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Genesis – Come Rain Or Shine – Tour 2007 Dokumentation – DVD Rezension
Come Rain Or Shine ist nicht nur die Bonus DVD des When In Rome 2007 3DVD-Sets, sondern wurde auch in diversen Kinos gezeigt.
Neben den beiden DVDs mit dem Konzertfilm When In Rome steckt in einer eigenen Papphülle eine dritte DVD. Come Rain Or Shine ist dort beschrieben als die „Documentary 2007“. Das ist kein halbstündiges, mal schnell hingehudeltes Etwas, sondern eine sehr sorgsam zusammengestellte Dokumentation. Die Kamera begleitet Genesis durch alle Phasen der Tourvorbereitung von den ersten Proben in New York im Herbst 2006, bis in Rom die Carpet Crawlers verklingen. Ganz nebenbei bemerkt erlauben sich Genesis hier noch einen kleinen Wortspiel-Spaß: Hier wie beim Titel der Konzert-DVD haben Genesis ein Sprichwort beziehungsweise eine feststehende Redewendung gewählt – und das jeweils passend zum Inhalt!
Hintergrund
Wem der Stil dieses Films bekannt vorkommt, der hat sich nicht getäuscht: Anthony Mathile war auch schon federführend bei der Phil Collins-Tour-Doku The Long Goodnight. Typisch für beide Arbeiten ist, dass die Gefilmten im Großen und Ganzen sehr natürlich und locker wirken: Wenn man über ein halbes Jahr wortwörtlich fast bis aufs Stille Örtchen von einem Kamerateam begleitet wird, gewöhnt man sich daran, und so ist es für den Zuschauer fast so, als wäre er mittendrin im Geschehen.
Der Film
Mit dem exzellent geschnittenen Vorspann werden wir angenehm auf den Film eingestimmt, der mit Phils Eintreffen bei den Proben in New York beginnt. Schon in diesen ersten Minuten zeigen sich die Stärken dieser Dokumentation: Phil, Mike und Tony sind sehr locker und entspannt – und gleich wird der Zuschauer auch mit hineingenommen ins Geschehen. Die drei sind bei der Tourvorbereitung, und das bedeutet vor allem die Diskussion: Welche Stücke sollen es werden – und wie gingen die denn überhaupt noch mal? Und in welcher Tonart?
Eine rührende Begegnung mit dem inzwischen verstorbenen Gründer von Atlantic Records Ahmet Ertegun leitet über zur Öffentlichkeitsarbeit, die Phil, Mike und Tony leisten. Geduldig ertragen sie es, wenn ihnen immer wieder dieselben Fragen gestellt werden – oder auch kuriose, als eine Journalistin von Phil, der im Trainingsanzug zwischen seinen jackett-tragenden Kollegen sitzt, wissen möchte, wer sich bei der Tour kleidungsmäßig wem anpassen wird.
Zwischen die einzelnen Abschnitte sind in lockerer Folge Interviewabschnitte mit der Band und Tony Smith gesetzt, in denen sie darüber reflektieren, wie sie die Reunion sehen, wie sich ihre Verhältnis untereinander verändert hat und vieles mehr.
Allmählich läuft die Tourplanungsmaschinerie an: Mit ihrem Agenten überlegen sie, wie viele Konzerte sie in wie vielen Orten spielen wollen; es gibt Ausschnitte aus der Pressekonferenz zu sehen – und schon sind wir dabei, als Mark Fisher und Patrick Woodroffe die ersten Bühnenentwürfe vorstellen. Und wie ihr favorisierter Entwurf trotz nicht ganz jugendfreier Lösungsansätze an Tonys Höhenangst scheitert.
Während die Proben voranschreiten, zeigen sich auch erste Gereiztheiten, wenn es mit einem Stück partout nicht klappen will. Tony: „Jetzt musst du das in echt machen.“ – Phil: „Das macht mir gerade Angst.“ Daryl stellt nachsichtig fest, es gebe eben Musiker, die gern üben, und andere. Mike philosophiert darüber, dass sie mit einem Gefühl von Nostalgie an die Sache herangegangen sind und nun feststellen mussten, dass es eben doch harte Arbeit ist.
Die Bühne und die Animationen für die LED-Wand auszuwählen dürfte für die drei da eine willkommene Abwechslung gewesen ein. Die Mienen von Mike und Tony beim ersten Anblick der aufgebauten Bühne in der Brüsseler Expohalle 5 verraten, dass sie sehr beeindruckt sind – welchem Konzertbesucher wäre das nicht so ergangen? Hier rückt dann Dominomitsamt Text und visueller Gestaltung in den Vordergrund. Noch zwei Wochen vor dem ersten Konzert wird getestet, ob man Phil auf einem Lift von hinten über die Bühnenrückwand heben kann, so dass er gleichsam auf dem oberen Rand The Last Domino singt. Diese Idee stirbt beim Austesten im Gelächter der beiden Tonys Smith und Banks, und letzterer bringt es auf den Punkt: „Ja, wenn du Gilmour wärst und ein Gitarrensolo spielen würdest, dann wäre das okay.“
Immer wieder reduziert sich die Betrachtung der Effektgebung auf die eine Kernfrage: Ist das Genesis? Die Arbeit an Chapter & Verse hat in den Augen aller Bandmitglieder sehr dazu beigetragen, dass sie sich genau darüber Gedanken gemacht haben, wer die Band ist, wie man sich selbst und die anderen einen sehen und was sich mit der Zeit verändert hat.
Es folgt der große Moment eines vielgerühmten Musikinstruments: Der lederbezogene Hocker aus Phils Hotelzimmer hat seinen ersten Auftritt. Phil und Chester trommeln auf ihm erste Skizzen für das Schlagzeugduett, und anderntags kommt Phil mit der Idee an, das Drumduett eben auf Barhockern zu beginnen.
Phils Schlagzeugroadie wird losgeschickt, um geeignete Barhocker zu kaufen. Was muß der Verkäufer dort nur gedacht haben, als zwei Typen mit einem Kamerateam im Schlepptau auftauchten und anfingen, fröhlich auf den Hockern herumzutrommeln?
Auch in einem anderen Bereich herrschen eine Woche vor der ersten Show noch Notstand und Probleme. Die Videosequenzen für den Bühnenhintergrund müssen auf die Note genau ausgelöst werden, und dafür ist bisher niemand wirklich zuständig. Ein Knöpfchendrücker muß her – und der muß blitzschnell fit werden in der Abfolge der Sequenzen. So große Probleme führen so kurz vor den Konzerten zu deutlichen Spannungen und Gereiztheiten in der Crew. Vielsagend die Beschriftung von drei besonderen Knöpfen am Videosteuerpult: „oh shit“, „oh FUCK!!!“ „Alles abbrechen“.
Am Tag vor dem Konzert in Helsinki scheinen sich die Videoprobleme zu bessern, obwohl Tony Smith immer noch beunruhigt ist. Als dann in Helsinki die Setliste Dominoerreicht, spricht Patrick Woodroffe dem Knöpfchendrücker Mut zu – und zur allgemeinen Erleichterung läuft alles bestens.
So könnte die Tour jetzt aufs wunderbarste verlaufen, wäre da nicht noch Teil Zwei:
Der Regen
Er beginnt mit Impressionen aus Hamburg, wo es wie aus Eimern auf die Bühne schüttet, und Bern, wo es auch eher nach Sintflut als nach sommerlichem Open-Air-Konzert aussieht. Ein erster Lichtblick zeigt sich erst wieder in Chorzow/Katowice. Sofort nutzt die Crew das trockene Wetter, fönt die Kabel trocken und versucht die Steckverbindungen mit Isolierband und Silikon gegen Regenwasser zu schützen. Der Statusbericht der Lichtcrew klingt verheerend, und dann trifft die Hiobsbotschaft ein: Gewitter im Anzug. Notfallpläne werden entworfen: Wenn es blitzt, müssen die Scheinwerfertürme und die Bühne geräumt werden. Auf Phils vorsichtige Frage, was denn mit der Show sei, wenn es nahe am Veranstaltungsort blitzt, hat Tony Smith nur eine gallige Antwort: „Dann verlasst ihr die Bühne … wenn das noch geht.“ Am Ende haben sie dann doch das komplette Konzert gespielt – und wie eindrucksvoll die Natur die Lightshow ergänzt hat, kann man schon auf der Hülle der DVD sehen. Die polnischen Fans waren offenkundig dankbar, dass die Show nicht abgesagt wurde. Mit welcher Begeisterung, ja, mit welcher Inbrunst junge und alte Fans am Ende Carpet Crawlers mitsingen – da kommen eigene Erinnerungen an den Konzertbesuch hoch, wie man selbst im Stadion stand und mitsang.
Einige Impressionen vom Circus Maximus in Rom, vom Reisen und von den Erholungsphasen zwischendrin beschließen eine herausragende Dokumentation.
Ein Blick auf die technische Seite: Die Bildqualität ist durchweg hervorragend. Das Soundangebot ist sehr übersichtlich, es gibt nämlich nur Stereo. Aber da es hier um eine Dokumentation geht, ist Surroundsound auch nicht unbedingt nötig. Untertitel werden in Deutsch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch angeboten. Leider sind die Untertitel nicht ganz verlässlich. So unterhält sich Mike mit seiner Frau ganz am Anfang mitnichten über das Wetter, sondern über sein Hemd und ob er weitere helle Hemden dabei hat. Manche Übersetzungen sind auch blanker Unfug, was man schon beim einfachen Mitlesen merkt: „Ich glaube, ich kannte den Anfang für jeden Song. Sonst werde ich verrückt“, liest man dort, während Tony eigentlich sagt: „I need a sort of starting point – Ich brauche einen Einstieg…“ Das ist eine vergebene Gelegenheit, aber auch der einzige Wermutstropfen an dieser DVD.
Fazit
Come Rain Or Shine ist eine tolle Dokumentation der Vorbereitungen für die Turn It On Again-Tour. Ein spannender Blick hinter die Kulissen, ja sogar in die Zeit, bevor die Kulissen überhaupt gebaut waren. Der Zuschauer ist voll eingebunden, ob die Band nun miteinander scherzt oder Phil verärgert ein Mikrophon in die Ecke feuert. Von den kleinen Dingen (wie den berühmten zehn Tropfen) bis zu großen Problemen wie dem Timing der Videosequenzen ist man bei allen Problemen – und bei allen lustigen Momenten und denen mit den wichtigen Entscheidungen dabei. Das macht diese DVD so reizvoll und unterhaltsam. Die Anschaffung von When In Rome lohnt sich allein schon wegen Come Rain Or Shine.
Autor: Martin Klinkhardt