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Genesis – Chicago, IL: The Last Domino? Tour 2021 – Konzertberichte
Genesis haben den Nordamerika-Abschnitt ihrer The Last Domino? Tour mit zwei ausverkauften Shows in Chicago gestartet. Drei Fams berichten aus ihrem ganz persönlichen Blickwinkel.
Für einige ist es vielleicht das erste Mal, dass sie Genesis live sehen konnten. Für andere ist es die letzte Gelegenheit, nachdem sie Jahrzehnte die Band verfolgt haben. Als Genesis am 15. und 16. November 2021 in Chicago auftraten, war das für viele Fans sicherlich ein besonderes Ereignis. Drei von ihnen, Todd, Paul und Mark, waren dabei und teilen ihre Eindrücke.
15, November, von Todd Leinss
Meine Frau und ich hatten das große Glück, die Show am 15. November 2021 in Chicago zu besuchen. Wie bei der Phil Collins Not Dead Yet Tourhabe ich mich finanziell weit aus dem Fenster gelehnt und VIP-Sitze in der vierten Reihe gekauft. Das Abendessen war fabelhaft mit einer riesigen Auswahl an Speisen und Getränken, alles war inklusive. Dann kam der Trivia-Wettbewerb. Oh je. Ich habe nie behauptet, dass ich ein Experte für Genesis-Quizfragen bin. Ich hasse Wettbewerbe und begann zu schwitzen. Von den 10 Fragen, die gestellt wurden, habe ich sicher 9 richtig beantwortet (sagen wir einfach, ich habe mich nicht an die korrekte Reihenfolge der früheren Schlagzeuger erinnert, aber ich habe den ersten Namen richtig beantwortet). Ich habe es zwar nicht in die Blitzrunde geschafft, um den „Sonderpreis“ zu gewinnen, aber ich wusste jede Antwort auf die etwa 15 Fragen, die gestellt wurden, so dass ich mit einem guten Gefühl nach Hause ging. Es gab auch eine Umfrage, wie oft man Genesis schon gesehen hatte, und der Gewinner gab an, sie 33 Mal gesehen zu haben!
Dann zur Show … Ich ging hin, ohne etwas zu erwarten und ohne zu wissen, was sie bei bisherigen Konzerten der Tour gespielt hatten. Ich schätze das Überraschungsmoment, und da ich weiß, dass sich die Songs zwischen den Tourneen ändern können, wollte ich nicht enttäuscht werden, weil ich einen bestimmten Song erwartet hatte. Im Großen und Ganzen bekam ich, was ich mir vorgestellt hatte. Eine mehr als zweistündige Show von einer Band, die ich seit 1980 verfolge. Mein persönliches Highlight war Afterglow, schon immer ein Lieblingssong von mir, und ich war so froh, dass es zur Show gehörte. Ich griff die Hand meiner Frau, als mir die Tränen in die Augen stiegen und übers Gesicht liefen, weil ich wusste, dass dies das letzte Mal sein würde, dass ich ein so schönes Lied live im Konzert hören werde. Ich war später dann doch enttäuscht, zu lesen, dass wir Duchess nicht erlebt hatten, denn das wäre auch für mich ein echtes Highlight gewesen, da es von dem Album stammt, mit dem für mich alles begonnen hatte.
Nic Collins‘ Schlagzeugspiel war großartig, und ich denke, es ist ein passender Tribut, für seinen Vater zu spielen und das Erbe zu ehren, das Phil von all den Touren hinterlassen hat. Ich könnte mir niemanden vorstellen, der in diese Fußstapfen tritt. Mike Rutherford war lebhafter als sonst und auf der Bühne ziemlich animiert, wie ich fand, jedenfalls mehr als bei früheren Auftritten, die ich miterlebt habe. Tony Banks zeigte seine üblich ernste „erledige den Job“-Einstellung – mit einem kleinen Anflug von Lächeln, weshalb meine Frau ihn schon immer „Smiley“ genannt hat. Daryl war wie immer hervorragend, und da meine Frau und ich aus Wisconsin kommen, haben wir ihn schon oft mit seinen eigenen Bands gesehen, und er enttäuscht definitiv nie. Er ist wirklich jedes Mal eine Klasse für sich. Die beiden Background-Sänger halfen, den Gesang von Phil zu ergänzen und waren hilfreich, um die Dinge voranzutreiben. Wir bemerkten, dass Phil die Texte für jeden Song auf laminierte Blätter gedruckt hatte, die er nach jedem Song in einen Behälter legte. Mit ein paar Aussetzern bei den Texten während der Show war es alles in allem der Phil Collins, den wir alle kennen und lieben.
Meine abschließenden Gedanken:
Ich hatte das Gefühl, dass es nun an der Zeit ist, Genesis als Live-Band für den Rest meines Lebens auf Wiedersehen zu sagen. Nachdem ich Genesis nur 4 Mal und Phil Collins 6 Mal gesehen habe, denke ich, dass ich einen guten Lauf hatte. Ich muss zugeben, dass ich lieber gegen jede Hoffnung auf ein neues Genesis-Album gesetzt hätte, als sie auf Tournee zu sehen. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass das passieren könnte und dass Calling All Stations nicht die letzte Veröffentlichung in ihrem Katalog sein würde. Wie auch immer, jeder, der diese Band, aus welchen Gründen auch immer, verfolgt hat, kann zustimmen, dass wir alle Teil von etwas Besonderem waren, das für andere nicht zu beschreiben ist. Wir alle haben die besten Erinnerungen, die für immer weiterleben werden.
Danke, Genesis (früher und heute), dass ihr unser Leben so bereichert habt.
16. November, von Paul
Ich bin gerade von der zweiten Chicago-Show nach Hause gekommen, und ich kann euch sagen, dass die YouTube-Videos dem Ganzen nicht gerecht werden. Phils Stimme ist zwar nicht mehr so groß wie früher, aber er war gut drauf, hatte eine gute Tonlage und ich wage zu behaupten, dass er bei Throwing it All Alway und Domino einige schwierige Töne traf.
Ich konnte nicht glauben, wie viele aus allen möglichen Landesteilen da waren. Travis aus Sacramento, Bill aus Milwaukee, ein nettes Paar aus Omaha, und Dave aus Cedar Rapids, Iowa. Alle sagten das Gleiche, es gibt keine Shows im Westen, also kommen wir nach Chicago.
Es gab eine tolle Stimmung bei einer Altersgruppe von größtenteils 40 bis 70 Jahren. Es war auch eine angenehme Mischung im Publikum, was Herkunft und Ethnien angehen. Sehr cool. Ich war mit meiner Frau da, und es war ihr erstes Genesis-Konzert, und eine Bekehrung, nachdem ich ihr einige Albumtracks vorgespielt hatte.
Unsere Plätze waren in den hinteren Reihen ganz oben, und dann, 20 Minuten vor der Show, bekamen wir ein Upgrade in die 11. Reihe. Andere, die auch oben saßen, begannen sich zu uns zu gesellen. Ich fragte den Platzanweiser, und er sagte, dass die Band einige Plätze für die Bühnenproduktion blockt, und wenn es mehr Platz gibt als geplant, holen sie echte Fans und bedanken sich. Ich war überwältigt.
Das Set war dasselbe wie am Vorabend, und hier ein paar kurze Gedanken dazu:
Nic Collins hatte ordentlich Power. Ich konnte ihn und Tony die ganze Show über gut sehen und er hat Second Home By The Sea und Domino zu etwas gemacht, das wir noch nie live erlebt haben. Tonys Finger können bei The Cinema Show immer noch gut arbeiten und Daryl gehörte Firth Of Fifth an diesem Abend. Das war wahrscheinlich seine bisher beste Version. Es gab ein paar technische Probleme mit dem Keyboard, als während Mama für etwa einen Takt der Strom ausfiel, aber hey, that’s live.
Phil vermasselt immer noch den Text bei Home By The Sea und Domino, aber das passiert schon seit 1986! Er war bestens gelaunt als er Mike und Daryl auf die Schippe nahm, und seine Stimme ist verdammt gut. Da war Null Peinlicheit falls das die Leute befürchtet haben sollten. Domino war wirklich intensiv! Ich liebe es, wenn Nic mit den Sticks klickt und Tony sich ins Zeug legt.
Das Akustikset funktioniert auch gut. Der mittlere Song, The Lamb Lies Down On Broadway, war anders, aber gut gemacht.
Es war ein großartiger Abend und ich kann nur sagen: Danke, Genesis!
Beide Abende, von Mark
Ich bin 51 Jahre alt und seit 86 ein Fan. Ich komme aus Madison, Wisconsin und habe beide Konzerte in Chicago gesehen. Am ersten Abend war ich mit meiner Frau und meinem Sohn da und wir hatten Karten für die 15. Reihe. Für den zweiten Abend hatte ich eine Karte für die 2. Reihe – in der Mitte zwischen Daryl und Mike – und ging allein.
Die erste Show
Ich war erstaunt über Phils Gesang. Nach Mama schaut mich meine Frau an und sagt: „Ich dachte, du meintest, seine Stimme würde nicht gut klingen…“
Es gab einige Songs wie Fading Lights, That’s Allund No Son of Mine, bei denen er genauso gut klang wie 2007, wenn nicht sogar wie 1992. Hier und da hat er ein bisschen gepatzt – aber das war keine große Sache. Mike war ebenfalls gut in Form.
Ich mag Misunderstanding, ich liebe es nicht, aber ich mag es. Und sobald Nic auf die Sticks klickte, wusste ich, dass es kommen würde – aber ganz ehrlich, sie spielten die Hölle raus. Es klang großartig.
Insgesamt hat die Band die richtige Entscheidung getroffen, Misunderstanding zu spielen. Trotz allem, was wir alle denken und glauben – die neueren Hits waren viel beliebter. Ich war überrascht, dass die Leute bei I Know What I Likesaßen – und man konnte sehen, dass es hier und da Fans gab, die begeistert waren, aber insgesamt kam das ältere Material nicht gut an.
Ich weiß nicht, ob jemand Phil vor der Show eine 5-Stunden-Energiespritze verabreicht hat – denn er war so engagiert wie ich es vorher nicht gesehen habe (auf den Videos der UK-Shows). Er trommelte ständig in der Luft und bewegte überhaupot die Arme ziemlich viel. Bei Second Home By The Sea lehnte er sich sogar gegen den Drum-Riser, anstatt an der Seite zu sitzen. Seine Eigenarten waren natürlich wieder ziemlich ausgeprägt. Bei Domino kam er ein wenig ins Stolpern, konnte sich aber schnell berappeln.
Toller Abend – es war auch die erste und letzte Genesis-Show meines Sohnes.
Der zweite Abend
Während der zweiten Show war Daryl wahrscheinlich nur fünf Meter von mir entfernt. Es war eine andere Erfahrung, in der 2. Reihe zu sitzen als in der 15., das kann ich sagen. Ich konnte sehen, was Mike und Daryl spielten, und ich konnte die beiden Sänger unverstärkt hören – ohne die PA. Natürlich konnte ich auch den unverstärkten Drum-Sound hören. Ich dachte auch, ich würde die Gitarren/Bässe etwas besser hören können, da die Verstärker direkt vor uns standen – konnte ich zwar, aber die Hauptlautsprecher waren auch direkt vor uns. Diesmal konnte ich zudem die Gitarren besser wahrnehmen als die Keyboards – als ich in der 15. Reihe saß, waren die Keyboads ziemlich fett. Aber wie Daryl jetzt die Pedale spielte, war erstaunlich zu sehen, zu fühlen und zu hören.
Die beiden Sänger waren am Ende von Afterglow großartig – sie sangen bis zum Ende aus und es war fantastisch. Bei Mama gab es ein Problem – Tonys Keyboards fielen für etwa 12-16 Takte nach dem Zwischenspiel aus – sie haben einfach Geduld gezeigt. Es war interessant zu sehen, wie sie damit umgingen – normalerweise ist es sehr schwierig, die Scherben aufzusammeln um weiterzumachen, wenn ein Song in die Hose geht. Sie haben einen guten Job gemacht, es anständig zu Ende zu bringen. Mike liebt offensichtlich die zweite Hälfte von Domino. Ich wusste gar nicht, dass Daryls Bassspiel am Ende von Invisible Touch so komplex ist – es hat Spaß gemacht, zuzusehen. Selbst Mike kam rüber, um es sich ein bisschen anzuschauen. Das Publikum in meiner Nähe war begeistert – sogar von den älteren Stücken. Misunderstanding war wieder großartig – sobald es losging, wurde es lebendig in der Menge.
Nic am Schlagzeug zuzuschauen war fantastisch. Man konnte sehen, dass er mental voll bei der Sache war und voll im Timing und ich habe nicht einen einzigen Fehler erkannt. Seine Rolls sind wie die seines Vaters, aber manches (etwa in The Cinema Show) spielt er auch anders als Phil.
Vor mir saß ein älteres Paar, das sicher schon länger Fan ist, als ich (sie sahen aus wie Anfang 70). Sie waren gebrechlich und man konnte ihnen die Beschwernis ansehen. Aber dann zu erleben, wie sie zum Leben erwachten und mitklatschten und -sangen so gut sie konnten – um sich dann wieder hinsetzen zu müssen – hat alles zurechgerückt.
Neben mir gab es zwei jüngere Frauen – sie waren vielleicht 25. Ich dachte zuerst, dass sie reich seien und nur dabei sein wollten. Nun, da lag ich falsch – sie kannten jede Textzeile! Sogar mehr als ich – und sie kannten auch die Instrumental-Teile. Es hat Spaß gemacht, zu sehen, wie sehr sie sich auf die Musik eingelassen haben. Auch viele andere jüngere Leute waren um mich herum – junge Erwachsene in ihren 20ern.
In der ersten Reihe hatten wir ein paar Leute, die die ganze Zeit an ihren Handys hingen (warum nur?). Aber ein Paar in den 30ern hatte den Platz in der Mitte und sie liebten es und die Band beobachtete sie ein wenig. Ich habe auf dem Weg nach draußen mit ihnen gesprochen – sie waren wirklich nett.
Ich weiß, dass Mike mich ein paar Mal während Domino angesehen hat – ich ahmte seine Gitarren-Swoops während des zweiten Teils nach, und er lächelte, als er mich und den Typen neben mir dabei sah.
Aber der wirkliche Moment für mich war Second Home by the Sea – mein absoluter all time favorite. Ich habe dieses Lied wahrscheinlich über 300 Mal in meinem Leben gehört, es ist meine Lieblingskomposition, und ich kann mich nicht daran satt hören. Der Montagabend war großartig – aber sie dann nur ein paar Meter von mir entfernt zu sehen, war das Geld für die Eintrittskarte wert. In der Mitte von Second Home by the Sea, direkt vor dem Solo, wenn das Schlagzeug vier heftige Rolls macht (genau dann, wenn die Augen auf die Leinwand kommen), sind das die vier Takte, die das Solo einleiten. Daryl spielte eine heftige Progression am Bass, Nic hämmerte auf die Drums und Mike spielte die Gitarre, als wäre er 30. Es war wirklich magisch – es gibt kein besseres Wort dafür. Ich fühlte eine kurze musikalische Euphorie – ich weiß, das klingt seltsam, aber das ist die beste Beschreibung!
Alles in allem war es auch ein trauriger Anlass – einige von uns sprachen vor der Show darüber, dass es das Ende der Band ist, da wir alle älter werden. Aber gleichzeitig war es auch eine Feier. Genesis hatte einen unglaublichen Lauf und was gibt es Besseres als das? Wie jemand anderes schon sagte: So etwas wie sie werden wir nie wieder sehen.
Und übrigens waren diese beiden Shows musikalisch besser als die 2007er Shows. Wollte ich noch gesagt haben …
Photos from various locations, taken by Todd Leinss, Volker Warncke and Matthias Fengler. Photo from Nic taken from a YouTube video.