu dem Kontakt mit Genesis?
Nir: Ich zog vor fünf Jahren nach New York. Geboren wurde ich in Israel. In Israel spielte ich mit den Top-Acts dort. Aus keinem bestimmten Grund es war nur so ein Gefühl in mir zog ich nach New York. Sehr schnell begann ich mit verschiedenen Leuten zu spielen. Ich hatte meine eigene Band namens Hidden Persuaders. Die gibt es immer noch. Wir spielten in Europa und Amerika, bekamen aber nie einen Plattenvertrag. Ich begann in Sessions mit unterschiedlichen Leuten zu spielen, arbeitete mit Nile Rodgers. Die Leute unterhalten sich eben, und irgendwie machst du dir dann einen Namen. Ich spielte alle Arten von Musik, von Rock bis Heavy Alternative und alles, was dazwischen liegt.
Vor zwei oder drei Jahren sah mich Tony Smith, Genesis‘ Manager, mit meiner Band in New York spielen, und er behielt mich im Gedächtnis. Als Genesis einen Drummer suchten, ließ sich Tony von einem Mitarbeiter in New York Aufnahmen schicken, auf denen ich drummte. Mike and Tony hörten sich das an. Sie riefen mich an und sagten: „Komm zum Vorspielen rüber!“ Ich kam also im Studio an, und sie hatten bereits Musik aufgenommen. Alles war komplett instrumental. Ich setzte mich hinter das Drum-Kit und begann zu spielen, was ich wollte. So fing das an, und nun bin ich hier.
it: Nick D’Virgilio spielte bei einigen Stükken auf dem Album auch Drums. Gab es zwischen euch Konkurrenz?
Nir: Wir haben uns noch nie getroffen. Ich würde ihn wirklich gerne kennenlernen. Es gibt da eine witzige Story. Nachdem wir das Album fertiggestellt hatten, flog ich zurück in die Staaten nach New York und von dort aus weiter nach Los Angeles zur NAMM Show. Das ist eine große Musikinstrumentenmesse, bei der die Neuigkeiten vorgestellt werden. Tausende von Leuten sind dort. Es gab da natürlich auch eine große Abteilung von Schlagzeugund Percussion-Zubehör. Dort ging ich hin.
Jedermann trug ein Schildchen, auf dem sein Name stand und wo er spielt. Die Leute an den Ständen waren irritiert und sagten zu mir: „Moment mal, dein Name ist Nir. Vor einer halben Stunde war jemand namens Nick hier, der auch mit Genesis spielt.“ In diesem Moment war er mir voraus. Also machte ich langsam, und wenn man mich fragte, wo ich spiele, sagte ich: „Mit verschiedenen Leuten.“ (lacht) Um ehrlich zu sein, intern gibt es ein Konkurrenzdenken. Aber es ist ein Wettbewerb mit Respekt. Wir machen doch Musik. Ich kann nicht verstehen, wie man da konkurrieren kann. Es hängt davon ab, was einem gefällt oder nicht. Ich denke, er hat bei den Songs, auf denen er zu hören ist, großartig gespielt.
it: Bei welchen Stücken hat Nick und bei welchen hast du gespielt?
Nir: Das Album hat 11 Stücke, wovon ich bei 7 1/2 Stücken spielte und Nick bei 3 1/2. Bei Alien Afternoon hatte Nick Davis, der Produzent, je eine Aufnahme von Nick und eine von mir. Nick ist im ersten Teil zu hören und ich im zweiten. Tja, ich habe ihn nie getroffen und weiß nicht viel über ihn. Es waren die Leute, die den Wettbewerb geschürt haben, denn ich repräsentiere irgendwie New York. Bei den New Yorkern heißt es: „Du bist von der Ostküste er von der Westküste.“
it: Du wirst mit Genesis auch auf Tour gehen …
Nir: Ja, wir werden im September zu proben beginnen. Ich habe mir die neuen Sachen eine Weile nicht angehört. Momentan beschäftige ich mich mit den alten Stücken, probe Abacab und Cage etc. Wir werden eine Menge altes Material spielen, denke ich.
it: Welche Songs zum Beispiel?
Nir: Wir werden Mama spielen, Cage, Turn It On, Afterglow, Carpet Crawlers viele alte Sachen. Ray hat diese gewisse dunkle Ausstrahlung, besonders bei den alten Stükken. Das ist meine persönliche Meinung und die vieler Leute. Es wird sicher großartig. Ich denke, Genesis sind in einer „Up to day“-Version zurück. Es ist erstaunlich, dass Tony und Mike nach all den Jahren so an der Musik hängen und sie in erster Linie für sich selbst machen. Bei dem neuen Album war es natürlich so, daß ich und Ray hinzukamen unterschiedliche Leute. Ich hoffe, wir können ein weiteres Album zusammen machen, bei dem wir mehr als Band zusammenarbeiten. Das wäre toll. Ich mag auch die Idee, daß es mehr in Richtung progressive Genesis geht, mit langen Stücken und Instrumentalteilen.
it: Macht es dir etwas aus, dass man dich nicht zum festen Kern von Genesis zählt, sondern nur Tony, Mike und Ray?
Nir: Viele Leute fragen mich das. Nein, eigentlich nicht, denn während die drei in den 2-3 Monaten auf Promotiontour waren und Interviews gaben, konnte ich relaxen und die Musik spielen. Es ärgert mich nicht. Immer wenn wir zusammen sind, fühle ich mich als Teil der Band, und es gibt keine Unterschiede zwischen uns. Wir schlafen im gleichen Hotel, fliegen im selben Jet. Es ist eine große Familie, inklusive der Crew, z. B. meinem Drum Techniker. Alle sind sehr professionell und freundlich. Man sollte es generell so sehen, dass ich Chester Thompson in der Band ersetzt habe. Aber der Unterschied ist, dass ich auch auf dem Album spiele.
it: Würdest du bei zukünftigen Genesis Alben auch gerne einen Teil zum Songwriting beisteuern?
Nir: Ich würde gerne soviel wie möglich mit Genesis machen. Ich schreibe selbst Musik.
it: Was für Musik ist das?
Nir: Das ist schwer zu beschreiben, denn die letzten fünf Jahre in New York waren sehr intensiv für mich. Ich spielte mit so vielen verschiedenen guten Musikern, dass ich auf unterschiedlichste Art beeinflusst wurde. Ich überrasche mich immer selbst. Dann sitze ich auf einmal da und spiele Gitarre ..
it: Welche Instrumente spielst du? ‚
Nir: Hauptsächlich Schlagzeug. Ich spiele aber auch Gitarre und Bass. Ich kann jedes Instrument spielen, wenn ich muss. Wenn ich Musik zu schreiben habe, kann ich mich mit einem Multitrack hinsetzen und die Instrumente zusammenfügen. Als Gitarrist bin ich nicht auf demselben Level wie als Drummer, aber meine Freundin sagt manchmal: „Du solltest lieber Gitarrist sein“, denn sie mag das sehr.
it: Inwieweit kennst du dich mit der Geschichte von Genesis aus?
Nir: Verglichen mit ganz beinharten Fans weiß ich nicht viel. Ich kannte Genesis schon immer und war ein großer Fan von Gabriel. Ich habe seit jeher einen großen Respekt vor Phil Collins. Er ist einer der besten Drummer. Natürlich weiß ich auch über Mike und Tony Bescheid. Ich habe die Musik gehört, aber um ehrlich zu sein, wie die meisten Leute hörte ich die alten Sachen und später alles, was im Radio und auf MTV lief. Genesis war immer da. Als ich 15-16 Jahre alt war, war ich süchtig nach Police. Was immer ich mir anhörte, es war Police. Aber ich weiß genug von Genesis, um mit ihnen zu spielen. Ich glaube nicht, dass sie gerne einen verrückten Fan in der Band haben würden. Für mich ist es etwas ganz Normales.
Ich spielte mit meiner Band in New York nun spiele ich mit Genesis hier. So sehe ich das, denn es ist der einzige Weg für mich, damit umzugehen, mich darauf zu konzentrieren und das Richtige zu tun. Wenndu anfängst zu denken: „Moment mal, ich ersetze Phil Collins“, setzt du dich unnötig einem Druck aus. Die Leute werden mich ohnehin von oben bis unten mustern. Bei jeder Session werden sie schauen, wie ich die Drum-Sticks halte. So ist das eben. In meiner Freizeit spiele ich nach wie vor mit anderen Leuten. Im letzten Monat habe ich nicht viel gemacht, außer mich mit den Genesis-Songs zu beschäftigen, aber der Vertrag zwischen mir und Genesis erlaubt mir, mit anderen zu spielen. Genesis hat jedoch Priorität.
it: Bist du auf Alben bekannter Künstler zu finden?
Nir: Ich habe vor ein paar Monaten ein Album fertiggestellt, das diesen Monat herauskommt. Es ist das einer Künstlerin namens Alannah Davis. Sie ist bei Elektra unter Vertrag und unglaublich gut. Das ist aber andere Musik, eher R&B/Funk. Ich denke, das wird einigen Erfolg haben. Ich habe verschiedenes mit Dan Reed und Nile Rodgers gemacht, was aber nicht veröffentlicht wurde. Wir haben keinen Plattenvertrag bekommen. Seit ich das Album mit Genesis gemacht habe, bekomme ich mehr Anfragen, aber ich kann die Gigs nicht wahrnehmen, denn ich habe zu viel mit Genesis zu tun. Ich habe in New York bei einer Menge guter Aufnahmen mitgemacht, aber nicht bei etwas, was man hier unbedingt kennt.
Ich habe gemerkt, dass es zwischen Europa und den Staaten große Unterschiede gibt. Einige europäische Platten findest du in den USA nicht einmal in den Läden. Wenn ich nach Europa komme, sehe ich Alben, von denen man mir sagt, sie seien hier sehr erfolgreich, aber ich kenne sie nicht.
it: In der Presse waren verschiedene Schreibweisen deines Namens zu sehen.
Nir: Ich weiß, für manche Leute hört er sich ziemlich verrückt an. Als ich hierher flog, holte mich in New York ein Taxifahrer von meiner Wohnung ab. Er stand unten an der Treppe und rief hoch: „Eh, Mann, ich weiß nicht, ich hab‘ hier einen verrückten Namen. Weißt du, wo das ist?“ Ich sagte: „Ja, das bin ich!“ (lacht) Mein Vorname, Nir, hört sich an wie „near or far“. Manchmal ist er mir peinlich, aber es bedeutet soviel wie „Glück“. Es ist kein Wort, das man für „Glück“ oder „glücklich“ benutzen würde. Es ist nur ein Name für eine Person. Mein Nachname ist eine Last. Die Leute, insbesondere in Amerika, können ihn nicht richtig aussprechen. Einige meiner Freunde haben versucht, es zu lernen, wie z. B. auch Ray.
Wir waren in New York im Auto, und ich sagte: „Versuch’s ganz langsam.“ Er übte und übte, und zu guter Letzt kann er es jetzt wohl.
it: Wie spricht man den Namen korrekt aus?
Nir: Sid-kiā~hu
it: Sid-kiā~hu, ist doch ganz einfach.
Nir: Für Deutsche ist es vielleicht einfacher. Ich habe einen Freund in Israel. Er ist ein amerikanischer Gitarrist, der dort lebt. Bevor ich nach Amerika ging, sagte er: „Bei allem Respekt für deine Eltern, ändere deinen Nachnamen in Z, Nir Z. Damit wirst du es viel einfacher haben.“ Ich sagte: „Gut.“ Wenn ich bei einem Album in den Credits auftauche, steht dort Nir Z. Vor ein paar Wochen bekam ich einen Anruf aus London bezüglich des Genesis-Albums. Sie fragten mich, welchen Namen sie ins Booklet schreiben sollen. Ich sagte: „Dieses Album ist so wichtig. Die Leute sollen meinen Nachnamen lernen, also schreibt ihn voll aus.“
it: Welche Schreibweise ist richtig, die mit ,Z“ am Anfang oder die mit „Ts“?
Nir: In Hebräisch ist es Tsidkyahu. Daraus wurde Zidkyahu. So stand es in Israel in meinem Englisch-Wörterbuch. Den Anfang habe ich gekürzt, denn das ist einfacher.
it: Dieser ganze Trubel mit Interviews etc. ist sicher neu für dich …
Nir: Nun, ich kenne das von der Band, bei der ich in Israel war. Es ist also nicht neu, sondern größer. Aber das stört mich nicht. Es ist großartig. Ich denke, um Genesis wird nicht so viel Wind gemacht wie um andere Rock’n’Roll-Bands, wo man nicht das Hotel verlassen kann, ohne da verrückte Fans auf dich warten.
In diesem Moment kam Jon Webster mit Ray Wilson zur Tür herein, und nachdem sich Ray und Nir „stürmisch“ begrüßt hatten (sie hatten sich wohl schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen) und Ray sich „verkabelt“ hatte, setzten wir das Interview mit dem neuen Gesprächspartner fort …
Interview: Helmut Janisch, Bernd Zindler, Peter Schütz
Transkription: Helmut Janisch
Fotos: Peter Schütz